Jahrzehntelang war er eine Institution in Millionen deutschen Haushalten: der Quelle-Katalog. Er war das Medium, das nicht nur für eine besonders enge Verbindung zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden sorgte, das darin präsentierte Produkt - angebot prägte vielmehr auch entscheidend den Geschmack und die Alltagskultur im Wirtschaftswunderland.
Gregor Schöllgen, der wohl profilierteste Kenner deutscher Unternehmerfamilien, legt nun die erste umfassende Biographie des Quelle-Gründers Gustav Schickedanz vor. Auf der Grundlage bislang nicht zugänglicher Informationen schildert er die Anfänge des Versandhauses seit den 1920er Jahren und beschreibt den Aufbau jenes Industrieimperiums, mit dem Gustav Schickedanz seinem Unternehmen während der 1930er Jahre ein zweites Standbein neben dem Versandhandel verschaffte. Nach dem Krieg wurde Schickedanz deshalb vorgeworfen, Nutznießer von Arisierungen gewesen zu sein. Auch wenn sich die Vorwürfe am Ende als unhaltbar erwiesen, gelingt es Schöllgen doch, exemplarisch die Grauzonen aufzuzeigen, in denen sich jedes Wirtschaftsunternehmen in einer Diktatur unweigerlich bewegt. Die Zeit des Wirtschaftswunders und der aufbrechenden Konsumgesellschaft bedeutete für Quelle schließlich einen beispiellosen Aufschwung, ein Erfolg, der - so Schöllgens Fazit - am Ende ohne das unternehmerische Genie von Gustav Schickedanz keine Zukunft haben konnte.
Schöllgens Werk ist die gleichermaßen faszinierende wie differenzierte Darstellung eines zentralen Kapitels der deutschen Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Gregor Schöllgen, der wohl profilierteste Kenner deutscher Unternehmerfamilien, legt nun die erste umfassende Biographie des Quelle-Gründers Gustav Schickedanz vor. Auf der Grundlage bislang nicht zugänglicher Informationen schildert er die Anfänge des Versandhauses seit den 1920er Jahren und beschreibt den Aufbau jenes Industrieimperiums, mit dem Gustav Schickedanz seinem Unternehmen während der 1930er Jahre ein zweites Standbein neben dem Versandhandel verschaffte. Nach dem Krieg wurde Schickedanz deshalb vorgeworfen, Nutznießer von Arisierungen gewesen zu sein. Auch wenn sich die Vorwürfe am Ende als unhaltbar erwiesen, gelingt es Schöllgen doch, exemplarisch die Grauzonen aufzuzeigen, in denen sich jedes Wirtschaftsunternehmen in einer Diktatur unweigerlich bewegt. Die Zeit des Wirtschaftswunders und der aufbrechenden Konsumgesellschaft bedeutete für Quelle schließlich einen beispiellosen Aufschwung, ein Erfolg, der - so Schöllgens Fazit - am Ende ohne das unternehmerische Genie von Gustav Schickedanz keine Zukunft haben konnte.
Schöllgens Werk ist die gleichermaßen faszinierende wie differenzierte Darstellung eines zentralen Kapitels der deutschen Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2010König Gustav der Helle
Gregor Schöllgen ist begeistert vom Versandhaus-"Revolutionär" Schickedanz und von den Fürther Katalogen
Ohne den "Quelle"-Katalog lasse sich die deutsche Nachkriegsgeschichte nicht erzählen, meint Gregor Schöllgen. Der Erlangener Historiker beklagt sich, dass die Unternehmensgruppe Schickedanz in Studien zur alten Bundesrepublik nur eine marginale oder keine Rolle spiele. "Aber vielleicht wird gerade hier das eigentliche Erfolgsrezept des Mannes fassbar: Gustav Schickedanz und seine Quelle haben die Republik so konsequent, so nachhaltig und so diskret geprägt, dass keiner es gemerkt hat." Der "Quelle"-Katalog als historische Quelle für die Bonner Republik - das wäre ein tolles Thema gewesen. Doch der Auftrag von Madeleine Schickedanz, der jüngsten Tochter des Firmengründers, war bescheidener: ein Buch über das Leben des 1895 geborenen und 1977 verstorbenen Großkaufmanns.
