Mit "Gute Ratschläge" beweist Jane Gardam einmal mehr ihre erzählerische Meisterschaft: Einer der geistreichsten und unterhaltsamsten Briefromane, die Sie je gelesen haben.
Eliza, 51, schreibt Briefe an Joan, die Nachbarin, die offenbar ihren Mann und ihre Kinder verlassen hat, und die sie eigentlich kaum kennt. Briefe mit besten Ratschlägen - voller ungeschminkter Wahrheiten, schlafwandlerisch sicher gesetzter Seitenhiebe und Exzentrik. Antwort bekommt Eliza nie, was ihre Schreibwut eher anstachelt. Als ihr Mann Henry plötzlich auszieht, geraten die Briefe zu immer wilderen, fiebrigen Bekenntnissen einer zutiefst einsamen, in ihrem Leben gefangenen Frau, der nicht unbedingt zu trauen ist. Mit "Gute Ratschläge" beweist Gardam einmal mehr ihre erzählerische Meisterschaft und den scharfen Blick für die grausame Scheinheiligkeit der postviktorianischen Gesellschaft, in deren diskretem Schweigen manches unschöne Geheimnis schlummert.
Eliza, 51, schreibt Briefe an Joan, die Nachbarin, die offenbar ihren Mann und ihre Kinder verlassen hat, und die sie eigentlich kaum kennt. Briefe mit besten Ratschlägen - voller ungeschminkter Wahrheiten, schlafwandlerisch sicher gesetzter Seitenhiebe und Exzentrik. Antwort bekommt Eliza nie, was ihre Schreibwut eher anstachelt. Als ihr Mann Henry plötzlich auszieht, geraten die Briefe zu immer wilderen, fiebrigen Bekenntnissen einer zutiefst einsamen, in ihrem Leben gefangenen Frau, der nicht unbedingt zu trauen ist. Mit "Gute Ratschläge" beweist Gardam einmal mehr ihre erzählerische Meisterschaft und den scharfen Blick für die grausame Scheinheiligkeit der postviktorianischen Gesellschaft, in deren diskretem Schweigen manches unschöne Geheimnis schlummert.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dieser Briefroman von Jane Gardam ist so unterhaltsam wie berührend, urteilt Rezensentin Kathleen Hildebrand. Er spielt in einer Vorstadt von London, wo die zunächst wenig sympathische Protagonistin Eliza Peabody beginnt, ihrer Nachbarin Joan brieflich Ratschläge zum ,richtigen' Leben als glückliche Hausfrau und Mutter im wohlhabenden Milieu der Rathbone Road zu schreiben. Erst mit der Zeit wird, so die Rezensentin, deutlich, dass Eliza vor einem Nervenzusammenbruch steht und der soziale und psychische Kollaps, vor dem sie Joan warnt, ihr eigener ist - und am Ende fragt sich die Leserin, ob es die unziemliche Nachbarin Joan überhaupt gibt. Die Rezensentin lobt Gardams nüchternen und doch "leichten" Erzählton. Dass Gardam im Original bereits 1992 erschienener Roman mit Monika Baarks Übersetzung dem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht wird, kann sie sehr begrüßen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Lebensklug mit zahlreichen faszinierenden Wendungen. ... Ein etwas anderer Briefroman, der spannende Leerstellen erzeugt. Überaus amüsant und ein großes ästhetisches Vergnügen." Peter Henning, Deutschlandfunk, 21.05.24
"Durchsetzt von kleinen amüsanten Seitenhieben auf die Doppelmoral der gehobenen Mittelschicht ... ist dieser Roman ein satirisches Gesellschaftsporträt, in dem es um Bilder von Weiblichkeit und um das Verhältnis der Geschlechter geht, aber auch ganz grundsätzlich darum, wie es Menschen gelingen kann, sich eigentlich Unerträgliches erträglich zu machen." Andrea Gerk, WDR 3, 27.05.24
"Gardam erzählt lebensklug und heiter vom Leben und seinen Untiefen, von Geheimnissen und von Verlust. ... Sie ist Spezialistin für das leise Bösartige und das Tragisch-Komische." Barbara Beer, Kurier, 05.05.24
"Eine feine Gesellschaftssatire ... Jane Gardam entwirft mit Witz und Ironie das Porträt einer zutiefst einsamen und vom Leben enttäuschten Frau. ... Ein großes Lesevergnügen!" Petra Pluwatsch, Frankfurter Rundschau, 30.04.24
"Eine lohnende Lektüre - so skurril wie berührend." Katrin Krämer, NDR Kultur, 03.05.24
"Humor und bissige Ironie ... mit einem umwerfend überraschenden Schluss. Britische Erzählkunst vom Feinsten." Konrad Holzer, Buchkultur, 12.04.24
"Ein sehr lustiges Buch mit ebenso lebensnahen wie entlarvenden Dialogen. ... Jane Gardam hält staubtrockenen Witz, Weisheit und Menschenliebe mit leichter Hand in der Schwebe." Daniela Strigl, Die Presse, 15.06.24
"Ihre Bücher erzeugen einen gewaltigen Sog, sie sind warmherzig und pragmatisch zugleich." Kathleen Hildebrandt, Süddeutsche Zeitung, 26.06.24
