Der Band beginnt mit einem Überblick über die von den Historikern im allgemeinen zuwenig beachtete Schulphilosophie, die sich zum einen als Hüterin der aristotelisch-scholastischen Tradition erweist, zum anderen aber ein Indikator für das Ausmass der zeitgenössischen Rezeption innovatorischen Denkens ist (Kap. 1). Ein weiteres Moment des philosophischen Selbstverständnisses Englands im 17. Jahrhundert sind die religiös motivierten Debatten, in denen - cum grano salis - der Anglikanismus die Seite der Vernunft, der römische Katholizismus die des "richtigen" Glaubens und der Puritanismus die des Enthusiasmus repräsentiert (Kap. 2). Zu den bekanntesten Philosophen der Epoche gehört Thomas Hobbes; neben seiner politischen Theorie werden auch seine Beiträge zur Erkenntnislehre und Logik sowie seine mathematischen und naturwissenschaftlichen Arbeiten behandelt (Kap. 3). Kennzeichnend für das englische Denken des 17. Jahrhunderts sind ferner die Renaissance des Platonismus (Kap. 4) und die relativ beschränkte unmittelbare Nachwirkung der cartesischen Philosophie (Kap. 5). Ein weiteres Phänomen sind die Bemühungen um die Entwicklung einer Universalsprache (Kap. 6). In der Nachfolge Bacons entsteht in England ein starkes Interesse an naturphilosophischen Fragestellungen. Die neue Wissenschaft ist dem mechanistischen Weltverständnis und dem Experiment verpflichtet; einen Höhepunkt erreicht sie in der Physik Isaac Newtons (Kap. 7). Ein weiteres Kapitel ist der politischen Philosophie gewidmet, die im frühen 17. Jahrhundert von der Lehre des "Divine Right" der Könige und vom Rechtsdenken des "Common Law" geprägt ist. Im Bürgerkrieg werden diese Konzeptionen vom radikalen Protestantismus und später vom Republikanismus in Frage gestellt, wodurch sich der Patriarchalismus zu einer kompromisslosen Verteidigung der absoluten Monarchie herausgefordert sieht (Kap. 8). Ein wichtiger Gegner des Patriarchalismus und der wohl bekannteste englische Philosoph des späten 17. Jahrhunderts ist John Locke. Auf über 100 Seiten werden seine, naturrechtlichen und staatsphilosophischen, religionspolitischen, erkenntnistheoretischen, pädagogischen, finanz- und wirtschaftspolitischen sowie medizinischen Lehren dargestellt, anschliessend seine Anhänger und Gegner sowie die durch ihn ausgelöste Debatte über die Seele behandelt (Kap. 9).
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2002Die wilden Denker
Der neue "Ueberweg" erschließt die Philosophie zu Leibniz' Zeiten
"Das Jahrhundert der Methode" hat der französische Philosophiehistoriker Yvon Belaval das siebzehnte Jahrhundert genannt, und mit Bacon, Galilei, Descartes, Spinoza und Newton vor Augen ist man durchaus geneigt, dieser Charakteristik fürs erste beizustimmen. Das Bild ändert sich jedoch, sobald man ein Gesamtpanorama auf sich wirken läßt, zu welchem Jakob Böhmes Einblicke in die "innerste Geburt der Gottheit" ebenso gehören wie der Hexenwahn und die Rosenkreuzer, die Gold- und Projektemacher, die Utopisten und Visionäre vom Schlage der Daniel Czepko und Quirinus Kuhlmann, die Polyhistorie, der "clandestine" Atheismus oder die erste Begeisterung für chinesisches Denken.
Das "Jahrhundert der Methode" ist dann ebenso das Jahrhundert der Metapher, der Mystik und der Manier, der "chymischen" Gärung und "deoglorialen" Exaltationen, des Denkens in Bildern und Begriffslabyrinthen ohne Ausgang ins Diesseits, will sagen: in das, was sich bruchlos ins Medium aufgeklärter Bewußtheit hinein aufheben ließe. Zu sich selbst gefunden hat dies alles zuletzt am ehesten in dem System eines Gottfried Wilhelm Leibniz, der ganz unerhörten Chiffre des unendlichen Zusammenklangs aller Dinge, der existierenden Theodizee. Aber das ändert nichts daran, daß von allen neuzeitlichen Jahrhunderten das siebzehnte bis heute das am meisten abgeschattete und opake ist.