Der vielfach bewährte Biograph Schöllgen versteht es wieder einmal, seine Leser bestens zu unterhalten und allgemein verständlich zu informieren - trotz des hin und wieder spröden Stoffs über den rasanten Aufstieg und den tiefen Fall des Versandhauses. Doch der Mensch Schickedanz bleibt etwas blass, was bereits die Kapitelüberschriften andeuten: "Der Suchende" bis 1929, "Der Profiteur" bis 1938, "Der Durchhalter" bis 1949, "Der Revolutionär" bis 1957, "Der Preisbrecher" bis 1966 und "Der Patriarch". Immerhin erfährt man, dass er Bücher (besonders Baudelaire) liebte, Autographen (vor allem Hesse und Rilke) sammelte, die Natur (am meisten Schmetterlinge) bewunderte und durchaus luxuriös lebte (vermittelt durch Illustrierten-Zitate).
Viel Interessantes tragen Schöllgen und seine Rechercheure zusammen über den Ausbau des Unternehmens und jene Zeitumstände, die "König Gustav" glänzend für sich nutzte. Das alles bewundert der Biograph. Nach kaufmännischer Lehre und einer sechsjährigen Militärdienstzeit gehörte Unterzahlmeister Schickedanz im Frühjahr 1919 dem Fürther Arbeiter- und Soldatenrat an. Als "plötzlich Leben und Perspektiven in das stupide Soldatendasein" kamen, wurde er zum "Revolutionär", zum ersten Mal in seinem Leben, aber nicht zum letzten Mal. Nach dem Militärdienst heiratete er 1919 Anna Babette Zehnder. Ende 1922 eröffnete er in Fürth eine Großhandlung für Kurz-, Weiß- und Wollwaren. 1924 kam Sohn Leo zur Welt, 1925 Tochter Louise. 1927 gründete er das "Versandhaus Quelle"; damit betrat er ein "in Deutschland noch wenig erschlossenes, insgesamt aber nicht unbekanntes Terrain". Bei einem tragischen Verkehrsunfall starben 1929 seine (das Fahrzeug steuernde) Frau, sein Sohn und sein 72 Jahre alter Vater. Er selbst erlitt schwere Verletzungen, nur Tochter Louise blieb unversehrt.
Von der Weltwirtschaftskrise habe der Fürther Unternehmer eher profitiert; seine Herrenkomplettausstattung "ist äußerst knapp kalkuliert und selbst für den Arbeitslosen erschwinglich". Schickedanz trat schon im November 1932 der NSDAP bei und war von 1935 an Ratsherr in seiner Heimatstadt Fürth. Später gab er zu Protokoll, die "offen ausgesprochene Drohung", dass er "bei der Machtübernahme Hitlers als früheres Mitglied des ,berüchtigten' Arbeiter- und Soldatenrates verhaftet werden sollte", hätten ihn zu diesem Schritt veranlasst. Ludwig Erhard, nach dem Krieg kurz Wirtschaftsminister Bayerns, auch aus Fürth stammend und in den sechziger Jahren Bundeskanzler, urteilte 1946 scharf, aber zutreffend, es sei "ein gewisses Maß ,politischer Dummheit', Schwäche, vielleicht sogar Feigheit" gewesen, die Schickedanz zum Parteieintritt bewogen hätten, weil er sich dadurch "die wirtschaftliche Freizügigkeit sichern zu können glaubte".
In den dreißiger Jahren vergrößerte Schickedanz seine Unternehmensgruppe durch die Vereinigten Papierwerke, Brauereien, eine Bettfedernfabrik, den Textilversand Ignaz Mayer: "In sämtlichen Fällen waren die Vorbesitzer zum Verkauf gezwungen. Entweder standen sie, und das war die Regel, als Folge der Weltwirtschaftskrise vor dem Ruin und sahen nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erst recht keine Chance mehr, wieder auf die Beine zu kommen; oder aber sie waren durch die zusehends forcierte und schließlich auch förmlich legalisierte Arisierung zur Aufgabe ihres Geschäfts gezwungen." Schickedanz habe "von den Umständen profitiert. In keinem Fall hat er sie ausgenutzt, um die unter Druck stehen Verkäufer zu übervorteilen." Dies hätten nach 1945 - als die Betriebe von Schickedanz unter Vermögenskontrolle standen - öffentliche Ankläger und Gutachter bestätigt. Schließlich wurde er als "Mitläufer" eingestuft und kehrte am 7. April 1949 in seine vielen Chefsessel zurück.
