Paul liebt Berlin, vor allem Westberlin, sofern man Westberlin lieben kann, wenn man in einer dunklen Hinterhofwohnung in Kreuzberg lebt. Und er liebt Maria, die Spanierin mit den graugrünen Augen und der Motorradjacke. Die beiden lernen sich in Málaga kennen, wo er als Sprachlehrer jobbt, während er auf eine Referendariatsstelle wartet. Maria, die angehende Ärztin, wird für ihn zur Liebe seines Lebens, und doch muß er sie bald verlassen: Sie ist verheiratet und erwartet ein Kind. Aber bei seinem Abschied aus Spanien ruft sie ihm nach: "Permanecemos juntos!" - "Wir bleiben zusammen!" Marias Versprechen soll kein leeres bleiben: Sie sehen sich wieder, in Deutschland. Von der Lobby des Münchner Hotels Vier Jahreszeiten aus brechen sie auf zu einer Reise, die freilich nur einen halben Tag dauert ...
Auf einem olivenbestandenen Grundstück hoch über dem Meer in Südspanien und an den mit Hunde-Urin verseuchten Stränden rund um den Grunewaldsee verwickelt Bestsellerautor Hans-Ulrich Treichel seinen Helden in eine Liebesgeschichte, wie sie nur dieser Meister der heiteren Melancholie und des lakonischen Spotts erzählen kann: voller Abstürze und in höchstem Maß vergnüglich.
Auf einem olivenbestandenen Grundstück hoch über dem Meer in Südspanien und an den mit Hunde-Urin verseuchten Stränden rund um den Grunewaldsee verwickelt Bestsellerautor Hans-Ulrich Treichel seinen Helden in eine Liebesgeschichte, wie sie nur dieser Meister der heiteren Melancholie und des lakonischen Spotts erzählen kann: voller Abstürze und in höchstem Maß vergnüglich.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2010Hinter dem anti-niedersächsischen Schutzwall
Joggen gegen das leidige Angstgewicht der Existenz: Hans-Ulrich Treichel spürt in "Grunewaldsee" dem Berlin-Gefühl der achtziger Jahre hinterher. Der heitere und tieftraurige Roman ist sein bester seit langem.
Das Leben ist ein Prozess von Desillusionierungen, bei denen erhebliche Mengen an Komik freigesetzt werden. Zumindest dann, wenn die Enttäuschungsgeschichten von Hans-Ulrich Treichel erzählt werden, einem der wenigen herausragenden Humoristen der deutschen Gegenwartsliteratur.
Wie Robert Walser ist Treichel ein Autor der kleinen Erfahrung, des scheinbar unscheinbaren Lebensdetails und der kleinen Pointe. In einem Essay hat er einmal beschrieben, wie er dank diverser Einladungen schon auf allen Kontinenten herumgekommen sei: "Das hört sich ziemlich großartig und weltmännisch an, aber ich sage mir immer: Vergiss nie, dass du es bist, der dort herumreist." Das lässt sich auf die Romane übertragen: Es sind die von Phantomschuld gebeugten Treichel-Gestalten, die hier eher spärliche Formen von Wirklichkeit generieren. "Wollte er sein moralisches Lebensgefühl definieren, dann würde er sagen: Ich bin ein Schwarzfahrer mit gültiger Monatskarte", heißt es einmal über Paul, die Hauptfigur des neuen Romans "Grunewaldsee".
Treichels Helden sehen sich alle ziemlich ähnlich; sie sind Figurationen einer fortgesetzten Konfession. Paul ähnelt besonders stark dem Albert aus "Der irdische Amor" - das war ein gebürtiger Ostwestfale und Berliner Student der Kunstgeschichte, mit starker Italiensehnsucht. Paul firmiert nun als gebürtiger Niedersachse aus Braunschweig-Gliesmarode, er hat in Berlin Geschichte studiert, und es zieht ihn heftig nach Spanien. Aktuell ist der Wahl-Kreuzberger mit Warten beschäftigt: Im Berlin der achtziger Jahre muss der künftige Lehrer für einen Referendariatsplatz drei Jahre anstehen.
