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Der letzte »Führer« der Deutschen - Retter von Millionen oder Propagandist des Regimes?Karl Dönitz gilt als der 'legendäre' Befehlshaber der U-Boote im Zweiten Weltkrieg, von Hitler eingesetztes letztes Staatsoberhaupt des Dritten Reiches sowie - Retter von Millionen'. Diesen Mythen und Legenden stehen sein nachweislicher NS-Fanatismus, seine Hitler-Treue sowie der keineswegs fürsorgliche U-Booteinsatz mit höchsten Verlustraten gegenüber. Die von allen Verteidigungsministern verordnete Distanz der Bundesmarine zu ihm gipfelte im Verbot der Teilnahme an seiner Beerdigung für Soldaten in…mehr

Produktbeschreibung
Der letzte »Führer« der Deutschen - Retter von Millionen oder Propagandist des Regimes?Karl Dönitz gilt als der 'legendäre' Befehlshaber der U-Boote im Zweiten Weltkrieg, von Hitler eingesetztes letztes Staatsoberhaupt des Dritten Reiches sowie - Retter von Millionen'. Diesen Mythen und Legenden stehen sein nachweislicher NS-Fanatismus, seine Hitler-Treue sowie der keineswegs fürsorgliche U-Booteinsatz mit höchsten Verlustraten gegenüber. Die von allen Verteidigungsministern verordnete Distanz der Bundesmarine zu ihm gipfelte im Verbot der Teilnahme an seiner Beerdigung für Soldaten in Uniform, was große Empörung auslöste.Mit dem vorliegenden Buch werden fast 30 Jahre nach seinem Tod Persönlichkeit und Wirken von Dönitz im und nach dem Zweiten Weltkrieg umfassend dargestellt sowie kritisch bewertet. An die Stelle von Mythen und Legenden treten neue Erkenntnisse auf der Grundlage neuester Forschungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2010

Großvater grüßt Großadmiral
Die Bonner Republik tat sich schwer mit Karl Dönitz, dem Hitler-Bewunderer und 23-Tage-Staatsoberhaupt

Mit der Gretchenfrage können nicht nur Faust-Fans etwas anfangen. Doch wer erinnert sich noch an die Großadmiralsfrage? Die stellte sich für die junge Bundeswehr und besonders die Bundesmarine: "Wie hast du's mit Erich Raeder und Karl Dönitz?" Der eine, 1876 geboren, war bis Jahresbeginn 1943 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine. Der andere, 1891 geboren, baute die U-Boot-Waffe auf, war deren Befehlshaber und von Anfang 1943 bis Ende April 1945 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, schließlich vom 1. Mai bis 23. Mai 1945 - von Hitler testamentarisch bestimmt - Reichspräsident und Oberster Befehlshaber der Wehrmacht. Die beiden Großadmirale Hitlers gehörten zu den 24 Angeklagten im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Der Internationale Militärgerichtshof verurteilte am 1. Oktober 1946 Raeder zu lebenslanger Haft und Dönitz zu zehn Jahren.

Im September 1955 wurde Raeder aus gesundheitlichen Gründen aus der Haft entlassen. Dönitz kam am 1. Oktober 1956 frei und ließ sich in Aumühle bei Hamburg nieder. Als Raeder starb, nahm Dönitz im November 1960 an der Beerdigung teil. In der Kieler Petruskirche sprach der Inspekteur der Bundesmarine Friedrich Ruge in Uniform - jedoch nicht als Vertreter des Verteidigungsministeriums - über den Menschen Raeder, erinnerte an das "düstere Geschick der Oberbefehlshaber der Marine nach 1945", die doch beide in Nürnberg "in Bezug auf die deutsche Seekriegführung für die gesamte Dauer des Krieges freigesprochen" worden seien. Raeder habe "ein schweres Schicksal für die ganze von ihm geliebte Marine klaglos und würdig erduldet". Anschließend ergriff Dönitz das Wort, ohne dass über den Inhalt irgendetwas überliefert ist. Die "Bild"-Zeitung empörte sich, dass Ruge den "umstrittenen letzten Chef der Reichsregierung" militärisch grüßte.

