Kein anderer war in der deutschen Theaterlandschaft über Epochen und Systeme hinweg so präsent wie der Schauspieler und Regisseur Gustaf Gründgens (1899-1963). Auch 50 Jahre nach seinem Tod polarisiert der Künstler nicht zuletzt wegen seiner kontrovers diskutierten Rolle im Dritten Reich. Gründgens' anhaltende Bedeutung zeigt sich auch in der großen Zahl der wissenschaftlichen Untersuchungen, Romane und Theaterstücke, die sich mit ihm und seinem Leben beschäftigen. Was die Biografie des Gründgens-Experten Thomas Blubacher aus diesen Werken heraushebt, ist die Fülle an neuen biografischen Details, die der Theaterwissenschaftler in akribischer Recherche und durch zahlreiche Gespräche mit Zeitzeugen herausgefunden hat. Seine lebendige Darstellung des "Mythos GG" ist somit das Porträt eines erstaunlich unsicheren, an sich selbst verzweifelnden, zutiefst einsamen Menschen. Blubacher zeigt, was häufig in Vergessenheit gerät: Gustaf Gründgens ist weit mehr als Mephisto, seine bekannteste Rolle.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2013Die Marotten hinter Mephistos Maske
Laster, Lügen, Leiden in lauer Sachlichkeit: Thomas Blubachers Monografie über Gustaf Gründgens
Als in Gründgens’ Todesjahr 1963 ein großer Huldigungsband mit Beiträgen von Kritikern und Wegbegleitern erschien, schrieb Herausgeber Henning Rischbieter in seinem Vorwort: „Dieses Buch berichtet wenig von dem Menschen Gustaf Gründgens. Er liebte es nicht, den Vorhang zu öffnen, hinter dem er sich selbst verbarg. Wir wollen nach seinem Tod nicht zudringlicher werden als zu seinen Lebzeiten.“ Fünfzig Jahre später erscheint nun die ungefähr dreizehnte Monografie über Gründgens mit der erklärt gegenteiligen Absicht, jetzt endlich den „Menschen hinter der Maske“ zu zeigen. Der Theaterwissenschaftler Thomas Blubacher, vier Jahre nach Gründgens’ Tod geboren, verspricht wie ein Mephisto dem gesättigten Leser, ihn auf eine Reise durch den gesamten Kosmos Gustaf Gründgens mitzunehmen.
Ist dies nun also die nächste Interpretation des unsterblichen Theater-Mythos „GG“, und zwar eine, wie sie unser Zeitalter der hemmungslosen Zudringlichkeit verlangt? Kommt nach der Verteufelung als gewissenloser eitler Nazischerge, die Klaus Mann 1936 mit seinem Roman „Mephisto“ eingeleitet hat, nach den Hagiografien des genialen Künstlers, die in der Nachkriegszeit entstanden sind, und Peter Michalziks zum 100. Geburtstag 1999 veröffentlichter Biografie, die Gründgens Werte hinter seinen Anpassungsleistungen zu deuten versucht, nun die Version „Gründgens-Klatsch“ heraus? Immerhin ist Blubacher der erste Biograf, der den kompletten Nachlass von Deutschlands berühmtestem Theaterkünstler auswerten konnte, der seit dem Jahr 2000 zugänglich ist. Und Blubacher hat noch einmal zahlreiche Zeitzeugen zu Gründgens’ Leben befragt, bis hin zu der Stewardess, die 1963 im Manila Hotel seinen damaligem Freund Jürgen Schleiß bei der Vernehmung durch die Polizei dolmetschte.
Glamouröses, Skandalöses, Fragwürdiges findet sich in Gründgens’ Leben jedenfalls genug, um eine pralle, schonungslos offene Prominenten-Biografie zu schreiben. Schließlich begann er sein Künstlerleben als graziöser Selbstdarsteller in der Weimarer Republik, wurde dann der wichtigste Theatermann der Nazis als Intendant des Preußischen Staatstheaters in Berlin, schließlich unangefochtener Bühnenstar der jungen Bundesrepublik mit gefürchteten Marotten und verruchtem Privatleben. Und Blubacher erzählt sie alle, die Laster und Leiden, Lügen und Lächerlichkeiten, die Gründgens so gerne hinter dem Vorhang gehalten hätte.
