Entschiedener als die Darstellungen anderer Komponisten muß eine Haydn-Monographie den Akzent auf das Werk, nicht auf die Biographie legen: In einem in der jüngeren Musikgeschichte einzigartigen Maß tritt hier die Person hinter dem Schatten zurück, und die biographischen Zeugnisse sind spärlich und wenig erhellend.Die vorliegende Darstellung verfolgt vor allem zwei Ziele: die Säuberung der Fakten von den bis ins kleinste Detail wuchernden Zutaten der Biographik und die Verdeutlichung der einzigartigen Rolle des Werkes als der Grundlage der Musikkultur des 19. und weiter Teile des 20. Jahrhunderts. Dieses Werk war der Grundstein, auf dem Mozart und Beethoven bauten, und es entwickelte eine europäisch verbindliche Sprache vor allem der Instrumentalmusik, derer sich auch noch die Komponisten bedienten, die (wie Schumann) Haydn für überholt hielten. Es war eine Sprache der reinen Schönheit, der praktischen Vernunft und des tiefen, aber stets kontrollierten Gefühls. Ganz am Ende der Epoche war Haydn in einem tieferen Sinne als jeder andere ein Komponist der Aufklärung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.2000Was zum Kuckuck harmoniert denn hier?
Joseph Haydn erfand den gespielten Witz: Die komische Logik eines katholischen Aufklärers
Das Bild kaum eines anderen großen Komponisten schwankt bis heute so sehr zwischen Bewunderung und Geringschätzung wie das Joseph Haydns. Nur ein Bruchteil seines Werks - im Grunde nur eine Reihe von Streichquartetten, die späten Symphonien und Oratorien - ist fester Bestandteil des heutigen musikalischen Lebens. Der berühmteste Komponist seiner Zeit muss sich weithin mit der Rolle des "Vorläufers" Mozarts und Beethovens zufrieden geben. Schon bald nach seinem Tod setzte der Prozess seiner Verharmlosung ein - bis hin zu Schumanns Verdikt: "Tieferes Interesse aber hat er für die Jetztzeit nicht mehr." Die meisten großen Komponisten des neunzehnten Jahrhunderts standen ihm mehr oder weniger gleichgültig gegenüber - freilich nicht die beiden allergrößten: der späte Verdi und der späte Wagner. Alles sei "Einfall" bei ihm, sagte Wagner am 19. Oktober 1873 zu Cosima; heute dagegen seien "Häufungen" an die Stelle von "Erfindungen" getreten. Haydn mag ein Phänomen der Reife sein. Der frühe Wagner hatte sich noch ganz anders über ihn geäußert.
Ein Phänomen der Reife ist auch Ludwig Finschers monumentale Werkbiographie Haydns, die man von der Substanz der umfassenden Werkanalysen her das Opus summum der Haydn-Forschung nennen darf. Finscher zählt Haydn den Greisenavantgardisten à la Verdi und Janácek zu, "die in hohem Alter immer moderner wurden". Seine Monographie erscheint in einer der bedeutendsten musikwissenschaftlichen Buchreihen, die für die Interpretation manches Komponisten Maßstäbe gesetzt hat: so Carl Dahlhaus für Beethoven oder Peter Gülke für Schubert. Eingeleitet wird jeder Band dieser Reihe durch eine umfangreiche Chronik, abgeschlossen durch einen Bildteil und ein Werkverzeichnis.
Den Hauptteil aber bilden die "Aspekte" des Werks. Den ersten dieser Aspekte hat Finscher "Mutmaßungen über Haydn" genannt. Die Anekdoten, Legenden und Klischees, die um das Leben dieses Komponisten ranken, der in seinem Werk aufging, werden abgeschnitten. Überraschendes tritt zutage: seine so oft abgeleugnete breite literarische Bildung, sein neugieriges Interesse an der Großstadtwelt, zumal an ihren sozialen und ökonomischen Verhältnissen, wie seine Londoner Tagebücher zeigen, seine Vertrautheit mit der aufgeklärten Salonkultur und vor allem - ein Leitmotiv des ganzen Buchs bis in die satztechnischen Analysen hinein - sein satirischer Blick, sein eminenter Sinn für Komik.
