Wenn sie unter sich waren, grüßten sie mit "Grüß Gott", im Umgang mit den NS-Behörden hieß es dann schon etwas zeitgemäßer "Heil Hitler". Stefan Moritz belegt anhand bislang unpublizierter Dokumente, wie Angehörige des österreichischen katholischen Klerus zu Erfüllungsgehilfen des Nationalsozialismus wurden und dessen Ideologie publizistisch, in Lehre und Verkündigung untermauerten. Er zeigt eindrucksvoll, wie Bischöfe und Priester ein ideologisches Fundament für den Aufstieg des Nationalsozialismus schufen und wie die Kirchenleitung in politischen Verhandlungen versuchte, Nutzen aus den Herrschaftsverhältnissen nach dem "Anschluss" zu ziehen. So versäumten es weite Teile des katholischen Klerus nicht nur, ihre Stimme gegen die Verbrechen des NS-Regimes zu erheben, sie trugen darüber hinaus noch zur Rechtfertigung der Verfolgungen bei. Moritz schildert auch, wie einzelne Bischöfe sich bereits vor 1938 auf die Herrschaft des Nationalsozialismus vorbereiteten. Und er weist nicht zuletzt nach, dass höchste Würdenträger der Kirche auch nach 1945 an ihrer Sympathie für die Täter festhielten, für sie intervenierten und ihnen zur Flucht verhalfen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.02.2003Ein Kreuz für Hitler
Die katholische Kirche in Österreich und ihre Propaganda für das Dritte Reich
STEFAN MORITZ: Grüß Gott und Heil Hitler. Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich, Picus Verlag, Wien 2002. 318 Seiten, 24, 90 Euro.
Beim Einzug Adolf Hitlers in Wien am 14.März 1938 wurden auf Anordnung des österreichischen Kardinals Theodor Innitzer die Glocken des Stephansdoms geläutet. Tags darauf versicherte Innitzer bei einem Treffen mit Hitler, die Katholiken seien bereit, „loyal zum neuen Staate zu stehen”. In der vier Tage später unterzeichneten „Feierlichen Erklärung”, die in ganz Österreich von den Kirchenkanzeln verlesen wurde, bekannten sich die österreichischen Bischöfe „als Deutsche zum Deutschen Reich” und forderten im Hinblick auf die bevorstehende Volksabstimmung über den Anschluss „von allen gläubigen Christen, dass sie wissen, was sie ihrem Volke schuldig sind”.
Die bis heute von kirchennahen Historikern vertretene Überzeugung, dass die „Feierliche Erklärung” unter „schwerem Druck” zustande gekommen sei, hält nach Ansicht des österreichischen Theologen Stefan Moritz einer Prüfung nicht stand. Moritz weist darauf hin, dass sich die unterzeichnenden Bischöfe auch später nie von dieser Erklärung distanziert haben. Für sein Buch über die Haltung der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus hat der Autor systematisch Hirtenbriefe und kirchliche Publikationen ausgewertet und erstmals einschlägige Dokumente aus dem Grazer Diözesanarchiv eingesehen. Das Archiv der Österreichischen Bischofskonferenz blieb freilich auch ihm verschlossen.
Priester mit Hakenkreuz
Moritz zeigt anhand vieler Beispiele, wie kritiklos etwa die Pfarrblätter sowohl die ideologischen Überzeugungen als auch die Sprache des NS-Regimes übernommen haben. Im Auftrag der Bischöfe sollten die Priester jeden Konflikt mit dem Regime vermeiden. Gleichzeitig teilte das Erzbischöfliche Ordinariat Wien mit, dass „die Priester das Hakenkreuz tragen dürfen”. Trotz des Kniefalls des hohen Klerus zeigte sich das NS-Regime nicht zu Zugeständnissen bereit. Die Bemühungen der Bischöfe um ein Abkommen scheiterten, und es kam zu zahlreichen kirchenfeindlichen Maßnahmen: Kirchliche Vermögen wurden konfisziert, Vereine aufgelöst und Kruzifixe aus öffentlichen Gebäuden entfernt. Die Kirchenaustrittspropaganda und die Einführung der Zivilehe bedeuteten massive Eingriffe in die gesellschaftliche Vormachtstellung der Kirche. Die Betonung dieser Einschränkungen und des in Wirklichkeit sehr marginalen aktiven Widerstands von Katholiken haben lange Zeit den Blick auf die tatsächliche Haltung der österreichischen katholischen Kirche zum NS-Regime verstellt. Moritz argumentiert überzeugend, dass es einen breiten kirchlichen Widerstand nicht gegeben hat, weil die Kirchenführung die NS-Ideologie nie klar verurteilt hat.
