Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.1995Das Licht bleibt an
Doris Runges neue Gedichte · Von Harald Hartung
Als die Lyrikerin Doris Runge vor zehn Jahren mit "jagdlied" debütierte, war wohl das Auffälligste an ihren Gedichten eine ostentative Unauffälligkeit. Durchgehende Kleinschreibung und Sparsamkeit in Reim und Metapher waren die einzigen Zugeständnisse an die lyrische Moderne. In knapp geschnittenen Zeilen und Strophen versuchte Doris Runge noch einmal das "alte Spiel" von den Beseligungen und Schmerzen der Liebe, und Welt und Natur gaben das Echo für Beglückung oder Ernüchterung des Gefühls. Ihre Verse hielten zwischen Konfession und Experiment diskret die Mitte.
Nach "kommt zeit" und "wintergrün" ist "grund genug" nun Doris Runges vierter Gedichtband, und - wen dürfte es überraschen? - von grundstürzenden Veränderungen ist nicht zu berichten. Natürlich hat sich mit den Jahren das Klima der Gedichte verändert, ist der Ton gedämpfter geworden. Doch am Eingang steht der Glaube, "daß uns das licht/ nicht ausgeht/ vor dem einschlafen". Die Schlußsequenz bietet gar "sirenenlieder". Sie sprechen von Verlockung und Gefahr, und das letzte Gedicht, "das meer", endet nicht eben tröstlich: "sieh nur/ über dir nichts/ als der schrei/ geflügelter ratten."
Die "geflügelten ratten" haben gleichsam den letzten Schrei, doch nicht das letzte Wort. Die Gedichte verlassen ihren soliden Boden nicht, sie haben "grund genug": das Vertrauen in Sprache und Welt. Zwar gibt es eine zivilisationskritische Wendung gegen das Gerede, gegen "privates/ öffentlich/rechtliches/ rauschen", aber die Poetin vertraut auf ihre bewährte Lakonik, auf ihren "pakt mit dem schweigen".
Wo ein Stil über die Jahre durchgehalten wird, drohen natürlich Routine und Erschöpfung. Gerade in so verknappten Texten fallen einzelne Schwächen besonders auf: etwa Klischees ("vereiste herzen", ,pfade die noch zu gehen sind") oder die etwas wohlfeile Verfremdung von Redensarten ("den tod nicht vor dem abend loben", "dabei gelesen zu sein"). Es ist dennoch bemerkenswert, was Doris Runge einem altvertrauten Lyrikvokabular abzugewinnen weiß. Sie kann noch mit schöner Sicherheit sagen: "aber ich breche dir / wörter wie brot?" Auf diesen starken Anfang folgt freilich die blasse Fortsetzung: "streue krumen/ auf weiße wege".
Auch dieser Band wird dankbare Leser finden. Leser, die es lieben, über Worte und Zeilen zu meditieren, in denen das empfindende Subjekt noch intakt ist. Zwar meint Doris Runge, daß dieses Ich langsam, unaufhaltsam auf dem Rückzug sei, aber in einem ihrer besten Texte setzt sie diesem wie immer klein geschriebenen "ich" ein Denkmal: ihrem "erbstück", ihrem "wortführer" und ihrem "versucher".
Doris Runge: "grund genug". Gedichte. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1995. 78 S., geb., 25,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Doris Runges neue Gedichte · Von Harald Hartung
Als die Lyrikerin Doris Runge vor zehn Jahren mit "jagdlied" debütierte, war wohl das Auffälligste an ihren Gedichten eine ostentative Unauffälligkeit. Durchgehende Kleinschreibung und Sparsamkeit in Reim und Metapher waren die einzigen Zugeständnisse an die lyrische Moderne. In knapp geschnittenen Zeilen und Strophen versuchte Doris Runge noch einmal das "alte Spiel" von den Beseligungen und Schmerzen der Liebe, und Welt und Natur gaben das Echo für Beglückung oder Ernüchterung des Gefühls. Ihre Verse hielten zwischen Konfession und Experiment diskret die Mitte.
Nach "kommt zeit" und "wintergrün" ist "grund genug" nun Doris Runges vierter Gedichtband, und - wen dürfte es überraschen? - von grundstürzenden Veränderungen ist nicht zu berichten. Natürlich hat sich mit den Jahren das Klima der Gedichte verändert, ist der Ton gedämpfter geworden. Doch am Eingang steht der Glaube, "daß uns das licht/ nicht ausgeht/ vor dem einschlafen". Die Schlußsequenz bietet gar "sirenenlieder". Sie sprechen von Verlockung und Gefahr, und das letzte Gedicht, "das meer", endet nicht eben tröstlich: "sieh nur/ über dir nichts/ als der schrei/ geflügelter ratten."
Die "geflügelten ratten" haben gleichsam den letzten Schrei, doch nicht das letzte Wort. Die Gedichte verlassen ihren soliden Boden nicht, sie haben "grund genug": das Vertrauen in Sprache und Welt. Zwar gibt es eine zivilisationskritische Wendung gegen das Gerede, gegen "privates/ öffentlich/rechtliches/ rauschen", aber die Poetin vertraut auf ihre bewährte Lakonik, auf ihren "pakt mit dem schweigen".
Wo ein Stil über die Jahre durchgehalten wird, drohen natürlich Routine und Erschöpfung. Gerade in so verknappten Texten fallen einzelne Schwächen besonders auf: etwa Klischees ("vereiste herzen", ,pfade die noch zu gehen sind") oder die etwas wohlfeile Verfremdung von Redensarten ("den tod nicht vor dem abend loben", "dabei gelesen zu sein"). Es ist dennoch bemerkenswert, was Doris Runge einem altvertrauten Lyrikvokabular abzugewinnen weiß. Sie kann noch mit schöner Sicherheit sagen: "aber ich breche dir / wörter wie brot?" Auf diesen starken Anfang folgt freilich die blasse Fortsetzung: "streue krumen/ auf weiße wege".
Auch dieser Band wird dankbare Leser finden. Leser, die es lieben, über Worte und Zeilen zu meditieren, in denen das empfindende Subjekt noch intakt ist. Zwar meint Doris Runge, daß dieses Ich langsam, unaufhaltsam auf dem Rückzug sei, aber in einem ihrer besten Texte setzt sie diesem wie immer klein geschriebenen "ich" ein Denkmal: ihrem "erbstück", ihrem "wortführer" und ihrem "versucher".
Doris Runge: "grund genug". Gedichte. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1995. 78 S., geb., 25,- DM.
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