Bei aller Nüchternheit dieses Buchs ist doch in und zwischen den Zeilen immer wieder die Leidenschaft des Verfassers zu spüren, der Wille, Haydn in sein eigenes Recht einzusetzen. Dem romantischen Komponistenmythos entsprach Haydn nicht, für Finscher "der" Komponist der Aufklärung, ein Musiker, der über sein Kompositionsverfahren stets mit rationalistischer Nüchternheit, ja in Formeln der Experimentalphysik sprach, wie Finscher belegt. "Bescheidenheit" ist die Signatur seines Künstlertums. Man fühlt sich bei dieser Beschreibung von Haydns Musikerpsychogramm an Thomas Manns Essay "Meerfahrt mit Don Quijote" erinnert, in dem er die "bescheiden handwerkliche Grundstimmung und Grundverfassung" des vorrevolutionären Künstlers gegen die Überheblichkeit des modernen "Genies" ausspielt.
Haydn blieb zeitlebens ein treuer Sohn der Kirche, der die Niederschrift seiner Werke mit "In nomine Domini" begann und mit "Laus Deo" beendete. Er ließ sich von der englischen Aufklärung inspirieren und betrauerte dennoch, dass die Engländer vom wahren katholischen Glauben abgefallen seien. Angesichts solcher Äußerungen mag man hin und wieder an Finschers Aufklärungsthese zweifeln, auch wenn er mehr oder weniger überzeugend belegen kann, wie stark Gottfried van Swietens Textbücher der "Schöpfung" und "Jahreszeiten" vom englischen Deismus, von der Physikotheologie und ihren ethisch-religiösen Implikationen (Naturfrömmigkeit, Arbeitsethos) geprägt waren. Aber wenn es am Ende der "Schöpfung" über Adam und Eva heißt: "O glücklich Paar und glücklich immerfort, wenn falscher Wahn euch nicht verführt, noch mehr zu wünschen, als ihr habt, und mehr zu wissen, als ihr sollt", so ist das die durchaus vormoderne, voraufklärerische Warnung vor der faustischen curiositas. Haydn hat dieses Rezitativ mit solchem Nachdruck vertont, dass auch Finscher nicht umhinkann, zuzugestehen: "In diesem Moment war der Komponist mehr Katholik als Aufklärer."
Was freilich die Satztechnik Haydns betrifft, überzeugt Finschers Aufklärungsthese auf der ganzen Linie. In seinem "Exkurs" zur "musikalischen Logik" (fast das Interessanteste in diesem Buch steht merkwürdigerweise in so genannten Exkursen) stellt Finscher fest, dass Haydns Instrumentalmusik, welche die Nachahmungsästhetik sprengt, aber dem Gefühlskult der Empfindsamkeit noch fern steht, aufgrund ihrer Komplexität "den Hörer zum wachen Hören, zum Hören von Strukturen und Prozessen" zwang, ein "scientific ear" verlangte, wie es in englischen Kritiken hieß. Finscher verdeutlicht, dass das englische Publikum der Zeit wie kein anderes die spezifische Struktur der zum ersten Mal "absoluten" Haydn'schen Instrumentalmusik erfasste. Und der an Nationalökonomie so interessierte Haydn hätte in den nachgelassenen musikästhetischen Untersuchungen von Adam Smith das theoretische Pendant seiner Kompositionstechnik entdecken können.
Mit aufklärerischer Satzlogik bringt Finscher - wiederum in einem "Exkurs" - auch Haydns musikalische Komik in Verbindung. Sie entspringt nicht außermusikalischen Einwirkungen auf die musikalische Struktur, sondern entsteht aus dieser selbst, als "kompositorischer Witz" im Sinne eines vexatorischen "Spiels mit den Erwartungen der Spieler und Hörer", durch überraschende, unerwartet in eine musikalische Entwicklung hineinplatzende Pointen. "Die Rhetorik der komischen Überraschung und die geistreiche Täuschung, Humor und aufklärerischer Witz verbinden sich miteinander, vor dem Hintergrund - und hier wird auch eine parodistische Dimension sichtbar - der evozierten äußersten, ja mechanischen Regelmäßigkeit und Normerfüllung."