Vor dreizehn Jahren ist im neuen "Ueberweg", dem aktuellen Standardwerk zur Geschichte der Philosophie, der erste Band zu diesem kryptischen Jahrhundert, gewidmet der Iberischen Halbinsel und Italien, erschienen. Jetzt liegt mit dem vierten und letzten auch jener Band vor, der die deutschen Versionen der frühneuzeitlichen Philosophie zur Darstellung bringt. Daß hier Pionierarbeit geleistet werden würde, stand außer Frage; ein vergleichbares Kompendium gab und gibt es nach Umfang und Dokumentationsleistung nicht. Zu den zweiundvierzig Mitarbeitern des Doppelbandes zählen beste Kenner der Epoche, und es dürfte niemanden geben, der nicht schon nach kurzer Arbeit in dieser Grube erfreut und belehrt seine Funde gemacht hätte.
Behandelt werden außer den Denkern auf dem Boden des alten Reiches auch die in den nord- und südosteuropäischen Ländern; schon diese Ausblicke nach Skandinavien, Polen und Ungarn samt Siebenbürgen erschließen weithin unbekanntes Terrain: Wer kannte bisher die "mosaische Physik" Cort Aslakssöns in Kopenhagen, wer den "Begründer der ungarischsprachigen Philosophie" János Apácai Csere? Für Deutschland gelten im europäischen Vergleich Besonderheiten - äußerlich schon die, daß hier erst gegen Ende des Jahrhunderts die Nationalsprache für die Philosophie Bedeutung gewinnt, in der Sache etwa die, daß Deutschland sich zum "Kernland des Lullismus" entwickelt und auch von daher, einem Clauberg oder Wittich in Duisburg zum Trotz, dem Cartesianismus gegenüber weitgehend in der Reserve bleibt.
Bekannt ist, daß in dem konfessionell gespaltenen Reich sich seit Jahrhundertbeginn in Gestalt der Schulphilosophie eine metaphysische lingua franca herausbildete, die einen mitunter recht regen Austausch über die Bekenntnisgrenzen hinweg beförderte; begünstigt wurde dies etwa dadurch, daß an den lutherischen Hochschulen um 1600 Melanchthons Lehrbücher außer Gebrauch kamen und so der antimetaphysische Affekt der Reformatoren einer freieren Stellung insbesondere zum Aristotelismus der spanischen Jesuitenschule wich. Johannes Stier in Jena konnte als lutherischer Aristoteliker Francisco Suárez den "gemeinsamen Lehrer und Schulmeister aller Metaphysiker" nennen. Christoph Scheibler in Gießen avancierte mit seinem Opus metaphysicum gleich selbst zum "protestantischen Suárez", und auch reformierte Autoren wie Clemens Timpler in Steinfurt oder Bartholomäus Keckermann in Heidelberg brachten im Rahmen ihrer eklektischen Systeme Aristoteles und seine Schule zu neuen Ehren.
Überhaupt erscheinen die Theologen nicht nur als Verhinderer, sondern auch als Förderer der Erkenntnis. Wer beispielsweise Abraham Calov bislang nur als kampfeslustigen Dogmatiker kannte, lernt den Theologen jetzt als Verfasser philosophischer Schriften kennen, so etwa einer Lehre vom Erkennbaren, die der Metaphysik vorzuschalten sei - die formale Parallele zu Kant drängt sich auf. Aber auch wer die Doktrin zum Beispiel des Jesuitenordens bislang für ein eher monolithisches Ganzes hielt, wird durch die Darstellung zum Beispiel der bemerkenswert ontologiekritischen Lehren Rodrigo de Arriagas in Prag eines Besseren belehrt. Der Geist war immer lebendiger, als das Vorurteil will.
