Andreas Unterweger bringt eine literarisch-musikalische Rube-Goldberg-Maschine in Gang, die aus lauter Sprachspielen, grotesken Einfällen und brillant gebauten Satzgebilden besteht. Läuft sie an, greifen die Elemente passgenau ineinander, manövrieren die Leser durch Welten voller Fantasie und literarischer Kunstfertigkeit.Die sieben Erzählungen sind mit Anspielungen auf Kafka, Burroughs und Kerouac, Nirvana, Oasis und vielen mehr nur so gespickt. Eine Entdeckungsreise auf und zwischen den Zeilen, und auch die durchweg 17-jährigen Figuren erkunden allerhand: das Lebensgefühl in dieser Zeit; den Wahn- und Irrsinn der ersten eigenen Grunge-Band samt WG-Leben in den 1990ern; welch Abgrund sich im Keller einer Diskothek auftut; den ersten Liebeskummer oder wie eine Schar »Meerjungfrauen« in schwindelerregender Weise eine Einzimmerwohnung auf den Kopf stellt.Unterwegers Fabulierkunst kennt keine Genregrenzen: von Coming-of-Age-Elementen bis zu einem knifflig ausgefuchsten Kriminalfall in der Erzählung Elf beherrscht er die gesamte Klaviatur des schriftstellerischen Handwerks.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2018Probe ohne Instrumente
Andreas Unterwegers Erzählband "Grungy Nuts"
Den Buchtitel habe er einem Freund zu verdanken, teilt der Autor in seinem Blog mit: Er war ein Vorschlag für den Namen ihrer gemeinsamen Rockband Anfang der neunziger Jahre. Da er selbst die Musikrichtung "Grunge" damals noch nicht kannte, sei er dagegen gewesen: "Ich kannte nur ,Crunchy Nuts', die Cornflakes. Und mit denen hatte die Musik, die wir machten (genauer gesagt: machen wollten, sprich: besprachen), nichts zu tun." Die etymologische Herleitung von "Grungy Nuts", die Unterweger hier versucht, mündet in das Fazit, man lande "semantisch irgendwo in der Gegend von energiearmen männlichen Sonderlingen in schäbigen T-Shirts und Jeans, die mehr als verrückt nach Nirvana und Co. sind". Das passe zum Glück gut zu den Protagonisten des Buchs. Diese haben außerdem gemeinsam, dass sie allesamt siebzehn Jahre alt sind. Und die Erzählungen umfassen je siebzehn Seiten zu siebzehn Zeilen, deren Anordnung variiert.
Die Schwelle zum Erwachsenwerden, die unordentlichste und unsicherste Phase des Lebens, bekommt also einen strengen formalen Rahmen. Halt finden die jugendlichen Hauptfiguren, die von Geschichte zu Geschichte wiederauftauchen, darin keinen. Sie schlagen sich mit Liebeskummer herum, mit einem abstrusen Kriminalfall, einer Bandgründung und zahlreichen Kellern, die sich untereinander befinden. Oft lässt sie ein Einbruch des Phantastischen in die ohnehin schon spröde Realität, etwa das Auftauchen einer Schar Meerjungfrauen, den Boden unter den Füßen verlieren. Dieses Verfahren kennt man aus den Kurzgeschichten eines Steven Millhauser, Andreas Unterweger jedoch führt es ad absurdum.
Der Autor, 1978 in Graz geboren und seit 2016 Mitherausgeber der renommierten Literaturzeitschrift "manuskripte", macht es sich, der Sprache und seinen Figuren nicht leicht. Ob er die Lyrics eines Nirvana-Songs durch die Übersetzungsmaschine Google Translate jagt oder selbst alle Hebel der Nonsensproduktion in Gang setzt, stets ist er darum bemüht, einfache Vorgänge und Vorhaben möglichst kompliziert und verschachtelt darzustellen. Selbst wenn gar nichts geschehen ist, wie es die Geschichte "Diving Deep" behauptet: "Es war keinmal." Unterweger exerziert dieses vermeintliche Nichtereignis durch, das niemand beobachtet, geschweige denn offiziell protokolliert hat, um der Logik ein Schnippchen zu schlagen: "Niemand, der dort war, kann sich an nichts, was dort passiert sein könnte (und nichts war passiert!) erinnern. Nie und nimmer."
Das Sprachspiel führt in die Groteske, und die Groteske mündet in das Sprachspiel oder in die verknotete Satzgirlande. So steht auch die Bandgründung, um die es in der Titelgeschichte von "Grungy Nuts" geht, unter keinem guten Stern. Allein die geplante Besetzung und Instrumentierung verdeutlicht, dass dieser Amateurtruppe kein langfristiger Erfolg beschieden sein wird: "Hans war der Frontmann (Vocals, Flaschen), Gomo saß rechts von ihm (Bongs, Wasserpfeife), Long Dong dahinter (Chips, Dips, Burger), und ich: war der Roadie."
