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Seit ihrer Geburt lebt Pearl im Auto, sie vorne, ihre Ausreißer-Mutter auf der Rückbank. Vierzehn Jahre stehen die beiden jetzt schon am Rande eines Trailerparks irgendwo in Florida.
Draußen vor der Windschutzscheibe ist die Welt den Waffen verfallen: Kinder wachsen mit Pistolen statt Haustieren auf, Schießübungen immer und überall, mal Alligatoren, mal den Fluss, mal Polizisten im Visier, und sonntags sitzt man beim Gottesdienst mit der geschulterten Schrotflinte in der ersten Reihe. Doch im Ford Mercury wirken andere Kräfte, hier lernt Pearl das Träumen. Bis ein schöner Mann und seine…mehr

Produktbeschreibung
Seit ihrer Geburt lebt Pearl im Auto, sie vorne, ihre Ausreißer-Mutter auf der Rückbank. Vierzehn Jahre stehen die beiden jetzt schon am Rande eines Trailerparks irgendwo in Florida.

Draußen vor der Windschutzscheibe ist die Welt den Waffen verfallen: Kinder wachsen mit Pistolen statt Haustieren auf, Schießübungen immer und überall, mal Alligatoren, mal den Fluss, mal Polizisten im Visier, und sonntags sitzt man beim Gottesdienst mit der geschulterten Schrotflinte in der ersten Reihe. Doch im Ford Mercury wirken andere Kräfte, hier lernt Pearl das Träumen. Bis ein schöner Mann und seine Pistolen alles verändern ...

Gun Love handelt vom Zauber zwischen Mutter und Tochter inmitten des Irrsinns. In strahlenden Bildern erzählt Jennifer Clement eine Geschichte, in der Liebe und Hass, Fantasie und Wirklichkeit haltlos ineinander fallen. Das literarische Stimmungsbild einer ganzen Nation.
Autorenporträt
Jennifer Clement, in Connecticut geboren, wuchs in Mexiko- Stadt auf, studierte in New York und Paris Literaturwissenschaft und hat Lyrik und vier Romane veröffentlicht. Als Präsidentin des P.E.N. International kämpfte sie im Namen von Autor:innen weltweit für das Recht auf freie Meinungsäußerung. Gebete für die Vermissten, ihr Roman über die Schicksale gestohlener Mädchen in Mexiko, war ein internationaler Erfolg, die Verfilmung wurde in Cannes ausgezeichnet. Ihr Roman Gun Love wird mit Liv Lisa Fries in der Hauptrolle verfilmt.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Seit 14 Jahren lebt Pearl mit ihrer Mutter Margot in einem Mercury Topaz Automatic auf einem Parkplatz in Florida. Sie auf den Vordersitzen, Margot auf dem Rücksitz. Pearls Welt bestand schon immer nur aus ihrer Mutter, dem Mercury, der Schule und den Bewohnern des Trailerparks, vor dem ihr Fahrzeug steht. Doch dann tritt ein Mann in das Leben ihrer Mutter - und von Anfang an ist Pearl klar, dass mit ihm nichts Gutes verbunden ist. Es ist ein Leben der Abgehängten und Sich-selbst-Überlassenen, das aus der Perspektive der 14-jährigen Erzählerin entblättert wird, geprägt von Armut, Gewalt und zerberstend schönen kurzen Momenten des Glücks. In klarer Sprache mit mitunter poetischen, wundersamen, überraschenden Sätzen gelingt es Clement, dieses Leben von Mutter und Tochter mit dem harten Realismus der in den USA allgegenwärtigen Waffengewalt zu verbinden, ohne dass es aufgesetzt erscheint. Vielmehr ist es herzzerreißend, die verzweifelten Wahrheiten der Mutter aus Pearls Mund zu lesen - und immer zu erkennen, wie viel Einsamkeit aus diesen Worten spricht. Pearls Welt zerbricht. Und doch gibt es am Ende immer noch die Träume, die besser sind als so manches Leben.