In Protestschreiben an Hitler und den Reichsinnenminister wiesen die österreichischen Bischöfe auf Übergriffe gegen kirchliche Einrichtungen und die Einschränkung der Glaubensfreiheit hin, verloren aber kein Wort über die Gewaltmaßnahmen gegen die Juden und andere verfolgte Gruppen. Die Protokolle der Bischofskonferenzen beweisen, dass die Kirchenleitung sowohl über die Ermordung Behinderter als auch über die Judendeportationen bestens informiert war – doch Proteste blieben aus. Im November 1940 wurde lapidar festgehalten, dass in fünf Euthanasie-Anstalten „schon über 3000 Personen aus dem Leben gebracht worden” seien. Ein Protokoll von 1942 hielt fest, im Zuge der Judendeportationen seien seit 1941 „33Transporte à 1000 nach Polen abgegangen”.
Nach Ende des Krieges präsentierte sich die österreichische katholische Kirche – ganz in Einklang mit der offiziellen Selbstdarstellung des Landes – als Opfer des NS-Regimes. Die Bischöfe gingen so weit zu behaupten, keine Gemeinschaft habe in diesen Jahren „mehr Opfer an Hab und Gut, an Freiheit und Gesundheit, an Blut und Leben bringen müssen als die Kirche Christi”. Diese betrachtete es nun als zentrale Aufgabe, die ehemaligen Nationalsozialisten für sich zurückzugewinnen und ihnen so rasch wie möglich den Weg in die Normalität zu ebnen. Kleriker – darunter auch der für seine Verdienste um den interkonfessionellen Dialog angesehene Kardinal Franz König – sprachen von Versöhnung, wenn sie sich für die Freilassung verurteilter Kriegsverbrecher einsetzten.In dem auf dem Gottesmordvorwurf basierenden traditionellen Antisemitismus der katholischen Kirche sieht Moritz nicht nur einen wesentlichen Wegbereiter für den Holocaust, sondern auch die eigentliche Ursache für das Schweigen der Kirche während des Dritten Reiches.
Nicht alle Erkenntnisse in seinem Buch sind neu, doch Moritz fügt Bekanntes und neu Recherchiertes wie Mosaiksteinchen zu einem beklemmenden Gesamtbild. Sein abschließendes Urteil fällt vernichtend aus: „Das Schweigen der Kirche zu den Verbrechen des Nationalsozialismus war ein Schweigen aus Opportunismus, stillschweigender Duldung und heimlicher Anerkennung. Während Millionen von Menschen verfolgt, inhaftiert und ermordet wurden, hatte die Kirche nur ein Ziel vor Augen: sich selbst als Institution, ihr Vermögen und ihren Machtanspruch zu retten.”
Dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit vor allem Österreichs führenden Kirchenvertretern bis heute Probleme bereitet, beweist ein in der Presse im November 2002 erschienenes Interview mit Kardinal Christoph Schönborn über die Thesen des US-Historikers Daniel Goldhagen. Dort ringt sich Schönborn zwar zu der Aussage durch, dass die Kirche ihre Mitschuld an den Judenverfolgungen bereue und ihr Versagen erkenne, doch bemängelt er gleichzeitig unter Hinweis auf „die Atheisten”, dass „in der ganzen Debatte eine Aufarbeitung der gemeinsamen Verantwortung” leider fehle.