Man probt eifrig und wohnt zusammen, wobei zwischen Proben und Pausen kaum ein Unterschied auszumachen ist. Was zählt, ist die Idee, die Aufbruchsstimmung, die Romantik des Daseins im Untergrund. Eine Erinnerung an das, was hätte sein können. Denn wer wäre als Heranwachsender in den neunziger Jahren nicht gern Teil einer Jugendbewegung gewesen? Auch wenn er zu spät dran ist: "Als wir 17 waren, war die Musik schon tot." John Lennon und Jim Morrison sowieso, aber selbst Nirvana hörten Unterwegers Figuren erst, als Kurt Cobain sich bereits das Leben genommen hatte. Paul McCartney, Keith Richards und Axl Rose dagegen gelten ihnen als Untote. Musik ist für sie demnach etwas, was nur Tote machen. Und nach Nirvana sei laut Hans, Adornos berühmtes Diktum durch den Wolf drehend, kein Song mehr möglich.
Wer in den Erzählungen von "Grungy Nuts" auf eine geradlinige, nachvollziehbare Handlung hofft, wird ratlos zurückbleiben. So nämlich, "ratlos", heißt übrigens die Rockkapelle, in der Unterweger als Sänger und Gitarrist zu Werke geht. Sie befindet sich derzeit "auf Papapause", wie es auf ihrer Homepage heißt. Nicht alles, was man sich nur vornimmt, bequatscht und ausschmückt, versandet also im Nichts. Und wenn jemand behauptet, es sei nichts passiert, ist das meist nur die halbe Wahrheit. In "Grungy Nuts" passiert eine Menge; es ist allerdings schwierig, den Überblick zu behalten. Könnte sein, dass auch die Verwirrung eine Strategie ist, um zur Erkenntnis zu gelangen.
ALEXANDER MÜLLER
Andreas Unterweger: "Grungy Nuts".
Erzählungen.
Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2018. 158 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Andreas Unterwegers Erzählband "Grungy Nuts"
Den Buchtitel habe er einem Freund zu verdanken, teilt der Autor in seinem Blog mit: Er war ein Vorschlag für den Namen ihrer gemeinsamen Rockband Anfang der neunziger Jahre. Da er selbst die Musikrichtung "Grunge" damals noch nicht kannte, sei er dagegen gewesen: "Ich kannte nur ,Crunchy Nuts', die Cornflakes. Und mit denen hatte die Musik, die wir machten (genauer gesagt: machen wollten, sprich: besprachen), nichts zu tun." Die etymologische Herleitung von "Grungy Nuts", die Unterweger hier versucht, mündet in das Fazit, man lande "semantisch irgendwo in der Gegend von energiearmen männlichen Sonderlingen in schäbigen T-Shirts und Jeans, die mehr als verrückt nach Nirvana und Co. sind". Das passe zum Glück gut zu den Protagonisten des Buchs. Diese haben außerdem gemeinsam, dass sie allesamt siebzehn Jahre alt sind. Und die Erzählungen umfassen je siebzehn Seiten zu siebzehn Zeilen, deren Anordnung variiert.
Die Schwelle zum Erwachsenwerden, die unordentlichste und unsicherste Phase des Lebens, bekommt also einen strengen formalen Rahmen. Halt finden die jugendlichen Hauptfiguren, die von Geschichte zu Geschichte wiederauftauchen, darin keinen. Sie schlagen sich mit Liebeskummer herum, mit einem abstrusen Kriminalfall, einer Bandgründung und zahlreichen Kellern, die sich untereinander befinden. Oft lässt sie ein Einbruch des Phantastischen in die ohnehin schon spröde Realität, etwa das Auftauchen einer Schar Meerjungfrauen, den Boden unter den Füßen verlieren. Dieses Verfahren kennt man aus den Kurzgeschichten eines Steven Millhauser, Andreas Unterweger jedoch führt es ad absurdum.
Der Autor, 1978 in Graz geboren und seit 2016 Mitherausgeber der renommierten Literaturzeitschrift "manuskripte", macht es sich, der Sprache und seinen Figuren nicht leicht. Ob er die Lyrics eines Nirvana-Songs durch die Übersetzungsmaschine Google Translate jagt oder selbst alle Hebel der Nonsensproduktion in Gang setzt, stets ist er darum bemüht, einfache Vorgänge und Vorhaben möglichst kompliziert und verschachtelt darzustellen. Selbst wenn gar nichts geschehen ist, wie es die Geschichte "Diving Deep" behauptet: "Es war keinmal." Unterweger exerziert dieses vermeintliche Nichtereignis durch, das niemand beobachtet, geschweige denn offiziell protokolliert hat, um der Logik ein Schnippchen zu schlagen: "Niemand, der dort war, kann sich an nichts, was dort passiert sein könnte (und nichts war passiert!) erinnern. Nie und nimmer."
