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Die spannende Entstehungsgeschichte und nachfolgende Odyssee des spektakulären Aktbildes -L'Origine du Monde- von Gustave Courbet als Ausgangspunkt für eine Betrachtung des Phänomens -Natur und Erotik- im Werk des großen französischen Malers.

Produktbeschreibung
Die spannende Entstehungsgeschichte und nachfolgende Odyssee des spektakulären Aktbildes -L'Origine du Monde- von Gustave Courbet als Ausgangspunkt für eine Betrachtung des Phänomens -Natur und Erotik- im Werk des großen französischen Malers.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.1998

Phantom im Schneemantel
Günter Metken über Courbets Gemälde "Der Ursprung der Welt"

Gustave Courbets Gemälde "L'Origine du monde" war lange Zeit der Yeti der Kunstgeschichte: Alle redeten darüber, aber keiner hatte es gesehen. Im großen OEuvrekatalog von Robert Fernier erschien 1978 zwar eine Schwarzweißabbildung, aber es blieb ungeklärt, wo sich das Original befand. Der letzte Besitzwechsel hatte 1955 stattgefunden, seither war "Der Ursprung der Welt" ein Phantombild. Das änderte sich erst, als das Gemälde 1995 vom Musée d'Orsay erworben wurde, wo es seitdem im großen Courbet-Saal im Erdgeschoß hängt. Der in Paris lebende Kunsthistoriker Günter Metken hat es nun zum Gegenstand einer materialreichen Monographie gemacht.

Als das Musée d'Orsay seine Neuerwerbung vorstellte, wurde endlich bekannt, wer das Bild so lange besessen und sein Geheimnis so gut behütet hatte: Jacques Lacan, der Star unter Frankreichs Psychoanalytikern. Lacan hatte Courbets schamlosen Blick auf das weibliche Geschlecht als etwas Verbotenes inszeniert und sich von André Masson einen Bilddeckel malen lassen, der das Bild verschloß und das Sujet mit abstrahierten Linienschwüngen elegant andeutete. Auch der erste Besitzer, der in Paris lebende türkische Diplomat Khalid Bey, hatte es vor den meisten Besuchern seiner großen Sammlung verborgen, und bei einem späteren Besitzer war es lange Jahre hinter einer Schneelandschaft von Courbet versteckt, die als aufklappbarer Deckel diente.

Im Orsay-Museum, an der hohen Wand mit ihren Großformaten, an der ständig Besucher vorbeidefilieren, erinnert nichts mehr an die Atmosphäre eines privaten Kabinetts, für die das Bild gemalt wurde. Kein Deckel und kein Dämmerlicht verbirgt das Unaussprechliche, das Bild ist schutzlos geworden. Doch die Zerstörung der Intimität mindert nicht den Schock, er bleibt auch im hellen Licht des kunsthistorischen Studiensaales spürbar.

Dieser Schock rührt keineswegs nur vom Sujet oder vom Tabubruch, es überhaupt zu zeigen, sondern vor allem von der Art seiner malerischen Darstellung. Man braucht sich nur umzusehen unter den Gemälden dieses Saales, um den Unterschied zu begreifen. Wo ist das Helldunkel geblieben, das wie ein Schleier auf den anderen Courbet-Bildern liegt? Dieses eine Mal hat Courbet ihn weggezogen, und der Akt ist hell beleuchtet, als läge er auf dem Operationstisch. Und wo ist jene verwischte Pinselschrift geblieben, derentwegen wir den Maler gewohnheitsmäßig zu den Vorläufern des Impressionismus zählen? Wir sehen sie nur am Rande des Bildes. Die Hauptsache aber hat Courbet keineswegs wie ein Vorläufer der Impressionisten gemalt, sondern eher wie ein Nachläufer des Klassizismus. Man sollte alles ganz genau erkennen können, deshalb malte Courbet für seinen Auftraggeber etwas weniger modern als sonst. Eine lockere Pinselschrift à la Courbet hätte den gewünschten Effekt nur mindern können, also orientierte Courbet sich dieses Mal an der kalten Präzision eines Ingres.

Es gibt noch ein Gemälde von Courbet, das auf diese Art gemalt ist, das Bild der beiden schlummernden Frauen im Pariser Musée du Petit Palais. Gäbe es nicht "L'Origine du monde", so würde wohl "Le Sommeil" nach wie vor als das erotischste Courbet-Bild gelten. Es hängt im Petit Palais an derselben Wand wie das Porträt des Philosophen Proudhon und die bekannten "Demoiselles des bords de la Seine", und abermals sieht unter mehreren Hauptwerken von Courbet nur dieses eine Bild so aus, als wäre der Schleier der Kunst beiseite gezogen und jemand hätte das Licht angeknipst. Courbet hat auch "Le Sommeil" für Khalid Bey gemalt. Der Sammler besaß außerdem noch "Das türkische Bad" von Ingres, das heute im Louvre hängt.

Anders als "L'Origine du monde", das seinen Namen vermutlich erst später bekam, hat der Sammler "Le Sommeil" und "Le Bain turc" den Besuchern seiner Sammlung gezeigt. "Das türkische Bad" dürfte damals ohnehin kaum skandalträchtig gewesen sein. In der Epoche des Orientalismus waren Haremsbilder öffentlich erlaubte Männerphantasien.

Ingres hatte für die erotische Phantasie seinen malerischen Stil nicht ändern müssen. Der Avantgardist Courbet jedoch sah sich genötigt, für den privaten Auftraggeber anders zu malen als sonst. Er war nicht der erste Künstler, der seinen Stil der Situation anpaßte. Als Rembrandt ein privates Bildnis für seinen Freund Jan Six malte, nutzte er die Gelegenheit, um betont lässig und "modern" zu malen. Das Moderne war das Verbotene. In der Avantgardekunst zur Zeit Courbets beginnt das Verhältnis sich nun umzukehren: Die Modernität wird zum Erlaubten, und das Verbotene verschwistert sich mit der Tradition. WILFRIED WIEGAND

Günter Metken: "Gustave Courbet. Der Ursprung der Welt". Ein Lust-Stück. Prestel Verlag, München 1997. 80 S., 64 Abb., geb., 49,80 DM.

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