Wirtschaftsnobelpreis 2019 und Deutscher Wirtschaftsbuchpreis 2020! Zwei preisgekrönte Ökonomen über Versagen und Verantwortung der Wirtschaftswissenschaftler
Ungleichheit, Armut, Migration, freier Handel, Wirtschaftswachstum und Umweltfragen sind die Probleme, die weltweit täglich die Schlagzeilen beherrschen. Hierzu wären Wissen und Rat von Wirtschaftswissenschaftlern dringend gefragt. Die für ihre bahnbrechenden Arbeiten zur Armutsforschung bekannten Ökonomen Esther Duflo und Abhijit Banerjee halten in diesem Buch ihren Kollegen provokant den Spiegel vor: Katastrophale Krisen wie die Lehman-Pleite haben sie verschlafen, oft verstellen ideologische Vorbehalte den Blick, und bei Streitthemen wie dem Euro haben sie sich gescheut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Duflo und Banerjee zeigen anschaulich, was gute Ökonomie stattdessen zur Lösung der dringenden Weltprobleme beitragen kann.
Ungleichheit, Armut, Migration, freier Handel, Wirtschaftswachstum und Umweltfragen sind die Probleme, die weltweit täglich die Schlagzeilen beherrschen. Hierzu wären Wissen und Rat von Wirtschaftswissenschaftlern dringend gefragt. Die für ihre bahnbrechenden Arbeiten zur Armutsforschung bekannten Ökonomen Esther Duflo und Abhijit Banerjee halten in diesem Buch ihren Kollegen provokant den Spiegel vor: Katastrophale Krisen wie die Lehman-Pleite haben sie verschlafen, oft verstellen ideologische Vorbehalte den Blick, und bei Streitthemen wie dem Euro haben sie sich gescheut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Duflo und Banerjee zeigen anschaulich, was gute Ökonomie stattdessen zur Lösung der dringenden Weltprobleme beitragen kann.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Als dieses Buch der beiden Ökonomen Abhijit V. Banerjee und Esther Duflo erschien, war von Corona noch keine Rede - und dennoch ist es von ungebrochener Aktualität, hält Rezensent Cornelius Dieckmann fest. Wenn die mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichneten Autoren mit Blick auf wachsende Armut und Arbeitslosigkeit einen "starken, aber nicht paternalistischen Staat" fordern, der mit den Reagonomics bricht und auf eine verantwortungsvolle, den Bürger einbeziehende Sozialpolitik setzt, stimmt Dieckmann gern zu. Auch Banerjees und Duflos Überlegungen zu einem bedingungslosen Grundeinkommen oder ihre Forderungen nach mehr Investitionen in Schulen oder Krankenhäuser scheinen dem Kritiker klug.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.07.2020Ausgewachsene
Probleme
Abhijit Banerjee und Esther Duflo
über Ökonomie für harte Zeiten
Vor einigen Monaten, das Buch „Good Economics for Hard Times“ von Abhijit Banerjee und Esther Duflo war gerade erschienen, wurden die Ökonomen in einem Interview gefragt, wovon sie denn redeten, die USA hätten doch nahezu einen historischen Tiefstwert der Arbeitslosigkeit erreicht. Die Forscher erwiderten, dass das mit Blick auf Europa etwas anders aussehe und dass sich Ungleichheit ohnehin nicht nur an Arbeitslosenquoten ablesen lasse. Dem heutigen Leser gegenüber ist solche Rechtfertigung nicht mehr nötig. Die „harten Zeiten“ des Buchtitels sind unübersehbar. Allein im April verloren durch die Covid-19-Pandemie mehr als 20,5 Millionen Amerikaner ihre Jobs – so viele, wie seit der Großen Depression in einem Monat nicht mehr.