Dennoch wurden Forderungen nach Rückerstattung erhoben. Rund acht Millionen Mark wandte Schickedanz zur Abgeltung auf, ohne von der Rechtmäßigkeit der Ansprüche überzeugt zu sein. Eine realistische Chance, sich zu widersetzen, habe er "kaum" gehabt. Er sei von früheren Besitzern, die ihn beschuldigten, enttäuscht gewesen, weil er ihnen in schwierigen Zeiten "mit Anstand" begegnet sei. Daher bediente er die Forderungen, "weil Enttäuschung nicht weiterhilft, weil es im Grunde keine Alternative gibt, weil er die Sache endlich hinter sich bringen und sein Geschäft zu neuen Horizonten führen will", urteilt der Biograph.
Schöllgen widmet sich unter vielem anderen der Fürsorge des Unternehmers für seine Angestellten und Ruheständler, der Großzügigkeit des Stifters, den Gastarbeitern, den spektakulärsten Neuheiten im Sortiment (1962 Fertighäuser, 1966 Unterwasserkamera und Geschirrspülmaschine, 1970 Kleinpudel), der Gründung der Noris Kreditbank und der Zusammenarbeit mit Heinz Oestergaard. Den "Modekönig aus Berlin" nahm "Quelle" 1967 unter Vertrag; um die Kollektion kümmerte sich fortan Grete Schickedanz (einst Lehrmädchen bei "Quelle", seit 1931 Lebenspartnerin und seit 1942 Ehefrau).
Schickedanz habe "den Versandhandel revolutioniert, der Konsumgesellschaft ihr Gesicht gegeben und das Bild des gleichermaßen erfolgreichen und verantwortlichen Unternehmers nachhaltig geprägt". Zum Zeitpunkt seines Todes 1977 setzte die Unternehmensgruppe im In- und Ausland 8,3 Milliarden Mark um, beschäftigte 43 000 Personen, und der 930 Seiten starke Katalog mit 80 000 Artikeln erreichte eine Auflage von mehr als siebeneinhalb Millionen Exemplaren.
Im Epilog "Der Schatten" schildert Schöllgen die Nachfolge-Querelen, den "Vereinigungsboom" um 1990, die Folgen des Todes von Grete und Louise 1994 sowie kurz die letzten Zuckungen des Unternehmens bis zum 20. Oktober 2009, als der Insolvenzverwalter just am Tage des 66. Geburtstages von Madelaine Schickedanz "den Tod der Quelle" bekanntgab: "Wie ihr Gründer Gustav Schickedanz und seine Frau und Nachfolgerin an der Spitze des Konzerns, Grete Schickedanz, wird auch ihre Quelle 82 Jahre alt." Es bleibe "ein guter Name" mit Strahlkraft.
Als Schöllgen Mitte 2007 von Madeleine Schickedanz den Auftrag erhielt, die Papiere ihres Vaters zu sichten und zu verarbeiten, sah er den Zusammenbruch des Unternehmens nicht vorher. Allerdings wurde ihm bei der Niederschrift deutlich, dass das Lebenswerk in "hohem Maße an seinen Schöpfer gebunden war". Doch bleibt in dieser Biographie unklar, wie Schickedanz nach innen wirkte und die Unternehmen führte. Zudem traf weder auf die Töchter noch auf die Schwiegersöhne das zu, was der Firmengründer in den siebziger Jahre in seinem Notizbuch festhielt: "Ich bin der Helle, der gute Geist von Quelle."
RAINER BLASIUS
Gregor Schöllgen: Gustav Schickedanz. Biographie eines Revolutionärs. Berlin Verlag, Berlin 2010. 464 S., 32,- [Euro].
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Gregor Schöllgen ist begeistert vom Versandhaus-"Revolutionär" Schickedanz und von den Fürther Katalogen
Ohne den "Quelle"-Katalog lasse sich die deutsche Nachkriegsgeschichte nicht erzählen, meint Gregor Schöllgen. Der Erlangener Historiker beklagt sich, dass die Unternehmensgruppe Schickedanz in Studien zur alten Bundesrepublik nur eine marginale oder keine Rolle spiele. "Aber vielleicht wird gerade hier das eigentliche Erfolgsrezept des Mannes fassbar: Gustav Schickedanz und seine Quelle haben die Republik so konsequent, so nachhaltig und so diskret geprägt, dass keiner es gemerkt hat." Der "Quelle"-Katalog als historische Quelle für die Bonner Republik - das wäre ein tolles Thema gewesen. Doch der Auftrag von Madeleine Schickedanz, der jüngsten Tochter des Firmengründers, war bescheidener: ein Buch über das Leben des 1895 geborenen und 1977 verstorbenen Großkaufmanns.
