Fontanes erster Roman »Vor dem Sturm« ist das preußische Gegenstück zu Tolstois »Krieg und Frieden«Brandenburg im Winter 1812/13: Unter dem Zauber der verschneiten Landschaft verbirgt sich ein aufgewühltes Land zwischen zwei Kriegen, eine Gesellschaft im Umbruch. Während die Reste von Napoleons geschlagener Grande Armée sich über den zugefrorenen Njemen retten, der preußische Landadel über Treue und Verrat diskutiert und die Berliner Studenten über nationale Erneuerung, feiert das Ancien Régime auf Schloss Guse sein letztes Silvester. Der sorgfältig edierte Text folgt buchstaben und zeichengetreu der Erstausgabe von 1878. Der umfassende Kommentar dokumentiert die lange Entstehungsgeschichte und erhellt das Geflecht aus Geschichte, Biographie, Märchen und Mythos, aus dem Fontane seine Erzählung komponierte.Herausgegeben von Christine Hehle
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Gelehrt und anregend ist Gustav Seibts Kritik dieses nicht mehr sehr bekannten und überdies recht wuchtigen Romans von Theodor Fontane. Er spielt "vor dem Sturm" der Befreiungskriege gegen Napoleon und zeigt eine behagliche Adelsgesellschaft, die sich unbehagliche Fragen stellen muss: Ist die Loyalität zum Land über die zum König zu stellen, wenn es gilt, gegen die Franzosen zu kämpfen? Ein Zwiespalt, der, wie Seibt anmerkt, mehr als hundert Jahre später weit dramatischer zurückkehren wird. Aber zugleich bewundert Seibt in dem Roman die "leichte Hand und zarte Schattierung", die Courtoisie gegenüber der französischen und übrigens auch der polnischen Kultur, die Genauigkeit, mit der der Roman, der kurz nach der deutschen Reichsgründung geschrieben wurde, das eigene historische Umfeld reflektiert. Es gibt nicht mehr viele historische Romane des 19. Jahrhunderts, die den Leser noch so beschwingen könnten, versichert Seibt, und scheut sich nicht, "Vor dem Sturm" mit dem anderen großen Roman über diese Zeit, Tolstois "Krieg und Frieden" zu vergleichen. Den ausführlichen und für heutige Leser notwendigen Kommentar der Neuausgabe lobt Seibt mit ganz geringen Einschränkungen. Einen historischen Stadtplan von Frankfurt an der Oder hätte er gern noch gehabt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Wer sich die Freude machen will, diesen Erkenntnisprozess zwischen historischer Faktizität und fiktionaler Ausdeutung nachzugehen, der hat nun ein ausgezeichnetes Instrument in der umfassend kommentierten, textkritisch präzisierten Neuausgabe, die von Theodor Fontanes erstem und zugleich umfangreichstem Erzählwerk im Rahmen der "Großen Brandenburger Ausgabe" des Aufbau-Verlags erschienen ist. Hier lernt der Leser nicht nur alle wichtigen historischen Hintergründe des "Vor dem Sturm"-Stoffes kennen, sondern ihm wird durch die Erläuterung der langen Entstehungsgeschichte des Romans in den fünfzehn Jahren vor 1878 auch eine zusätzliche Ebene erschlossen.« Johan Schloemann Süddeutsche Zeitung 20110325