Hätte nicht gerade seine einzigartige musikalische vis comica Haydn zum idealen Komponisten komischer Opern machen müssen? Doch nein. Gerade weil seine musikalische Komik aus der reinen Satzlogik entspringt, fehlt ihr meist der Theaterwitz. Das einzige Feld, auf dem Finscher mit seinem Komponisten ein wenig hadert, ist das des Musiktheaters, und hier vergleicht er Haydn nun doch ganz zu seinem Nachteil mit Mozart. Arienkonzerte auf höchstem musikalischem Niveau seien seine zahlreichen Opern, löse er doch Texte in der Regel als reine musikalische Ausdruckschiffren aus ihrem theatralischen Kontext heraus. Haydn schrieb "keine Theatermusik", so urteilt Finscher ganz anders als jüngst Norbert Miller, "es ist in der Regel zu viel Musik, zu sorgfältig als rein musikalische Struktur ausgearbeitete Musik und eine Musik, die weder Personen noch Situationen so darstellt und pointiert, dass sie auf der Bühne lebendig werden können".
Dass Haydn das Opernkomponieren schließlich aufgab, hat sicher auch seinen Grund in der Einsicht, dass Mozart ihm auf diesem Gebiet längst den Rang abgelaufen hatte. In seinem Brief an Marianne von Genzinger vom 9. Februar 1790 schildert er seine desolate Stimmung nach der Rückkehr aus Wien, wo er auch "Figaros Hochzeit" gesehen hatte, in die "Einöde" von Eszterháza: "Ich konte wenig schlafen, sogar die Traume verfolgten mich, dan, da ich am besten die opera le Nozze di Figaro zu hören traumte, wegte mich der Fatale Nordwind auf, und blies mir fast die schlafhauben von Kopf." Der nächste Haydn-Biograph sollte ein Freudianer sein.
DIETER BORCHMEYER
Ludwig Finscher: "Joseph Haydn und seine Zeit". Große Komponisten und ihre Zeit. Laaber-Verlag, Laaber 2000. 558 S., 30 Abb., geb., 78 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Joseph Haydn erfand den gespielten Witz: Die komische Logik eines katholischen Aufklärers
Das Bild kaum eines anderen großen Komponisten schwankt bis heute so sehr zwischen Bewunderung und Geringschätzung wie das Joseph Haydns. Nur ein Bruchteil seines Werks - im Grunde nur eine Reihe von Streichquartetten, die späten Symphonien und Oratorien - ist fester Bestandteil des heutigen musikalischen Lebens. Der berühmteste Komponist seiner Zeit muss sich weithin mit der Rolle des "Vorläufers" Mozarts und Beethovens zufrieden geben. Schon bald nach seinem Tod setzte der Prozess seiner Verharmlosung ein - bis hin zu Schumanns Verdikt: "Tieferes Interesse aber hat er für die Jetztzeit nicht mehr." Die meisten großen Komponisten des neunzehnten Jahrhunderts standen ihm mehr oder weniger gleichgültig gegenüber - freilich nicht die beiden allergrößten: der späte Verdi und der späte Wagner. Alles sei "Einfall" bei ihm, sagte Wagner am 19. Oktober 1873 zu Cosima; heute dagegen seien "Häufungen" an die Stelle von "Erfindungen" getreten. Haydn mag ein Phänomen der Reife sein. Der frühe Wagner hatte sich noch ganz anders über ihn geäußert.
Ein Phänomen der Reife ist auch Ludwig Finschers monumentale Werkbiographie Haydns, die man von der Substanz der umfassenden Werkanalysen her das Opus summum der Haydn-Forschung nennen darf. Finscher zählt Haydn den Greisenavantgardisten à la Verdi und Janácek zu, "die in hohem Alter immer moderner wurden". Seine Monographie erscheint in einer der bedeutendsten musikwissenschaftlichen Buchreihen, die für die Interpretation manches Komponisten Maßstäbe gesetzt hat: so Carl Dahlhaus für Beethoven oder Peter Gülke für Schubert. Eingeleitet wird jeder Band dieser Reihe durch eine umfangreiche Chronik, abgeschlossen durch einen Bildteil und ein Werkverzeichnis.
Den Hauptteil aber bilden die "Aspekte" des Werks. Den ersten dieser Aspekte hat Finscher "Mutmaßungen über Haydn" genannt. Die Anekdoten, Legenden und Klischees, die um das Leben dieses Komponisten ranken, der in seinem Werk aufging, werden abgeschnitten. Überraschendes tritt zutage: seine so oft abgeleugnete breite literarische Bildung, sein neugieriges Interesse an der Großstadtwelt, zumal an ihren sozialen und ökonomischen Verhältnissen, wie seine Londoner Tagebücher zeigen, seine Vertrautheit mit der aufgeklärten Salonkultur und vor allem - ein Leitmotiv des ganzen Buchs bis in die satztechnischen Analysen hinein - sein satirischer Blick, sein eminenter Sinn für Komik.
