Produktdetails
- Verlag: FISCHER Sauerländer
- ISBN-13: 9783794160488
- ISBN-10: 3794160487
- Artikelnr.: 20754681
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2006Abenteuer eines Einfaltspinsels: Chris Riddells detailverliebter Blick auf "Gulliver"
Zu den größten Mißverständnissen der Weltliteratur gehört die Annahme, "Gullivers Reisen" aus dem Jahr 1726 sei ein Kinderbuch. Weder sind die Zwerge von Liliput niedlich noch die Riesen von Brobdingnag gruselig, und die weltvergessenen Wissenschaftler der Akademie von Balnibarbi, die sich damit beschäftigen, Sonnenstrahlen aus Gurken zu ziehen, um das Licht anschließend in luftdicht verschlossenen Gläsern für kalte Sommer zu konservieren, mag man nur bedingt als amüsant bezeichnen. Um Unterhaltung freilich war es Jonathan Swift mit den Abenteuern seines Einfaltspinsels auch nie zu tun. "Gullivers Reisen" ist eine Gesellschaftssatire in vier Akten, die sich zur Menschheitsanklage steigert und in der misanthropischen Erkenntnis gipfelt, daß von den Menschen nichts Gutes zu erwarten sei und der Glaube an Fortschritt bloße Utopie. Swifts Zeitgenossen verstanden die grotesken Verzerrungen und ironischen Anspielungen durchaus als harsche Kritik an der englischen Politik. Erst die Optimisten des neunzehnten Jahrhunderts kürzten und verstümmelten den Text zum Feuerwerk skurriler Einfälle. Als solches wird er nun auch in der stark gekürzten Nacherzählung von Martin Jenkins und den überwiegend heiteren Zeichnungen von Chris Riddell präsentiert.
Hierzulande ist Riddell vor allem durch die Illustrationen zu Paul Stewarts Klippenland-Chroniken um den jungen Himmelspiraten Twig bekannt. Englischen Zeitungslesern hingegen ist er auch als politischer Karikaturist vertraut, der mit scharfer Feder die Entwicklungen im Land begleitet; prompt nimmt sein Gulliver bisweilen überdeutlich die Züge von Tony Blair an. Der Reiz seiner farbenprächtigen Darstellungen in "Gullivers Reisen" liegt vor allem im Reichtum an Details. Nie wird das augenfälliger als in jenen Motiven, die seit Generationen das Bild des Helden prägen und die Riddell nur leicht variiert, aber mit Informationen förmlich überfrachtet: Gulliver gefesselt am Strand von Liliput und bis zur Brust im Wasser stehend, die Armada von Blefuscu im Schlepptau. An ihnen kann man sich kaum satt sehen. Swifts spöttischen Verdrehungen von Wahnsinn und Vernunft, Elend und Zufriedenheit gegenüber bleibt er in seiner Umsetzung leider allzu brav.
FREDDY LANGER
Jonathan Swift: "Gullivers Reisen". Nacherzählt von Martin Jenkins, mit Illustrationen von Chris Riddell. Aus dem Englischen übersetzt von Günter Jürgensmeier. Sauerländer Verlag, Düsseldorf 2005. 144 S., geb., 19,90 [Euro]. Ab 6 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zu den größten Mißverständnissen der Weltliteratur gehört die Annahme, "Gullivers Reisen" aus dem Jahr 1726 sei ein Kinderbuch. Weder sind die Zwerge von Liliput niedlich noch die Riesen von Brobdingnag gruselig, und die weltvergessenen Wissenschaftler der Akademie von Balnibarbi, die sich damit beschäftigen, Sonnenstrahlen aus Gurken zu ziehen, um das Licht anschließend in luftdicht verschlossenen Gläsern für kalte Sommer zu konservieren, mag man nur bedingt als amüsant bezeichnen. Um Unterhaltung freilich war es Jonathan Swift mit den Abenteuern seines Einfaltspinsels auch nie zu tun. "Gullivers Reisen" ist eine Gesellschaftssatire in vier Akten, die sich zur Menschheitsanklage steigert und in der misanthropischen Erkenntnis gipfelt, daß von den Menschen nichts Gutes zu erwarten sei und der Glaube an Fortschritt bloße Utopie. Swifts Zeitgenossen verstanden die grotesken Verzerrungen und ironischen Anspielungen durchaus als harsche Kritik an der englischen Politik. Erst die Optimisten des neunzehnten Jahrhunderts kürzten und verstümmelten den Text zum Feuerwerk skurriler Einfälle. Als solches wird er nun auch in der stark gekürzten Nacherzählung von Martin Jenkins und den überwiegend heiteren Zeichnungen von Chris Riddell präsentiert.
Hierzulande ist Riddell vor allem durch die Illustrationen zu Paul Stewarts Klippenland-Chroniken um den jungen Himmelspiraten Twig bekannt. Englischen Zeitungslesern hingegen ist er auch als politischer Karikaturist vertraut, der mit scharfer Feder die Entwicklungen im Land begleitet; prompt nimmt sein Gulliver bisweilen überdeutlich die Züge von Tony Blair an. Der Reiz seiner farbenprächtigen Darstellungen in "Gullivers Reisen" liegt vor allem im Reichtum an Details. Nie wird das augenfälliger als in jenen Motiven, die seit Generationen das Bild des Helden prägen und die Riddell nur leicht variiert, aber mit Informationen förmlich überfrachtet: Gulliver gefesselt am Strand von Liliput und bis zur Brust im Wasser stehend, die Armada von Blefuscu im Schlepptau. An ihnen kann man sich kaum satt sehen. Swifts spöttischen Verdrehungen von Wahnsinn und Vernunft, Elend und Zufriedenheit gegenüber bleibt er in seiner Umsetzung leider allzu brav.
FREDDY LANGER
Jonathan Swift: "Gullivers Reisen". Nacherzählt von Martin Jenkins, mit Illustrationen von Chris Riddell. Aus dem Englischen übersetzt von Günter Jürgensmeier. Sauerländer Verlag, Düsseldorf 2005. 144 S., geb., 19,90 [Euro]. Ab 6 J.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Freddy Langer ist nur mäßig zufrieden mit dieser Gulliver-Version, da sie diesen Klassiker der Weltliteratur wieder in der Tradition seiner Verstümmler im 19. Jahrhundert als "Feuerwerk skurriler Einfälle" präsentiert, und ihm damit aus seiner Sicht nicht gerecht wird. Ausführlich setzt sich Langer auch mit Chris Riddels Illustrationen auseinander, deren Reiz für ihn in ihrem Reichtum an Details liegen, an denen er sich, wie er schreibt, mitunter gar nicht satt sehen kann. Auch dass der Einfaltspinsel Gulliver manchmal Züge von Tony Blair hat, macht ihm Spaß. Das entschädigt ihn zumindest manchmal dafür, dass Riddels Zeichnungen insgesamt für seinen Geschmack etwas brav ausgefallen sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
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