Vierundzwanzig Stunden, die alles im Leben des jungen Rasa verändern: In einem namenlosen Land im Nahen Osten erschüttern gewaltsame Proteste die politische Ordnung. Der Arabische Frühling steht am Scheideweg zwischen Militärdiktatur und islamischem Regime. Und auch Rasas Welt gerät völlig aus den Fugen. Auf der Suche nach seinem besten Freund, der in den Gefängnissen der Machthaber gefoltert wird, streift er durch die Slums seiner Stadt. Nach Hause zu gehen wagt er nicht, denn seine Großmutter hat sein unaussprechliches Geheimnis entdeckt. Während die wichtigsten Beziehungen in seinem Leben zu zerbrechen drohen, muss Rasa seinen Platz in einer Gesellschaft finden, die ihn vielleicht niemals akzeptieren wird.Schonungslos und ergreifend erzählt Saleem Haddad in seinem Debütroman von einer unmöglichen Liebe in Zeiten radikaler Umbrüche.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Mit Proust verglichen zu werden, davon träumt wohl jeder Debütant, Rezensent Stefan Hochgesand erweist Saleem Haddad die Ehre. Hochgesand hat mit dem arabischen Autor und Aktivisten über Queerness im arabischen Raum, über den arabischen Frühling, politisches Engagement und seinen Roman "Guapa" gesprochen. Gemeinsam mit dem Protagonisten durchlebt der Leser einen Tag und in diesem Tag ein ganzes Leben, lesen wir bei Hochgesand, denn die Vergangenheit ist nie vergangen, sondern "die Wurzel des Haderns in der Gegenwart". Geschickt platziere Haddad Erinnerungen und Exkurse, wodurch einem der Protagonist nähergebracht, sein Hadern verständlich gemacht und die Spannung erhöht wird, lobt der Rezensent. Ein, wie er findet, berührender, aufwühlender, mitreißender Roman.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.05.2017Die wortlose
Liebe
Saleem Haddad erzählt in seinem Roman „Guapa“
vom Leben eines jungen, arabischen Schwulen
VON JONATHAN FISCHER
Rasa braucht die Guapa-Bar wie ein Gefangener den Freigang. Dem jungen Übersetzer liefert die Großstadtkaschemme einen jener kleinen Freiräume, die das Leben in einer arabischen Diktatur erträglich machen. Hier treffen sich Rasa und seine Freunde, hier planen sie bei einigen kühlen Bieren die nächsten Schritte einer ins Stocken geratenen Revolution, hier lamentieren sie über die Willkür von Polizei und Staat – während im Keller Dragqueens posieren und westliche Touristen nach willigen Jungs Ausschau halten. Das Guapa scheint all die Kräfte zu bündeln, die den Ich-Erzähler Rasa in seinem Inneren zu zerreißen drohen. Nirgends sonst kann er sich entspannen. Nirgends sonst darf er zu seinen widersprüchlichen Identitäten stehen: arabisch, westlich gebildet, gesellschaftskritisch – und ja, schwul.
„Guapa“, der Debütroman des in London lebenden arabischen Autors Saleem Haddad, spielt während des Arabischen Frühlings 2011. Er beschreibt nur einen Tag im Leben Rasas. Aber diese 24 Stunden reichen aus, um das politische Schicksal einer ganzen Generation junger Araber sichtbar zu machen. Rasa ist voller Hoffnung von seinem Studium aus Amerika zurückgekehrt. Mit ein paar Freunden betreibt er ein Übersetzungsbüro in einer arabischen Großstadt, die Kairo, Amman oder auch Damaskus heißen könnte. Westliche Journalisten sind ihre Kunden. Doch die Revolution hat den Falschen in die Hände gespielt, sie scheint sich immer weiter von Rasas Idealen zu entfernen.
Und dann ist da noch seine Großmutter. Teta, in deren Haus Rasa lebt und deren Macht als einzig verbliebenes Familienmitglied so durchdringend und gnadenlos zu sein scheint wie die des Präsidenten, dessen Blick, „einen Schicht für Schicht entblößt, bis man ganz nackt und hilflos ist“, hatte Rasa gelehrt, die Welt durch ihre traditionelle Brille zu sehen. Aber diese Welt ist an diesem Morgen zersprungen. Denn Teta hat durch das Schlüsselloch geschaut. Sie hat Rasas sorgsam gehütetes Geheimnis entdeckt – seine leidenschaftliche Beziehung zu seinem Freund Taymour. Tetas Geschrei, ihre Andeutungen, sie sind für Rasa kaum zu ertragen.
