Dieser Band bietet anhand von Originaltexten eine Einführung in die Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik. Die ausgewählten Texte geben die zentralen Inhalte und Positionen dieser Tradition wieder. Jeder einzelne Text wird ausführlich eingeleitet und kommentiert.Der Band ist in drei Hauptteile gegliedert. Im ersten Teil werden die Ansätze der Vertreter der Freiburger Forschungs- und Lehrgemeinschaft der 1930er und 1940er Jahre dargestellt. Teil zwei widmet sich verwandten Denkansätzen im Umfeld der Freiburger Schule. Im dritten Teil wird die "Freiburger Lehrstuhltradition" präsentiert, also zentrale Texte derjenigen Freiburger Universitätslehrer, die sich in je eigener Akzentuierung mit Fragen von wirtschaftlicher Ordnung und individueller Freiheit beschäftigt haben.Mit Originaltexten von:Franz Böhm, Constantin von Dietze, Ludwig Erhard, Walter Eucken, Edith Eucken-Erdsiek, Hans Gestrich, Hans Großmann-Doerth, Friedrich A. von Hayek, K. Paul Hensel, Joseph Höffner, Erich Hoppmann, Adolf Lampe, Hans Otto Lenel, Elisabeth Liefmann-Keil, Friedrich A. Lutz, Karl Friedrich Maier, Fritz W. Meyer, Leonhard Miksch, Alfred Müller-Armack, Bernhard Pfister, Erich Preiser, Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow, Otto Schlecht, Manfred E. Streit, Viktor Vanberg, Erich WelterMit Einführungen von:Detlef J. Blesgen, Gerold Blümle, Patricia Commun, Nils Goldschmidt, Harald Hagemann, Alexander Hollerbach, Karen I. Horn, Wendula Gräfin v. Klinckowstroem, Heinz Lampert, Wernhard Möschel, Werner Mussler, Ursula Nothelle-Wildfeuer, Walter Oswalt, Helge Peukert, Alfred Schüller, Joachim Starbatty, Viktor Vanberg, Reinhold Veit, Christian Watrin, Hans Willgerodt, Michael Wohlgemuth
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2009Denken in Ordnungen
Ein Sammelband stellt die Vertreter der Freiburger Schule vor
Im Chaos der Finanz- und Weltwirtschaftskrise wächst das Bedürfnis nach geistigem Halt und Orientierung. Welche Reformen sind geeignet, welches staatlichen Ordnungsrahmens bedarf es für die Wirtschaft, um einer Wiederholung einer solchen Katastrophe vorzubeugen? Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn hat es auf den Punkt gebracht: Wir müssen Eucken - eine Chiffre für den Ordoliberalismus - nach Amerika exportieren, um dort ein Umdenken zu bewirken. Doch wissen wir selbst noch, wer Walter Eucken war, was die Freiburger Schule lehrte und was "Denken in Ordnungen" bedeutet?
Der vorliegende Band vereint grundlegende Texte aus sieben Jahrzehnten von 26 Wissenschaftlern aus der Freiburger Schule sowie Vertretern verwandter Denkansätze. Die Texte werden von ausgewiesenen Fachleuten klug kommentiert und eingeordnet, die Autoren treffend porträtiert: Angefangen von Eucken und Franz Böhm über Ludwig Erhard, Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow - sowie auch Erich Welter, den Gründungsherausgeber dieser Zeitung - bis hin zu Friedrich August von Hayek, der in den siebziger Jahren in Freiburg lehrte und der Tradition neue Impulse gab. Der Sammelband ist sehr sorgfältig und kompetent editiert, ein Standardwerk, an dem kein ökonomisch und geschichtlich Interessierter vorbeikommt, der den Reichtum dieser spezifisch deutschen Variante des Wirtschaftsliberalismus kennenlernen will.
Ihre Ursprünge hatte die Freiburger Schule in einer Krisensituation, den frühen dreißiger Jahren. Die liberale Marktwirtschaft schien am Ende, zumindest aber in einer existentiellen Krise. Daher betrieben Eucken und seine Mitstreiter eine Revision der liberalen Theorie. Ihre Kernaussage war: Der marktwirtschaftliche Wettbewerb braucht, um sich nicht selbst zu gefährden, einen staatlichen Ordnungsrahmen. "Der neue Liberalismus ... fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten", erklärte Rüstow. Gemeint war ein starker, aber schlanker Staat, der sich zurückhält und auf willkürliche Interventionen und Subventionen verzichtet. Ein aufgeblähter, überall eingreifender, helfender und lenkender Staat drohe Beute der Interessengruppen zu werden - und ist letztlich ein schwacher Staat, warnten Rüstow und Eucken.
