In ihrem neuen Roman erzählt Dagmar Leupold die ungewöhnliche Liebesgeschichte zweier vom Leben Enttäuschten: der Archäologin Sophia, die ihr Geld damit verdient, Produktnamen für Parfüms zu erfinden, und des Historikers Johannes, der an einer Biographie des Esperanto-Erfinders Ludwig Lazarus Zamenhof schreibt. Er lädt Sophia, die er bislang nur angelächelt hat - zu beider Überraschung - auf einen Abstecher nach Belgien ein, in die Nähe von Liège, wo es mehr als hundert Jahre lang ein neutrales staatsähnliches Gebiet gegeben hat, Moresnet, das beinahe der erste Esperanto-Staat geworden wäre.
Sophia trauert ihrer großen Liebe zu einem verheirateten Mann nach, Johannes ist seit einem Kindheitstrauma stumm, es sind sozusagen zwei Versehrte. In der heruntergekommenen Ferienanlage, in der sie sich eingemietet haben, gesellt sich Annika, ein rührend unschönes Mädchen, zu ihnen, das, wenn überhaupt, offenbar nur Russisch spricht. In den sieben Tagen ihrer Reise, im Herzen Europasund am verwahrlosten Schauplatz einer sozialen und politischen Utopie, der nur noch landschaftlich paradiesisch wirkt, entwickelt sich eine unwahrscheinliche, aber durchaus folgenreiche Liebe.
Poetisch und intelligent, rasant und nachdenklich folgt Dagmar Leupolds Roman seinen beiden Hauptfiguren auf ihrer Reise in ein neues Leben.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Sophia trauert ihrer großen Liebe zu einem verheirateten Mann nach, Johannes ist seit einem Kindheitstrauma stumm, es sind sozusagen zwei Versehrte. In der heruntergekommenen Ferienanlage, in der sie sich eingemietet haben, gesellt sich Annika, ein rührend unschönes Mädchen, zu ihnen, das, wenn überhaupt, offenbar nur Russisch spricht. In den sieben Tagen ihrer Reise, im Herzen Europasund am verwahrlosten Schauplatz einer sozialen und politischen Utopie, der nur noch landschaftlich paradiesisch wirkt, entwickelt sich eine unwahrscheinliche, aber durchaus folgenreiche Liebe.
Poetisch und intelligent, rasant und nachdenklich folgt Dagmar Leupolds Roman seinen beiden Hauptfiguren auf ihrer Reise in ein neues Leben.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2007Liebesfundamentalistin
Was heißt Küssen auf Esperanto? Dagmar Leupolds neuer Roman
Kunstsprachen wie Volapük oder Esperanto sind zwar lächerlich synthetisch, aber auch ziemlich unmissverständlich und rational, frei von nationalen Vorurteilen, sentimentalem Kitsch und Intoleranz. Ihr Vorteil in der Theorie ist ihr Nachteil in der Praxis: Es gibt keinen Staat, der sie durchsetzen, keinen Menschen, der sich für vernünftig konstruierte Module erwärmen könnte: So blieb Esperanto überall eine Fremdsprache und immer eine eher komische Utopie. Einmal hätten die Esperantisten mit ihrer Sprache fast Staat machen können: in Moresnet, einem Zipfel Ostbelgiens, der seit dem Wiener Kongress staatsrechtliches Neutrum war. Der Bürgermeister Wilhelm Molly und seine junge Frau Sophia, eine Tochter des Esperanto-Erfinders Ludwig Lazarus Zamenhof, wollten die Plansprache zur Amts- und Herzenssprache von Neutral-Moresnet machen; der Erste Weltkrieg, Mollys Tod und der Vertrag von Versailles machten dem schönen Traum von der Völkerverständigung vorläufig ein Ende.