Die größte Triebkraft der Handlung ist die Scham, „Eib“. Dieser schillernde arabische Begriff appelliert – anders als das für religiöse Verbote stehende haram – an das Dekorum, die soziale Verpflichtung des Einzelnen. Eib verleiht Rasas Ringen eine Dramatik, mit der es keine Coming-out-Geschichte in einer westlich-liberalen Gesellschaft aufnehmen kann. Eib schneidet Rasa von der Liebe und Freiheit ab, Eib entfremdet ihn seiner eigenen Familie. Wegen Eib zieht sich Taymour, der versucht, „nach den Regeln zu spielen, einen Fuß drinnen und einen draußen“, von Rasa zurück, der mit seiner Sehnsucht allein bleibt und auf dem Handy Liebesbriefe schreibt, die wie Selbstgespräche klingen.
Rasa tanzt das ganze Buch hindurch einen Tanz um die eigene Scham. Den Gegenpol zu Taymours Haltung bildet sein alter Schulfreund Maj. Dieser wird – als bekennender Schwuler und Menschenrechtsaktivist – nach einer Razzia in einem Schwulen-Kino inhaftiert. Maj, der als Dragqueen mit Marilyn-Monroe-bedrucktem Niqab auftritt, die Zumutungen der Hetero-Normalität zurückweist und westliche exotisierende Zuschreibungen demaskiert, verkörpert die Hoffnung auf ein anderes Leben. Rasas Bemühen, den Freund aus dem Gefängnis zu holen, ist auch ein Kampf um seine eigene Würde. Und dann spielt da noch ein anderes, ziemlich eigenständiges Motiv mit: das Ringen um die richtigen Worte. Rasa erinnert sich an ein Erweckungserlebnis als Teenager. Nachdem sich sein Idol, der amerikanische Popstar George Michael, öffentlich zu seinem Schwulsein bekannte, wollte Rasa es ihm gleichtun, stand stundenlang vor dem Spiegel und formte Worte, suchte nach einem passenden arabischen Begriff für seine sexuelle Orientierung. Aber keiner passte.
So liest sich „Guapa“ auch als Geschichte einer quälenden Desillusionierung. In einer der stärksten Szenen des Buches begleitet Rasa eine amerikanische Journalistin zu Ahmed, einem Islamistenführer. Rasa soll eigentlich nur dolmetschen. Aber dann entwickeln Ahmeds Reden eine ungeahnte Anziehung auf den jungen Landsmann. Der islamistische Visionär will einen neuen Staat rund um Moscheen statt um Klassengrenzen bauen, und er will seinen bei Protesten umgekommenen Sohn rächen: „Wir werden das gesamte Land brennen lassen, damit sein Tod nicht umsonst war.“ Diese Klarheit der Position und „Authentizität“ vermisst Rasa in seinem eigenen Leben. „Wie kann ich ihnen erklären, dass ich wie sie ein Unverstandener bin, vom Regime und den Medien verteufelt?“Aber mit ihrer Solidarität, das ahnt Rasa, kann er als schwuler, westlich orientierter Mann nicht rechnen.
In solchen Momenten liegen die Parallelen zur Biografie des Autors offen, nicht vom Plot her, sondern im Blick auf die inneren Konflikte. Das Gefühl, nirgends dazuzugehören, kennt Saleem Haddad nur zu gut. Er wurde in Kuwait als Sohn einer irakisch-deutschen Mutter und eines libanesisch-palästinensischen Vaters geboren, wuchs als Christ in einer überwiegend muslimischen Gesellschaft auf, hatte sein eigenes traumatisches Coming-out und lebt heute mit seinem Lebenspartner in London. In den Jahren von 2011 bis 2014, als dieser Roman entstand, arbeitete er unter anderem für Medecins Sans Frontières in verschiedenen Ländern des Nahen Ostens. Haddad erlebte dort die Post-Depression des Arabischen Frühlings, aber in „Guapa“ bleibt jeder Zynismus außen vor.
Vielmehr nimmt einen der leidenschaftliche, humorvolle Ton des Buches gefangen. Als „Liebesbrief an die arabische Welt“ hat Haddad seine Geschichte bezeichnet. Denn der Plot hat mehr als einen Twist. Während seiner Studienzeit in Amerika kurz nach 9/11 fühlt Rasas sich erstmals als Araber und zitiert Amin Maalouf: „Wir identifizieren uns mit dem Aspekt unserer Persönlichkeit, der am meisten bedroht ist.“ Und hat Eib nicht auch seine guten Seiten? In Amerika entdeckt Rasa, wie der soziale Kontrakt eben auch Gemeinschaft, Respekt und Vertrauen schafft. Saleem Haddad löst die Ambivalenz zum Glück nicht auf. „Die Scham“, sagt er, „ist offen für Subversion. Ich wollte erforschen, wie die Menschen damit spielen können.“
Saleem Haddad: Guapa. Roman. Aus dem Englischen von Andreas Diesel. Albino Verlag, Berlin 2017. 392 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 9,99 Euro.
