Der Einmarsch der Amerikaner und die Wirren der Nachkriegszeit, der Beginn des Wiederaufbaus und der Adenauer-Ära, die Währungsreform und das Wirtschaftswunder: Vor der Bühne des Hotels "Petersburger Hof" am Geisberg mit seiner Inhaberin Frieda Tremus und den Menschen, die ihr nahe stehen, lässt Hans Dieter Schreeb ein lebendiges Bild der Nachkriegszeit in Wiesbaden entstehen.
Hans Dieter Schreeb zeichnet - "spannungsvoll und höchst unterhaltsam" (FAZ) - ein "farbenprächtiges und lebendiges Gesellschaftspanorama" (NDR).
Hans Dieter Schreeb zeichnet - "spannungsvoll und höchst unterhaltsam" (FAZ) - ein "farbenprächtiges und lebendiges Gesellschaftspanorama" (NDR).
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.2015Die Weltpolitik im Kleinen
Hans Dieter Schreeb hat seine Familiengeschichte fortgeschrieben. Es ist eine geglückte Verbindung von historischen Stoffen und Emotionen.
Von Ewald Hetrodt
WIESBADEN. Wer Hans Dieter Schreebs Bücher gelesen hat, spürt beim Anblick des Hotels am Wiesbadener Geisberg Ernüchterung. Die unauffällige Trostlosigkeit, die das Elternhaus des Autors heute ausstrahlt, passt nicht zu seiner Geschichte. Denn in ihr stellt sich das Hotel als Mikrokosmos der Weltpolitik dar. Im "Hotel Petersburger Hof" hat Schreeb vor einem Jahrzehnt anhand der Lebensgeschichte seiner Großmutter die glanzvolle Geschichte der Weltkurstadt zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus beschrieben. Jetzt erscheint der Fortsetzungsroman "Gute Jahre". Sie beginnen mit dem Einmarsch der Amerikaner im März 1945.
"Was ist das passende Benehmen beim Ende eines Weltkrieges?", fragt sich Frieda Tremur, während ihr seltsamer Dauergast aus Zimmer 12 das Ende des guten Lebens kommen sieht. Sie fragt ihn, ob er zum Abschluss noch gern ein gekochtes Ei hätte - da quillt die Biebricher Allee auch schon über von Soldaten. Frieda ist resolut, intelligent, tatkräftig, eine elegante Erscheinung. So hätte sie die Nachkriegszeit mit all ihren Chancen sicher mühelos gemeistert, wenn nicht die Familie gewesen wäre. Es rächt sich jetzt, dass sie für ihren inzwischen verstorbenen Ehemann Georg und die Kinder immer zu wenig Zeit hatte.
Friedas Sohn August litt besonders darunter und wanderte schon vor Jahren nach Amerika aus. Jetzt kehrt er als Offizier der Amerikaner zurück und residiert im Hauptgebäude der Sektkellerei Henkell. Das Wiedersehen fällt außerordentlich kühl aus. Immerhin lässt der Leutnant seiner Mutter eine Tüte mit Schokolade, Büchsenkaffee und einigen Stangen Zigaretten in den Arm drücken, bevor sie in einer Armeelimousine zum Geisberg zurückgebracht wird. Ihr Hotel darf Frieda behalten. Weil dort weibliche Angehörige des amerikanischen Militärs untergebracht sind, ist die Versorgung angesichts der Umstände geradezu paradiesisch. Fehlen nur noch Papiere, um den Geliebten in der französischen Besatzungszone besuchen zu können. Gefühle machen auch vor der Weltgeschichte nicht halt.
Genau dieses Prinzip macht Schreeb sich methodisch zu eigen. Nach Stationen bei der "Ingelheimer Zeitung" und beim Südwestfunk ist es dem Autor von Büchern, Theaterstücken, Fernsehspielen und Hörfunkserien zur Routine geworden, historische Stoffe so mit Emotionen zu verbinden, dass sie Leser, Hörer und Zuschauer wirklich berühren. Zwar ist der 77 Jahre alte Wiesbadener weit davon entfernt, 150 Millionen Bücher zu verkaufen. Aber mit dem englischen Bestsellerautor Ken Follett verbindet ihn die angloamerikanische Methode des dramaturgischen Erzählens von Geschichte und Geschichten.
In seiner dreiteiligen "Jahrhundert-Saga" beschreibt Follett die menschenverachtende Brutalität von Kommunismus und Nationalsozialismus in einer solchen Anschaulichkeit, dass hinter der Wirkung seiner Bücher jede noch so gute wissenschaftliche Darstellung zurückbleiben muss. So wie sich Follett am Beispiel von vier Familien aus Deutschland, Amerika, England und Russland die Weltpolitik im Ganzen vornimmt, schildert Schreeb deren Auswirkungen auf eine Familie in der Weltkurstadt, die zum Zentrum des Landes Hessen wurde. Keine historische Abhandlung über Wiesbaden ist so plastisch und einprägsam wie dieser zweiteilige Hotel- und Familienroman.
