Kenzaburo Oe ist einer der Grenzgänger der Literatur, der mit jedem Buch eine Frage stellt, die den Leser nicht ruhen lässt. In seinem Roman Grüner Baum in Flammen zieht er die Quintessenz seines Lebenswerkes. In einer groß angelegten erzählerischen Erkundung beschreibt Oe die gefährliche Suche nach einer neuen Religion, die Befreiung sein kann wie Bürde. Schauplatz ist das Dorf in den Wäldern von Shikoku, um das Oes Erzählungen sich immer wieder ranken. Im wichtigsten Hof des Dorfes liegt eine beinahe hundertjährige Frau im Sterben. Mit ihrem Tod würden die Mythen und Geschichten des Dorfes vergessen. Im letzten Augenblick jedoch findet sie in dem jungen Gij einen Nachfolger, der von der Dorfgemeinschaft zunächst gegen seinen Willen als Retter, Heiler und Heilsbringer gefeiert, dann aber verstoßen wird.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2001Prügel für den Erlöser
Aber die Schuld trifft den Autor: Kenzaburô Ôes neuer Roman
Als sperriger Autor galt Kenzaburô Ôe, Japans Nobelpreisträger von 1994, immer schon, daheim wohl noch stärker als im Ausland, zumal erst in den neunziger Jahren sein OEuvre in nennenswertem Umfang auch in westlichen Sprachen zugänglich wurde. Schwierig und gewunden, metaphernreich und abstrakt bis zum Manierismus ist die Sprache, düster und verquält sind seine Themen. Das ging oft bis an die Schmerzgrenze, auch wenn man den Texten eine gewisse Eindringlichkeit und dunkle Faszination nicht absprechen konnte. Und noch eins hat sich mittlerweile als feste Vorstellung bei der Leserschaft auch hierzulande durchgesetzt: daß Ôe stets seine eigene Geschichte erzählt, in hundert Variationen und in zahllosen Brechungen. Und daß es dabei immer zugleich um Übergeordnetes geht - das Schicksal der eigenen Dorfgemeinschaft, der Nation, der Natur oder der Menschheit. Ein Autor mit Sendungsbewußtsein also.
Ursprung und Ausgangspunkt allen Erzählens ist ein Dorf in den Wäldern der japanischen Südinsel Shikoku, der Ort, wo Ôe 1935 geboren wurde. Dort gibt es Überlieferungen, von denen zumindest einige der dort Lebenden meinen, man solle versuchen, "alles, was darin erzählt wird, zu glauben, ja zur Religion zu erheben und die Mythologie als Ganzes in sich selbst wieder auferstehen zu lassen". Dazu sehen sie sich aber nicht in der Lage, auch nicht K., der Schriftsteller. "Hätte er sonst seiner Heimat den Rücken gekehrt und wäre für immer nach Tôkyô gegangen - oder glaubst du etwa, daß er jemals hierher zurückkehrt? Und um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, schreibt er bis heute Romane über die Überlieferungen aus den Wäldern, was meinst du?"
Hier ist er wieder, der Autor Ôe, der einen Roman mit dem Titel "Grüner Baum in Flammen" geschrieben hat, durch den er - wie Hitchcock in seinen Filmen - ab und zu selber geistert, als der ferne, in der Hauptstadt lebende "Onkel K." der Erzählerin. Diese junge Frau, genannt Satchan, lebt auf dem Alten Hof und pflegt die fast hundertjährige Mutter des Schriftstellers, von der sie als Kind angenommen und zunächst als Junge großgezogen wurde, mit dem Makel der Doppelgeschlechtlichkeit behaftet. Doch mit achtzehn hat der hübsche junge Mann eine erotisch gefärbte Begegnung mit einem als Gast im Hause weilenden Amerikaner und entschließt sich daraufhin, seine weibliche Seite auszuleben. Das Weibliche an dieser bildschönen jungen Frau scheint sich auch in ihrer dienenden Rolle zu manifestieren - als Pflegerin der Matriarchin des Dorfes und als Gehilfin und Dokumentaristin des Mannes, der als Bruder Gii die Hauptfigur des Romans bildet.
