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Bei diesem Buch merkt man - verglichen mit dem ersten Venedig-Buch von Morris - sofort, die Autorin (der Autor) hat an Reife gewonnen. Unbegründete Urteile, unerträgliche Charakterisierungen, angesichts derer man das erste Werk mitunter einfach weglegen möchte, findet man hier
nicht. Auch mit Selbstdarstellungen hält sich Morris hier zurück.
Das Thema, Venedig als Seemacht…mehrThema gefunden
Bei diesem Buch merkt man - verglichen mit dem ersten Venedig-Buch von Morris - sofort, die Autorin (der Autor) hat an Reife gewonnen. Unbegründete Urteile, unerträgliche Charakterisierungen, angesichts derer man das erste Werk mitunter einfach weglegen möchte, findet man hier nicht. Auch mit Selbstdarstellungen hält sich Morris hier zurück.
Das Thema, Venedig als Seemacht darzustellen, seiner Präsenz in Griechenland, der Ägäis, in Dalmatien nachzugehen, kommt der Neigung der Autorin, herumzureisen und darüber zu berichten, auch mehr entgegen, als eine Darstellung der Stadt Venedig selbst. Mitunter braucht man eben eine Weile, um herauszufinden, was "sein Thema" als Autor ist.
Mit dem 1. Kapitel in zwei kürzeren Abschnitten führt sie recht ordentlich in die Geschichte der Stadt und Venedigs als Seemacht ein. Mir sind da nur drei Fehler aufgefallen: Der Patriarch von Venedig war ursprünglich nicht "gleichzeitig Bischof dieser Gegend" (S. 18). Sowie: Enrico Dandolo hat nicht "den Sultan von Ägypten über die Pläne der Kreuzfahrer aufgeklärt" (S. 26) und er war es auch nicht, "der den Vorschlag machte, diesen Alexander Komnenos auf diesen Vierten Kreuzzug mit nach Konstantinopel zu nehmen" (S. 28), der den Verlauf der Geschichte "auf diese Weise manipulierte" (Ebd.). Angesehen davon: Der "Verlauf der Geschichte" ist eben der Verlauf der Geschichte und als solcher nicht "manipulierbar" - allenfalls in verfälschender geschichtlicher Darstellung.
Dann kommt aber in acht Kapiteln gleich das Eigentliche, eine Sichtung des vom venezianischen stato del mar noch vorhandenen, in Resten sichtbaren, aufspürbaren: Konstantinopel, natürlich auch mit Darstellung von Angriff und Eroberung durch die Kreuzfahrer 1203/04 (S. 32-38, 43-47); die ägäischen Inseln, wo natürlich Aufteilung und Besitznahme des infolge der Eroberung von Konstantinopel an Venedig gefallenen einen wesentlichen Platz (S. 51-55) einnimmt, aber auch die schrittweise Eroberung durch die Türken (S. 58-66); Kreta, durch die Venezianer formell von Bonifaz des Monferrat gekauft, tatsächlich aber erobert, immer wieder gegen die Fremdherrschaft, die hier wirklich kein glückliches Händchen hatte, rebellierend, schließlich von den Türken erobert - halb zu denen übergelaufen; Zypern, mittels geschickt eingefädelter Hochzeit der geliebten Tochter Venedigs, Caterina Corner, mit dem umstrittenen König Jacques (Jacob) II. Lusignan le Bâtard (Bastard) von Zypern und Jerusalem, der und dessen kleiner Sohn dann schließlich auch passend starben (ein Schelm, wer böses dabei denkt), listenreich erworben und schließlich doch nach heroischem Kampf 1571 an die Türken verloren; die Festungen entlang der griechischen Küste, wichtige Ankerplätze und "Augen" auf den Handelswegen (Hier natürlich auch S. 122-124 zur Seeschlacht von Lepanto 1571); Korfu, glücklicher von den Venezianern regiert, und ebenso die anderen ionischen Inseln - bis 1797 venezianisch; das über Jahrhunderte umstrittene Dalmatien.
Überall spürt Jan Morris hier der Geschichte nach, berichtet Interessantes daraus, weist anschaulich (auch mit Photos) auf bauliche Zeugen und Kunstwerke hin.
Mit dem letzten Kapitel kehrt Jan Morris wieder nach Venedig zurück. Es ist eine Liebeserklärung an die Stadt. Die von Venedig Beherrschten waren und sind der Liebe zu ihren (ehemaligen) Herren durchaus nicht abgeneigt. Nur so läßt sich die bemerkenswerte Botschaft aus Zara an das 1797 von herrschsüchtigen Napoleon zur Selbstaufgabe erpreßte Venedig erklären: "Setzt Eure Krone auf und kommt nach Zara!" (Zit. n. Jan Morris S. 181)
Ich will dieses Buch uneingeschränkt empfehlen, zumal diese Spuren der Venezianer heutzutage im Zeitbewußtsein fast vergessen scheinen. Sie sind aber großartig beeindruckend und sehenswert noch da!