Die Großmutter schaut durch
das Schlüsselloch und entdeckt
das sorgsam gehütete Geheimnis
Der Autor hat die Post-Depression
des Arabischen Frühlings erlebt,
aber jeder Zynismus ist ihm fremd
„Mein Buch ist eine Liebeserklärung an die arabische Welt“: Saleem Haddad mit seinem Roman „Guapa“ im April 2016 in New York. Foto: imago stock&people
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Liebe
Saleem Haddad erzählt in seinem Roman „Guapa“
vom Leben eines jungen, arabischen Schwulen
VON JONATHAN FISCHER
Rasa braucht die Guapa-Bar wie ein Gefangener den Freigang. Dem jungen Übersetzer liefert die Großstadtkaschemme einen jener kleinen Freiräume, die das Leben in einer arabischen Diktatur erträglich machen. Hier treffen sich Rasa und seine Freunde, hier planen sie bei einigen kühlen Bieren die nächsten Schritte einer ins Stocken geratenen Revolution, hier lamentieren sie über die Willkür von Polizei und Staat – während im Keller Dragqueens posieren und westliche Touristen nach willigen Jungs Ausschau halten. Das Guapa scheint all die Kräfte zu bündeln, die den Ich-Erzähler Rasa in seinem Inneren zu zerreißen drohen. Nirgends sonst kann er sich entspannen. Nirgends sonst darf er zu seinen widersprüchlichen Identitäten stehen: arabisch, westlich gebildet, gesellschaftskritisch – und ja, schwul.
„Guapa“, der Debütroman des in London lebenden arabischen Autors Saleem Haddad, spielt während des Arabischen Frühlings 2011. Er beschreibt nur einen Tag im Leben Rasas. Aber diese 24 Stunden reichen aus, um das politische Schicksal einer ganzen Generation junger Araber sichtbar zu machen. Rasa ist voller Hoffnung von seinem Studium aus Amerika zurückgekehrt. Mit ein paar Freunden betreibt er ein Übersetzungsbüro in einer arabischen Großstadt, die Kairo, Amman oder auch Damaskus heißen könnte. Westliche Journalisten sind ihre Kunden. Doch die Revolution hat den Falschen in die Hände gespielt, sie scheint sich immer weiter von Rasas Idealen zu entfernen.
Und dann ist da noch seine Großmutter. Teta, in deren Haus Rasa lebt und deren Macht als einzig verbliebenes Familienmitglied so durchdringend und gnadenlos zu sein scheint wie die des Präsidenten, dessen Blick, „einen Schicht für Schicht entblößt, bis man ganz nackt und hilflos ist“, hatte Rasa gelehrt, die Welt durch ihre traditionelle Brille zu sehen. Aber diese Welt ist an diesem Morgen zersprungen. Denn Teta hat durch das Schlüsselloch geschaut. Sie hat Rasas sorgsam gehütetes Geheimnis entdeckt – seine leidenschaftliche Beziehung zu seinem Freund Taymour. Tetas Geschrei, ihre Andeutungen, sie sind für Rasa kaum zu ertragen.
Die größte Triebkraft der Handlung ist die Scham, „Eib“. Dieser schillernde arabische Begriff appelliert – anders als das für religiöse Verbote stehende haram – an das Dekorum, die soziale Verpflichtung des Einzelnen. Eib verleiht Rasas Ringen eine Dramatik, mit der es keine Coming-out-Geschichte in einer westlich-liberalen Gesellschaft aufnehmen kann. Eib schneidet Rasa von der Liebe und Freiheit ab, Eib entfremdet ihn seiner eigenen Familie. Wegen Eib zieht sich Taymour, der versucht, „nach den Regeln zu spielen, einen Fuß drinnen und einen draußen“, von Rasa zurück, der mit seiner Sehnsucht allein bleibt und auf dem Handy Liebesbriefe schreibt, die wie Selbstgespräche klingen.