Bruder Gii, eigentlich heißt er Takashi, ist in den Augen der alten Frau und der Dörfler eine Art Wiedergeburt des "echten" Bruders Gii, der zehn Jahre zuvor unter geheimnisvollen Umständen ums Leben kam. Sein Nachfolger und vermeintlicher Wiedergänger knüpft an dessen Pläne zur Agrarreform für eine Basis-Bewegung an und versammelt auf dem Alten Hof, den er zur Bewirtschaftung übernimmt, die "Waldjugend". Es geht um biologischen Landbau und um Bewußtseinsbildung bei den jungen Leuten, die sich, wie sollte es anders sein, aus der tiefen Provinz in die Metropole fortträumen: "Wie oft sehe ich mit Frau und Kindern zusammen fern und bekomme den Eindruck, daß das, was in Tôkyô passiert, wichtiger wäre als die Ereignisse direkt vor meiner Haustür!" Erst die Initiative von Bruder Gii, der, obwohl selbst ein Zugereister, alte Bräuche wiederaufleben läßt, bewirkt in den Leuten einen Gesinnungswandel: Der Mann, der die Angelegenheiten seiner Heimat immer nur als zweiten Aufguß der Ereignisse der Hauptstadt wahrgenommen hatte, bemerkt nun, "wie wichtig ich für diese Gegend bin und wie unersetzlich meine Heimat für mich ist".
Bruder Gii, der für alle sichtbar den Segen der alten Frau empfangen hat, wird in die Rolle eines Predigers und Wunderheilers gedrängt und erhält den Beinamen "der Erlöser". Sein Wirken spricht sich herum; von weit her reisen Bewunderer an. Schließlich kommt es, wie es kommen muß: Die überschwengliche Verehrung, die Bruder Gii genießt, schlägt in Ablehnung und Gewalt gegen ihn um, als ein von ihm betreutes krebskrankes Kind stirbt und eine fragwürdige Presse Mißgunst und Neid schürt. "Bis der ,Erlöser' zusammengeschlagen wird", lautet der japanische Titel dieses 1993 erschienenen ersten Bandes einer Romantrilogie, die den Obertitel "Grüner Baum in Flammen" trägt. Die japanischen Leser konnten also schon ahnen, worauf die Geschichte hinausläuft. Allerdings vermittelt auch der Text selbst das "Gefühl pulsierender Vorahnung des Unglücks", und die gewisse Spannung, die daraus entsteht, speist sich eher aus der Frage nach dem Wann und Wie.
Was ist von diesem Buch zu halten, das sich übrigens glatt und flüssig liest - nicht zuletzt ein Verdienst der versierten Übersetzerin Annelie Ortmanns, die den Band, wo erforderlich, auch mit unaufdringlichen Anmerkungen versehen hat? Dem Autor Ôe ist zu bescheinigen, daß er sich neuerdings offenbar um bessere Lesbarkeit seiner Texte bemüht, weg vom vertrackten und verquälten "Übersetzungsstil". Seine Themen sind jedoch gleich geblieben, und man hat diesmal sogar das Gefühl, daß nichts wirklich Neues hinzugekommen ist, weder stilistisch noch in bezug auf den Inhalt, sofern man diese Aspekte überhaupt getrennt betrachten kann. Die Erzählkonstruktion knüpft an den auch auf deutsch vorliegenden, 1990 publizierten Erzählzyklus "Stille Tage" an, der die Geschichte aus der Perspektive einer jungen Frau, der Tochter des Schriftstellers K., aufrollt. Doch während in dem früheren Werk diese Konstellation noch für Ironie und überraschende Seitenblicke in der Beschreibung der auch hier geographisch abwesenden Autorfigur sorgte, sind Ironie und Humor in "Grüner Baum in Flammen" kaum noch auszumachen. Statt dessen dampft der Roman nur so vor "Anliegen", deren Dringlichkeit umso trauriger daherkommt, je weniger die Geschichte überzeugt.
Bei aller Sympathie für die Kritik an der Landschaftszerstörung und Gigantomanie der Brückenbauer, die die Insel Shikoku mit dem japanischen Festland verbindet, und bei aller Achtung, die man dem Autor Ôe schuldet, der mit seinen Werken nach wie vor den Anspruch erhebt, Gesellschaftskommentar und Orientierungsangebot zu verbinden - literarisch jedenfalls muß das Unterfangen als gescheitert gelten. Überall wittert man beim Lesen die gute Absicht, und man ist verstimmt. Da ist die Erzählerin als Hermaphrodit, die die Freiheit der Geschlechtswahl demonstrieren soll, obwohl man partout nicht nachvollziehen kann, weshalb sie sich für das Frausein entscheidet, das ihr doch sozial gesehen keinerlei Vorteile bringt. Unerträglicher Kitsch dann die Szene kurz vor Schluß, die darauf angelegt ist, die vollkommene Sexualität des Zwitters zu feiern.