Reichlich Platz nimmt sein schwules Liebesleben ein, das getarnt von prominenten Ehen (mit Erika Mann und Marianne Hoppe), gedeckt von Göring und Goebbels und ständig bedroht von eifernden Sittenwächtern sich lebenslang zwischen bohemienhafter Lust und Todesangst abspielte. Dass er sich mit 50 Jahren liften ließ, um noch junge Helden wie Tasso und Hamlet spielen zu können, oder sich mit Peter Gorski einen Lebenspartner suchte, der genau wie er selbst in jung aussah, zeugt ebenso von einem zwanghaften Narzissmus wie die Geschichten über divaeske Kündigungen, mit denen Gründgens wiederholt Politiker zwang, sich mit Bitten um Vertragseinhaltung vor ihm zu erniedrigen. Und natürlich beschreibt Blubacher auch die vielen Taten, Kotaus und Versäumnisse von Gründgens im Dritten Reich, die seine Beschreibung des Schauspielhauses als einer Insel der Kunst im Reich des Bösen als Halbwahrheit entlarven.
Aber Blubacher tut das weder genüsslich noch wertend. Wenn etwas an dieser Biografie wirklich erstaunlich ist, dann die teilnahmslose Objektivität, mit der er jeden Aspekt so lange relativiert, bis er jede Brisanz verloren hat. Das wirkt bei Gründgens’ Privatangelegenheiten angemessen unaufgeregt und modern; an den zahlreichen moralischen Schwachstellen, die Gründgens Egoismus mit sich brachte, wäre ein eigener Standpunkt aber sicherlich kein Fehler gewesen. Dass etwa sein Wunsch, für das Staatstheater Nebenspielstätten zu bekommen, 1936 nur durch die Enteignung des jüdischen Theaterbesitzers Max Epstein gelang, wird ebenso abwägend behandelt wie die Tatsache, dass der protzige Lebemann 1934 sein Privatgut in Zeesen von dem jüdischen Vorbesitzer zu einem Spottpreis erwerben konnte, weil er einen NS-Anwalt verpflichtete, der die Verhandlung in Uniform und mit offenen Drohungen führte.
Blubachers gewissenhafte Sachlichkeit enthält sich hier wie an allen anderen prekären Stellen einer persönlichen Haltung. Deswegen wird aus dieser akribisch recherchierten Fleißarbeit am Ende doch nur eine Aufzählungsbiografie. Faktensicher, aber ohne persönliche Kenntnis der Zeit und ihrer Protagonisten, hätte es Phantasie und Urteil bedurft, um aus dem Leben des Gustav (wie er eigentlich hieß) Gründgens eine neue, spannende Erzählung zu schaffen. Wer nicht interpretiert, verliert. Jedenfalls, wenn er meint, eine neue Sicht auf das schon gründlich ausgeleuchtete Leben anbieten zu können.
Ist der fehlende Mut zum Standpunkt, mit dem Blubacher die historischen Dilemmata und die zwiespältige Persönlichkeit von Gründgens behandelt, noch als lau, aber fair zu verstehen, so wird sein mangelnder Esprit in der Beschreibung des Bühnen-Gottes zu einem echten Problem Eine packende Darstellung des Charismas, mit dem Gründgens Menschen aller Gesinnungen und sozialen Hintergründe zu fesseln wusste, vermisst man doch schmerzlich. Mangels persönlicher Anschauung füllt Blubacher immer wieder ganze Absätze mit Inszenierungstiteln, Fremdzitaten und Ein-Satz-Beschreibungen. Die DVD von Gründgens berühmter Faust-Inszenierung mit ihm als Mephisto sagt in wenigen Minuten mehr über seine geniale Strahlkraft aus als dieses ganze Buch.
Natürlich ist diese neue Biografie zum 50. Todestag (Gründgens starb am 7. Oktober 1963 an einer Überdosis Schlaftabletten) nicht ohne Wert, denn tadellose Recherche erlaubt es dem Leser, seine eigenen Bewertungen zu formulieren. Aber Blubachers Anspruch, der heutigen Theatergeneration den Menschen Gustaf Gründgens wieder lebendig zu machen, hat ihn auf einen Mittelweg zwischen süffisantem Klatsch und literarischer Annäherung geführt, auf dem die Faszination durch den Menschen, mehr noch aber durch den Künstler, in glänzender Nüchternheit erstarrt.