Rasa tanzt das ganze Buch hindurch einen Tanz um die eigene Scham. Den Gegenpol zu Taymours Haltung bildet sein alter Schulfreund Maj. Dieser wird – als bekennender Schwuler und Menschenrechtsaktivist – nach einer Razzia in einem Schwulen-Kino inhaftiert. Maj, der als Dragqueen mit Marilyn-Monroe-bedrucktem Niqab auftritt, die Zumutungen der Hetero-Normalität zurückweist und westliche exotisierende Zuschreibungen demaskiert, verkörpert die Hoffnung auf ein anderes Leben. Rasas Bemühen, den Freund aus dem Gefängnis zu holen, ist auch ein Kampf um seine eigene Würde. Und dann spielt da noch ein anderes, ziemlich eigenständiges Motiv mit: das Ringen um die richtigen Worte. Rasa erinnert sich an ein Erweckungserlebnis als Teenager. Nachdem sich sein Idol, der amerikanische Popstar George Michael, öffentlich zu seinem Schwulsein bekannte, wollte Rasa es ihm gleichtun, stand stundenlang vor dem Spiegel und formte Worte, suchte nach einem passenden arabischen Begriff für seine sexuelle Orientierung. Aber keiner passte.
So liest sich „Guapa“ auch als Geschichte einer quälenden Desillusionierung. In einer der stärksten Szenen des Buches begleitet Rasa eine amerikanische Journalistin zu Ahmed, einem Islamistenführer. Rasa soll eigentlich nur dolmetschen. Aber dann entwickeln Ahmeds Reden eine ungeahnte Anziehung auf den jungen Landsmann. Der islamistische Visionär will einen neuen Staat rund um Moscheen statt um Klassengrenzen bauen, und er will seinen bei Protesten umgekommenen Sohn rächen: „Wir werden das gesamte Land brennen lassen, damit sein Tod nicht umsonst war.“ Diese Klarheit der Position und „Authentizität“ vermisst Rasa in seinem eigenen Leben. „Wie kann ich ihnen erklären, dass ich wie sie ein Unverstandener bin, vom Regime und den Medien verteufelt?“Aber mit ihrer Solidarität, das ahnt Rasa, kann er als schwuler, westlich orientierter Mann nicht rechnen.
In solchen Momenten liegen die Parallelen zur Biografie des Autors offen, nicht vom Plot her, sondern im Blick auf die inneren Konflikte. Das Gefühl, nirgends dazuzugehören, kennt Saleem Haddad nur zu gut. Er wurde in Kuwait als Sohn einer irakisch-deutschen Mutter und eines libanesisch-palästinensischen Vaters geboren, wuchs als Christ in einer überwiegend muslimischen Gesellschaft auf, hatte sein eigenes traumatisches Coming-out und lebt heute mit seinem Lebenspartner in London. In den Jahren von 2011 bis 2014, als dieser Roman entstand, arbeitete er unter anderem für Medecins Sans Frontières in verschiedenen Ländern des Nahen Ostens. Haddad erlebte dort die Post-Depression des Arabischen Frühlings, aber in „Guapa“ bleibt jeder Zynismus außen vor.
Vielmehr nimmt einen der leidenschaftliche, humorvolle Ton des Buches gefangen. Als „Liebesbrief an die arabische Welt“ hat Haddad seine Geschichte bezeichnet. Denn der Plot hat mehr als einen Twist. Während seiner Studienzeit in Amerika kurz nach 9/11 fühlt Rasas sich erstmals als Araber und zitiert Amin Maalouf: „Wir identifizieren uns mit dem Aspekt unserer Persönlichkeit, der am meisten bedroht ist.“ Und hat Eib nicht auch seine guten Seiten? In Amerika entdeckt Rasa, wie der soziale Kontrakt eben auch Gemeinschaft, Respekt und Vertrauen schafft. Saleem Haddad löst die Ambivalenz zum Glück nicht auf. „Die Scham“, sagt er, „ist offen für Subversion. Ich wollte erforschen, wie die Menschen damit spielen können.“
Saleem Haddad: Guapa. Roman. Aus dem Englischen von Andreas Diesel. Albino Verlag, Berlin 2017. 392 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 9,99 Euro.