Bruder Gii, die zur Jesusfigur stilisierte Zentralgestalt, bleibt uns letztlich ebenso fern wie die Erzählerin. Er ist der grüne Prophet, der Hüter der "Geheimnisse des Waldes", der Sagen und Überlieferungen, und er predigt bedingungslose Nächstenliebe. Das alles hängt aber nur lose, wenn überhaupt, miteinander zusammen und bleibt bis auf einige überzeugend geschilderte Gespräche, etwa mit dem krebskranken Kind, seltsam blaß und vage. Um die "Belange der Seele" geht es dem "Erlöser", und da dürfen natürlich die Verweise auf christliche Heilige wie Franz von Assisi, Pater Maximilian Kolbe und die mystische Lyrik von Yeats nicht fehlen. Einem Yeats-Gedicht entstammt auch der Titel.
Wer noch nichts von Ôe gelesen hat, wird in "Grüner Baum in Flammen" das gesamte thematische Repertoire dieses hartnäckigen Erzählers kennenlernen können. Für diejenigen, die ihn schon kennen, gibt es die üblichen Déjà-vu-Erlebnisse: die Atmosphäre der frühesten Kurzgeschichten aus den späten fünfziger Jahren wie "Der Fang" bis hin zu den Ereignissen im Hauptwerk der späten Sechziger, "Der stumme Schrei", über seine "Regenbaum-Geschichten der frühen achtziger Jahre, bis sich in den Romanen und Erzählzyklen seit Mitte der achtziger Jahre die Selbstzitate immer mehr verdichten. Doch während man dabei stets noch den Eindruck hatte, daß jedes Werk eine konsequente Weiterentfaltung bedeutete, kündigt sich in "Grüner Baum in Flammen" eine Stagnation an, die traurig stimmt.
IRMELA HIJIYA-KIRSCHNEREIT.
Kenzaburô Ôe: "Grüner Baum in Flammen". Roman. Aus dem Japanischen übersetzt von Annelie Ortmanns. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 350 S., geb., 49,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aber die Schuld trifft den Autor: Kenzaburô Ôes neuer Roman
Als sperriger Autor galt Kenzaburô Ôe, Japans Nobelpreisträger von 1994, immer schon, daheim wohl noch stärker als im Ausland, zumal erst in den neunziger Jahren sein OEuvre in nennenswertem Umfang auch in westlichen Sprachen zugänglich wurde. Schwierig und gewunden, metaphernreich und abstrakt bis zum Manierismus ist die Sprache, düster und verquält sind seine Themen. Das ging oft bis an die Schmerzgrenze, auch wenn man den Texten eine gewisse Eindringlichkeit und dunkle Faszination nicht absprechen konnte. Und noch eins hat sich mittlerweile als feste Vorstellung bei der Leserschaft auch hierzulande durchgesetzt: daß Ôe stets seine eigene Geschichte erzählt, in hundert Variationen und in zahllosen Brechungen. Und daß es dabei immer zugleich um Übergeordnetes geht - das Schicksal der eigenen Dorfgemeinschaft, der Nation, der Natur oder der Menschheit. Ein Autor mit Sendungsbewußtsein also.
Ursprung und Ausgangspunkt allen Erzählens ist ein Dorf in den Wäldern der japanischen Südinsel Shikoku, der Ort, wo Ôe 1935 geboren wurde. Dort gibt es Überlieferungen, von denen zumindest einige der dort Lebenden meinen, man solle versuchen, "alles, was darin erzählt wird, zu glauben, ja zur Religion zu erheben und die Mythologie als Ganzes in sich selbst wieder auferstehen zu lassen". Dazu sehen sie sich aber nicht in der Lage, auch nicht K., der Schriftsteller. "Hätte er sonst seiner Heimat den Rücken gekehrt und wäre für immer nach Tôkyô gegangen - oder glaubst du etwa, daß er jemals hierher zurückkehrt? Und um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, schreibt er bis heute Romane über die Überlieferungen aus den Wäldern, was meinst du?"