Von diesem jungen Mann kann man nicht erwarten, dass er sein Kreuzberg wie ein Herr Lehmann zelebriert. Regeners alternativem Heimatroman steht bei Treichel, der mit einer Erzählung über ein generationsübergreifend nachwirkendes Flucht-Trauma berühmt wurde ("Der Verlorene"), die melancholische Beschwörung der Heimatlosigkeit gegenüber. Auch Paul ist ein Flüchtling - ganz dringend musste er die Gliesmaroder Provinzjugend hinter sich lassen. Aber auch am Kottbusser Tor wird er nicht heimisch. Leben im inneren Widerstand: Beim Verfertigen eines Referats über "Vormoderne Lebenswelten" fühlt er sich in seiner kleinen Hinterhofwohnung von türkischer Musik belästigt. Kebabträume in der Mauerstadt? Lieber nicht. Besonders lästig ist die Abluftanlage der türkischen Bäckerei im Erdgeschoss, denn sie entlässt den Schmalzgebäckgeruch direkt vor Pauls Fenster. Als er den Bäcker aufsucht, um sich zu beschweren, umarmt der ihn und lädt ihn für Sonntagnachmittag zum Familienbesuch ein - woraus sich ein erzählerisches Kabinettstück ergibt.
Am liebsten würde Paul ganz auf die Pfaueninsel umziehen. Das Beste an Berlin und Umgebung sind für ihn die mediterranen Halluzinationen und Imitationen, wie die Sacrower Heilandskirche mit ihrem Campanile, Preußens Arkadien. Zu romantischen Spaziergängen verabredet er sich am Grunewaldsee, einem urinduftenden Hundeauslaufgebiet, umrauscht von der nahen Avus - aber mit Sonnenuntergängen wie in Granada.
Nebenbei lernt Paul Spanisch. Daraus ergibt sich die Chance zum Ausbruch. In Málaga wird dringend eine Hilfskraft gesucht, die Deutsch für Anfänger unterrichtet. Paul macht sich auf die Reise; in einer Dozenten-WG findet er ein winziges, fensterloses Zimmer - so unzumutbar, dass sich bald die schöne María seiner annimmt und ihn im Landhaus ihres Onkels einquartiert, einem pensionierten Capitán der Guardia Civil. Handelt es sich womöglich um einen alten Franco-Faschisten? Die Frage gibt Paul, der in seiner Kreuzberger Küche das "Guernica"-Poster hängen hat, viel zu denken, zumal seine eigene Familie "auf Hausmeisterebene" ins Dritte Reich verstrickt war. Wie auch immer, eines wunderbaren Morgens, als der Onkel nicht da ist, schleicht sich María ins Haus und wird anschmiegsam - Paul kann sein Glück kaum fassen. Bald darauf sind sie ein Liebespaar, treffen sich regelmäßig auf einer abgelegenen Obstwiese und frönen herrlich enthemmt dem faunischen Sex. Das hat nichts mehr zu tun mit jenem "sozialpartnerschaftlichen", gewissermaßen von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft abgesegneten Liebesspiel, wie es Paul bisher mit Berliner Studentinnen kannte. Es ist das Glück; das "Angstgewicht" seiner Existenz hat sich spürbar verringert.
Nur: Im Lauf des Sommers wölbt sich Marías Bauch - sie ist schwanger. Und zwar nicht von Paul, sondern von ihrem Mann, mit dem sie die unglückliche Ehe fortzusetzen gedenkt. Da hat Treichel seinen Helden wieder in ein literarisch produktives Dilemma bugsiert. Denn zugleich macht María dem schwer verliebten Paul Hoffnungen: "Permanecemos juntos", ruft sie ihm hinterher, als er nach Berlin zurückkehrt: Wir bleiben verbunden. Zwei Worte, die fortan den Treibstoff für die existentielle Warteschleife bilden. Denn jetzt wartet Paul nicht mehr nur aufs Referendariat, sondern auch auf María. Beides zusammen gibt ihm unerschütterliches Vertrauen auf die Zukunft.
So lebt er hin - und der Roman wird zwischenzeitlich zum Plauderkunstwerk. Da geht es unter anderem um entwürdigende Einstellungsgespräche (Paul bemüht sich um eine Stelle als bibliothekarische Hilfskraft), um die "Idyllenkrankheit" vieler Mütter, um die Angst der Alten, zu Anekdotenmaterial für die Jungen zu werden ("Paul wusste auch, dass der Tag kommen würde, an dem er zur bloßen Anekdote für jemand anderen wurde, während es für ihn selbst vielleicht um die Existenz oder gar um sein Leben ging"), um die heruntergekommene Tradition des Nacktbadens im "Bullenwinkel"(so der lauschige Name eines Strandes am Grunewaldsee) oder um den einstmals florierenden Raubdruckverkauf in Kreuzberger Lokalen.