GABRIELE ANDERL
In Gedanken: Adolf Hitler stoppt während des Einmarschs in Österreich am Grab seiner Eltern.
Foto: SZ-Archiv
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Die katholische Kirche in Österreich und ihre Propaganda für das Dritte Reich
STEFAN MORITZ: Grüß Gott und Heil Hitler. Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich, Picus Verlag, Wien 2002. 318 Seiten, 24, 90 Euro.
Beim Einzug Adolf Hitlers in Wien am 14.März 1938 wurden auf Anordnung des österreichischen Kardinals Theodor Innitzer die Glocken des Stephansdoms geläutet. Tags darauf versicherte Innitzer bei einem Treffen mit Hitler, die Katholiken seien bereit, „loyal zum neuen Staate zu stehen”. In der vier Tage später unterzeichneten „Feierlichen Erklärung”, die in ganz Österreich von den Kirchenkanzeln verlesen wurde, bekannten sich die österreichischen Bischöfe „als Deutsche zum Deutschen Reich” und forderten im Hinblick auf die bevorstehende Volksabstimmung über den Anschluss „von allen gläubigen Christen, dass sie wissen, was sie ihrem Volke schuldig sind”.
Die bis heute von kirchennahen Historikern vertretene Überzeugung, dass die „Feierliche Erklärung” unter „schwerem Druck” zustande gekommen sei, hält nach Ansicht des österreichischen Theologen Stefan Moritz einer Prüfung nicht stand. Moritz weist darauf hin, dass sich die unterzeichnenden Bischöfe auch später nie von dieser Erklärung distanziert haben. Für sein Buch über die Haltung der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus hat der Autor systematisch Hirtenbriefe und kirchliche Publikationen ausgewertet und erstmals einschlägige Dokumente aus dem Grazer Diözesanarchiv eingesehen. Das Archiv der Österreichischen Bischofskonferenz blieb freilich auch ihm verschlossen.
Priester mit Hakenkreuz
Moritz zeigt anhand vieler Beispiele, wie kritiklos etwa die Pfarrblätter sowohl die ideologischen Überzeugungen als auch die Sprache des NS-Regimes übernommen haben. Im Auftrag der Bischöfe sollten die Priester jeden Konflikt mit dem Regime vermeiden. Gleichzeitig teilte das Erzbischöfliche Ordinariat Wien mit, dass „die Priester das Hakenkreuz tragen dürfen”. Trotz des Kniefalls des hohen Klerus zeigte sich das NS-Regime nicht zu Zugeständnissen bereit. Die Bemühungen der Bischöfe um ein Abkommen scheiterten, und es kam zu zahlreichen kirchenfeindlichen Maßnahmen: Kirchliche Vermögen wurden konfisziert, Vereine aufgelöst und Kruzifixe aus öffentlichen Gebäuden entfernt. Die Kirchenaustrittspropaganda und die Einführung der Zivilehe bedeuteten massive Eingriffe in die gesellschaftliche Vormachtstellung der Kirche. Die Betonung dieser Einschränkungen und des in Wirklichkeit sehr marginalen aktiven Widerstands von Katholiken haben lange Zeit den Blick auf die tatsächliche Haltung der österreichischen katholischen Kirche zum NS-Regime verstellt. Moritz argumentiert überzeugend, dass es einen breiten kirchlichen Widerstand nicht gegeben hat, weil die Kirchenführung die NS-Ideologie nie klar verurteilt hat.
In Protestschreiben an Hitler und den Reichsinnenminister wiesen die österreichischen Bischöfe auf Übergriffe gegen kirchliche Einrichtungen und die Einschränkung der Glaubensfreiheit hin, verloren aber kein Wort über die Gewaltmaßnahmen gegen die Juden und andere verfolgte Gruppen. Die Protokolle der Bischofskonferenzen beweisen, dass die Kirchenleitung sowohl über die Ermordung Behinderter als auch über die Judendeportationen bestens informiert war – doch Proteste blieben aus. Im November 1940 wurde lapidar festgehalten, dass in fünf Euthanasie-Anstalten „schon über 3000 Personen aus dem Leben gebracht worden” seien. Ein Protokoll von 1942 hielt fest, im Zuge der Judendeportationen seien seit 1941 „33Transporte à 1000 nach Polen abgegangen”.