Bei aller Nüchternheit dieses Buchs ist doch in und zwischen den Zeilen immer wieder die Leidenschaft des Verfassers zu spüren, der Wille, Haydn in sein eigenes Recht einzusetzen. Dem romantischen Komponistenmythos entsprach Haydn nicht, für Finscher "der" Komponist der Aufklärung, ein Musiker, der über sein Kompositionsverfahren stets mit rationalistischer Nüchternheit, ja in Formeln der Experimentalphysik sprach, wie Finscher belegt. "Bescheidenheit" ist die Signatur seines Künstlertums. Man fühlt sich bei dieser Beschreibung von Haydns Musikerpsychogramm an Thomas Manns Essay "Meerfahrt mit Don Quijote" erinnert, in dem er die "bescheiden handwerkliche Grundstimmung und Grundverfassung" des vorrevolutionären Künstlers gegen die Überheblichkeit des modernen "Genies" ausspielt.
Haydn blieb zeitlebens ein treuer Sohn der Kirche, der die Niederschrift seiner Werke mit "In nomine Domini" begann und mit "Laus Deo" beendete. Er ließ sich von der englischen Aufklärung inspirieren und betrauerte dennoch, dass die Engländer vom wahren katholischen Glauben abgefallen seien. Angesichts solcher Äußerungen mag man hin und wieder an Finschers Aufklärungsthese zweifeln, auch wenn er mehr oder weniger überzeugend belegen kann, wie stark Gottfried van Swietens Textbücher der "Schöpfung" und "Jahreszeiten" vom englischen Deismus, von der Physikotheologie und ihren ethisch-religiösen Implikationen (Naturfrömmigkeit, Arbeitsethos) geprägt waren. Aber wenn es am Ende der "Schöpfung" über Adam und Eva heißt: "O glücklich Paar und glücklich immerfort, wenn falscher Wahn euch nicht verführt, noch mehr zu wünschen, als ihr habt, und mehr zu wissen, als ihr sollt", so ist das die durchaus vormoderne, voraufklärerische Warnung vor der faustischen curiositas. Haydn hat dieses Rezitativ mit solchem Nachdruck vertont, dass auch Finscher nicht umhinkann, zuzugestehen: "In diesem Moment war der Komponist mehr Katholik als Aufklärer."
Was freilich die Satztechnik Haydns betrifft, überzeugt Finschers Aufklärungsthese auf der ganzen Linie. In seinem "Exkurs" zur "musikalischen Logik" (fast das Interessanteste in diesem Buch steht merkwürdigerweise in so genannten Exkursen) stellt Finscher fest, dass Haydns Instrumentalmusik, welche die Nachahmungsästhetik sprengt, aber dem Gefühlskult der Empfindsamkeit noch fern steht, aufgrund ihrer Komplexität "den Hörer zum wachen Hören, zum Hören von Strukturen und Prozessen" zwang, ein "scientific ear" verlangte, wie es in englischen Kritiken hieß. Finscher verdeutlicht, dass das englische Publikum der Zeit wie kein anderes die spezifische Struktur der zum ersten Mal "absoluten" Haydn'schen Instrumentalmusik erfasste. Und der an Nationalökonomie so interessierte Haydn hätte in den nachgelassenen musikästhetischen Untersuchungen von Adam Smith das theoretische Pendant seiner Kompositionstechnik entdecken können.
Mit aufklärerischer Satzlogik bringt Finscher - wiederum in einem "Exkurs" - auch Haydns musikalische Komik in Verbindung. Sie entspringt nicht außermusikalischen Einwirkungen auf die musikalische Struktur, sondern entsteht aus dieser selbst, als "kompositorischer Witz" im Sinne eines vexatorischen "Spiels mit den Erwartungen der Spieler und Hörer", durch überraschende, unerwartet in eine musikalische Entwicklung hineinplatzende Pointen. "Die Rhetorik der komischen Überraschung und die geistreiche Täuschung, Humor und aufklärerischer Witz verbinden sich miteinander, vor dem Hintergrund - und hier wird auch eine parodistische Dimension sichtbar - der evozierten äußersten, ja mechanischen Regelmäßigkeit und Normerfüllung."