Wenn Leupolds Liebende ihre erste sentimentale Reise ausgerechnet in diesen Winkel Europas machen, haben sie also viele gute Gründe. Zu viele sogar: Das Gebiet ist literarisch unterminiert und politisch eindeutig überdeterminiert. Der Historiker Johannes, der gerade an einer Biographie Zamenhofs arbeitet, ist sanftmütig, gedankenschwer, müde - und stumm, seit seine Mutter Selbstmord beging. Das Trauma hat seine Sprachempfindlichkeit freilich eher beflügelt: Johannes' Gespür für Stimmen und Wortklänge, Konnotationen und Bedeutungsnuancen von Sprache und Sprechen ist außerordentlich gut entwickelt. "Schreibend verschaffe ich mir Gehör", sagt der sprachlose Autor. "Wenn ich schreibe, kann ich sprechen." Sophia ist energischer, extrovertierter und als postindustrielle Archäologin, Designerin von Parfümnamen und Ex-Geliebte eines Wolkenforschers dreifach empfänglich für Johannes' spröden Charme. In der Bibliothek warf die "Liebesfundamentalistin" dem stillen, einsamen Brüter einen angebissenen Apfel der Sorte "Grüne Engel" zu; Adam fasste Mut und lud sie zu einem Ausflug ins Neutral-Paradies ein.
Leupold beschreibt die langsame Annäherung zwischen dem Sprach- und der Liebesversehrten mit schöner poetischer Zartheit und großem intellektuellem Aufwand. Die beiden tauschen tiefe Gedanken, erlesene Sentenzen ("Jedem Opfer wohnt die Logik des Tauschs inne") und kostbare Wörter wie Münzfernsprecher oder Haftverschonung aus, schreiben sich Liebeserklärungen auf die nackte Haut und räsonieren überhaupt viel über Sprache und Unaussprechliches. "Das Weinen der Geschichte. Utopie im Soll. Der eigene Kopf kam ihm vor wie ein Rangierbahnhof mit lauter abgehängten Gedanken": Alles ist wunderbar konstruiert, geschmackvoll ausgedrückt, klug analysiert und kommentiert - aber eben doch mehr ein sprachtheoretischer Essay, ein Album der schönsten Parfüm- und Pflanzennamen und Aphorismen. Esperanto, heißt es einmal treffend, hat keinen "Dreck am Stecken"; es ist keimfreie, geschichts- und gesichtslose Konfektionsware. Es gibt aber auch eine Art Esperanto der Herzen, eine Künstlichkeit, die aus programmatischer Natürlichkeit und funktionaler Poesie herrührt.
Leupold ist viel zu klug und sprachbewusst, als dass sie diesen Mangel nicht spürte. Die Liebenden werfen sich immer wieder vor, ihre Sätze klängen zu geschliffen und gefeilt: "Man hört die Violinen schluchzen und die Wörterbücher ächzen." Sophia schilt Johannes zu Recht als besserwisserischen, "unverbesserlichen Sprücheklopfer"; der gibt freimütig zu, dass er alle Gefühle, Bilder und Wörter aus zweiter Hand empfange. Aber wie sollte es anders sein? Wer sich mit Gebärden und Zettelchen verständigt, redet naturgemäß wie gedruckt, vor allem, wenn er mit der Unmittelbarkeit seiner Körpersprache und der Reinheit der Schrift gegen eine korrumpierte Alltagssprache protestieren will. Und Sophia hat zu viele Parfümnamen erfunden, als dass sie nicht wüsste, dass Konsum und Kommunikation zuletzt auch das unschuldigste, edelste Wort verzehren.
So umzäunt Leupold eine kleine Erzählung mit schweren mythologischen Zaunpfählen und aufdringlichen "Subtexten": Der Ausflug dauert sieben Tage, so lang wie die Schöpfung, und natürlich ist das Blaue Land das verlorene Paradies: einerseits ein bukolischer Garten Eden, derart strotzend vor Sinnlichkeit und Schwüle, dass der Historiker und die Archäologin bald alle akademischen Hemmungen und Kleider fallen lassen und im Freien kopulieren, oral und anal; andererseits ist der Feriensiedlung Vacances Royales der Geist der Utopie gründlich ausgetrieben worden - verwahrloste Hütten, bevölkert von Billigtouristen, Rassisten, Asylsuchenden, Zuhältertypen, Schlägern, kurz: ein Sinnbild europäischer Desperanto-Geschichte.