In späteren Gesprächen - so schreibt Dieter Hartwig in seiner materialreichen, sehr detailverliebten und für das Traditionsverständnis der Bundesmarine höchst bedeutsamen Studie über Dönitz - versuchte Ruge sein Verhalten zu rechtfertigen: "er habe Dönitz nicht be-, sondern nur gegrüßt". Hartwig muss es genau wissen, zumal der Fregattenkapitän a. D. und promovierte Militärhistoriker ein Enkel Ruges ist - allerdings einer, der den Großvater nicht schont, wenn er den Großadmiral vom Denkmalsockel des "genialen U-Boot-Strategen" oder des "Retters von zwei Millionen Flüchtlingen über die Ostsee" holt. Dönitz war Anfang 1944 in die NSDAP eingetreten, weil ihm Hitlers Lagebeurteilungen zeigten, "wie unbedeutend wir alle im Vergleich mit dem Führer sind". Der Durchhalte-Fanatiker erklärte kurz darauf im Rundfunk: "Was wäre unsere Heimat heute, wenn der Führer uns nicht im Nationalsozialismus geeint hätte? Zerrissen in Parteien, durchsetzt von dem auflösenden Gift des Judentums und diesem zugänglich, da die Abwehr unserer jetzigen kompromisslosen Weltanschauung fehlte, wären wir längst der Belastung des Krieges erlegen und der erbarmungslosen Vernichtung unserer Gegner ausgeliefert worden."

Seine Devise lautete immer: "Lieber ehrenvoll untergehen als die Flagge streichen!" Dass zirka 60 Prozent aller deutschen U-Boot-Fahrer im Zweiten Weltkrieg den Tod fanden und 75 Prozent aller eingesetzten U-Boote verlorengingen, verklärte Dönitz als "Opfergang". Viele der 10 000 überlebenden U-Boot-Männer hielten ihm dennoch die Treue, weil Dönitz als Angeklagter in Nürnberg - so Hartwig - die Verantwortung für jegliches Verhalten der Kriegsmarineangehörigen auf sich nahm. Dafür vergötterten einstige Untergebene den Spandauer Häftling als "Opferlamm".

Rettete Dönitz zwei Millionen Menschen aus dem Osten? Die immer noch verbreitete Legende brach wissenschaftlich schon mit den 1972 publizierten Lagevorträgen des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine vor Hitler und mit dem 1988 veröffentlichten Kriegstagebuch der Seekriegsleitung zusammen: Anfang Mai 1945 standen die Kampfhandlungen im Zentrum der Befehlsgebung. Erst am 6. Mai stellte Dönitz die für den U-Boot-Krieg zurückgehaltenen Brennstoffreserven den Rettungschiffen zur Verfügung. "Wirklich gerettet wurden diese Menschen außer vom eigenen Lebens- und Durchhaltewillen von den Besatzungen der beteiligten Schiffe, Boote und Dienststellen, die, weitgehend auf sich gestellt, ohne oder sogar gegen Befehle höchster Stellen handelten", resümiert Hartwig.