© BÜCHERmagazin, Sonja Hartl (sh)
»Literarisch ist [Gun Love] hervorragend inszeniert in einer selten authentischen Perspektive auf die amerikanische Tragödie.« Martin Zähringer Neue Zürcher Zeitung 20190429

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2018

Waffen für die Universität der Liebe

Unglück ist immer noch besser als gar kein Glück: Der neue Roman der amerikanischen Schriftstellerin Jennifer Clement "Gun Love" ist eine Hommage an ihre Wahlheimat Mexiko.

Pearl heißt so, weil ihr Teint und ihr Wesen so durchscheinend, fast albinoweiß sind, aber sie lebt seit ihrer Geburt in einem Autowrack auf einem heruntergekommenen Trailerpark im hässlichsten Teil Floridas. Anfangs war der Ford Mercury nur eine Notlösung. Schließlich war Pearls Mutter Margot eine Ausreißerin aus gutem Hause, behütet aufgewachsen mit Rachmaninows Klavierkonzerten und Limoges-Porzellan (und Fliegenklatschen in jedem Zimmer). Warum die Teenager-Mom damals ihr Elternhaus Knall auf Fall verließ, lässt Jennifer Clement wie so manches im Dunkeln; vielleicht war es die Kälte des Vaters, vielleicht die Fliegenklatsche. Aber jetzt ist alles gut.

Der Indian-Waters-Trailerpark liegt zwar gleich neben einer Müllkippe; das Leben ohne Dusche, Küche und richtiges Bett ist gewöhnungsbedürftig, der Geschmack von Insektenspray auf der Zunge lästig. Aber Pearl und Margot sind so einig und bedürfnislos glücklich, dass aus Wochen Monate und schließlich vierzehn Jahre wurden. In Amerika sind solche Existenzen am Rand der Obdachlosigkeit gar nicht so selten.

Alles ist geregelt. Der Vordersitz ist Pearls Reich, auf dem Rücksitz schläft Margot. Der Kofferraum ersetzt Kühl- und Wohnzimmerschrank, das Autodach den Kaminsims; das Waschzeug liegt im Handschuhfach, die Kleidung unter den Sitzen. Zum Hausrat gehören neben dem Notwendigsten sogar ein paar überflüssige Dinge, Erinnerungsstücke wie das Hochzeitskleid der Großmutter oder das Familiensilber, das allerdings stückweise verscherbelt werden muss. Pearl geht zur Schule, hat Freunde und Freude am Leben, auch an den Schießübungen im Wohnwagen. Und ihre Mutter ist sowieso ein Sonnenschein, fröhlich und freundlich zu allen. Ihrer Tochter gibt sie weiter, was sie auf der "Universität der Liebe" gelernt hat, Schnulzen und Lebensweisheiten wie "Unglück ist immer noch besser als gar kein Glück".

Dann lernt sie Eli kennen, und alles wendet sich zum Schlechten. Männer sind die Störenfriede im Paradies der Mütter und Töchter: Waffennarren, Mörder, Vergewaltiger, bestenfalls Nervensägen und Dummköpfe. So war es schon in Clements vorherigem Roman ("Gebete für die Vermissten") über Frauen im mexikanischen Drogenkrieg, und so ist es auch jetzt wieder. Pastor Rex, der das Drive-in-Gebet erfunden hat und "Waffen für Gott" einsammelt, um sie auf der anderen Seite der Grenze zu verkaufen, ist vielleicht nur ein besonders bigottes Exemplar aus der Galerie zwielichtiger Priester, Sergeant Bob, der beinamputierte Afghanistan-Veteran, der vom "Reinheitsfischen" mit einem selbstgebastelten Lügendetektor lebt, vielleicht nur ein harmloser Irrer. Eli aber, der charismatische Hallodri, Waffenschmuggler und Erzmacho, ist "Mr. Bad" persönlich. Er saugt Margot die schöne Seele aus dem Leib; einer seiner Kumpel wird sie mit zwanzig Schüssen aus seinem Revolver töten.