Das Sprachspiel führt in die Groteske, und die Groteske mündet in das Sprachspiel oder in die verknotete Satzgirlande. So steht auch die Bandgründung, um die es in der Titelgeschichte von "Grungy Nuts" geht, unter keinem guten Stern. Allein die geplante Besetzung und Instrumentierung verdeutlicht, dass dieser Amateurtruppe kein langfristiger Erfolg beschieden sein wird: "Hans war der Frontmann (Vocals, Flaschen), Gomo saß rechts von ihm (Bongs, Wasserpfeife), Long Dong dahinter (Chips, Dips, Burger), und ich: war der Roadie."
Man probt eifrig und wohnt zusammen, wobei zwischen Proben und Pausen kaum ein Unterschied auszumachen ist. Was zählt, ist die Idee, die Aufbruchsstimmung, die Romantik des Daseins im Untergrund. Eine Erinnerung an das, was hätte sein können. Denn wer wäre als Heranwachsender in den neunziger Jahren nicht gern Teil einer Jugendbewegung gewesen? Auch wenn er zu spät dran ist: "Als wir 17 waren, war die Musik schon tot." John Lennon und Jim Morrison sowieso, aber selbst Nirvana hörten Unterwegers Figuren erst, als Kurt Cobain sich bereits das Leben genommen hatte. Paul McCartney, Keith Richards und Axl Rose dagegen gelten ihnen als Untote. Musik ist für sie demnach etwas, was nur Tote machen. Und nach Nirvana sei laut Hans, Adornos berühmtes Diktum durch den Wolf drehend, kein Song mehr möglich.
Wer in den Erzählungen von "Grungy Nuts" auf eine geradlinige, nachvollziehbare Handlung hofft, wird ratlos zurückbleiben. So nämlich, "ratlos", heißt übrigens die Rockkapelle, in der Unterweger als Sänger und Gitarrist zu Werke geht. Sie befindet sich derzeit "auf Papapause", wie es auf ihrer Homepage heißt. Nicht alles, was man sich nur vornimmt, bequatscht und ausschmückt, versandet also im Nichts. Und wenn jemand behauptet, es sei nichts passiert, ist das meist nur die halbe Wahrheit. In "Grungy Nuts" passiert eine Menge; es ist allerdings schwierig, den Überblick zu behalten. Könnte sein, dass auch die Verwirrung eine Strategie ist, um zur Erkenntnis zu gelangen.
ALEXANDER MÜLLER
Andreas Unterweger: "Grungy Nuts".
Erzählungen.
Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2018. 158 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Alexander Müller geht verwirrt aus der Lektüre der Erzählungen von Andreas Unterweger hervor. Das ist nicht unbedingt schlecht, meint er selbst. Erkenntnis sei auch so möglich. Also hangelt er sich von Text zu Text, um die Adoleszenzgeschichte von ein paar Jugendlichen Freizeitmusikern zu entschlüsseln nach Liebeskummer, Kriminalgeschichten und anderen Katastrophen. Das macht Laune, versichert Müller, denn der Autor sagt alles möglichst kompliziert und bis ins Groteske verspielt. Wer auf geradlinige Handlung hofft, sei von Müller allerdings gewarnt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Hier zaubert ein Magier auf der poetischen Stromgitarre, vielstimmig ist der Sound.« (Werner Krause, Kleine Zeitung) »Unterweger hat ein witziges, sprachverliebtes Buch vorgelegt.« (Angelika Grabher-Hollenstein, APA) »Ein literarisches Konzeptalbum, dessen visuelle Prosapoesie ebenso zugänglich, eingängig und vom Geist der Teenage Rebellion durchzogen ist wie die besten Songs der Rockgeschichte.« (Gerald Lind, literaturhaus.at) »anekdotenhaft, experimentell, assoziativ ... komisch« (WAZ) »Andreas Unterweger zündet den allesamt siebzehnjährigen Helden seines Erzählbandes ein Feuerwerk aus Fantasie, Farben und Formen.« (Alte Schmiede, Wien) »Nicht nur ordnungsliebende Bibliothekare flippen bei diesen Texten aus, jeder, der an ein triviales Besteck gewöhnt ist, wird staunen, wie umfangreich und ordentlich ein Erzählbesteck sein kann.« (Helmuth Schönauer, schoenauer-literatur.com)