Einige der in dem Band dokumentierten frühen Grundlagentexte lesen sich arg zeitgebunden, einige ihrer volkswirtschaftlichen und philosophischen Argumentationsfiguren sind dem heuten Leser fremd. Ziemlich illusionär erscheint etwa das Ideal des "vollkommenen Wettbewerbs", dem viele der frühen Freiburger anhingen, sowie die wettbewerbspolitischen Ansätze, die auf eine völlige Eliminierung jeglicher "Marktmacht" hinauslaufen. Diesen Punkt betont Walter Oswalt, ein Enkel Euckens, der dessen Einwände gegen Großunternehmen und Konzerne herausstreicht. Immerhin ist bedenkenswert, dass überdimensionierte Großkonzerne nicht nur politisch-gesellschaftlich, sondern auch volkswirtschaftlich eine Gefahr darstellen können, etwa im Finanzwesen, wenn sie als "systemrelevant" gelten und dann gerettet werden müssen, wie in der aktuellen Krise geschehen.
Die wichtigste Weiterentwicklung der Freiburger Wettbewerbsideen hin zu einer dynamischen Theorie kam durch Hayek. Nach dem Zweiten Weltkrieg neigte auch er der Ansicht zu, "dass der Wettbewerb durch bestimmte staatliche Maßnahmen wirksamer und erfolgreicher gemacht werden kann", wie er es im dokumentierten Aufsatz ",Freie Wirtschaft' und Wettbewerbsordnung" (1947) formulierte. Später allerdings wurde er skeptischer, ob zentrale staatliche Autoritäten jemals das Wissen erwerben könnten, das für solche Eingriffe nötig wäre. Wettbewerb sah er nun primär als Entdeckungsverfahren mit unbekanntem Ausgang.
Vor dieser Frage stehen wir heute wieder: Angesichts der sich in der Krise erwiesenen Zerstörungskraft eines aus dem Ruder gelaufenen Finanzsystems bedarf es einer staatlichen Ordnung, die jedoch nicht der Illusion einer perfekten Planbarkeit zur Ausschaltung aller Risiken unterliegen darf. Am klügsten ist diejenige Regulierung, die anreizkompatibel ist und daher auf Selbstregulierung und Selbstdisziplinierung der Akteure setzt, indem sie private Haftung für alle Geschäfte einfordert.
Das Haftungsprinzip war eines der von Eucken vehement geforderten konstituierenden Prinzipien der Marktwirtschaft: Hätten die Finanzjongleure mehr mit eigenem Geld und weniger mit (von den Zentralbanken künstlich verbilligtem) Fremdkapital spekuliert, hätten sie vermutlich mehr auf die Entwicklung der Risiken geachtet. Diese Einsicht aus Freiburg ist zeitlos und sollte stärker beachtet werden.
PHILIP PLICKERT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Sammelband stellt die Vertreter der Freiburger Schule vor
Im Chaos der Finanz- und Weltwirtschaftskrise wächst das Bedürfnis nach geistigem Halt und Orientierung. Welche Reformen sind geeignet, welches staatlichen Ordnungsrahmens bedarf es für die Wirtschaft, um einer Wiederholung einer solchen Katastrophe vorzubeugen? Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn hat es auf den Punkt gebracht: Wir müssen Eucken - eine Chiffre für den Ordoliberalismus - nach Amerika exportieren, um dort ein Umdenken zu bewirken. Doch wissen wir selbst noch, wer Walter Eucken war, was die Freiburger Schule lehrte und was "Denken in Ordnungen" bedeutet?
Der vorliegende Band vereint grundlegende Texte aus sieben Jahrzehnten von 26 Wissenschaftlern aus der Freiburger Schule sowie Vertretern verwandter Denkansätze. Die Texte werden von ausgewiesenen Fachleuten klug kommentiert und eingeordnet, die Autoren treffend porträtiert: Angefangen von Eucken und Franz Böhm über Ludwig Erhard, Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow - sowie auch Erich Welter, den Gründungsherausgeber dieser Zeitung - bis hin zu Friedrich August von Hayek, der in den siebziger Jahren in Freiburg lehrte und der Tradition neue Impulse gab. Der Sammelband ist sehr sorgfältig und kompetent editiert, ein Standardwerk, an dem kein ökonomisch und geschichtlich Interessierter vorbeikommt, der den Reichtum dieser spezifisch deutschen Variante des Wirtschaftsliberalismus kennenlernen will.