Manchmal geht es in "Gun Love" zu wie im Krieg, im Countrysong oder auch in einer mexikanischen Telenovela. Manchmal aber auch wie in einem Melodram von Dickens: Pearl kommt zu einem liebevollen Pflegevater und freundet sich mit zwei anderen "Shoots" (so heißen die Kinder erschossener Eltern im Sozialarbeiterjargon) an. Kurz bevor sie vom Jugendamt wieder abgeholt werden soll, wird sie von Corazon, einer Mexikanerin aus dem Trailerpark, entführt. Am Ende einer sentimentalen Reise im Greyhound-Bus taucht Eli wieder auf, und das bedeutet nichts Gutes.

In "Gun Love" werden Menschen, Tiere und sogar Wörter Opfer von Waffennarren. Ein zweiköpfiger Alligator wird nur so zum Spaß erschossen, Selena, die Königin des Texmex, wurde in der Blüte ihrer Jugend von der Kugel eines Fans hinweggerafft. Zu Pastor Rex' Gottesdiensten kommen die Gläubigen mit geschulterter Schrotflinte. Clement kennt die leidvolle Geschichte der Amokläufe, Schulhofmassaker und Drive-by-Shootings, die Waffenausmalbücher für Kinder und die "von Kugeln durchbohrten Wörter". Aber die amerikanische Liebe zu den Waffen interessiert die Autorin weniger als die "Kugeln der Liebe". Ihr Thema ist die naturwüchsige Einheit von Mutter und Kind, die von männlicher Gewalt gesprengt wird, und dafür findet sie in Nicolai von Schweder-Schreiners einfühlsamer Übersetzung eine Sprache voll poetischer Schlichtheit und Lakonie. Vieles trifft mitten ins Herz, manches geht aber auch daneben. Sätze wie "Die Perlen um meinen Hals beweinten das Meer" oder "Der Refrain meines Lebens war in dieser Nacht Leos Herzschlag" streifen die Grenze zum Kitsch und zu süßlichen Kalenderweisheiten. Und manchmal fällt Clement zu schnell mit der Tür ins Haus: Eli riecht streng nach Brut Cologne, liebesbedürftige Erwachsene verschanzen sich hinter einer Armee von Barbiepuppen.

Dennoch, ein Roman, der mit dem Satz "Meine Mutter war eine Tasse Zucker. Man konnte sie jederzeit ausleihen" anfängt, kann nicht ganz schlecht sein. Und ein Buch, in dem am Ende ein Mädchen seinen Peiniger erschießt, kann auch kein widerspruchsfreies Plädoyer für Frieden, Freude und unbewaffneten Eierkuchen sein. "Gun Love" ist weder eine literarische Zuckerdose noch eine Texmex-Schnulze: Es ist die herzzerreißende Geschichte einer Mutter-Tochter-Symbiose und ein - manchmal romantisierendes - Loblied auf das Leben der Ausgespuckten und Verworfenen. Und nicht zuletzt ist es Clements Hommage an ihre Wahlheimat Mexiko. Mexiko ist das Land der Pistoleros und Drogengangster, das "schönste Land der Welt" und Donald Trumps Lieblingshassobjekt. Für Jennifer Clement ist es vor allem das Land der Liebe. In Amerika gibt es Waffenliebe, in Mexiko Waffen der Liebe, bessere Musik, die besten Feste und eine "mexikanische Logik". In Mexiko, sagt Pearl einmal, kann man noch besser als in einem Autowrack auf einer amerikanischen Müllhalde leben.

MARTIN HALTER

Jennifer Clement: "Gun Love". Roman.

Aus dem Amerikanischen von Nicolai von Schweder-Schreiner. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018, 252 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine "seltsame Mischung aus Grimm'schem Märchen und "Country-and-Western-Song" hat Jennifer Clement mit ihrem neuesten Roman geschaffen, meint Rezensent Ulrich Baron: Hier erzähle die junge Pearl, wie sie von ihrer Mutter in einem Trailerpark aufgezogen wurde, bis diese erschossen wurde und Pearl in die Schleusen des Jugendamts geriet. Was durch die Augen des Kindes mit träumerischen Formulierungen durch die rosarote Brille erzählt wird, landet letztlich auf dem harten Boden des sozialen Realismus, so Baron. Zu einem abschließenden Urteil scheint der Rezensent nicht gekommen zu sein.

© Perlentaucher Medien GmbH