Souverän wechselt der Erzähler zwischen den Zeiten, verflicht so die María-Romanze mit den Berliner Erlebnissen, fügt Gliesmarode-Reminiszenzen ein und gibt eine Menge ebenso kluger wie leichthändiger Reflexionen über Leben, Liebe und Tod hinzu. Aus Demütigungen, Unzulänglichkeiten, Verstörungen gilt es Literatur zu machen. Dies allerdings mit einer Aura der Souveränität, also mit Ironie und Humor. Sie verdanken sich weniger einer den Ereignissen selbst anhaftenden Komik als der Differenz zwischen dem fortgeschrittenen Bewusstsein des erzählenden Arrangeurs und der sympathischen Torenhaftigkeit von Treichels habituell jugendlichem Protagonisten. Und so verläuft am Ende auch das lang erhoffte Wiedersehen mit María so tragikomisch, wie man es von diesem Autor erwarten darf.
"Grunewaldsee" ist vielleicht der beste Roman, den Treichel seit "Der Verlorene" geschrieben hat. Nebenbei ist es auch ein Roman der Wende und des Abschieds vom Berlingefühl. Wie Herr Lehmann ist auch Paul nicht gerade begeistert über den Fall der Mauer. Für den gelernten Berliner war sie ein antiniedersächsischer Schutzwall. "Paul war immer auch ein wenig stolz gewesen, dass er so nah an der Mauer lebte. Am Drama. Am Riss. An der Bruchstelle. Dort, wo es gefährlich war." Die Joggingstrecke mit Blick über Spree und Treptow - statt brisanten Geschichtsgeländes plötzlich nur noch historisch uninteressantes Wohngebiet. Kaum erstaunlich, dass sich Rückkehrsehnsucht in Pauls Seele einschleicht. In Niedersachsen warten ein halbes Haus und eine Stelle als Referendar. Was für eine Versuchung! Am Ende steht Paul wieder am Grunewaldsee. Es riecht nach Frost, das Wasser ist tiefschwarz. Treichels Bücher wären tieftraurig, wenn sie nicht so heiter wären.
WOLFGANG SCHNEIDER.
Hans-Ulrich Treichel: "Grunewaldsee". Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 240 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Joggen gegen das leidige Angstgewicht der Existenz: Hans-Ulrich Treichel spürt in "Grunewaldsee" dem Berlin-Gefühl der achtziger Jahre hinterher. Der heitere und tieftraurige Roman ist sein bester seit langem.
Das Leben ist ein Prozess von Desillusionierungen, bei denen erhebliche Mengen an Komik freigesetzt werden. Zumindest dann, wenn die Enttäuschungsgeschichten von Hans-Ulrich Treichel erzählt werden, einem der wenigen herausragenden Humoristen der deutschen Gegenwartsliteratur.
Wie Robert Walser ist Treichel ein Autor der kleinen Erfahrung, des scheinbar unscheinbaren Lebensdetails und der kleinen Pointe. In einem Essay hat er einmal beschrieben, wie er dank diverser Einladungen schon auf allen Kontinenten herumgekommen sei: "Das hört sich ziemlich großartig und weltmännisch an, aber ich sage mir immer: Vergiss nie, dass du es bist, der dort herumreist." Das lässt sich auf die Romane übertragen: Es sind die von Phantomschuld gebeugten Treichel-Gestalten, die hier eher spärliche Formen von Wirklichkeit generieren. "Wollte er sein moralisches Lebensgefühl definieren, dann würde er sagen: Ich bin ein Schwarzfahrer mit gültiger Monatskarte", heißt es einmal über Paul, die Hauptfigur des neuen Romans "Grunewaldsee".