Der Name "Petersburger Hof" ist übrigens erfunden. Das Gebäude hat zwar zwei Weltkriegen getrotzt, aber danach unter dem "Wirtschaftswunder" gelitten. Die schmuckvolle Fassade fiel einer "Sanierung" zum Opfer. Die Geschäfte liefen gut, bis der Abriss der Rhein-Main-Hallen sich auswirkte. Heute soll der Verkauf des Hauses "Admiral" besiegelt werden. Es heißt, die neue Eigentümerin wolle ein Luxushotel daraus machen. Es wäre angemessen.
Hans Dieter Schreeb, Gute Jahre, Verlag Hardt und Wörner, Wiesbaden 2015, 495 Seiten, 24,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hans Dieter Schreeb hat seine Familiengeschichte fortgeschrieben. Es ist eine geglückte Verbindung von historischen Stoffen und Emotionen.
Von Ewald Hetrodt
WIESBADEN. Wer Hans Dieter Schreebs Bücher gelesen hat, spürt beim Anblick des Hotels am Wiesbadener Geisberg Ernüchterung. Die unauffällige Trostlosigkeit, die das Elternhaus des Autors heute ausstrahlt, passt nicht zu seiner Geschichte. Denn in ihr stellt sich das Hotel als Mikrokosmos der Weltpolitik dar. Im "Hotel Petersburger Hof" hat Schreeb vor einem Jahrzehnt anhand der Lebensgeschichte seiner Großmutter die glanzvolle Geschichte der Weltkurstadt zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus beschrieben. Jetzt erscheint der Fortsetzungsroman "Gute Jahre". Sie beginnen mit dem Einmarsch der Amerikaner im März 1945.
"Was ist das passende Benehmen beim Ende eines Weltkrieges?", fragt sich Frieda Tremur, während ihr seltsamer Dauergast aus Zimmer 12 das Ende des guten Lebens kommen sieht. Sie fragt ihn, ob er zum Abschluss noch gern ein gekochtes Ei hätte - da quillt die Biebricher Allee auch schon über von Soldaten. Frieda ist resolut, intelligent, tatkräftig, eine elegante Erscheinung. So hätte sie die Nachkriegszeit mit all ihren Chancen sicher mühelos gemeistert, wenn nicht die Familie gewesen wäre. Es rächt sich jetzt, dass sie für ihren inzwischen verstorbenen Ehemann Georg und die Kinder immer zu wenig Zeit hatte.
Friedas Sohn August litt besonders darunter und wanderte schon vor Jahren nach Amerika aus. Jetzt kehrt er als Offizier der Amerikaner zurück und residiert im Hauptgebäude der Sektkellerei Henkell. Das Wiedersehen fällt außerordentlich kühl aus. Immerhin lässt der Leutnant seiner Mutter eine Tüte mit Schokolade, Büchsenkaffee und einigen Stangen Zigaretten in den Arm drücken, bevor sie in einer Armeelimousine zum Geisberg zurückgebracht wird. Ihr Hotel darf Frieda behalten. Weil dort weibliche Angehörige des amerikanischen Militärs untergebracht sind, ist die Versorgung angesichts der Umstände geradezu paradiesisch. Fehlen nur noch Papiere, um den Geliebten in der französischen Besatzungszone besuchen zu können. Gefühle machen auch vor der Weltgeschichte nicht halt.
Genau dieses Prinzip macht Schreeb sich methodisch zu eigen. Nach Stationen bei der "Ingelheimer Zeitung" und beim Südwestfunk ist es dem Autor von Büchern, Theaterstücken, Fernsehspielen und Hörfunkserien zur Routine geworden, historische Stoffe so mit Emotionen zu verbinden, dass sie Leser, Hörer und Zuschauer wirklich berühren. Zwar ist der 77 Jahre alte Wiesbadener weit davon entfernt, 150 Millionen Bücher zu verkaufen. Aber mit dem englischen Bestsellerautor Ken Follett verbindet ihn die angloamerikanische Methode des dramaturgischen Erzählens von Geschichte und Geschichten.
In seiner dreiteiligen "Jahrhundert-Saga" beschreibt Follett die menschenverachtende Brutalität von Kommunismus und Nationalsozialismus in einer solchen Anschaulichkeit, dass hinter der Wirkung seiner Bücher jede noch so gute wissenschaftliche Darstellung zurückbleiben muss. So wie sich Follett am Beispiel von vier Familien aus Deutschland, Amerika, England und Russland die Weltpolitik im Ganzen vornimmt, schildert Schreeb deren Auswirkungen auf eine Familie in der Weltkurstadt, die zum Zentrum des Landes Hessen wurde. Keine historische Abhandlung über Wiesbaden ist so plastisch und einprägsam wie dieser zweiteilige Hotel- und Familienroman.
Der Name "Petersburger Hof" ist übrigens erfunden. Das Gebäude hat zwar zwei Weltkriegen getrotzt, aber danach unter dem "Wirtschaftswunder" gelitten. Die schmuckvolle Fassade fiel einer "Sanierung" zum Opfer. Die Geschäfte liefen gut, bis der Abriss der Rhein-Main-Hallen sich auswirkte. Heute soll der Verkauf des Hauses "Admiral" besiegelt werden. Es heißt, die neue Eigentümerin wolle ein Luxushotel daraus machen. Es wäre angemessen.
Hans Dieter Schreeb, Gute Jahre, Verlag Hardt und Wörner, Wiesbaden 2015, 495 Seiten, 24,80 Euro.
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