Nach Ende des Krieges präsentierte sich die österreichische katholische Kirche – ganz in Einklang mit der offiziellen Selbstdarstellung des Landes – als Opfer des NS-Regimes. Die Bischöfe gingen so weit zu behaupten, keine Gemeinschaft habe in diesen Jahren „mehr Opfer an Hab und Gut, an Freiheit und Gesundheit, an Blut und Leben bringen müssen als die Kirche Christi”. Diese betrachtete es nun als zentrale Aufgabe, die ehemaligen Nationalsozialisten für sich zurückzugewinnen und ihnen so rasch wie möglich den Weg in die Normalität zu ebnen. Kleriker – darunter auch der für seine Verdienste um den interkonfessionellen Dialog angesehene Kardinal Franz König – sprachen von Versöhnung, wenn sie sich für die Freilassung verurteilter Kriegsverbrecher einsetzten.In dem auf dem Gottesmordvorwurf basierenden traditionellen Antisemitismus der katholischen Kirche sieht Moritz nicht nur einen wesentlichen Wegbereiter für den Holocaust, sondern auch die eigentliche Ursache für das Schweigen der Kirche während des Dritten Reiches.
Nicht alle Erkenntnisse in seinem Buch sind neu, doch Moritz fügt Bekanntes und neu Recherchiertes wie Mosaiksteinchen zu einem beklemmenden Gesamtbild. Sein abschließendes Urteil fällt vernichtend aus: „Das Schweigen der Kirche zu den Verbrechen des Nationalsozialismus war ein Schweigen aus Opportunismus, stillschweigender Duldung und heimlicher Anerkennung. Während Millionen von Menschen verfolgt, inhaftiert und ermordet wurden, hatte die Kirche nur ein Ziel vor Augen: sich selbst als Institution, ihr Vermögen und ihren Machtanspruch zu retten.”
Dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit vor allem Österreichs führenden Kirchenvertretern bis heute Probleme bereitet, beweist ein in der Presse im November 2002 erschienenes Interview mit Kardinal Christoph Schönborn über die Thesen des US-Historikers Daniel Goldhagen. Dort ringt sich Schönborn zwar zu der Aussage durch, dass die Kirche ihre Mitschuld an den Judenverfolgungen bereue und ihr Versagen erkenne, doch bemängelt er gleichzeitig unter Hinweis auf „die Atheisten”, dass „in der ganzen Debatte eine Aufarbeitung der gemeinsamen Verantwortung” leider fehle.
GABRIELE ANDERL
In Gedanken: Adolf Hitler stoppt während des Einmarschs in Österreich am Grab seiner Eltern.
Foto: SZ-Archiv
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2003Konkordatsfreier Raum
Österreichs katholische Kirche und der Nationalsozialismus
Stefan Moritz: "Grüß Gott und Heil Hitler!" Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich. Picus Verlag, Wien 2002. 317 Seiten, 24,90 [Euro].
Der Grazer Theologe Stefan Moritz wirft der katholischen Kirche in Österreich vor, "ein ideologisches Fundament für den Aufstieg des Nationalsozialismus" geschaffen und "zur Rechtfertigung der Verfolgungen" geholfen zu haben. An neuen Quellen hat er lokale und regionale Kirchenblätter herangezogen; aber eine Standard-Dokumentation wie die "Akten deutscher Bischöfe" über die Jahre 1933 bis 1945", in deren Bänden IV bis VI (1981 bis 1984) auch viel über Österreich steht, kommt nicht vor.
