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Das frühe Meisterwerk des niederländischen-Bestseller-Autors - erstmals auf Deutsch
Menschen, die nichts werden können, müssen das werden, was sie spielen. Für den jungen François Lepeltier, der hier scheinbar unbedarft seine Lebensgeschichte ausbreitet, ist das die Essenz des Überlebens. Von der Mutter, einem Zimmermädchen mit kleptomanischen Anwandlungen, wird François in der Pension Sonnenhügel in Baden-Baden aufgezogen. In Stuttgart gibt er sich als Zahnarzt aus, bevor er als Portier und Skilehrer reüssiert - Etappen auf dem Weg zum Gipfel seiner Karriere: François wird Sommelier im…mehr

Produktbeschreibung
Das frühe Meisterwerk des niederländischen-Bestseller-Autors - erstmals auf Deutsch

Menschen, die nichts werden können, müssen das werden, was sie spielen. Für den jungen François Lepeltier, der hier scheinbar unbedarft seine Lebensgeschichte ausbreitet, ist das die Essenz des Überlebens. Von der Mutter, einem Zimmermädchen mit kleptomanischen Anwandlungen, wird François in der Pension Sonnenhügel in Baden-Baden aufgezogen. In Stuttgart gibt er sich als Zahnarzt aus, bevor er als Portier und Skilehrer reüssiert - Etappen auf dem Weg zum Gipfel seiner Karriere: François wird Sommelier im noblen Palace Hotel, hoch oben in den Bergen von Gstaad in der Schweiz. Doch wer so hoch aufgestiegen ist, der kann nur fallen. Im Gewand eines Schelmenromans wirft Arnon Grünberg einen tiefen Blick in menschliche Abgründe. Entstanden ist ein rabenschwarzer, sarkastischer Roman, der seine Leser abwechselnd lachen und schaudern lässt.

»Ein Buch wie ein Beil. Nach der Lektüre spürt der Leser in sich einen unermesslichen, gähnenden Abgrund.« NRC Handelsblad

»Voll grimmiger Komik und Unerbittlichkeit« The New York Times
Autorenporträt
Arnon Grünberg, geboren 1971 in Amsterdam, wohnt in New York und Amsterdam. Seine Bücher wurden mit allen großen niederländischen Literaturpreisen ausgezeichnet, zuletzt (2022) erhielt er den mit 100.000 Euro dotierten Johannes Vermeer Preis. Neben seinen literarischen Arbeiten schreibt Arnon Grünberg für internationale Zeitungen und Magazine. 2016 hielt er die Eröffnungsrede auf der Frankfurter Buchmesse zum Gastlandauftritt der Niederlande und Flandern. Sein Werk erscheint weltweit in 27 Sprachen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2023

Groteske Vorstellung von Güte

Als hätte Sigmund Freud das Exposé zu diesem Buch geschrieben: Arnon Grünbergs früher Roman "Gstaad" über einen Hochstapler erscheint erstmals auf Deutsch.

Gstaad 95-98" hieß der Roman, den Arnon Grünberg 2002 in den Niederlanden veröffentlichte. Er publizierte ihn unter dem Pseudonym Marek van der Jagt. Nun ist der Text in Übersetzung von Rainer Kersten in der "Anderen Bibliothek" auch auf Deutsch erschienen, unter Wegfall der Zahlen im Titel. Das Buch ist in Episoden gegliedert; die letzte ist im Palace Hotel von Gstaad angesiedelt, wo ein gewisser François Lepeltier unter dem Namen Bruno Ritter ein zehnjähriges Mädchen ermordet, in das er sich verliebt hat. Anklänge an "Lolita" von Vladimir Nabokov sind deutlich: Der russisch-amerikanische Autor verbrachte seine letzten Lebensjahre in der Nähe des Schauplatzes von Grünbergs Text, im schweizerischen Hotel Montreux Palace.

"Gstaad" ist ein Schelmenroman, der im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts spielt und das Leben von François Lepeltier von dessen Geburt bis zu seiner Verhaftung beschreibt. Erzählt wird aus der Perspektive des Protagonisten, gelegentlich findet ein Wechsel in die dritte Person statt. Im Gegensatz zur "Blechtrommel" von Günter Grass oder den "Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull" von Thomas Mann verwendet Grünberg eine einfach strukturierte Sprache, die der mündlichen Rede nahesteht.

Lepeltier ist ein ungewolltes Kind; Abtreibung und Adoption werden zu Anfang des Buches thematisiert. Seine Aufzeichnungen nennt er einen "Katalog notwendiger Sünden". Seine Mutter Mathilde ist Zimmermädchen in einem Heidelberger Hotel, wo sie eine Affäre mit einem französischen Gast hat, der drei Wochen vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes an Krebs stirbt. Mit ihrem Kind wechselt Mathilde im Laufe der Erzählung die Arbeitsplätze, zieht nach Baden-Baden, Stuttgart und schließlich in die Schweiz. Diese Fluchtbewegungen hängen mit ihrem kriminellen Verhalten zusammen, sie bestiehlt unter anderem die Hotelgäste.