Eingebettet sind diese Referate zunächst in eine nützliche Institutionengeschichte, die die Herausbildung geistiger Zentren an den Gymnasien, Hohen Schulen und Universitäten des Reiches und der Schweiz lebendig werden läßt. Mehrere instruktive Paragraphen sind aber auch zur Gänze Einzelpersonen gewidmet, wichtig dabei diejenigen zu Athanasius Kircher, Kepler, Pufendorf und Thomasius, mit dem die Schwelle zum Aufklärungszeitalter erreicht wird. Einen Sonderfall stellt Leibniz dar, der auf gut 160 Seiten von gleich neun Autoren dargestellt wird.
Der vorliegende Band, für den als Gesamtherausgeber Helmut Holzhey verantwortlich zeichnet, bemüht sich im übrigen, die Bresche in die Stoffülle auch unter systematischen Aspekten zu schlagen. Die Kreuzung der personenbezogenen, institutionenorientierten und thematischen Gesichtspunkte, die sich so ergibt, gelingt nicht immer, sie führt gelegentlich zu Unübersichtlichkeit. Holzhey plädiert für einen "breiten Philosophiebegriff" und auch eine (tatsächlich gelungene) "unparteiische" Darstellung, die auch bislang weniger beachteten Autoren Gerechtigkeit widerfahren läßt. In der Tat liegen die Möglichkeiten zu spezifischen Verdiensten der heute überwiegend positivistisch betriebenen Philosophiegeschichte weniger in der letztgültigen Aneignung früheren Denkens als vielmehr in materialer Horizonterweiterung durch Konfrontation mit fremdem Denken.
Um Philosophie indes sollte es dabei gehen, tut es auch meist, aber nicht immer: der Pietismusparagraph, den Holzhey selbst wie zur Warnung "ein Stück Kirchengeschichte" nennt, hätte durchaus auf seine philosophische Relevanz hin gesichtet, umgeschrieben und im Interesse des Gesamtwerks gekürzt werden können - letzteres schon deshalb, weil bei genauerem Zusehen leider doch kleinere Lücken klaffen: Den in Padua promovierten Iatrochemiker Otto Tachenius aus Herford etwa, zu dessen Erfindungen und Schriften sich nach Leibniz "das Vaterland Glück wünschen" durfte, sucht man vergeblich; den Kieler Medizinprofessor Günther Schelhammer, mit Boyle persönlich bekannt und doch auch sein Kritiker, findet man mit Auslassung seines Geburtsjahres und -tags (13. März 1649) nur unzureichend gestreift.
Aber aus diesen Beispielen darf nicht auf grobe Defekte und Auslassungen insgesamt geschlossen werden; das neue Werk ist eine Pioniertat, es ist eine Brücke in ein verschollen geglaubtes Jahrhundert und als Arbeitsmittel hochwillkommen. Dafür kann man allen Beteiligten, den Verlag, der für eine gediegene Ausstattung bei akzeptablem Preis gesorgt hat, eingeschlossen, nur Dank wissen. Die nötigen Studien zu einem nicht nur methodischen Jahrhundert stehen auf neuer Grundlage.
THOMAS SÖREN HOFFMANN
"Die Philosophie des 17. Jahrhunderts". Band 4: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Nord- und Ostmitteleuropa. Herausgegeben von Helmut Holzhey und Wilhelm Schmidt-Biggemann unter Mitarbeit von Vilem Mudroch. Grundriß der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. 2 Halbbände. Schwabe Verlag, Basel 2001. XXIV, 1507 S., geb., 174,-.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der neue "Ueberweg" erschließt die Philosophie zu Leibniz' Zeiten
"Das Jahrhundert der Methode" hat der französische Philosophiehistoriker Yvon Belaval das siebzehnte Jahrhundert genannt, und mit Bacon, Galilei, Descartes, Spinoza und Newton vor Augen ist man durchaus geneigt, dieser Charakteristik fürs erste beizustimmen. Das Bild ändert sich jedoch, sobald man ein Gesamtpanorama auf sich wirken läßt, zu welchem Jakob Böhmes Einblicke in die "innerste Geburt der Gottheit" ebenso gehören wie der Hexenwahn und die Rosenkreuzer, die Gold- und Projektemacher, die Utopisten und Visionäre vom Schlage der Daniel Czepko und Quirinus Kuhlmann, die Polyhistorie, der "clandestine" Atheismus oder die erste Begeisterung für chinesisches Denken.