Der vielfach bewährte Biograph Schöllgen versteht es wieder einmal, seine Leser bestens zu unterhalten und allgemein verständlich zu informieren - trotz des hin und wieder spröden Stoffs über den rasanten Aufstieg und den tiefen Fall des Versandhauses. Doch der Mensch Schickedanz bleibt etwas blass, was bereits die Kapitelüberschriften andeuten: "Der Suchende" bis 1929, "Der Profiteur" bis 1938, "Der Durchhalter" bis 1949, "Der Revolutionär" bis 1957, "Der Preisbrecher" bis 1966 und "Der Patriarch". Immerhin erfährt man, dass er Bücher (besonders Baudelaire) liebte, Autographen (vor allem Hesse und Rilke) sammelte, die Natur (am meisten Schmetterlinge) bewunderte und durchaus luxuriös lebte (vermittelt durch Illustrierten-Zitate).
Viel Interessantes tragen Schöllgen und seine Rechercheure zusammen über den Ausbau des Unternehmens und jene Zeitumstände, die "König Gustav" glänzend für sich nutzte. Das alles bewundert der Biograph. Nach kaufmännischer Lehre und einer sechsjährigen Militärdienstzeit gehörte Unterzahlmeister Schickedanz im Frühjahr 1919 dem Fürther Arbeiter- und Soldatenrat an. Als "plötzlich Leben und Perspektiven in das stupide Soldatendasein" kamen, wurde er zum "Revolutionär", zum ersten Mal in seinem Leben, aber nicht zum letzten Mal. Nach dem Militärdienst heiratete er 1919 Anna Babette Zehnder. Ende 1922 eröffnete er in Fürth eine Großhandlung für Kurz-, Weiß- und Wollwaren. 1924 kam Sohn Leo zur Welt, 1925 Tochter Louise. 1927 gründete er das "Versandhaus Quelle"; damit betrat er ein "in Deutschland noch wenig erschlossenes, insgesamt aber nicht unbekanntes Terrain". Bei einem tragischen Verkehrsunfall starben 1929 seine (das Fahrzeug steuernde) Frau, sein Sohn und sein 72 Jahre alter Vater. Er selbst erlitt schwere Verletzungen, nur Tochter Louise blieb unversehrt.
Von der Weltwirtschaftskrise habe der Fürther Unternehmer eher profitiert; seine Herrenkomplettausstattung "ist äußerst knapp kalkuliert und selbst für den Arbeitslosen erschwinglich". Schickedanz trat schon im November 1932 der NSDAP bei und war von 1935 an Ratsherr in seiner Heimatstadt Fürth. Später gab er zu Protokoll, die "offen ausgesprochene Drohung", dass er "bei der Machtübernahme Hitlers als früheres Mitglied des ,berüchtigten' Arbeiter- und Soldatenrates verhaftet werden sollte", hätten ihn zu diesem Schritt veranlasst. Ludwig Erhard, nach dem Krieg kurz Wirtschaftsminister Bayerns, auch aus Fürth stammend und in den sechziger Jahren Bundeskanzler, urteilte 1946 scharf, aber zutreffend, es sei "ein gewisses Maß ,politischer Dummheit', Schwäche, vielleicht sogar Feigheit" gewesen, die Schickedanz zum Parteieintritt bewogen hätten, weil er sich dadurch "die wirtschaftliche Freizügigkeit sichern zu können glaubte".
In den dreißiger Jahren vergrößerte Schickedanz seine Unternehmensgruppe durch die Vereinigten Papierwerke, Brauereien, eine Bettfedernfabrik, den Textilversand Ignaz Mayer: "In sämtlichen Fällen waren die Vorbesitzer zum Verkauf gezwungen. Entweder standen sie, und das war die Regel, als Folge der Weltwirtschaftskrise vor dem Ruin und sahen nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erst recht keine Chance mehr, wieder auf die Beine zu kommen; oder aber sie waren durch die zusehends forcierte und schließlich auch förmlich legalisierte Arisierung zur Aufgabe ihres Geschäfts gezwungen." Schickedanz habe "von den Umständen profitiert. In keinem Fall hat er sie ausgenutzt, um die unter Druck stehen Verkäufer zu übervorteilen." Dies hätten nach 1945 - als die Betriebe von Schickedanz unter Vermögenskontrolle standen - öffentliche Ankläger und Gutachter bestätigt. Schließlich wurde er als "Mitläufer" eingestuft und kehrte am 7. April 1949 in seine vielen Chefsessel zurück.