Die Großmutter schaut durch
das Schlüsselloch und entdeckt
das sorgsam gehütete Geheimnis
Der Autor hat die Post-Depression
des Arabischen Frühlings erlebt,
aber jeder Zynismus ist ihm fremd
„Mein Buch ist eine Liebeserklärung an die arabische Welt“: Saleem Haddad mit seinem Roman „Guapa“ im April 2016 in New York. Foto: imago stock&people
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2017Dieses frappierende Unzugehörigkeitsgefühl
Saleem Haddads Roman "Guapa" erzählt vom Schicksal eines Homosexuellen in der arabischen Welt
Es ist heiß, die Straßen sind staubig und der Verkehr chaotisch. Die Elite wohnt in grünen Vorstadtvillen, die Masse in Slums. Es könnte sich um ein nur leicht verfremdetes Kairo handeln, aber auch um eine Zusammenfügung verschiedener arabischer Städte und Länder: Das Romandebüt "Guapa" von Saleem Haddad erzählt von 24 Stunden im Leben eines jungen Arabers in einem unbenannt bleibenden Land, in dem eine Diktatur einen demokratischen Aufstand zurückgedrängt hat und ihre Führungsrolle mit dem Kampf gegen die Islamisten begründet. Diese wiederum drohen damit, "das gesamte Land brennen" zu lassen, mit einzelnen Massakern fangen sie schon einmal an. Wer an den "arabischen Frühling" 2011 und den diesem fast überall gefolgten "arabischen Herbst und Winter" denkt, liegt gewiss nicht falsch.
Rasa, der Protagonist des Romans, ist gebildet. Sein Vater war Arzt, seine Mutter Künstlerin, er selbst hat in Amerika studiert und schlägt sich nun in seiner Heimat als Übersetzer für ausländische Journalisten durch. Sein Unzugehörigkeitsgefühl und seine Zerrissenheit beruhen aber nicht nur auf dem Leben in verschiedenen kulturellen Welten. Sie beruhen auch auf seiner ganz persönlichen Identität. Rasa ist schwul, und in der Gesellschaft, in der er lebt, kann das nicht zu einem mehr oder weniger glücklichen Coming-out führen, sondern stellt ihn nur vor eine Alternative: verbergen oder Verlust der sozialen Existenz.
Als der Roman beginnt, ist ein kleines Unglück bereits geschehen: Rasas Großmutter, bei der er lebt, und die ihn aufgezogen hat, hat ihn mit seinem Freund zusammen im Bett erwischt. "Eins ist sicher", heißt es: "An dem Schlamassel, in dem Taymour und ich stecken, sind sie alle mitschuldig, weil die Gesellschaft nun mal aus allen besteht und weil es die dummen Regeln der Gesellschaft sind, die uns voneinander trennen." Man kann an den Faschismus, aber auch an die fünfziger Jahre in den westlichen Gesellschaften denken - Gore Vidals "The City and the Pillar", vor allem aber James Baldwins Klassiker "Giovannis Zimmer" drängen sich bei der Lektüre des Romans als Einflüsse auf. Und so wie bei Baldwin "shame" ein Leitmotiv ist - das gesellschaftlich aufgezwungene Gefühl von Scham und Schande, das seine Protagonisten spüren oder das sie zurückweisen -, ist es bei Haddad immer wieder das arabische "eib", das eine Handlung meint, mit der man sich oder andere beschämt, und das Leben des Protagonisten umfassend zu regieren scheint.
In diesem Roman geht es um alles: um die politisch-religiösen Entwicklungen in Nordafrika und dem Nahen Osten, um die Diktaturen, die die arabische Welt beherrschen, um die extreme soziale Ungleichheit in diesen Ländern, um eine Oberschicht, die sich vor allem für Geld, Statussymbole und Bildung für die eigenen Kinder interessiert, und um die Islamisten, die das alles ausbeuten. Es geht aber eben auch um das Leben als homosexueller Mann in einer solchen Gesellschaft, in der ein korrupter Sicherheitsapparat Schwule zu Sündenböcken auserkoren hat, mit deren Unterdrückung die Herrschenden die eigene religiöse Moral zu beweisen suchen, während die Islamisten als ihre Hauptgegner Homosexuelle gleich ganz vom Erdboden vertilgen wollen. Der Titel "Guapa", spanisch für "hübsch, gut aussehend", bezieht sich auf eine von einer Lesbe betriebene Untergrundbar mit diesem Namen, in der sich der Protagonist betrinkt, mit seinem Geliebten tanzt und dem besten Freund in Drag-Shows zusieht.
Ist "Guapa" also ein politischer Roman oder doch eine - den Umständen gemäß tragische - Liebesgeschichte? Während Rasa einen Tag lang seiner Großmutter auszuweichen versucht, während er mit einer amerikanischen Journalistin einen Islamistenführer besucht, dessen Sohn vermutlich gerade zu Tode gefoltert wird, während er seinen besten Freund Maj aus dem Gefängnis zu holen versucht, in das dieser nach einer Polizeirazzia in einem schwulen Kino geraten ist, während Rasa durch das Chaos dieser unbenannt bleibenden Stadt rast, und über eine Hochzeitsfeier in einem Luxushotel nachdenkt, zu der er am Abend eingeladen ist, kreisen seine Gedanken doch immer wieder um die vergangene Nacht mit Taymour, die mit der lautstarken Empörung der Großmutter endete, und was das alles für die Beziehung zu seinem Geliebten bedeutet, den er ebenso verzweifelt wie erfolglos zu erreichen versucht.