Moritz klagt aufgrund von Einzelfakten an. Das fällt relativ leicht, weil der österreichische Katholizismus weiter rechts stand als der deutsche, weil der katholische Antijudaismus in Österreich weit verbreitet war und weil es dort auch heftige Judengegner gab, die für den Rassismus anfällig wurden. Erika Weinzierl und Maximilian Liebmann haben darüber viel und gut geschrieben. Aber deren kritische Reflexion genügt Moritz nicht. Einleitend geht er davon aus, daß auch in kirchlichen Einrichtungen Österreichs während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter beschäftigt waren, ohne zu erwähnen, daß diese vom Regime dorthin dirigiert und daß die meisten kirchlichen Einrichtungen von der NSDAP längst aufgelöst waren. Er erwähnt, daß der Widerstand, auf den die Kirche nach 1945 verwies, nur das Werk einzelner gewesen sei, daß die Bischöfe 1938 dem "Anschluß" an Deutschland vorbehaltlos zugestimmt und dem "Vernichtungskrieg" der deutschen Wehrmacht nicht widersprochen hätten.
Auch hält Moritz den Bischöfen vor, den Ständestaat der Jahre 1934 bis 1938 unterstützt und dadurch dem "Dritten Reich" vorgearbeitet zu haben. Doch hinter dem Ständestaat standen die der Kirche seit den Zeiten der Monarchie eng verbundenen Christlich-Sozialen. Daß die Bischöfe mit den beiden anderen politischen Lagern, dem sozialistischen und dem nationalen, wegen deren radikalem Antiklerikalismus nicht paktieren konnten, daß der Ständestaat Hitler den Weg nach Österreich abschneiden sollte und daß sein Führer Engelbert Dollfuß deswegen im Auftrage Hitlers ermordet wurde, wird nicht gewürdigt oder eher beiläufig erwähnt.
Der erste Teil des Buches gilt dem "Anschluß", dem Österreichs Bischöfe tatsächlich allzu schnell zugestimmt haben. Aber verdrängt wird, daß die Mehrheit der Österreicher den "Anschluß" wünschte und daß ihm 1938 der Sozialistenführer Karl Renner ebenso applaudiert hat wie der Wiener Kardinal Theodor Innitzer. Nach den das Selbstbestimmungsrecht mit Füßen tretenden Grenzziehungen von 1919 erblickten viele Deutsche und Österreicher jeglicher politischer Couleur im gemeinsamen Volkstum einen obersten politischen Wert; und erst recht taten das Menschen aus dem abgetrennten Böhmen und Mähren, sowohl Innitzer wie Renner gehörten zu ihnen. Daß das Großdeutschtum 1938 Bedenken gegen eine Vereinigung unter nationalsozialistischer Führung übertönen konnte, müßte ein Buch wie dieses erklären. Statt dessen verweist Moritz nur auf "Brückenbauer" zum Nationalsozialismus wie den Titularbischof Alois Hudal, den der Vatikan um 1933 hatte gewähren lassen, der aber 1938 keinen Einfluß mehr hatte.
Moritz verurteilt Innitzer, weil er sich 1938/39 von Hitlers Versprechungen wegen Kirchenfreiheit täuschen ließ, ohne hinzuzufügen, daß der Kardinal mehr Seelsorger und Sozialethiker als Politiker war. Er bereute seinen Irrtum bald und richtete 1940 eine "Hilfsstelle für Judenchristen" ein, um möglichst vielen von ihnen zur rettenden Ausreise zu verhelfen. Gewiß kann man für die folgenden Jahre auch den österreichischen Bischöfen vorsichtiges Taktieren vorhalten; aber immerhin waren sie an allen Einsprüchen des gesamtdeutschen Episkopats gegen die Eingriffe in das kirchliche Leben, gegen die Euthanasie und auch gegen den Rassismus beteiligt. Sie standen in einem ihnen aufgezwungenen Dauerkonflikt. Denn das "Dritte Reich" hat in der "Ostmark", weil es sie als konkordatsfreien Raum betrachtete, der Kirche noch ärger zugesetzt als im Altreich; alle katholischen Vereine und mehr als 200 Klöster wurden aufgelöst. Der besonders brutale Innsbrucker Gauleiter Franz Hofer kommt jedoch bei Moritz genausowenig vor wie sein prominentestes Opfer, der Prälat Carl Lampert, der mit anderen Geistlichen zunächst in das ferne Pommern verbannt und 1943 wegen angeblicher Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt und hingerichtet worden ist. Er war nicht der einzige, den die Bischöfe nicht retten konnten.