Das "Jahrhundert der Methode" ist dann ebenso das Jahrhundert der Metapher, der Mystik und der Manier, der "chymischen" Gärung und "deoglorialen" Exaltationen, des Denkens in Bildern und Begriffslabyrinthen ohne Ausgang ins Diesseits, will sagen: in das, was sich bruchlos ins Medium aufgeklärter Bewußtheit hinein aufheben ließe. Zu sich selbst gefunden hat dies alles zuletzt am ehesten in dem System eines Gottfried Wilhelm Leibniz, der ganz unerhörten Chiffre des unendlichen Zusammenklangs aller Dinge, der existierenden Theodizee. Aber das ändert nichts daran, daß von allen neuzeitlichen Jahrhunderten das siebzehnte bis heute das am meisten abgeschattete und opake ist.
Vor dreizehn Jahren ist im neuen "Ueberweg", dem aktuellen Standardwerk zur Geschichte der Philosophie, der erste Band zu diesem kryptischen Jahrhundert, gewidmet der Iberischen Halbinsel und Italien, erschienen. Jetzt liegt mit dem vierten und letzten auch jener Band vor, der die deutschen Versionen der frühneuzeitlichen Philosophie zur Darstellung bringt. Daß hier Pionierarbeit geleistet werden würde, stand außer Frage; ein vergleichbares Kompendium gab und gibt es nach Umfang und Dokumentationsleistung nicht. Zu den zweiundvierzig Mitarbeitern des Doppelbandes zählen beste Kenner der Epoche, und es dürfte niemanden geben, der nicht schon nach kurzer Arbeit in dieser Grube erfreut und belehrt seine Funde gemacht hätte.
Behandelt werden außer den Denkern auf dem Boden des alten Reiches auch die in den nord- und südosteuropäischen Ländern; schon diese Ausblicke nach Skandinavien, Polen und Ungarn samt Siebenbürgen erschließen weithin unbekanntes Terrain: Wer kannte bisher die "mosaische Physik" Cort Aslakssöns in Kopenhagen, wer den "Begründer der ungarischsprachigen Philosophie" János Apácai Csere? Für Deutschland gelten im europäischen Vergleich Besonderheiten - äußerlich schon die, daß hier erst gegen Ende des Jahrhunderts die Nationalsprache für die Philosophie Bedeutung gewinnt, in der Sache etwa die, daß Deutschland sich zum "Kernland des Lullismus" entwickelt und auch von daher, einem Clauberg oder Wittich in Duisburg zum Trotz, dem Cartesianismus gegenüber weitgehend in der Reserve bleibt.
Bekannt ist, daß in dem konfessionell gespaltenen Reich sich seit Jahrhundertbeginn in Gestalt der Schulphilosophie eine metaphysische lingua franca herausbildete, die einen mitunter recht regen Austausch über die Bekenntnisgrenzen hinweg beförderte; begünstigt wurde dies etwa dadurch, daß an den lutherischen Hochschulen um 1600 Melanchthons Lehrbücher außer Gebrauch kamen und so der antimetaphysische Affekt der Reformatoren einer freieren Stellung insbesondere zum Aristotelismus der spanischen Jesuitenschule wich. Johannes Stier in Jena konnte als lutherischer Aristoteliker Francisco Suárez den "gemeinsamen Lehrer und Schulmeister aller Metaphysiker" nennen. Christoph Scheibler in Gießen avancierte mit seinem Opus metaphysicum gleich selbst zum "protestantischen Suárez", und auch reformierte Autoren wie Clemens Timpler in Steinfurt oder Bartholomäus Keckermann in Heidelberg brachten im Rahmen ihrer eklektischen Systeme Aristoteles und seine Schule zu neuen Ehren.