Hätte nicht gerade seine einzigartige musikalische vis comica Haydn zum idealen Komponisten komischer Opern machen müssen? Doch nein. Gerade weil seine musikalische Komik aus der reinen Satzlogik entspringt, fehlt ihr meist der Theaterwitz. Das einzige Feld, auf dem Finscher mit seinem Komponisten ein wenig hadert, ist das des Musiktheaters, und hier vergleicht er Haydn nun doch ganz zu seinem Nachteil mit Mozart. Arienkonzerte auf höchstem musikalischem Niveau seien seine zahlreichen Opern, löse er doch Texte in der Regel als reine musikalische Ausdruckschiffren aus ihrem theatralischen Kontext heraus. Haydn schrieb "keine Theatermusik", so urteilt Finscher ganz anders als jüngst Norbert Miller, "es ist in der Regel zu viel Musik, zu sorgfältig als rein musikalische Struktur ausgearbeitete Musik und eine Musik, die weder Personen noch Situationen so darstellt und pointiert, dass sie auf der Bühne lebendig werden können".
Dass Haydn das Opernkomponieren schließlich aufgab, hat sicher auch seinen Grund in der Einsicht, dass Mozart ihm auf diesem Gebiet längst den Rang abgelaufen hatte. In seinem Brief an Marianne von Genzinger vom 9. Februar 1790 schildert er seine desolate Stimmung nach der Rückkehr aus Wien, wo er auch "Figaros Hochzeit" gesehen hatte, in die "Einöde" von Eszterháza: "Ich konte wenig schlafen, sogar die Traume verfolgten mich, dan, da ich am besten die opera le Nozze di Figaro zu hören traumte, wegte mich der Fatale Nordwind auf, und blies mir fast die schlafhauben von Kopf." Der nächste Haydn-Biograph sollte ein Freudianer sein.
DIETER BORCHMEYER
Ludwig Finscher: "Joseph Haydn und seine Zeit". Große Komponisten und ihre Zeit. Laaber-Verlag, Laaber 2000. 558 S., 30 Abb., geb., 78 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Frank Hilberg bespricht in einer Sammelrezension drei "Forschungsreisen durch das Oeuvre des Wiener Dreiklangs": Mozart, Beethoven und Joseph Haydn. Gemeinsam ist den Bänden, wie er dem Leser mitteilt, dass sie keine Biografien sind, sondern sich vor allem mit dem Schaffensprozess der Komponisten befassen.
1.) Ludwig Finscher: "Joseph Haydn und seine Zeit" (Laaber Verlag)
Nach Ansicht des Rezensenten handelt es sich bei dem Autor um einen der besten Kenner der Musikgeschichte überhaupt, weshalb er offensichtlich keine dezidierte Auflistung der Stärken und möglichen Schwächen des Buchs für zwingend hält. Deutlich wird jedoch, dass Hilberg das Buch mit großer Begeisterung und auch großem Gewinn gelesen hat, besonders weil die Bedeutung des (auch räumlichen) Außenseitertums für die Entwicklung der einzigartigen Tonsprache Haydns hier klar aufgezeigt werde. Haydn selbst hat dies durchaus erkannt und in Worte gefasst, und so kann das von Hilberg erwähnte Zitat des Komponisten auch in knapper Form verdeutlichen, um was es Finscher hier geht: 'ich war von der Welt abgesondert, Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so musste ich original werden'. Darüber hinaus hat Finscher, wie der Rezensent feststellt, aufgezeigt, wie Haydn durch die Möglichkeiten am Hof des Fürsten Esterhazy mit musikalischen Formen und Typen experimentieren konnte und dadurch nach und nach zu "mustergültigen" Formulierungen - besonders was die Gattung Streichquartett und Klaviertrio betrifft - kommen konnte.
2.) Peter Gülke: "...immer das Ganze vor Augen" (Bärenreiter/Metzler)
Bei diesem Beethoven-Buch geht es nach Hilberg vor allem um das "Ringen um ein spezifisches Verhältnis von Werkgruppe zum Einzelstück" und das Prinzip der 'entwickelnden Variation' bzw. die motivisch-thematische Arbeit Beethovens. Hilberg findet es durchaus faszinierend, wie der Autor dabei aus "Einzeluntersuchungen ein atemberaubendes Ideengebäude" errichtet. Dem Rezensenten sind dabei durchaus (wenn auch mit Einschränkungen) Parallelen zwischen Beethovens Kompositionsweise und der Ästhetik Hegels aufgefallen, und meint sogar, dass Gülke "die Werke Beethovens als ausgeführte Kapitel der Hegelschen Ästhetik" liest.