Hier ist er wieder, der Autor Ôe, der einen Roman mit dem Titel "Grüner Baum in Flammen" geschrieben hat, durch den er - wie Hitchcock in seinen Filmen - ab und zu selber geistert, als der ferne, in der Hauptstadt lebende "Onkel K." der Erzählerin. Diese junge Frau, genannt Satchan, lebt auf dem Alten Hof und pflegt die fast hundertjährige Mutter des Schriftstellers, von der sie als Kind angenommen und zunächst als Junge großgezogen wurde, mit dem Makel der Doppelgeschlechtlichkeit behaftet. Doch mit achtzehn hat der hübsche junge Mann eine erotisch gefärbte Begegnung mit einem als Gast im Hause weilenden Amerikaner und entschließt sich daraufhin, seine weibliche Seite auszuleben. Das Weibliche an dieser bildschönen jungen Frau scheint sich auch in ihrer dienenden Rolle zu manifestieren - als Pflegerin der Matriarchin des Dorfes und als Gehilfin und Dokumentaristin des Mannes, der als Bruder Gii die Hauptfigur des Romans bildet.
Bruder Gii, eigentlich heißt er Takashi, ist in den Augen der alten Frau und der Dörfler eine Art Wiedergeburt des "echten" Bruders Gii, der zehn Jahre zuvor unter geheimnisvollen Umständen ums Leben kam. Sein Nachfolger und vermeintlicher Wiedergänger knüpft an dessen Pläne zur Agrarreform für eine Basis-Bewegung an und versammelt auf dem Alten Hof, den er zur Bewirtschaftung übernimmt, die "Waldjugend". Es geht um biologischen Landbau und um Bewußtseinsbildung bei den jungen Leuten, die sich, wie sollte es anders sein, aus der tiefen Provinz in die Metropole fortträumen: "Wie oft sehe ich mit Frau und Kindern zusammen fern und bekomme den Eindruck, daß das, was in Tôkyô passiert, wichtiger wäre als die Ereignisse direkt vor meiner Haustür!" Erst die Initiative von Bruder Gii, der, obwohl selbst ein Zugereister, alte Bräuche wiederaufleben läßt, bewirkt in den Leuten einen Gesinnungswandel: Der Mann, der die Angelegenheiten seiner Heimat immer nur als zweiten Aufguß der Ereignisse der Hauptstadt wahrgenommen hatte, bemerkt nun, "wie wichtig ich für diese Gegend bin und wie unersetzlich meine Heimat für mich ist".
Bruder Gii, der für alle sichtbar den Segen der alten Frau empfangen hat, wird in die Rolle eines Predigers und Wunderheilers gedrängt und erhält den Beinamen "der Erlöser". Sein Wirken spricht sich herum; von weit her reisen Bewunderer an. Schließlich kommt es, wie es kommen muß: Die überschwengliche Verehrung, die Bruder Gii genießt, schlägt in Ablehnung und Gewalt gegen ihn um, als ein von ihm betreutes krebskrankes Kind stirbt und eine fragwürdige Presse Mißgunst und Neid schürt. "Bis der ,Erlöser' zusammengeschlagen wird", lautet der japanische Titel dieses 1993 erschienenen ersten Bandes einer Romantrilogie, die den Obertitel "Grüner Baum in Flammen" trägt. Die japanischen Leser konnten also schon ahnen, worauf die Geschichte hinausläuft. Allerdings vermittelt auch der Text selbst das "Gefühl pulsierender Vorahnung des Unglücks", und die gewisse Spannung, die daraus entsteht, speist sich eher aus der Frage nach dem Wann und Wie.
Was ist von diesem Buch zu halten, das sich übrigens glatt und flüssig liest - nicht zuletzt ein Verdienst der versierten Übersetzerin Annelie Ortmanns, die den Band, wo erforderlich, auch mit unaufdringlichen Anmerkungen versehen hat? Dem Autor Ôe ist zu bescheinigen, daß er sich neuerdings offenbar um bessere Lesbarkeit seiner Texte bemüht, weg vom vertrackten und verquälten "Übersetzungsstil". Seine Themen sind jedoch gleich geblieben, und man hat diesmal sogar das Gefühl, daß nichts wirklich Neues hinzugekommen ist, weder stilistisch noch in bezug auf den Inhalt, sofern man diese Aspekte überhaupt getrennt betrachten kann. Die Erzählkonstruktion knüpft an den auch auf deutsch vorliegenden, 1990 publizierten Erzählzyklus "Stille Tage" an, der die Geschichte aus der Perspektive einer jungen Frau, der Tochter des Schriftstellers K., aufrollt. Doch während in dem früheren Werk diese Konstellation noch für Ironie und überraschende Seitenblicke in der Beschreibung der auch hier geographisch abwesenden Autorfigur sorgte, sind Ironie und Humor in "Grüner Baum in Flammen" kaum noch auszumachen. Statt dessen dampft der Roman nur so vor "Anliegen", deren Dringlichkeit umso trauriger daherkommt, je weniger die Geschichte überzeugt.