Treichels Helden sehen sich alle ziemlich ähnlich; sie sind Figurationen einer fortgesetzten Konfession. Paul ähnelt besonders stark dem Albert aus "Der irdische Amor" - das war ein gebürtiger Ostwestfale und Berliner Student der Kunstgeschichte, mit starker Italiensehnsucht. Paul firmiert nun als gebürtiger Niedersachse aus Braunschweig-Gliesmarode, er hat in Berlin Geschichte studiert, und es zieht ihn heftig nach Spanien. Aktuell ist der Wahl-Kreuzberger mit Warten beschäftigt: Im Berlin der achtziger Jahre muss der künftige Lehrer für einen Referendariatsplatz drei Jahre anstehen.
Von diesem jungen Mann kann man nicht erwarten, dass er sein Kreuzberg wie ein Herr Lehmann zelebriert. Regeners alternativem Heimatroman steht bei Treichel, der mit einer Erzählung über ein generationsübergreifend nachwirkendes Flucht-Trauma berühmt wurde ("Der Verlorene"), die melancholische Beschwörung der Heimatlosigkeit gegenüber. Auch Paul ist ein Flüchtling - ganz dringend musste er die Gliesmaroder Provinzjugend hinter sich lassen. Aber auch am Kottbusser Tor wird er nicht heimisch. Leben im inneren Widerstand: Beim Verfertigen eines Referats über "Vormoderne Lebenswelten" fühlt er sich in seiner kleinen Hinterhofwohnung von türkischer Musik belästigt. Kebabträume in der Mauerstadt? Lieber nicht. Besonders lästig ist die Abluftanlage der türkischen Bäckerei im Erdgeschoss, denn sie entlässt den Schmalzgebäckgeruch direkt vor Pauls Fenster. Als er den Bäcker aufsucht, um sich zu beschweren, umarmt der ihn und lädt ihn für Sonntagnachmittag zum Familienbesuch ein - woraus sich ein erzählerisches Kabinettstück ergibt.
Am liebsten würde Paul ganz auf die Pfaueninsel umziehen. Das Beste an Berlin und Umgebung sind für ihn die mediterranen Halluzinationen und Imitationen, wie die Sacrower Heilandskirche mit ihrem Campanile, Preußens Arkadien. Zu romantischen Spaziergängen verabredet er sich am Grunewaldsee, einem urinduftenden Hundeauslaufgebiet, umrauscht von der nahen Avus - aber mit Sonnenuntergängen wie in Granada.
Nebenbei lernt Paul Spanisch. Daraus ergibt sich die Chance zum Ausbruch. In Málaga wird dringend eine Hilfskraft gesucht, die Deutsch für Anfänger unterrichtet. Paul macht sich auf die Reise; in einer Dozenten-WG findet er ein winziges, fensterloses Zimmer - so unzumutbar, dass sich bald die schöne María seiner annimmt und ihn im Landhaus ihres Onkels einquartiert, einem pensionierten Capitán der Guardia Civil. Handelt es sich womöglich um einen alten Franco-Faschisten? Die Frage gibt Paul, der in seiner Kreuzberger Küche das "Guernica"-Poster hängen hat, viel zu denken, zumal seine eigene Familie "auf Hausmeisterebene" ins Dritte Reich verstrickt war. Wie auch immer, eines wunderbaren Morgens, als der Onkel nicht da ist, schleicht sich María ins Haus und wird anschmiegsam - Paul kann sein Glück kaum fassen. Bald darauf sind sie ein Liebespaar, treffen sich regelmäßig auf einer abgelegenen Obstwiese und frönen herrlich enthemmt dem faunischen Sex. Das hat nichts mehr zu tun mit jenem "sozialpartnerschaftlichen", gewissermaßen von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft abgesegneten Liebesspiel, wie es Paul bisher mit Berliner Studentinnen kannte. Es ist das Glück; das "Angstgewicht" seiner Existenz hat sich spürbar verringert.
Nur: Im Lauf des Sommers wölbt sich Marías Bauch - sie ist schwanger. Und zwar nicht von Paul, sondern von ihrem Mann, mit dem sie die unglückliche Ehe fortzusetzen gedenkt. Da hat Treichel seinen Helden wieder in ein literarisch produktives Dilemma bugsiert. Denn zugleich macht María dem schwer verliebten Paul Hoffnungen: "Permanecemos juntos", ruft sie ihm hinterher, als er nach Berlin zurückkehrt: Wir bleiben verbunden. Zwei Worte, die fortan den Treibstoff für die existentielle Warteschleife bilden. Denn jetzt wartet Paul nicht mehr nur aufs Referendariat, sondern auch auf María. Beides zusammen gibt ihm unerschütterliches Vertrauen auf die Zukunft.
