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Von der alzu rasch dahinwelkenden Nelkenpracht zum Sechzigsten über eine Yuccapalme, deren Blätter schon im voraus das Verwelken einer Liebe ankündigen, einem gedankenlos gebrauchten Spitznamen und Orchideen als Mittel des Bürokleinkrieges - in allen Beiträgen zeigt sich: Die Zimmerpflanze ist weit mehr, als sie scheint.

Produktbeschreibung
Von der alzu rasch dahinwelkenden Nelkenpracht zum Sechzigsten über eine Yuccapalme, deren Blätter schon im voraus das Verwelken einer Liebe ankündigen, einem gedankenlos gebrauchten Spitznamen und Orchideen als Mittel des Bürokleinkrieges - in allen Beiträgen zeigt sich: Die Zimmerpflanze ist weit mehr, als sie scheint.
Autorenporträt
HANNE KULESSA lebt als freie Autorin und Moderatorin (hr2kultur) in Frankfurt am Main. Sie hat Kinderbücher geschrieben, zahlreiche Anthologien, Neueditionen und eigene Erzählungen veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2007

Grüne Monster
Hanne Kulessas Zimmerpflanzen

Über den Gummibaum lässt sich streiten. Über Geranien auch. Es sei denn, man hat seinen Frieden mit diesen kleinbürgerlichen Kreaturen geschlossen, wie die russische Lyrikerin und Wahlfrankfurterin Olga Martynova oder vielmehr ihr erzählendes Ich. Mit Zimmerpflanzen lässt sich nicht streiten. Wenn sie die ganze Wohnung durchwuchern, hilft nur noch ein konsequenter Kreuzzug, wie in Franz Hodjaks Erinnerungen an "Jakob Ganthers Frau", oder man atmet zum letzten Mal aus, wie die Protagonistin in Kerstin Hensels Erzählung "Mannstreu". Denn Zimmerpflanzen setzen BC-Waffen ein. Entweder sie machen sich gegenseitig den allelopathischen Garaus, wie Katja Lange-Müllers Ich-Erzählerin Iris bemerkt, oder sie liefern Alkaloide und andere chemische Keulen für das Mobbing gegen unliebsame Kollegen, wie Anne Chaplet weiß.

Sind Zimmerpflanzen ein Unglück? Wer sich den Band "Grüne Liebe, Grünes Gift" zu Gemüte geführt hat, betrachtet die Monstera vor dem eigenen Bücherregal plötzlich mit anderen Augen. Kaum für die Renovierung gekappt, macht sie sich schon wieder breit und will sich mit ihren Luftwurzeln an der "Bayreuther Dramaturgie" festhalten. "Eben", sagt Hanne Kulessa, "macht es Ihnen denn Spaß, nach den Büchern angeln zu müssen?" Die Frankfurter Autorin, die nur eine Yucca-Palme in ihren vier Wänden duldet, hat Gleichgesinnte unter ihren Kollegen gefunden. Im Frankfurter Verlag Heinrich & Hahn hat sie 13 Geschichten und ein Gedicht "über die Wildnis der Zimmerpflanze" herausgegeben: Soft-Horror mit skurrilem Humor, kafkaeske Bedrohungskulissen aus vegetativem Filigran.

Stehen Schriftsteller auf Kriegsfuß mit Zimmerpflanzen? Mit Pflanzen überhaupt? Wollen Künstler womöglich mit Kunst die Natur ersetzen wie das erzählende Ich in Evelyn Grills "Stillleben"? Hanne Kulessa schüttelt den Kopf: "Ach was, aus Naturliebe kann man doch keine Literatur machen. Ein bisschen Friktion muss schon sein. Über Glück zu schreiben, ist langweilig." Angst könne durchaus eine Motivation für das Schreiben sein. Deshalb hat die Autorin vor einigen Jahren eine Anthologie über "Die Spinne" (Insel Verlag 1991) und über den "Schatten" (Luchterhand 1984) herausgegeben, deshalb hat sie diesmal Kollegen um Originalbeiträge über Zimmerpflanzen gebeten, die sie ebenfalls für ein Reizthema hielt. Mit Recht offenbar, denn in den meisten Texten hadern die Erzähler mit ihren grünen Untermietern oder fühlen sich von ihnen in ihrem Lebensraum eingeengt.

Ihre Yucca-Palme habe sich den Platz in der Wohnung verdient, indem sie halb erfroren nach einem eisigen Winter auf dem Balkon doch wieder ausgetrieben habe, erzählt die Herausgeberin. In ihrer eigenen Geschichte "Für immer und dich" rächt sich das erzählende Ich an einer Yucca-Palme für den Verlust des Geliebten, der ihr die treulich wachsende Pflanze geschenkt hatte. Ramona Dieffenbachs empathische Ich-Erzählerin hat in der Titelgeschichte weniger Glück mit ihrem Krüppel-Gewächs aus dem Supermarkt. Alles Päppeln hilft nicht: Das "Jammergeschöpf" saugt ihr das Lebensblut aus, bis die Liebe in Hass umschlägt. Dass sich eine "Zimmerpflanze" auch als Spitzname für eine betuliche Lehrerin eignet, beweist Ulrike Kolb. Nur in Christa Reinigs Gedicht über den "Hibiskus" macht sich Sympathie mit einer Zimmerpflanze bemerkbar.

Gewissermaßen als "Bonus-Track" hat Hanne Kulessa alle Pflanzen, die in den Geschichten vorkommen, in einem Anhang botanisch erläutert und von einem Fachmann autorisieren lassen. "Das musste sein", findet sie und denkt mit Grausen zurück an diese Sisyphus-Arbeit. Dabei hat sie selbst einen "grünen Daumen". Sonst wären ihr die eigenen Zimmerpflanzen nicht über den Kopf gewachsen, bis sie sich nach einem Umzug entschied, nur noch die eine Yucca-Palme in ihrer Nähe zu dulden. Bei aller Zurückhaltung gegenüber so künstlichen Gewächsen wie Gummibäumen und Orchideen ist sie überzeugt davon, dass auch Zimmerpflanzen merken, ob man sie mag oder nicht.

CLAUDIA SCHÜLKE

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