Überhaupt erscheinen die Theologen nicht nur als Verhinderer, sondern auch als Förderer der Erkenntnis. Wer beispielsweise Abraham Calov bislang nur als kampfeslustigen Dogmatiker kannte, lernt den Theologen jetzt als Verfasser philosophischer Schriften kennen, so etwa einer Lehre vom Erkennbaren, die der Metaphysik vorzuschalten sei - die formale Parallele zu Kant drängt sich auf. Aber auch wer die Doktrin zum Beispiel des Jesuitenordens bislang für ein eher monolithisches Ganzes hielt, wird durch die Darstellung zum Beispiel der bemerkenswert ontologiekritischen Lehren Rodrigo de Arriagas in Prag eines Besseren belehrt. Der Geist war immer lebendiger, als das Vorurteil will.
Eingebettet sind diese Referate zunächst in eine nützliche Institutionengeschichte, die die Herausbildung geistiger Zentren an den Gymnasien, Hohen Schulen und Universitäten des Reiches und der Schweiz lebendig werden läßt. Mehrere instruktive Paragraphen sind aber auch zur Gänze Einzelpersonen gewidmet, wichtig dabei diejenigen zu Athanasius Kircher, Kepler, Pufendorf und Thomasius, mit dem die Schwelle zum Aufklärungszeitalter erreicht wird. Einen Sonderfall stellt Leibniz dar, der auf gut 160 Seiten von gleich neun Autoren dargestellt wird.
Der vorliegende Band, für den als Gesamtherausgeber Helmut Holzhey verantwortlich zeichnet, bemüht sich im übrigen, die Bresche in die Stoffülle auch unter systematischen Aspekten zu schlagen. Die Kreuzung der personenbezogenen, institutionenorientierten und thematischen Gesichtspunkte, die sich so ergibt, gelingt nicht immer, sie führt gelegentlich zu Unübersichtlichkeit. Holzhey plädiert für einen "breiten Philosophiebegriff" und auch eine (tatsächlich gelungene) "unparteiische" Darstellung, die auch bislang weniger beachteten Autoren Gerechtigkeit widerfahren läßt. In der Tat liegen die Möglichkeiten zu spezifischen Verdiensten der heute überwiegend positivistisch betriebenen Philosophiegeschichte weniger in der letztgültigen Aneignung früheren Denkens als vielmehr in materialer Horizonterweiterung durch Konfrontation mit fremdem Denken.
Um Philosophie indes sollte es dabei gehen, tut es auch meist, aber nicht immer: der Pietismusparagraph, den Holzhey selbst wie zur Warnung "ein Stück Kirchengeschichte" nennt, hätte durchaus auf seine philosophische Relevanz hin gesichtet, umgeschrieben und im Interesse des Gesamtwerks gekürzt werden können - letzteres schon deshalb, weil bei genauerem Zusehen leider doch kleinere Lücken klaffen: Den in Padua promovierten Iatrochemiker Otto Tachenius aus Herford etwa, zu dessen Erfindungen und Schriften sich nach Leibniz "das Vaterland Glück wünschen" durfte, sucht man vergeblich; den Kieler Medizinprofessor Günther Schelhammer, mit Boyle persönlich bekannt und doch auch sein Kritiker, findet man mit Auslassung seines Geburtsjahres und -tags (13. März 1649) nur unzureichend gestreift.
Aber aus diesen Beispielen darf nicht auf grobe Defekte und Auslassungen insgesamt geschlossen werden; das neue Werk ist eine Pioniertat, es ist eine Brücke in ein verschollen geglaubtes Jahrhundert und als Arbeitsmittel hochwillkommen. Dafür kann man allen Beteiligten, den Verlag, der für eine gediegene Ausstattung bei akzeptablem Preis gesorgt hat, eingeschlossen, nur Dank wissen. Die nötigen Studien zu einem nicht nur methodischen Jahrhundert stehen auf neuer Grundlage.
THOMAS SÖREN HOFFMANN
"Die Philosophie des 17. Jahrhunderts". Band 4: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Nord- und Ostmitteleuropa. Herausgegeben von Helmut Holzhey und Wilhelm Schmidt-Biggemann unter Mitarbeit von Vilem Mudroch. Grundriß der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. 2 Halbbände. Schwabe Verlag, Basel 2001. XXIV, 1507 S., geb., 174,-
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