So lebt er hin - und der Roman wird zwischenzeitlich zum Plauderkunstwerk. Da geht es unter anderem um entwürdigende Einstellungsgespräche (Paul bemüht sich um eine Stelle als bibliothekarische Hilfskraft), um die "Idyllenkrankheit" vieler Mütter, um die Angst der Alten, zu Anekdotenmaterial für die Jungen zu werden ("Paul wusste auch, dass der Tag kommen würde, an dem er zur bloßen Anekdote für jemand anderen wurde, während es für ihn selbst vielleicht um die Existenz oder gar um sein Leben ging"), um die heruntergekommene Tradition des Nacktbadens im "Bullenwinkel"(so der lauschige Name eines Strandes am Grunewaldsee) oder um den einstmals florierenden Raubdruckverkauf in Kreuzberger Lokalen.
Souverän wechselt der Erzähler zwischen den Zeiten, verflicht so die María-Romanze mit den Berliner Erlebnissen, fügt Gliesmarode-Reminiszenzen ein und gibt eine Menge ebenso kluger wie leichthändiger Reflexionen über Leben, Liebe und Tod hinzu. Aus Demütigungen, Unzulänglichkeiten, Verstörungen gilt es Literatur zu machen. Dies allerdings mit einer Aura der Souveränität, also mit Ironie und Humor. Sie verdanken sich weniger einer den Ereignissen selbst anhaftenden Komik als der Differenz zwischen dem fortgeschrittenen Bewusstsein des erzählenden Arrangeurs und der sympathischen Torenhaftigkeit von Treichels habituell jugendlichem Protagonisten. Und so verläuft am Ende auch das lang erhoffte Wiedersehen mit María so tragikomisch, wie man es von diesem Autor erwarten darf.
"Grunewaldsee" ist vielleicht der beste Roman, den Treichel seit "Der Verlorene" geschrieben hat. Nebenbei ist es auch ein Roman der Wende und des Abschieds vom Berlingefühl. Wie Herr Lehmann ist auch Paul nicht gerade begeistert über den Fall der Mauer. Für den gelernten Berliner war sie ein antiniedersächsischer Schutzwall. "Paul war immer auch ein wenig stolz gewesen, dass er so nah an der Mauer lebte. Am Drama. Am Riss. An der Bruchstelle. Dort, wo es gefährlich war." Die Joggingstrecke mit Blick über Spree und Treptow - statt brisanten Geschichtsgeländes plötzlich nur noch historisch uninteressantes Wohngebiet. Kaum erstaunlich, dass sich Rückkehrsehnsucht in Pauls Seele einschleicht. In Niedersachsen warten ein halbes Haus und eine Stelle als Referendar. Was für eine Versuchung! Am Ende steht Paul wieder am Grunewaldsee. Es riecht nach Frost, das Wasser ist tiefschwarz. Treichels Bücher wären tieftraurig, wenn sie nicht so heiter wären.
WOLFGANG SCHNEIDER.
Hans-Ulrich Treichel: "Grunewaldsee". Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 240 S., geb., 19,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Christoph Schröder atmet auf: Obgleich nostalgisch, ist Hans-Ulrich Treichels Roman aus der Bonner Republik, spielend in Berlin, Kreuzberg, nicht von der Idyllenkrankheit befallen wie etwa die Eltern des Anti-Helden. Dieser, für Schröder eine klassische Treichel-Figur, gibt dem Text seinen strukturell chaotischen Flow. Ein nicht zuletzt vom Eros angetriebener Bewusstseinsstrom, eine "höchst amüsante Assoziationsverkettung", wie Schröder zufrieden feststellt. Die vom Autor laut Rezensent meisterhaft nachgezeichnete Enge und Beschränktheit der 80er wird also etwas aufgelockert. Dafür sorgt, meint Schröder, auch Treichels geschmeidige, "hüpfende" Diktion.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Hans-Ulrich Treichel spürt in Grunewaldsee dem Berlin-Gefühl der achtziger Jahre hinterher. Der heitere und tieftraurige Roman ist sein bester seit langem« Wolfgang Schneider Frankfurter Allgemeine Zeitung 20100318