Moritz' Gesamtbild wird durch Vorurteile getrübt. Er erwähnt nicht, daß die katholische Kirche um 1945 hohes Prestige besaß, weil sie dem nationalsozialistischen Regime widersprochen hatte. Ob laut genug, darüber mag man weiter diskutieren - und auch darüber, ob der ältere Antijudaismus die Rezeption des Rassismus erleichtert hat.
RUDOLF LILL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Österreichs katholische Kirche und der Nationalsozialismus
Stefan Moritz: "Grüß Gott und Heil Hitler!" Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich. Picus Verlag, Wien 2002. 317 Seiten, 24,90 [Euro].
Der Grazer Theologe Stefan Moritz wirft der katholischen Kirche in Österreich vor, "ein ideologisches Fundament für den Aufstieg des Nationalsozialismus" geschaffen und "zur Rechtfertigung der Verfolgungen" geholfen zu haben. An neuen Quellen hat er lokale und regionale Kirchenblätter herangezogen; aber eine Standard-Dokumentation wie die "Akten deutscher Bischöfe" über die Jahre 1933 bis 1945", in deren Bänden IV bis VI (1981 bis 1984) auch viel über Österreich steht, kommt nicht vor.
Moritz klagt aufgrund von Einzelfakten an. Das fällt relativ leicht, weil der österreichische Katholizismus weiter rechts stand als der deutsche, weil der katholische Antijudaismus in Österreich weit verbreitet war und weil es dort auch heftige Judengegner gab, die für den Rassismus anfällig wurden. Erika Weinzierl und Maximilian Liebmann haben darüber viel und gut geschrieben. Aber deren kritische Reflexion genügt Moritz nicht. Einleitend geht er davon aus, daß auch in kirchlichen Einrichtungen Österreichs während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter beschäftigt waren, ohne zu erwähnen, daß diese vom Regime dorthin dirigiert und daß die meisten kirchlichen Einrichtungen von der NSDAP längst aufgelöst waren. Er erwähnt, daß der Widerstand, auf den die Kirche nach 1945 verwies, nur das Werk einzelner gewesen sei, daß die Bischöfe 1938 dem "Anschluß" an Deutschland vorbehaltlos zugestimmt und dem "Vernichtungskrieg" der deutschen Wehrmacht nicht widersprochen hätten.
Auch hält Moritz den Bischöfen vor, den Ständestaat der Jahre 1934 bis 1938 unterstützt und dadurch dem "Dritten Reich" vorgearbeitet zu haben. Doch hinter dem Ständestaat standen die der Kirche seit den Zeiten der Monarchie eng verbundenen Christlich-Sozialen. Daß die Bischöfe mit den beiden anderen politischen Lagern, dem sozialistischen und dem nationalen, wegen deren radikalem Antiklerikalismus nicht paktieren konnten, daß der Ständestaat Hitler den Weg nach Österreich abschneiden sollte und daß sein Führer Engelbert Dollfuß deswegen im Auftrage Hitlers ermordet wurde, wird nicht gewürdigt oder eher beiläufig erwähnt.