Die MIT-Wissenschaftler Banerjee und Duflo forschen seit Langem zur Armutsbekämpfung, wofür sie 2019 den Wirtschaftsnobelpreis erhielten. Ihr neues Buch entstand vor der Coronakrise, aber das mindert die Überzeugungskraft der Argumente nicht. Im Gegenteil. Kaum erwähne man, schreiben die beiden Ökonomen, „in einem Raum voller Wirtschaftswissenschaftler eine staatliche Intervention“, höre man „leises Hohngelächter.“ Gegenwärtig lacht kaum noch jemand; staatliche Geldhilfen, auch für Privatpersonen, sind plötzlich weithin akzeptiert.
Nach der Großen Depression, die ein Viertel der US-Bevölkerung arbeitslos zurückließ, begann mit dem New Deal die Auffassung, Armut sei vor allem durch staatliche Eingriffe zu bekämpfen. Erst Ronald Reagan verkündete 1981, der Staat sei nicht die Lösung, sondern das Problem. Die Reagonomics mit all ihrer Trickle-Down-Treue halten sich bis heute nicht nur im Wirtschaftsdenken Donald Trumps. Die Autoren ziehen eine Parallele zu Duflos marktliberal regiertem Heimatland Frankreich: „Trotz der offensichtlichen Unterschiede erlebt man bei Macron einen sehr Reagan-ähnlichen Ton.“ Ungeachtet „überwältigender Gegenbeweise hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass Sozialhilfe Armut verursacht“.
Die Krise könnte das ändern. Banerjee und Duflo fordern einen starken, aber nicht paternalistischen Staat, der seinen armen Bevölkerungsschichten den Umgang mit Geld zutraut. Dieses Vertrauen fehle, bis hin zur Menschenverachtung: „Das Ziel der Sozialpolitik in diesen Zeiten des Wandels und der Anspannung sollte darin bestehen, den Menschen zu helfen, die Umbrüche zu verkraften, ohne ihr Selbstwertgefühl zu beeinträchtigen.“ Im bestehenden System sei das leider nicht vorgesehen. So schlug vor einigen Jahren ein Abgeordneter aus Arizona vor, die Karten für Empfänger von Lebensmittelgutscheinen – ohnehin Sozialhilfe auf Umwegen – im selben Orangefarbton zu gestalten wie Gefängnisuniformen. Banerjee und Duflo sprechen von einer „Pädagogik der Bloßstellung“ an.
Für das oft gehörte Argument, ein bedingungsloses Grundeinkommen verleite zum Nichtstun, sehen die Ökonomen keine Belege. Dennoch äußern sie im Fall reicher Länder eine gewisse Skepsis: „Wenn wir mit der Annahme richtig liegen, dass die wahre Krise in den reichen Ländern darin besteht, dass viele Bürger, die sich früher als Teil der Mittelschicht betrachteten, ihr Selbstwertgefühl verloren haben, das sie früher aus ihrer Arbeit bezogen, dann ist ein bedingungsloses Grundeinkommen keine Lösung.“ Für arme Länder befürworten sie ein „rudimentäres Grundeinkommen“, das auch für die dringend benötigte Geldzirkulation sorgen würde.
Dass das Buch Covid-19 nicht kennt, bedeutet angenehmerweise auch, dass es keine monothematische Brennpunktperspektive einnimmt. Zwar gehen Banerjee und Duflo auf den erfolgreichen Umgang mit Pandemien am Beispiel der Malariabekämpfung durch die kostenlose Verteilung von Insektennetzen ein. Aufschlussreich sind aber auch die Kapitel über urbane Luftverschmutzung oder die Mär von der wirtschaftlichen Bedrohung durch Migranten.