So ganz wird nicht deutlich, was genau er an Taymour liebt, aber gerade das ist ein weiterer realistischer Zug des Romans. Wir wissen ja auch nicht immer präzise, warum wir jemanden lieben. Jedenfalls ist das alles mitreißend, mit überzeugendem Gespür für die Schilderung diverser soziokultureller Milieus und bestechendem Gefühl für narrative Wendungen und Pointen erzählt. Insbesondere aber ist "Guapa" zugutezuhalten, dass der Roman trotz aller großen Themen, die verhandelt werden, auf politisch-moralische Zeigefinger weitgehend verzichtet.
Unangenehm didaktisch wird das Buch nur, wenn es in einer längeren Rückblende um die amerikanische Studienzeit des Protagonisten geht, kurz nach den islamistischen Terroranschlägen von 2001 auf das World Trade Center und das Pentagon. Hier führt der Roman überdeutlich vor, wie der Protagonist erstmals dazu kommt, sich als Araber zu verstehen. In etwas naiv und buchstabengetreu postkoloniale Theorien ventilierenden Passagen nimmt Rasa unter anderem auf den französisch-libanesischen Schriftsteller Amin Maalouf Bezug: "Maalouf bezeichnete die Identität als etwas Formbares, das den Launen der Gesellschaft unterworfen sei. Er war der Meinung, dass eine Person sich am stärksten mit dem Aspekt ihres Wesens identifiziere, der gerade angegriffen wird - und tatsächlich war es in Amerika nicht mein Schwulsein, sondern meine arabische Herkunft, die verächtlich erschien."
Das wurde von vielen westlichen Rezensenten des Buches begierig aufgegriffen: In den arabischen Ländern stehe die homosexuelle Identität unter Verdacht, im Westen sei es die arabisch-muslimische, und beides sei, irgendwie, vergleichbar. Der Autor Saleem Haddad, der selbst palästinensisch-libanesische und deutsch-irakische Vorfahren hat, hat eine solche Lesart in Interviews bekräftigt. Allein, die Parallelisierung von sogenannter Araber- oder Islamfeindlichkeit hier und Homophobie dort kann bei aller negativen Stereotypisierung von Arabern in einem Teil der amerikanischen Populärkultur nicht überzeugen. Dazu muss man gar nicht betonen, dass "Guapa" auf Englisch geschrieben und in verschiedene westliche Sprachen übersetzt wurde, mit einer arabischen Fassung auf absehbare Zeit jedoch nicht zu rechnen ist oder dass der Autor zusammen mit seinem Lebensgefährten in London wohnt, weil westliche Vorbehalte gegen Araber offenbar doch leichter zu ertragen sind als die gegenwärtige Dämonisierung von Homosexuellen in der arabisch-muslimischen Welt.
Nein, der Roman "Guapa" selbst negiert eine solche Vergleichbarkeit. Etwa, in dem er zeigt, was es im Westen alles gibt, auch in den Vereinigten Staaten unter George W. Bush (auch, möchte man hinzufügen, unter Donald Trump): arabische Restaurants und Cafés, religiöse und politische Treffpunkte von Muslimen, liberale westliche Aktivisten in großer Zahl, die sich muslimisch-arabische Positionen zu Eigen machen, sowie Demonstrationen, die für die Seite der Gegner und Opfer der amerikanischen Außenpolitik Partei nehmen. Komplementär Vergleichbares gibt es in arabischen Gesellschaften kaum, wenn es um religiöse und ethnische Minderheiten geht, und gar nicht, wenn es um homosexuelle Männer geht, daran lässt gerade dieser Roman keinen Zweifel. Sein Autor wurde in Kuweit geboren und wuchs unter anderem in Jordanien, Amerika und Großbritannien auf. Er hat in verschiedenen arabischen Ländern, darunter Ägypten, im Entwicklungshilfebereich gearbeitet. Aus seinen Erfahrungen hat er einen unbedingt zur Lektüre empfohlenen Roman geformt, den Andreas Diesel tonsicher ins Deutsche übertragen hat.
MARCO STAHLHUT
Saleem Haddad: "Guapa". Roman.