3.) Peter Gülke: "Triumph der neuen Tonkunst" (Bärenreiter/Metzler)
Nach Hilberg geht Gülke hier der Frage nach, ob die Musik wirklich so spontan und gleichzeitig perfekt aus Mozarts Geist geflossen ist, wie das so oft behauptet wird. Gülke jedoch, so der Rezensent, "entwirft ein anderes Bild" und zeigt Mozart als durchaus kalkulierenden Strategen, auch wenn er bestimmte "konventionelle Details" wie Begleitfiguren ohne Mühe zu Papier bringen konnte. Gülke hat sich hier, wie der Leser erfährt, vor allem mit Gemeinsamkeiten dreier später Sinfonien befasst und dabei auch motivische Ähnlichkeiten herausgearbeitet, die als "Netzwerk das gesamte Spätwerk Mozart miteinander" verknüpfen.
© Perlentaucher Medien GmbH
1.) Ludwig Finscher: "Joseph Haydn und seine Zeit" (Laaber Verlag)
Nach Ansicht des Rezensenten handelt es sich bei dem Autor um einen der besten Kenner der Musikgeschichte überhaupt, weshalb er offensichtlich keine dezidierte Auflistung der Stärken und möglichen Schwächen des Buchs für zwingend hält. Deutlich wird jedoch, dass Hilberg das Buch mit großer Begeisterung und auch großem Gewinn gelesen hat, besonders weil die Bedeutung des (auch räumlichen) Außenseitertums für die Entwicklung der einzigartigen Tonsprache Haydns hier klar aufgezeigt werde. Haydn selbst hat dies durchaus erkannt und in Worte gefasst, und so kann das von Hilberg erwähnte Zitat des Komponisten auch in knapper Form verdeutlichen, um was es Finscher hier geht: 'ich war von der Welt abgesondert, Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so musste ich original werden'. Darüber hinaus hat Finscher, wie der Rezensent feststellt, aufgezeigt, wie Haydn durch die Möglichkeiten am Hof des Fürsten Esterhazy mit musikalischen Formen und Typen experimentieren konnte und dadurch nach und nach zu "mustergültigen" Formulierungen - besonders was die Gattung Streichquartett und Klaviertrio betrifft - kommen konnte.
2.) Peter Gülke: "...immer das Ganze vor Augen" (Bärenreiter/Metzler)
Bei diesem Beethoven-Buch geht es nach Hilberg vor allem um das "Ringen um ein spezifisches Verhältnis von Werkgruppe zum Einzelstück" und das Prinzip der 'entwickelnden Variation' bzw. die motivisch-thematische Arbeit Beethovens. Hilberg findet es durchaus faszinierend, wie der Autor dabei aus "Einzeluntersuchungen ein atemberaubendes Ideengebäude" errichtet. Dem Rezensenten sind dabei durchaus (wenn auch mit Einschränkungen) Parallelen zwischen Beethovens Kompositionsweise und der Ästhetik Hegels aufgefallen, und meint sogar, dass Gülke "die Werke Beethovens als ausgeführte Kapitel der Hegelschen Ästhetik" liest.
3.) Peter Gülke: "Triumph der neuen Tonkunst" (Bärenreiter/Metzler)
Nach Hilberg geht Gülke hier der Frage nach, ob die Musik wirklich so spontan und gleichzeitig perfekt aus Mozarts Geist geflossen ist, wie das so oft behauptet wird. Gülke jedoch, so der Rezensent, "entwirft ein anderes Bild" und zeigt Mozart als durchaus kalkulierenden Strategen, auch wenn er bestimmte "konventionelle Details" wie Begleitfiguren ohne Mühe zu Papier bringen konnte. Gülke hat sich hier, wie der Leser erfährt, vor allem mit Gemeinsamkeiten dreier später Sinfonien befasst und dabei auch motivische Ähnlichkeiten herausgearbeitet, die als "Netzwerk das gesamte Spätwerk Mozart miteinander" verknüpfen.
© Perlentaucher Medien GmbH