Dennoch wurden Forderungen nach Rückerstattung erhoben. Rund acht Millionen Mark wandte Schickedanz zur Abgeltung auf, ohne von der Rechtmäßigkeit der Ansprüche überzeugt zu sein. Eine realistische Chance, sich zu widersetzen, habe er "kaum" gehabt. Er sei von früheren Besitzern, die ihn beschuldigten, enttäuscht gewesen, weil er ihnen in schwierigen Zeiten "mit Anstand" begegnet sei. Daher bediente er die Forderungen, "weil Enttäuschung nicht weiterhilft, weil es im Grunde keine Alternative gibt, weil er die Sache endlich hinter sich bringen und sein Geschäft zu neuen Horizonten führen will", urteilt der Biograph.
Schöllgen widmet sich unter vielem anderen der Fürsorge des Unternehmers für seine Angestellten und Ruheständler, der Großzügigkeit des Stifters, den Gastarbeitern, den spektakulärsten Neuheiten im Sortiment (1962 Fertighäuser, 1966 Unterwasserkamera und Geschirrspülmaschine, 1970 Kleinpudel), der Gründung der Noris Kreditbank und der Zusammenarbeit mit Heinz Oestergaard. Den "Modekönig aus Berlin" nahm "Quelle" 1967 unter Vertrag; um die Kollektion kümmerte sich fortan Grete Schickedanz (einst Lehrmädchen bei "Quelle", seit 1931 Lebenspartnerin und seit 1942 Ehefrau).
Schickedanz habe "den Versandhandel revolutioniert, der Konsumgesellschaft ihr Gesicht gegeben und das Bild des gleichermaßen erfolgreichen und verantwortlichen Unternehmers nachhaltig geprägt". Zum Zeitpunkt seines Todes 1977 setzte die Unternehmensgruppe im In- und Ausland 8,3 Milliarden Mark um, beschäftigte 43 000 Personen, und der 930 Seiten starke Katalog mit 80 000 Artikeln erreichte eine Auflage von mehr als siebeneinhalb Millionen Exemplaren.
Im Epilog "Der Schatten" schildert Schöllgen die Nachfolge-Querelen, den "Vereinigungsboom" um 1990, die Folgen des Todes von Grete und Louise 1994 sowie kurz die letzten Zuckungen des Unternehmens bis zum 20. Oktober 2009, als der Insolvenzverwalter just am Tage des 66. Geburtstages von Madelaine Schickedanz "den Tod der Quelle" bekanntgab: "Wie ihr Gründer Gustav Schickedanz und seine Frau und Nachfolgerin an der Spitze des Konzerns, Grete Schickedanz, wird auch ihre Quelle 82 Jahre alt." Es bleibe "ein guter Name" mit Strahlkraft.
Als Schöllgen Mitte 2007 von Madeleine Schickedanz den Auftrag erhielt, die Papiere ihres Vaters zu sichten und zu verarbeiten, sah er den Zusammenbruch des Unternehmens nicht vorher. Allerdings wurde ihm bei der Niederschrift deutlich, dass das Lebenswerk in "hohem Maße an seinen Schöpfer gebunden war". Doch bleibt in dieser Biographie unklar, wie Schickedanz nach innen wirkte und die Unternehmen führte. Zudem traf weder auf die Töchter noch auf die Schwiegersöhne das zu, was der Firmengründer in den siebziger Jahre in seinem Notizbuch festhielt: "Ich bin der Helle, der gute Geist von Quelle."
RAINER BLASIUS
Gregor Schöllgen: Gustav Schickedanz. Biographie eines Revolutionärs. Berlin Verlag, Berlin 2010. 464 S., 32,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Keine Angst, Familie Schickedanz, der Aufklärungsarbeit ist Gregor Schöllgen nicht verdächtig. Das weiß Willi Winkler spätestens nach der Lektüre dieser "Firmenwerbeprosa" für das Haus Quelle und seinen Gründer Gustav Schickedanz. Bei all der von Winkler konstatierten , unerfreulichen hofmusikalischen Lobhudelei fragen wir uns, ob der Rezensent es über sich gebracht hat, das Buch bis zum Ende zu lesen. Denn Schöllgens von Winkler durchaus erkannte Tugenden Geduld, Zeit und Quellenstärke verkehren sich zu Untugenden, wenn daraus nichts wird, als eine geschmeidige Abfolge von Floskeln und Klischees. Als Meister also präsentiert sich der Autor nach Winklers Meinung vor allem in der konstanten Einhaltung der affirmativen, durch nichts (auch durch Schickedanz' fragwürdige Haltung zum NS-Regime nicht) zu erschütternden Innenperspektive sowie in der Kunst, aus einem vollen Archiv soviel Leere herausgeholt zu haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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