Aber die Losung von Esperantoland heißt "labori kaj esperari" (arbeiten und hoffen). In Annika, dem hässlichen, sprachgestörten Kind, finden Sophia und Johannes einen gefallenen Engel, in der tschetschenischen Mutter eine Freundin, in Ti und Hexlein ein sinnenfrohes Philemon-und-Baucis-Paar. Am Ende findet Johannes sogar seine Sprache wieder; sein erstes Wort ist "Courage". Mut zeigt auch Leupold. Ihr Versuch, eine Utopie von gestern in die Sprache von heute zu retten, wäre vielleicht sogar gelungen, wenn ihr nicht dauernd der Kopf dazwischengeredet und aller Unschuld die Sprache verschlagen hätte.
MARTIN HALTER
Dagmar Leupold: "Grüner Engel, blaues Land". Roman. Verlag C. H. Beck, München 2007. 204 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was heißt Küssen auf Esperanto? Dagmar Leupolds neuer Roman
Kunstsprachen wie Volapük oder Esperanto sind zwar lächerlich synthetisch, aber auch ziemlich unmissverständlich und rational, frei von nationalen Vorurteilen, sentimentalem Kitsch und Intoleranz. Ihr Vorteil in der Theorie ist ihr Nachteil in der Praxis: Es gibt keinen Staat, der sie durchsetzen, keinen Menschen, der sich für vernünftig konstruierte Module erwärmen könnte: So blieb Esperanto überall eine Fremdsprache und immer eine eher komische Utopie. Einmal hätten die Esperantisten mit ihrer Sprache fast Staat machen können: in Moresnet, einem Zipfel Ostbelgiens, der seit dem Wiener Kongress staatsrechtliches Neutrum war. Der Bürgermeister Wilhelm Molly und seine junge Frau Sophia, eine Tochter des Esperanto-Erfinders Ludwig Lazarus Zamenhof, wollten die Plansprache zur Amts- und Herzenssprache von Neutral-Moresnet machen; der Erste Weltkrieg, Mollys Tod und der Vertrag von Versailles machten dem schönen Traum von der Völkerverständigung vorläufig ein Ende.
Wenn Leupolds Liebende ihre erste sentimentale Reise ausgerechnet in diesen Winkel Europas machen, haben sie also viele gute Gründe. Zu viele sogar: Das Gebiet ist literarisch unterminiert und politisch eindeutig überdeterminiert. Der Historiker Johannes, der gerade an einer Biographie Zamenhofs arbeitet, ist sanftmütig, gedankenschwer, müde - und stumm, seit seine Mutter Selbstmord beging. Das Trauma hat seine Sprachempfindlichkeit freilich eher beflügelt: Johannes' Gespür für Stimmen und Wortklänge, Konnotationen und Bedeutungsnuancen von Sprache und Sprechen ist außerordentlich gut entwickelt. "Schreibend verschaffe ich mir Gehör", sagt der sprachlose Autor. "Wenn ich schreibe, kann ich sprechen." Sophia ist energischer, extrovertierter und als postindustrielle Archäologin, Designerin von Parfümnamen und Ex-Geliebte eines Wolkenforschers dreifach empfänglich für Johannes' spröden Charme. In der Bibliothek warf die "Liebesfundamentalistin" dem stillen, einsamen Brüter einen angebissenen Apfel der Sorte "Grüne Engel" zu; Adam fasste Mut und lud sie zu einem Ausflug ins Neutral-Paradies ein.
Leupold beschreibt die langsame Annäherung zwischen dem Sprach- und der Liebesversehrten mit schöner poetischer Zartheit und großem intellektuellem Aufwand. Die beiden tauschen tiefe Gedanken, erlesene Sentenzen ("Jedem Opfer wohnt die Logik des Tauschs inne") und kostbare Wörter wie Münzfernsprecher oder Haftverschonung aus, schreiben sich Liebeserklärungen auf die nackte Haut und räsonieren überhaupt viel über Sprache und Unaussprechliches. "Das Weinen der Geschichte. Utopie im Soll. Der eigene Kopf kam ihm vor wie ein Rangierbahnhof mit lauter abgehängten Gedanken": Alles ist wunderbar konstruiert, geschmackvoll ausgedrückt, klug analysiert und kommentiert - aber eben doch mehr ein sprachtheoretischer Essay, ein Album der schönsten Parfüm- und Pflanzennamen und Aphorismen. Esperanto, heißt es einmal treffend, hat keinen "Dreck am Stecken"; es ist keimfreie, geschichts- und gesichtslose Konfektionsware. Es gibt aber auch eine Art Esperanto der Herzen, eine Künstlichkeit, die aus programmatischer Natürlichkeit und funktionaler Poesie herrührt.