TILL BRIEGLEB
Thomas Blubacher: Gustaf Gründgens. Biografie. Henschel Verlag, Leipzig 2013. 434 S., 34,90 Euro.
Die undatierte Aufnahme zeigt Gründgens mit seiner Ehefrau von 1936-46, der Schauspielerin Marianne Hoppe, bei einer Bootspartie in Zeesen.
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Laster, Lügen, Leiden in lauer Sachlichkeit: Thomas Blubachers Monografie über Gustaf Gründgens
Als in Gründgens’ Todesjahr 1963 ein großer Huldigungsband mit Beiträgen von Kritikern und Wegbegleitern erschien, schrieb Herausgeber Henning Rischbieter in seinem Vorwort: „Dieses Buch berichtet wenig von dem Menschen Gustaf Gründgens. Er liebte es nicht, den Vorhang zu öffnen, hinter dem er sich selbst verbarg. Wir wollen nach seinem Tod nicht zudringlicher werden als zu seinen Lebzeiten.“ Fünfzig Jahre später erscheint nun die ungefähr dreizehnte Monografie über Gründgens mit der erklärt gegenteiligen Absicht, jetzt endlich den „Menschen hinter der Maske“ zu zeigen. Der Theaterwissenschaftler Thomas Blubacher, vier Jahre nach Gründgens’ Tod geboren, verspricht wie ein Mephisto dem gesättigten Leser, ihn auf eine Reise durch den gesamten Kosmos Gustaf Gründgens mitzunehmen.
Ist dies nun also die nächste Interpretation des unsterblichen Theater-Mythos „GG“, und zwar eine, wie sie unser Zeitalter der hemmungslosen Zudringlichkeit verlangt? Kommt nach der Verteufelung als gewissenloser eitler Nazischerge, die Klaus Mann 1936 mit seinem Roman „Mephisto“ eingeleitet hat, nach den Hagiografien des genialen Künstlers, die in der Nachkriegszeit entstanden sind, und Peter Michalziks zum 100. Geburtstag 1999 veröffentlichter Biografie, die Gründgens Werte hinter seinen Anpassungsleistungen zu deuten versucht, nun die Version „Gründgens-Klatsch“ heraus? Immerhin ist Blubacher der erste Biograf, der den kompletten Nachlass von Deutschlands berühmtestem Theaterkünstler auswerten konnte, der seit dem Jahr 2000 zugänglich ist. Und Blubacher hat noch einmal zahlreiche Zeitzeugen zu Gründgens’ Leben befragt, bis hin zu der Stewardess, die 1963 im Manila Hotel seinen damaligem Freund Jürgen Schleiß bei der Vernehmung durch die Polizei dolmetschte.
Glamouröses, Skandalöses, Fragwürdiges findet sich in Gründgens’ Leben jedenfalls genug, um eine pralle, schonungslos offene Prominenten-Biografie zu schreiben. Schließlich begann er sein Künstlerleben als graziöser Selbstdarsteller in der Weimarer Republik, wurde dann der wichtigste Theatermann der Nazis als Intendant des Preußischen Staatstheaters in Berlin, schließlich unangefochtener Bühnenstar der jungen Bundesrepublik mit gefürchteten Marotten und verruchtem Privatleben. Und Blubacher erzählt sie alle, die Laster und Leiden, Lügen und Lächerlichkeiten, die Gründgens so gerne hinter dem Vorhang gehalten hätte.
Reichlich Platz nimmt sein schwules Liebesleben ein, das getarnt von prominenten Ehen (mit Erika Mann und Marianne Hoppe), gedeckt von Göring und Goebbels und ständig bedroht von eifernden Sittenwächtern sich lebenslang zwischen bohemienhafter Lust und Todesangst abspielte. Dass er sich mit 50 Jahren liften ließ, um noch junge Helden wie Tasso und Hamlet spielen zu können, oder sich mit Peter Gorski einen Lebenspartner suchte, der genau wie er selbst in jung aussah, zeugt ebenso von einem zwanghaften Narzissmus wie die Geschichten über divaeske Kündigungen, mit denen Gründgens wiederholt Politiker zwang, sich mit Bitten um Vertragseinhaltung vor ihm zu erniedrigen. Und natürlich beschreibt Blubacher auch die vielen Taten, Kotaus und Versäumnisse von Gründgens im Dritten Reich, die seine Beschreibung des Schauspielhauses als einer Insel der Kunst im Reich des Bösen als Halbwahrheit entlarven.