Höchst präsent ist auch gegenwärtig die Debatte um das Wirtschaftswachstum. Duflo und Banerjee sind Wachstumskritiker, wenngleich nicht unbedingt Gegner von Wachstum, wie es sie unter Fachkollegen, etwa mit dem britischen Ökonomen Tim Jackson, durchaus gibt. Sie räumen ein, dass ein steigendes BIP soziale Ungleichheit abbauen kann, wenn Regierungen in Schulen oder Krankenhäuser investieren, kritisieren aber die beliebte Gleichsetzung von Wachstum und Lebensqualität. Durch die jüngsten Entwicklungen – China, die zweitgrößte nationale Volkswirtschaft, hat in diesem Jahr erstmals seit 1990 kein Wachstumsziel verkündet – hat ihre Herangehensweise unfreiwillige Aktualität erhalten. Staaten müssen auf längere Sicht lernen, Wohlstand ohne oder mit nur geringem Wachstum zu denken. Diese Fähigkeit kann auch abseits akuter Krisen nachhaltigen von Nutzen sein.
CORNELIUS DIECKMANN
Abhijit V. Banerjee, Esther Duflo: Gute Ökonomie für harte Zeiten. Sechs Überlebensfragen und wie wir sie besser lösen können. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Heike Schlatterer und Thorsten Schmidt. Penguin Verlag, München 2020. 560 Seiten, 26 Euro.
Wirtschaftswachstum kann
Ungleichheit mindern - aber nur
unter bestimmten Bedingungen
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Probleme
Abhijit Banerjee und Esther Duflo
über Ökonomie für harte Zeiten
Vor einigen Monaten, das Buch „Good Economics for Hard Times“ von Abhijit Banerjee und Esther Duflo war gerade erschienen, wurden die Ökonomen in einem Interview gefragt, wovon sie denn redeten, die USA hätten doch nahezu einen historischen Tiefstwert der Arbeitslosigkeit erreicht. Die Forscher erwiderten, dass das mit Blick auf Europa etwas anders aussehe und dass sich Ungleichheit ohnehin nicht nur an Arbeitslosenquoten ablesen lasse. Dem heutigen Leser gegenüber ist solche Rechtfertigung nicht mehr nötig. Die „harten Zeiten“ des Buchtitels sind unübersehbar. Allein im April verloren durch die Covid-19-Pandemie mehr als 20,5 Millionen Amerikaner ihre Jobs – so viele, wie seit der Großen Depression in einem Monat nicht mehr.
Die MIT-Wissenschaftler Banerjee und Duflo forschen seit Langem zur Armutsbekämpfung, wofür sie 2019 den Wirtschaftsnobelpreis erhielten. Ihr neues Buch entstand vor der Coronakrise, aber das mindert die Überzeugungskraft der Argumente nicht. Im Gegenteil. Kaum erwähne man, schreiben die beiden Ökonomen, „in einem Raum voller Wirtschaftswissenschaftler eine staatliche Intervention“, höre man „leises Hohngelächter.“ Gegenwärtig lacht kaum noch jemand; staatliche Geldhilfen, auch für Privatpersonen, sind plötzlich weithin akzeptiert.
Nach der Großen Depression, die ein Viertel der US-Bevölkerung arbeitslos zurückließ, begann mit dem New Deal die Auffassung, Armut sei vor allem durch staatliche Eingriffe zu bekämpfen. Erst Ronald Reagan verkündete 1981, der Staat sei nicht die Lösung, sondern das Problem. Die Reagonomics mit all ihrer Trickle-Down-Treue halten sich bis heute nicht nur im Wirtschaftsdenken Donald Trumps. Die Autoren ziehen eine Parallele zu Duflos marktliberal regiertem Heimatland Frankreich: „Trotz der offensichtlichen Unterschiede erlebt man bei Macron einen sehr Reagan-ähnlichen Ton.“ Ungeachtet „überwältigender Gegenbeweise hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass Sozialhilfe Armut verursacht“.
