Günter Grass besaß eine Mehrfachbegabung als herausragender Schriftsteller und Grafiker. Büchermachen war für ihn Lebenszweck und Bücher waren für ihn weit mehr als die Aufbewahrungsmittel seiner Texte: Es waren Gesamtkunstwerke, auf deren Layout und Ausstattung er persönlich Einfluss nahm. Seit
1993 erschienen seine Bücher im Steidl Verlag, aber erst hier wurde dem grafischen Werk der gleiche…mehrGünter Grass besaß eine Mehrfachbegabung als herausragender Schriftsteller und Grafiker. Büchermachen war für ihn Lebenszweck und Bücher waren für ihn weit mehr als die Aufbewahrungsmittel seiner Texte: Es waren Gesamtkunstwerke, auf deren Layout und Ausstattung er persönlich Einfluss nahm. Seit 1993 erschienen seine Bücher im Steidl Verlag, aber erst hier wurde dem grafischen Werk der gleiche Stellenwert gegeben wie dem literarischen.
„Günter Grass als Buchkünstler“ ist kein Catalogue raisonné. Es werden nicht nur die publizierten Endergebnisse dokumentiert, sondern auch viele Zwischenschritte und Entwürfe, oft mit Grass‘ handschriftlichen Kommentaren versehen. Hinzu kommen Hintergrundkorrespondenz und weiteres sekundäres Material, das die Autoren in ihre Analyse mit einbeziehen, die aufgrund des sehr umfangreichen und sorgfältig referenzierten Quellenmaterials wissenschaftlichen Anspruch hat. Der Zugriff auf das Grass-Archiv in Lübeck und das Steidl-Archiv in Göttingen erlaubt dabei einen fast schon mikroskopischen Blick in Günter Grass‘ Gedankenwelt und vor allem den Arbeitsprozess. Die Autoren verknüpfen dabei bewusst auch die literarischen Texte mit den grafischen Aussagen und interpretieren sie vor dem autobiografischen und quellenhistorischen Hintergrund. Besonders eindrucksvoll sind für mich persönlich die Faksimiles von Grass‘ Notizbüchern, die er in seiner charakteristischen Handschrift mit Texten und spontanen Grafiken füllte, die später, wenn auch meist künstlerisch weiterentwickelt, in den Publikationen verwendet wurden. Steidl stellte Grass diese handgefertigten „Kladden“ aus säurefreiem Papier jedes Jahr zur Verfügung und sie besitzen eine direkte Authentizität, eine Spontaneität, die ein serienreifes Buch meist nicht mehr hat. „Günter Grass als Buchkünstler“ füllt diese Lücke, indem es den Weg von der Idee bis zum fertigen Buch aufzeichnet, durch Grass‘ eigene Worte kommentiert und mit biografischer Präzision recherchiert.
Sehr präsent ist neben der dokumentarischen Sorgfalt das besondere Verhältnis zwischen Günter Grass und Gerhard Steidl, die sich symbiotisch ergänzten. Beide besitzen ein intuitives Gespür für Bücher, wobei Steidl wie ein Lotse auf Grass wirkt. Er nimmt niemals direkten künstlerischen Einfluss auf die Aussage, sondern lenkt das Werk durch Layout (wobei gerade Grass als ausgebildeter Grafiker in diesem Punkt relativ autark war),die Auswahl von Materialien und Drucktechniken. Diese Wechselbeziehung ist stets spürbar, besonders auch im Interview mit Gerhard Steidl, in dem der Verleger u. a. seine Gedanken über die Materialität eines Buches beschreibt. Überspitzt gesagt: Selbst die Faserlänge im Papier muss zu Inhalt und Leser passen.
„Günter Grass als Buchkünstler“ ist eine sehr persönliche Annäherung an Grass‘ Werkprozess, mit zahlreichen biografischen und literarischen Querverweisen und hunderten Abbildungen verschiedener Arbeitsstände. Ein Buch, das Günter Grass sicherlich sehr gefallen hätte.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)