Aus dem Englischen von Andreas Diesel. Albino Verlag, Berlin 2017. 400 S., br., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Saleem Haddads Roman "Guapa" erzählt vom Schicksal eines Homosexuellen in der arabischen Welt
Es ist heiß, die Straßen sind staubig und der Verkehr chaotisch. Die Elite wohnt in grünen Vorstadtvillen, die Masse in Slums. Es könnte sich um ein nur leicht verfremdetes Kairo handeln, aber auch um eine Zusammenfügung verschiedener arabischer Städte und Länder: Das Romandebüt "Guapa" von Saleem Haddad erzählt von 24 Stunden im Leben eines jungen Arabers in einem unbenannt bleibenden Land, in dem eine Diktatur einen demokratischen Aufstand zurückgedrängt hat und ihre Führungsrolle mit dem Kampf gegen die Islamisten begründet. Diese wiederum drohen damit, "das gesamte Land brennen" zu lassen, mit einzelnen Massakern fangen sie schon einmal an. Wer an den "arabischen Frühling" 2011 und den diesem fast überall gefolgten "arabischen Herbst und Winter" denkt, liegt gewiss nicht falsch.
Rasa, der Protagonist des Romans, ist gebildet. Sein Vater war Arzt, seine Mutter Künstlerin, er selbst hat in Amerika studiert und schlägt sich nun in seiner Heimat als Übersetzer für ausländische Journalisten durch. Sein Unzugehörigkeitsgefühl und seine Zerrissenheit beruhen aber nicht nur auf dem Leben in verschiedenen kulturellen Welten. Sie beruhen auch auf seiner ganz persönlichen Identität. Rasa ist schwul, und in der Gesellschaft, in der er lebt, kann das nicht zu einem mehr oder weniger glücklichen Coming-out führen, sondern stellt ihn nur vor eine Alternative: verbergen oder Verlust der sozialen Existenz.
Als der Roman beginnt, ist ein kleines Unglück bereits geschehen: Rasas Großmutter, bei der er lebt, und die ihn aufgezogen hat, hat ihn mit seinem Freund zusammen im Bett erwischt. "Eins ist sicher", heißt es: "An dem Schlamassel, in dem Taymour und ich stecken, sind sie alle mitschuldig, weil die Gesellschaft nun mal aus allen besteht und weil es die dummen Regeln der Gesellschaft sind, die uns voneinander trennen." Man kann an den Faschismus, aber auch an die fünfziger Jahre in den westlichen Gesellschaften denken - Gore Vidals "The City and the Pillar", vor allem aber James Baldwins Klassiker "Giovannis Zimmer" drängen sich bei der Lektüre des Romans als Einflüsse auf. Und so wie bei Baldwin "shame" ein Leitmotiv ist - das gesellschaftlich aufgezwungene Gefühl von Scham und Schande, das seine Protagonisten spüren oder das sie zurückweisen -, ist es bei Haddad immer wieder das arabische "eib", das eine Handlung meint, mit der man sich oder andere beschämt, und das Leben des Protagonisten umfassend zu regieren scheint.
In diesem Roman geht es um alles: um die politisch-religiösen Entwicklungen in Nordafrika und dem Nahen Osten, um die Diktaturen, die die arabische Welt beherrschen, um die extreme soziale Ungleichheit in diesen Ländern, um eine Oberschicht, die sich vor allem für Geld, Statussymbole und Bildung für die eigenen Kinder interessiert, und um die Islamisten, die das alles ausbeuten. Es geht aber eben auch um das Leben als homosexueller Mann in einer solchen Gesellschaft, in der ein korrupter Sicherheitsapparat Schwule zu Sündenböcken auserkoren hat, mit deren Unterdrückung die Herrschenden die eigene religiöse Moral zu beweisen suchen, während die Islamisten als ihre Hauptgegner Homosexuelle gleich ganz vom Erdboden vertilgen wollen. Der Titel "Guapa", spanisch für "hübsch, gut aussehend", bezieht sich auf eine von einer Lesbe betriebene Untergrundbar mit diesem Namen, in der sich der Protagonist betrinkt, mit seinem Geliebten tanzt und dem besten Freund in Drag-Shows zusieht.
Ist "Guapa" also ein politischer Roman oder doch eine - den Umständen gemäß tragische - Liebesgeschichte? Während Rasa einen Tag lang seiner Großmutter auszuweichen versucht, während er mit einer amerikanischen Journalistin einen Islamistenführer besucht, dessen Sohn vermutlich gerade zu Tode gefoltert wird, während er seinen besten Freund Maj aus dem Gefängnis zu holen versucht, in das dieser nach einer Polizeirazzia in einem schwulen Kino geraten ist, während Rasa durch das Chaos dieser unbenannt bleibenden Stadt rast, und über eine Hochzeitsfeier in einem Luxushotel nachdenkt, zu der er am Abend eingeladen ist, kreisen seine Gedanken doch immer wieder um die vergangene Nacht mit Taymour, die mit der lautstarken Empörung der Großmutter endete, und was das alles für die Beziehung zu seinem Geliebten bedeutet, den er ebenso verzweifelt wie erfolglos zu erreichen versucht.