Bei aller Sympathie für die Kritik an der Landschaftszerstörung und Gigantomanie der Brückenbauer, die die Insel Shikoku mit dem japanischen Festland verbindet, und bei aller Achtung, die man dem Autor Ôe schuldet, der mit seinen Werken nach wie vor den Anspruch erhebt, Gesellschaftskommentar und Orientierungsangebot zu verbinden - literarisch jedenfalls muß das Unterfangen als gescheitert gelten. Überall wittert man beim Lesen die gute Absicht, und man ist verstimmt. Da ist die Erzählerin als Hermaphrodit, die die Freiheit der Geschlechtswahl demonstrieren soll, obwohl man partout nicht nachvollziehen kann, weshalb sie sich für das Frausein entscheidet, das ihr doch sozial gesehen keinerlei Vorteile bringt. Unerträglicher Kitsch dann die Szene kurz vor Schluß, die darauf angelegt ist, die vollkommene Sexualität des Zwitters zu feiern.
Bruder Gii, die zur Jesusfigur stilisierte Zentralgestalt, bleibt uns letztlich ebenso fern wie die Erzählerin. Er ist der grüne Prophet, der Hüter der "Geheimnisse des Waldes", der Sagen und Überlieferungen, und er predigt bedingungslose Nächstenliebe. Das alles hängt aber nur lose, wenn überhaupt, miteinander zusammen und bleibt bis auf einige überzeugend geschilderte Gespräche, etwa mit dem krebskranken Kind, seltsam blaß und vage. Um die "Belange der Seele" geht es dem "Erlöser", und da dürfen natürlich die Verweise auf christliche Heilige wie Franz von Assisi, Pater Maximilian Kolbe und die mystische Lyrik von Yeats nicht fehlen. Einem Yeats-Gedicht entstammt auch der Titel.
Wer noch nichts von Ôe gelesen hat, wird in "Grüner Baum in Flammen" das gesamte thematische Repertoire dieses hartnäckigen Erzählers kennenlernen können. Für diejenigen, die ihn schon kennen, gibt es die üblichen Déjà-vu-Erlebnisse: die Atmosphäre der frühesten Kurzgeschichten aus den späten fünfziger Jahren wie "Der Fang" bis hin zu den Ereignissen im Hauptwerk der späten Sechziger, "Der stumme Schrei", über seine "Regenbaum-Geschichten der frühen achtziger Jahre, bis sich in den Romanen und Erzählzyklen seit Mitte der achtziger Jahre die Selbstzitate immer mehr verdichten. Doch während man dabei stets noch den Eindruck hatte, daß jedes Werk eine konsequente Weiterentfaltung bedeutete, kündigt sich in "Grüner Baum in Flammen" eine Stagnation an, die traurig stimmt.
IRMELA HIJIYA-KIRSCHNEREIT.
Kenzaburô Ôe: "Grüner Baum in Flammen". Roman. Aus dem Japanischen übersetzt von Annelie Ortmanns. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 350 S., geb., 49,90 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Geteiltes Echo findet dieser Band bei Marion Löhndorf. Einerseits gefällt es ihr, wie Oe seinen Roman vorwiegend in einem kleinen Dorf im Wald ansiedelt, wo die Natur "als etwas Lebensbestimmendes", ja Unkontrollierbares wahrgenommen wird - ohne dass der Autor dabei den Blick auf das Tokio der Gegenwart vergisst. Doch hier geht es nicht nur um die Gegenüberstellung vom "moderner westlicher und traditioneller japanischern Kultur" wie der Leser erfährt, sondern auch um Mythen, Gott und Götter, Medizinmänner - ebenso wie um Globalisierung, Umweltverschmutzung und Geschlechterrollen. Die Spannung des Buchs liegt nach Löhndorf vor allem darin, dass der Held, von Dorfbewohnern zum Medizinmann ernannt, befürchten muss, dass er die Erwartungen nicht erfüllen kann. Andererseits sieht die Rezensentin auch etliche Schwächen in dem Roman, etwa die vielen Nebenhandlungen, die vielen Personen, die alle "gleichwertig" erscheinen, aber auch eine Schwerfälligkeit im Umgang mit dem Sujet überhaupt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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