Die Krise könnte das ändern. Banerjee und Duflo fordern einen starken, aber nicht paternalistischen Staat, der seinen armen Bevölkerungsschichten den Umgang mit Geld zutraut. Dieses Vertrauen fehle, bis hin zur Menschenverachtung: „Das Ziel der Sozialpolitik in diesen Zeiten des Wandels und der Anspannung sollte darin bestehen, den Menschen zu helfen, die Umbrüche zu verkraften, ohne ihr Selbstwertgefühl zu beeinträchtigen.“ Im bestehenden System sei das leider nicht vorgesehen. So schlug vor einigen Jahren ein Abgeordneter aus Arizona vor, die Karten für Empfänger von Lebensmittelgutscheinen – ohnehin Sozialhilfe auf Umwegen – im selben Orangefarbton zu gestalten wie Gefängnisuniformen. Banerjee und Duflo sprechen von einer „Pädagogik der Bloßstellung“ an.
Für das oft gehörte Argument, ein bedingungsloses Grundeinkommen verleite zum Nichtstun, sehen die Ökonomen keine Belege. Dennoch äußern sie im Fall reicher Länder eine gewisse Skepsis: „Wenn wir mit der Annahme richtig liegen, dass die wahre Krise in den reichen Ländern darin besteht, dass viele Bürger, die sich früher als Teil der Mittelschicht betrachteten, ihr Selbstwertgefühl verloren haben, das sie früher aus ihrer Arbeit bezogen, dann ist ein bedingungsloses Grundeinkommen keine Lösung.“ Für arme Länder befürworten sie ein „rudimentäres Grundeinkommen“, das auch für die dringend benötigte Geldzirkulation sorgen würde.
Dass das Buch Covid-19 nicht kennt, bedeutet angenehmerweise auch, dass es keine monothematische Brennpunktperspektive einnimmt. Zwar gehen Banerjee und Duflo auf den erfolgreichen Umgang mit Pandemien am Beispiel der Malariabekämpfung durch die kostenlose Verteilung von Insektennetzen ein. Aufschlussreich sind aber auch die Kapitel über urbane Luftverschmutzung oder die Mär von der wirtschaftlichen Bedrohung durch Migranten.
Höchst präsent ist auch gegenwärtig die Debatte um das Wirtschaftswachstum. Duflo und Banerjee sind Wachstumskritiker, wenngleich nicht unbedingt Gegner von Wachstum, wie es sie unter Fachkollegen, etwa mit dem britischen Ökonomen Tim Jackson, durchaus gibt. Sie räumen ein, dass ein steigendes BIP soziale Ungleichheit abbauen kann, wenn Regierungen in Schulen oder Krankenhäuser investieren, kritisieren aber die beliebte Gleichsetzung von Wachstum und Lebensqualität. Durch die jüngsten Entwicklungen – China, die zweitgrößte nationale Volkswirtschaft, hat in diesem Jahr erstmals seit 1990 kein Wachstumsziel verkündet – hat ihre Herangehensweise unfreiwillige Aktualität erhalten. Staaten müssen auf längere Sicht lernen, Wohlstand ohne oder mit nur geringem Wachstum zu denken. Diese Fähigkeit kann auch abseits akuter Krisen nachhaltigen von Nutzen sein.
CORNELIUS DIECKMANN
Abhijit V. Banerjee, Esther Duflo: Gute Ökonomie für harte Zeiten. Sechs Überlebensfragen und wie wir sie besser lösen können. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Heike Schlatterer und Thorsten Schmidt. Penguin Verlag, München 2020. 560 Seiten, 26 Euro.
Wirtschaftswachstum kann
Ungleichheit mindern - aber nur
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Deutscher Wirtschaftsbuchpreis 2020: »Zwei Nobelpreisträger schaffen es, ökonomische Theorien auf ihre praktische Anwendung herunterzubrechen (...) das Buch ist in gewisser Weise eine Werbeschrift für die Ökonomie, eine Rehabilitierung der Wirtschaftswissenschaften, weil es zeigt, was gute Ökonomie zu leisten vermag.« Hans-Jürgen Jakobs, Jury-Vorsitzender, im Handelsblatt