So ganz wird nicht deutlich, was genau er an Taymour liebt, aber gerade das ist ein weiterer realistischer Zug des Romans. Wir wissen ja auch nicht immer präzise, warum wir jemanden lieben. Jedenfalls ist das alles mitreißend, mit überzeugendem Gespür für die Schilderung diverser soziokultureller Milieus und bestechendem Gefühl für narrative Wendungen und Pointen erzählt. Insbesondere aber ist "Guapa" zugutezuhalten, dass der Roman trotz aller großen Themen, die verhandelt werden, auf politisch-moralische Zeigefinger weitgehend verzichtet.
Unangenehm didaktisch wird das Buch nur, wenn es in einer längeren Rückblende um die amerikanische Studienzeit des Protagonisten geht, kurz nach den islamistischen Terroranschlägen von 2001 auf das World Trade Center und das Pentagon. Hier führt der Roman überdeutlich vor, wie der Protagonist erstmals dazu kommt, sich als Araber zu verstehen. In etwas naiv und buchstabengetreu postkoloniale Theorien ventilierenden Passagen nimmt Rasa unter anderem auf den französisch-libanesischen Schriftsteller Amin Maalouf Bezug: "Maalouf bezeichnete die Identität als etwas Formbares, das den Launen der Gesellschaft unterworfen sei. Er war der Meinung, dass eine Person sich am stärksten mit dem Aspekt ihres Wesens identifiziere, der gerade angegriffen wird - und tatsächlich war es in Amerika nicht mein Schwulsein, sondern meine arabische Herkunft, die verächtlich erschien."
Das wurde von vielen westlichen Rezensenten des Buches begierig aufgegriffen: In den arabischen Ländern stehe die homosexuelle Identität unter Verdacht, im Westen sei es die arabisch-muslimische, und beides sei, irgendwie, vergleichbar. Der Autor Saleem Haddad, der selbst palästinensisch-libanesische und deutsch-irakische Vorfahren hat, hat eine solche Lesart in Interviews bekräftigt. Allein, die Parallelisierung von sogenannter Araber- oder Islamfeindlichkeit hier und Homophobie dort kann bei aller negativen Stereotypisierung von Arabern in einem Teil der amerikanischen Populärkultur nicht überzeugen. Dazu muss man gar nicht betonen, dass "Guapa" auf Englisch geschrieben und in verschiedene westliche Sprachen übersetzt wurde, mit einer arabischen Fassung auf absehbare Zeit jedoch nicht zu rechnen ist oder dass der Autor zusammen mit seinem Lebensgefährten in London wohnt, weil westliche Vorbehalte gegen Araber offenbar doch leichter zu ertragen sind als die gegenwärtige Dämonisierung von Homosexuellen in der arabisch-muslimischen Welt.
Nein, der Roman "Guapa" selbst negiert eine solche Vergleichbarkeit. Etwa, in dem er zeigt, was es im Westen alles gibt, auch in den Vereinigten Staaten unter George W. Bush (auch, möchte man hinzufügen, unter Donald Trump): arabische Restaurants und Cafés, religiöse und politische Treffpunkte von Muslimen, liberale westliche Aktivisten in großer Zahl, die sich muslimisch-arabische Positionen zu Eigen machen, sowie Demonstrationen, die für die Seite der Gegner und Opfer der amerikanischen Außenpolitik Partei nehmen. Komplementär Vergleichbares gibt es in arabischen Gesellschaften kaum, wenn es um religiöse und ethnische Minderheiten geht, und gar nicht, wenn es um homosexuelle Männer geht, daran lässt gerade dieser Roman keinen Zweifel. Sein Autor wurde in Kuweit geboren und wuchs unter anderem in Jordanien, Amerika und Großbritannien auf. Er hat in verschiedenen arabischen Ländern, darunter Ägypten, im Entwicklungshilfebereich gearbeitet. Aus seinen Erfahrungen hat er einen unbedingt zur Lektüre empfohlenen Roman geformt, den Andreas Diesel tonsicher ins Deutsche übertragen hat.
MARCO STAHLHUT
Saleem Haddad: "Guapa". Roman.
Aus dem Englischen von Andreas Diesel. Albino Verlag, Berlin 2017. 400 S., br., 16,99 [Euro].
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