Aber Blubacher tut das weder genüsslich noch wertend. Wenn etwas an dieser Biografie wirklich erstaunlich ist, dann die teilnahmslose Objektivität, mit der er jeden Aspekt so lange relativiert, bis er jede Brisanz verloren hat. Das wirkt bei Gründgens’ Privatangelegenheiten angemessen unaufgeregt und modern; an den zahlreichen moralischen Schwachstellen, die Gründgens Egoismus mit sich brachte, wäre ein eigener Standpunkt aber sicherlich kein Fehler gewesen. Dass etwa sein Wunsch, für das Staatstheater Nebenspielstätten zu bekommen, 1936 nur durch die Enteignung des jüdischen Theaterbesitzers Max Epstein gelang, wird ebenso abwägend behandelt wie die Tatsache, dass der protzige Lebemann 1934 sein Privatgut in Zeesen von dem jüdischen Vorbesitzer zu einem Spottpreis erwerben konnte, weil er einen NS-Anwalt verpflichtete, der die Verhandlung in Uniform und mit offenen Drohungen führte.
Blubachers gewissenhafte Sachlichkeit enthält sich hier wie an allen anderen prekären Stellen einer persönlichen Haltung. Deswegen wird aus dieser akribisch recherchierten Fleißarbeit am Ende doch nur eine Aufzählungsbiografie. Faktensicher, aber ohne persönliche Kenntnis der Zeit und ihrer Protagonisten, hätte es Phantasie und Urteil bedurft, um aus dem Leben des Gustav (wie er eigentlich hieß) Gründgens eine neue, spannende Erzählung zu schaffen. Wer nicht interpretiert, verliert. Jedenfalls, wenn er meint, eine neue Sicht auf das schon gründlich ausgeleuchtete Leben anbieten zu können.
Ist der fehlende Mut zum Standpunkt, mit dem Blubacher die historischen Dilemmata und die zwiespältige Persönlichkeit von Gründgens behandelt, noch als lau, aber fair zu verstehen, so wird sein mangelnder Esprit in der Beschreibung des Bühnen-Gottes zu einem echten Problem Eine packende Darstellung des Charismas, mit dem Gründgens Menschen aller Gesinnungen und sozialen Hintergründe zu fesseln wusste, vermisst man doch schmerzlich. Mangels persönlicher Anschauung füllt Blubacher immer wieder ganze Absätze mit Inszenierungstiteln, Fremdzitaten und Ein-Satz-Beschreibungen. Die DVD von Gründgens berühmter Faust-Inszenierung mit ihm als Mephisto sagt in wenigen Minuten mehr über seine geniale Strahlkraft aus als dieses ganze Buch.
Natürlich ist diese neue Biografie zum 50. Todestag (Gründgens starb am 7. Oktober 1963 an einer Überdosis Schlaftabletten) nicht ohne Wert, denn tadellose Recherche erlaubt es dem Leser, seine eigenen Bewertungen zu formulieren. Aber Blubachers Anspruch, der heutigen Theatergeneration den Menschen Gustaf Gründgens wieder lebendig zu machen, hat ihn auf einen Mittelweg zwischen süffisantem Klatsch und literarischer Annäherung geführt, auf dem die Faszination durch den Menschen, mehr noch aber durch den Künstler, in glänzender Nüchternheit erstarrt.
TILL BRIEGLEB
Thomas Blubacher: Gustaf Gründgens. Biografie. Henschel Verlag, Leipzig 2013. 434 S., 34,90 Euro.
Die undatierte Aufnahme zeigt Gründgens mit seiner Ehefrau von 1936-46, der Schauspielerin Marianne Hoppe, bei einer Bootspartie in Zeesen.
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de