Für einen Geschichtsprofessor nicht gut genug
Warum eine Rezension zu einer Broschüre, die vor mehr als 20 Jahren erschienen ist, einmal 1981 "verbessert und erweitert" neu aufgelegt und dann noch mal 1989 unverändert nachgedruckt worden ist, seither aber vergessen scheint? Um vor Nachahmung zu
warnen. Nicht vor einem grundlegenden, kurzen Blick auf die Geschichte Venedigs (zwei neuere kurze…mehrFür einen Geschichtsprofessor nicht gut genug
Warum eine Rezension zu einer Broschüre, die vor mehr als 20 Jahren erschienen ist, einmal 1981 "verbessert und erweitert" neu aufgelegt und dann noch mal 1989 unverändert nachgedruckt worden ist, seither aber vergessen scheint? Um vor Nachahmung zu warnen. Nicht vor einem grundlegenden, kurzen Blick auf die Geschichte Venedigs (zwei neuere kurze Venedig-Geschichten will ich ausdrücklich empfehlen), sondern vor der vorgesetzten Optik mit der hier der Blick eingeengt wird, vor dem Fokus, der auch fernere Mißlichkeiten bewirkt. Die 2. Auflage ist lediglich um 21 Zeilen auf S. 79 ergänzt worden, die 3. Auflage gegenüber der 2. unverändert. Ansonsten sind alle 3 Ausgaben Text- und Seitenidentisch. Ab der 2. Auflage sind einige Literaturhinweise und ein Sach- und Personenregister hinzugekommen.
Gerechterweise muß man sagen, daß Hellmann sich mit seinem Ausflug nach Venedig in ein Terrain wagte, das etwas abseits des Gebietes liegt, in dem er eine Autorität ist. Als Experte für Osteuropa, er war ordentlicher Professor für Geschichte Osteuropas, wird ihm wohl keiner so leicht etwas am Zeug flicken. Irgendwie gehört ja auch das historische Venedig durch seine einstigen ausgedehnten Wirtschaftsbeziehungen nach Südosteuropa und seine Übersee-Besitzungen mit dazu, aber eben nur "irgendwie" und nicht wirklich. Dieses Signalwort der Unbestimmtheit kommt bei Hellmann natürlich nicht vor, schließlich ist die Historiographie eine exakte Wissenschaft und will geschichtliche Abläufe exakt erklären. Ob das wirklich immer geht, wage ich zu bezweifeln. Natürlich soll, kann und muß man, soweit eben möglich, nämlich insofern die historischen Quellen präzise Informationen liefern, geschichtliche Ereignisse in Ursachen und Ablauf genau schildern. Aber man wird nicht alles erklären und verstehen können. Zum einen, weil wichtige Informationen oft nicht überliefert sind, vor allem aber, weil vielfältige Faktoren zusammenwirken und Anliegen und Erwartungen der Handelnden oft mit dem tatsächlichen geschichtlichen Resultat wenig zu tun haben: Konglomerate vielfältiger, zielgerichteter Einzelhandlungen - die ja in der Gesellschaft immer vorliegen - ergeben keine Handlungsresultate, sondern nur Ereignisse. Es ist natürlich interessant und reizvoll, den An- und Absichten, Vor- und Zielstellungen, der geschichtlich Handelnden nachzugehen. Das liefert für historische Abläufe aber in den meisten Fällen nur Scheinerklärungen. Hellmann hat offensichtlich eine wichtige Herangehensweise aus seinem Spezialgebiet Osteuropa - für die aktuelle Politik und Zeitgeschichte sind natürlich die Auffassungen und Absichten insbesondere der mächtigen Akteure ungeheuer wichtig - auf die Geschichte als solche übertragen. Andererseits ist die Sichtweise "große Männer machen die Geschichte" ja auch erst in jüngster Zeit einigermaßen überwunden worden. Aber: Bereits Heinrich Kretschmayr - wer dessen Geschichte von Venedig nicht kennt, sollte darüber nicht schreiben - wendet sich gegen eine Geschichtsauffassung, welche die Geschichte 'zum Range einer Novelle erhöhen will', als die persönliche Schuld ehrgeiziger Staatsmänner sich darstellen will" (Heinrich Kretschmayr: Geschichte von Venedig in 3 Bänden. 2. Neudruck der Ausgabe Gotha 1920. Aalen 1986, Bd. 2 S. 335).
Ich will mich nicht in Einzelheiten der Darstellung Hellmanns verzetteln. Es ist natürlich schwierig, 1.400 oder mehr Jahre Geschichte auf 201 Seiten zusammenzudrängen. Da muß schon so mancherlei unter den Tisch fallen.
Aber vielleicht hat ja auch Andrea Gottdang Recht: "Historische Genauigkeit ist letztlich das, was dafür gehalten wird." (Venedigs antike Helden. Die Darstellung der antiken Geschichte in der venezianischen Malerei von 1680 - 1760. Wien/München 2002, S. 141)