Ihre Ursprünge hatte die Freiburger Schule in einer Krisensituation, den frühen dreißiger Jahren. Die liberale Marktwirtschaft schien am Ende, zumindest aber in einer existentiellen Krise. Daher betrieben Eucken und seine Mitstreiter eine Revision der liberalen Theorie. Ihre Kernaussage war: Der marktwirtschaftliche Wettbewerb braucht, um sich nicht selbst zu gefährden, einen staatlichen Ordnungsrahmen. "Der neue Liberalismus ... fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten", erklärte Rüstow. Gemeint war ein starker, aber schlanker Staat, der sich zurückhält und auf willkürliche Interventionen und Subventionen verzichtet. Ein aufgeblähter, überall eingreifender, helfender und lenkender Staat drohe Beute der Interessengruppen zu werden - und ist letztlich ein schwacher Staat, warnten Rüstow und Eucken.
Einige der in dem Band dokumentierten frühen Grundlagentexte lesen sich arg zeitgebunden, einige ihrer volkswirtschaftlichen und philosophischen Argumentationsfiguren sind dem heuten Leser fremd. Ziemlich illusionär erscheint etwa das Ideal des "vollkommenen Wettbewerbs", dem viele der frühen Freiburger anhingen, sowie die wettbewerbspolitischen Ansätze, die auf eine völlige Eliminierung jeglicher "Marktmacht" hinauslaufen. Diesen Punkt betont Walter Oswalt, ein Enkel Euckens, der dessen Einwände gegen Großunternehmen und Konzerne herausstreicht. Immerhin ist bedenkenswert, dass überdimensionierte Großkonzerne nicht nur politisch-gesellschaftlich, sondern auch volkswirtschaftlich eine Gefahr darstellen können, etwa im Finanzwesen, wenn sie als "systemrelevant" gelten und dann gerettet werden müssen, wie in der aktuellen Krise geschehen.
Die wichtigste Weiterentwicklung der Freiburger Wettbewerbsideen hin zu einer dynamischen Theorie kam durch Hayek. Nach dem Zweiten Weltkrieg neigte auch er der Ansicht zu, "dass der Wettbewerb durch bestimmte staatliche Maßnahmen wirksamer und erfolgreicher gemacht werden kann", wie er es im dokumentierten Aufsatz ",Freie Wirtschaft' und Wettbewerbsordnung" (1947) formulierte. Später allerdings wurde er skeptischer, ob zentrale staatliche Autoritäten jemals das Wissen erwerben könnten, das für solche Eingriffe nötig wäre. Wettbewerb sah er nun primär als Entdeckungsverfahren mit unbekanntem Ausgang.
Vor dieser Frage stehen wir heute wieder: Angesichts der sich in der Krise erwiesenen Zerstörungskraft eines aus dem Ruder gelaufenen Finanzsystems bedarf es einer staatlichen Ordnung, die jedoch nicht der Illusion einer perfekten Planbarkeit zur Ausschaltung aller Risiken unterliegen darf. Am klügsten ist diejenige Regulierung, die anreizkompatibel ist und daher auf Selbstregulierung und Selbstdisziplinierung der Akteure setzt, indem sie private Haftung für alle Geschäfte einfordert.
Das Haftungsprinzip war eines der von Eucken vehement geforderten konstituierenden Prinzipien der Marktwirtschaft: Hätten die Finanzjongleure mehr mit eigenem Geld und weniger mit (von den Zentralbanken künstlich verbilligtem) Fremdkapital spekuliert, hätten sie vermutlich mehr auf die Entwicklung der Risiken geachtet. Diese Einsicht aus Freiburg ist zeitlos und sollte stärker beachtet werden.
PHILIP PLICKERT
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Alexander Kissler schöpft neue Hoffnung, dass Markt und Wettbewerb wieder gesellschaftlichen Zwecken dienen könnten. Wenn dieser Quellenband dem Rezensenten auch nicht verrät, wie das en detail geschehen soll, so hat er ihm doch die fortdauernde Gültigkeit der von Walter Eucken und Franz Böhm gelegten Freiburger Traditionslinie vergegenwärtigt. Mehr Freiburg, weniger Brüssel also? Kissler sieht die Autoren in "unverwelkter Frische" den Einfluss von Juristerei und Ökonomie auf politische Entwicklungen beklagen. Einen Neoliberalismus Freiburger Prägung scheint er, darin den Herausgebern folgend, durchaus für bedenkenswert zu halten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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