Ähnlich wie Till Eulenspiegel hat der Erzähler des Romans die Neigung, metaphorische Ausdrücke wörtlich zu nehmen. Zentral im Buch ist die Redewendung, dass jemand vor dem Leben davonläuft. Lepeltier versteht sich als "Bewacher" der Menschen. So kümmert er sich um das Kind einer suizidgefährdeten Frau in der Baden-Badener Pension "Sonnenhügel", die sich aber mit einer Überdosis Tabletten in der Badewanne das Leben nimmt. In Heidelberg wurde Mathilde von dem Hotelbesitzer zum Sex gezwungen; er wollte sie bestrafen, weil sie geklaut hat. Das Kind nimmt diesen gewaltsamen Geschlechtsakt wahr und deutet die Szene zu einem musikalischen Ereignis um. "Zum ersten Mal in meinem jungen Leben wurde ich mir der Freundlichkeit dieser Welt bewusst", heißt es im Text. Die Formulierung, dass der Hotelier "sie auch viel schlimmer hätte bestrafen können", legt nahe, dass Lepeltier auch noch schrecklichere Aspekte der Wirklichkeit realisiert.

Die Vorstellung von der "Güte der Menschen", die das Buch durchzieht, hängt mit Zitaten und Paraphrasen aus der Bibel zusammen. Grünbergs Roman ist ein groteskes Buch, weil die sozialen Differenzen oft im Sinne der christlichen Nächstenliebe gedeutet werden. So verwendet der Erzähler den Ausdruck "Erbarmen" für den Geschlechtsverkehr, als wäre Mitleid das zentrale Motiv für Sex. Innerhalb der grotesken Erzählweise ist schwarzer Humor für "Gstaad" charakteristisch. Diese dunkle Seite der Komik hängt bei Grünberg vor allem mit der frühkindlichen Sexualität zusammen. Sigmund Freud hätte das Exposé zu diesem Buch schreiben können. Der Junge ist analfixiert. Seine Mutter säubert er mit dem Mund, nachdem sie uriniert hat. Diese Welt des Ekels korrespondiert mit dem Ausdruck "unappetitlich", der im Buch häufiger auftaucht.

Grünberg hat in die simple Konstruktion der Handlung Szenen eingebaut, die in Erinnerung bleiben. "Gstaad" ist ein Buch über fehlgeleitete libidinöse Energien. Die Themen Perversion und Fetisch werden aus der Perspektive des Protagonisten geschildert, der die Ereignisse zu den "notwendigen Sünden" rechnet. Was Grünberg berichtet, geht aber über den Charakter der Provokation hinaus; die psychologischen Motive hinter den Ereignissen sind erkenntnisreich. Sie schlüsseln den Lebenslauf des Subjekts auf. Der Anus besitzt für Lepeltier einen religiösen Charakter. Er ist für ihn das Zentrum der menschlichen Existenz. Er fügt sich Schmerzen zu, um die Beschwerden anderer Menschen zu verstehen. Eine entsprechende Episode in der Pension "Sonnenhügel" gehört zu den gelungensten Passagen im Buch. Grünberg hätte den Band auch "Baden-Baden" nennen können.

In Stuttgart leben Mutter und Kind als Herr und Frau Kühler zusammen. Der hochstaplerische Sohn ist dort als Zahnarzt tätig, in erster Linie für Patienten, die keine Krankenversicherung besitzen und sich illegal in Deutschland aufhalten. Komik entsteht hier aus der naiven Unkenntnis, mit der sich der angebliche Zahnarzt anfangs seiner Aufgabe widmet. Er zählt und putzt die Zähne seiner Patienten, gibt ihnen Schmerztabletten: "Ich war völlig zu der Person geworden, die ich zunächst nur gespielt hatte. Das ist der Kern allen Glücks. Wer nichts werden kann, muss werden, was er spielt." THOMAS COMBRINK

Arnon Grünberg: "Gstaad". Roman.

Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten. Die Andere Bibliothek, Berlin 2023. 336 S., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Bis 2023 traute sich kein deutscher Verlag an diesen grotesken und schamlosen Schelmenroman heran, der Leser und Leserinnen gruseln und amüsieren wird. In seiner Reihe "Die andere Bibliothek" hochwertiger Bücher hat der Aufbau Verlag nun das Experiment gewagt.« Andrea Zuleger Aachener Zeitung 20231217

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einen freudianischen Schelmenroman findet Kritiker Thomas Combrink bei Arnon Grünberg vor: Der Protagonist Francois Lepeltier ist das ungewollte Produkt einer Affäre zwischen Zimmermädchen und Hotelgast, die kriminelle Energie, sich als Hochstapler zu betätigen, scheint er von seiner Mutter geerbt zu haben. "Fehlgeleitete libidinöse Energien", die er auf seine Mutter richtet, kommen ebenso vor. Ebenso werden soziale Unterschiede in grotesker Komik als "christliche Nächstenliebe" interpretiert, erfahren wir (der biblische Begriff 'Erbarmen' beispielsweise mit Sex in Verbindung gebracht), so Combrink. Fetische und Ekel hervorrufende Sexualerlebnisse gehören hier zum "Zentrum der menschlichen Existenz", so Combrink. Die dargestellten Perversionen gingen über die reine Provokation hinaus, sondern klärten über den "Lebenslauf des Subjekts" auf.

© Perlentaucher Medien GmbH