Den Umgang der Marine mit Dönitz zeichnet der Autor in kleinsten Windungen nach. Ruge habe sich seit 1956 von ihm ferngehalten. Beim Thema Traditionspflege eierte der Vizeadmiral allerdings herum, als er etwa bei den Großadmiralen "die politische und die menschliche Seite einer Persönlichkeit trennen" wollte. Als es auf einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie in Glücksburg zu einen Eklat kam, stellte die Bundesregierung im Bulletin vom 25. November 1958 fest: "Die einstigen Großadmirale Dönitz und Raeder sind nicht Vorbilder der Bundesmarine", auch weil sie "die Judenpolitik des nationalsozialistischen Regimes nachdrücklich gebilligt" hätten. Darüber beschwerte sich Dönitz erst im Frühjahr 1960 in einem Schreiben an Bundeskanzler Adenauer (CDU). Der beauftragte den Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) mit der Antwort an Dönitz. Der Minister wollte "es nicht zulassen, dass als Folge eines achtenswerten Gefühls der Kameradschaft gegenüber einem ehemaligen Vorgesetzten die Einsicht in die Katastrophen und verbrecherischen Konsequenzen der damaligen Vorstellungswelt verlorengeht". Und weil Dönitz beim Rückblick auf die NS-Vernichtungsmaschinerie gern den Uninformierten mimte, wurde Strauß deutlich. Es sei "schwer verständlich, dass ein in seiner militärischen und politischen Bedeutung so bedeutender Mann, der Nachfolger Hitlers wurde, in völliger Unwissenheit bleiben konnte. Ich behaupte nicht, damals alles gewusst zu haben, was wirklich vorging, aber ich scheine ebenso wie ungezählte andere in bedeutungsloser Position eine wesentlich bessere Ahnung gehabt zu haben."

Zwei Jahrzehnte setzte sich die Bundeswehrführung mit möglichen Reaktionen auf ein Ableben von Dönitz auseinander. Als 1973 Hitlers Generalfeldmarschälle Ferdinand Schörner und Erich Manstein verstarben, fand die Beisetzung Schörners ohne militärische Ehren statt; Bundeswehrsoldaten war die Teilnahme in Uniform verboten, eine Teilnahme in Zivil "nicht erwünscht". Bei Manstein gab es militärische Ehren und sogar eine Rede von Generalinspekteur Armin Zimmermann. Dieser 1917 geborene Seeoffizier setzte sich mit Blick auf Dönitz bei Verteidigungsminister Georg Leber (SPD) für eine dritte Verhaltensvariante ein: kein militärisches Ehrengeleit, aber Erlaubnis für die Soldaten, "der Beisetzung beizuwohnen und dabei Uniform zu tragen", zudem kurze Ansprache des Inspekteurs der Bundesmarine.

Beim Tod von Dönitz am 24. Dezember 1980 war mit Jürgen Brandt ein Heeresoffizier Generalinspekteur und mit Hans Apel (SPD) erstmals ein "Ungedienter" Verteidigungsminister, der immerhin 1982 neue Traditionsrichtlinien in Kraft setzen sollte mit dem Kernsatz zur Wehrmacht: "Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht begründen." Apel entschied: "Keine Teilnahme der Bundeswehr, keine Uniformen!" Mithin durften sich Bundeswehrangehörige in Zivil am 6. Januar 1981 in Aumühle unter die 4000 Teilnehmer der Trauerfeier mischen, während Ritterkreuz-Träger der alten Kriegsmarine bei Ehrenwache und Sargträgerdiensten eine Anordnung des Präsidenten des Verbandes Deutscher U-Bootfahrer befolgen mussten: "Ritterkreuz wird umgekehrt (H.K. nach hinten) am Hals getragen." Das öffentliche Zeigen des Hakenkreuzes war längst gesetzlich verboten.

Es soll sogar "Inkognito"-Trauernde in Aumühle gegeben haben - wie Uwe Barschel. Er stand wohl in Kontakt mit Dönitz seit seiner Schulsprecher-Zeit und einem als Skandal empfundenen Auftritt des Großadmirals 1963 im Gymnasium Geesthacht. Der 1944 geborene und 1987 unter mysteriösen Umständen in Genf tot aufgefundene CDU-Politiker Barschel war damals Innenminister von Schleswig-Holstein. Um am Grab von Dönitz nicht erkannt zu werden, habe er sich "mit falschem Bart und Zylinder" - so ein Zeitzeuge zum Buchautor - verkleidet. Diese Beobachtung wäre, "falls erfunden", Ausdruck der "für die Bereiche Barschel und U-Boot-Fahrer bekannten regen Fantasien", räumt Hartwig quellenkritisch ein.

RAINER BLASIUS

Dieter Hartwig: Großadmiral Karl Dönitz. Legende und Wirklichkeit. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2010. 435 S., 39,90 [Euro].

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