Der erste Teil des Buches gilt dem "Anschluß", dem Österreichs Bischöfe tatsächlich allzu schnell zugestimmt haben. Aber verdrängt wird, daß die Mehrheit der Österreicher den "Anschluß" wünschte und daß ihm 1938 der Sozialistenführer Karl Renner ebenso applaudiert hat wie der Wiener Kardinal Theodor Innitzer. Nach den das Selbstbestimmungsrecht mit Füßen tretenden Grenzziehungen von 1919 erblickten viele Deutsche und Österreicher jeglicher politischer Couleur im gemeinsamen Volkstum einen obersten politischen Wert; und erst recht taten das Menschen aus dem abgetrennten Böhmen und Mähren, sowohl Innitzer wie Renner gehörten zu ihnen. Daß das Großdeutschtum 1938 Bedenken gegen eine Vereinigung unter nationalsozialistischer Führung übertönen konnte, müßte ein Buch wie dieses erklären. Statt dessen verweist Moritz nur auf "Brückenbauer" zum Nationalsozialismus wie den Titularbischof Alois Hudal, den der Vatikan um 1933 hatte gewähren lassen, der aber 1938 keinen Einfluß mehr hatte.
Moritz verurteilt Innitzer, weil er sich 1938/39 von Hitlers Versprechungen wegen Kirchenfreiheit täuschen ließ, ohne hinzuzufügen, daß der Kardinal mehr Seelsorger und Sozialethiker als Politiker war. Er bereute seinen Irrtum bald und richtete 1940 eine "Hilfsstelle für Judenchristen" ein, um möglichst vielen von ihnen zur rettenden Ausreise zu verhelfen. Gewiß kann man für die folgenden Jahre auch den österreichischen Bischöfen vorsichtiges Taktieren vorhalten; aber immerhin waren sie an allen Einsprüchen des gesamtdeutschen Episkopats gegen die Eingriffe in das kirchliche Leben, gegen die Euthanasie und auch gegen den Rassismus beteiligt. Sie standen in einem ihnen aufgezwungenen Dauerkonflikt. Denn das "Dritte Reich" hat in der "Ostmark", weil es sie als konkordatsfreien Raum betrachtete, der Kirche noch ärger zugesetzt als im Altreich; alle katholischen Vereine und mehr als 200 Klöster wurden aufgelöst. Der besonders brutale Innsbrucker Gauleiter Franz Hofer kommt jedoch bei Moritz genausowenig vor wie sein prominentestes Opfer, der Prälat Carl Lampert, der mit anderen Geistlichen zunächst in das ferne Pommern verbannt und 1943 wegen angeblicher Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt und hingerichtet worden ist. Er war nicht der einzige, den die Bischöfe nicht retten konnten.
Moritz' Gesamtbild wird durch Vorurteile getrübt. Er erwähnt nicht, daß die katholische Kirche um 1945 hohes Prestige besaß, weil sie dem nationalsozialistischen Regime widersprochen hatte. Ob laut genug, darüber mag man weiter diskutieren - und auch darüber, ob der ältere Antijudaismus die Rezeption des Rassismus erleichtert hat.
RUDOLF LILL
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zwar schreibt Rudolf Lill in seinem Fazit bloß von einer durch die zahlreichen Vorurteile des Autoren bedingten Trübung des Gesamtbildes der Studie, doch tritt ansonsten in jedem Absatz sein Missfallen deutlich zu Tage. Zweifelsohne sei es löblich, dass der Grazer Theologe Stefan Moritz lokale und regionale Kirchenblätter als neue Quellen erschlossen hätte, doch habe er eben Standard-Dokumentationen sträflich außer Acht gelassen. Österreichs katholische Kirche habe "ein ideologisches Fundament für den Aufstieg des Nationalsozialismus" geschaffen, so die Anklage des Autors, die dieser jedoch allein anhand von "Einzelfakten" zu belegen wisse. Daneben bleibt vieles, das der Argumentation Moritz' widersprechen könnte, "nicht erwähnt", "verdrängt" oder "nicht gewürdigt", wie der Rezensent an zahlreichen Beispielen zu belegen weiß. Auch wenn Lill in der Sache nicht gänzlich anderer Meinung ist und offene Diskussionspunkte erkennt, wird deutlich, dass er von solch einer allein anklagenden Geschichtsschreibung nichts halten mag.
© Perlentaucher Medien GmbH
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