Leupold ist viel zu klug und sprachbewusst, als dass sie diesen Mangel nicht spürte. Die Liebenden werfen sich immer wieder vor, ihre Sätze klängen zu geschliffen und gefeilt: "Man hört die Violinen schluchzen und die Wörterbücher ächzen." Sophia schilt Johannes zu Recht als besserwisserischen, "unverbesserlichen Sprücheklopfer"; der gibt freimütig zu, dass er alle Gefühle, Bilder und Wörter aus zweiter Hand empfange. Aber wie sollte es anders sein? Wer sich mit Gebärden und Zettelchen verständigt, redet naturgemäß wie gedruckt, vor allem, wenn er mit der Unmittelbarkeit seiner Körpersprache und der Reinheit der Schrift gegen eine korrumpierte Alltagssprache protestieren will. Und Sophia hat zu viele Parfümnamen erfunden, als dass sie nicht wüsste, dass Konsum und Kommunikation zuletzt auch das unschuldigste, edelste Wort verzehren.
So umzäunt Leupold eine kleine Erzählung mit schweren mythologischen Zaunpfählen und aufdringlichen "Subtexten": Der Ausflug dauert sieben Tage, so lang wie die Schöpfung, und natürlich ist das Blaue Land das verlorene Paradies: einerseits ein bukolischer Garten Eden, derart strotzend vor Sinnlichkeit und Schwüle, dass der Historiker und die Archäologin bald alle akademischen Hemmungen und Kleider fallen lassen und im Freien kopulieren, oral und anal; andererseits ist der Feriensiedlung Vacances Royales der Geist der Utopie gründlich ausgetrieben worden - verwahrloste Hütten, bevölkert von Billigtouristen, Rassisten, Asylsuchenden, Zuhältertypen, Schlägern, kurz: ein Sinnbild europäischer Desperanto-Geschichte.
Aber die Losung von Esperantoland heißt "labori kaj esperari" (arbeiten und hoffen). In Annika, dem hässlichen, sprachgestörten Kind, finden Sophia und Johannes einen gefallenen Engel, in der tschetschenischen Mutter eine Freundin, in Ti und Hexlein ein sinnenfrohes Philemon-und-Baucis-Paar. Am Ende findet Johannes sogar seine Sprache wieder; sein erstes Wort ist "Courage". Mut zeigt auch Leupold. Ihr Versuch, eine Utopie von gestern in die Sprache von heute zu retten, wäre vielleicht sogar gelungen, wenn ihr nicht dauernd der Kopf dazwischengeredet und aller Unschuld die Sprache verschlagen hätte.
MARTIN HALTER
Dagmar Leupold: "Grüner Engel, blaues Land". Roman. Verlag C. H. Beck, München 2007. 204 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Reserviert betrachtet Martin Halter Dagmar Leupolds Roman über die Liebe zweier verwundeter Seelen. Die Liebesgeschichte um den Historiker Johannes, der eine Biografie des Esperanto-Erfinders Ludwig Lazarus Zamenhof schreibt und seit einem in der Kindheit erlittenen Trauma stumm ist, und die Archäologin Sophia, die als Designerin von Parfümnamen ihr Geld verdient, wirkt auf ihn doch stark wie eine Kopfgeburt. Zwar bescheinigt er der Autorin, die langsame Annäherungen der beiden Liebenden mit "schöner poetischer Zartheit" und zugleich "großem intellektuellem Aufwand" zu beschreiben. Alles scheint ihm "wunderbar konstruiert, geschmackvoll ausgedrückt, klug analysiert und kommentiert", wenn die Liebenden feine Sentenzen und tiefe Gedanken austauschen. Aber gerade darin sieht er auch das Problem des Romans, der ihm eher wie ein "sprachtheoretischer Essay" und ein "Album der schönsten Parfüm- und Pflanzennamen und Aphorismen" vorkommt. Dass der Text auch noch von mythologischen Anspielungen und "aufdringlichen 'Subtexten'" strotzt, macht die Sache für Halter auch nicht besser.
© Perlentaucher Medien GmbH
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