"Durchsetzt von kleinen amüsanten Seitenhieben auf die Doppelmoral der gehobenen Mittelschicht ... ist dieser Roman ein satirisches Gesellschaftsporträt, in dem es um Bilder von Weiblichkeit und um das Verhältnis der Geschlechter geht, aber auch ganz grundsätzlich darum, wie es Menschen gelingen kann, sich eigentlich Unerträgliches erträglich zu machen." Andrea Gerk, WDR 3, 27.05.24
"Gardam erzählt lebensklug und heiter vom Leben und seinen Untiefen, von Geheimnissen und von Verlust. ... Sie ist Spezialistin für das leise Bösartige und das Tragisch-Komische." Barbara Beer, Kurier, 05.05.24
"Eine feine Gesellschaftssatire ... Jane Gardam entwirft mit Witz und Ironie das Porträt einer zutiefst einsamen und vom Leben enttäuschten Frau. ... Ein großes Lesevergnügen!" Petra Pluwatsch, Frankfurter Rundschau, 30.04.24
"Eine lohnende Lektüre - so skurril wie berührend." Katrin Krämer, NDR Kultur, 03.05.24
"Humor und bissige Ironie ... mit einem umwerfend überraschenden Schluss. Britische Erzählkunst vom Feinsten." Konrad Holzer, Buchkultur, 12.04.24
"Ein sehr lustiges Buch mit ebenso lebensnahen wie entlarvenden Dialogen. ... Jane Gardam hält staubtrockenen Witz, Weisheit und Menschenliebe mit leichter Hand in der Schwebe." Daniela Strigl, Die Presse, 15.06.24
"Ihre Bücher erzeugen einen gewaltigen Sog, sie sind warmherzig und pragmatisch zugleich." Kathleen Hildebrandt, Süddeutsche Zeitung, 26.06.24
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.06.2024Vorstadt-Apokalypse
In „Gute Ratschläge“ erzählt Jane Gardam vom
Nervenzusammenbruch einer Diplomatengattin.
Dieser Briefroman beginnt mit Briefen, die man selbst auf gar keinen Fall geschickt bekommen möchte. Eliza Peabody schreibt sie ihrer Nachbarin Joan, die so etwas wie das schwarze Schaf der Nachbarschaft in der wohlhabenden Rathbone Road im Süden Londons ist. Joan zeigt nämlich einen gewissen Unwillen bei der Verrichtung ihrer repräsentativen, hausfraulichen und mütterlichen Pflichten. Wenn Joan aus der Haustür zu ihrem Auto eilt, wirkt es immer einen Tick zu eilig, wie befreit schlägt sie die Autotür zu und rast davon. Es sind Kleinigkeiten. Aber sie werden von Eliza und den anderen Ehefrauen der Rathbone Road als das interpretiert, was sie höchstwahrscheinlich sind: Gesten der Verachtung für diese geordnete Welt, in der die exakt beschnittenen Hecken so „stiff“ sind wie die „upper lip“ der Bewohner dahinter.
Eliza fängt an, Joan Briefe zu schreiben. Briefe mit Ratschlägen, wie ein Leben als Frau in diesem Mikromilieu zu führen wäre. Als Joan lange Zeit an einer Beinverletzung herumlaboriert hat, schreibt Eliza: „Liebe Joan, ich hoffe, wir kennen uns gut genug, dass ich das sagen darf. Ich finde, du solltest versuchen, das mit deinem Bein zu vergessen. Ich glaube, es ist etwas Psychologisches, Psychosomatisches, und Charles nimmt es furchtbar schwer. Es macht sowohl ihn als auch dich zum Gespött und ihr ruiniert euch euer Leben. Bitte gib dir mal einen ordentlichen Ruck, ja? Vergiss deine ganzen Wehwehchen. Das Leben ist etwas Wundervolles, Joan.“ Es spricht für Joans Beherrschtheit, dass sie auf keinen von Elizas Briefen jemals antworten wird.
Jane Gardam hat spät mit dem Schreiben begonnen, ihr erster Roman erschien 1971, nachdem das dritte ihrer Kinder eingeschult worden war. „Gute Ratschläge“ ist 1992 in Großbritannien erschienen, ins Deutsche übersetzt – von Monika Baark – wurde der Roman erst jetzt. In den Genuss von Jane Gardams Bücher kommen die meisten deutschen Leser überhaupt erst seit knapp zehn Jahren, seit bei Hanser Isabel Bogdans Übersetzungen der „Old Filth“-Trilogie erschienen und Bestseller wurden. Die Romane „Ein untadeliger Mann“, „Eine treue Frau“ und „Letzte Freunde“ erzählten von Edward und Betty Feathers, er erfolgreicher Anwalt in der Kronkolonie Hongkong, genannt „Filth“. Sie seine langmütige, nie ganz glückliche Frau – und von Edwards Todfeind, dem Karrieristen Terry Veneering, Bettys wahrer Liebe. Sie handelten von den Geheimnissen, den unterdrückten Gefühlen und Verletzungen einer bestimmten Generation von Briten. Einem gebildeten, wohlhabenden, bürgerlichen Milieu, das die Privilegien wie die Grausamkeiten der Kolonialzeit noch miterlebt hat – und niemals offen über, dear God, Gefühle sprechen würde.
Das übernimmt Gardam für ihre Figuren. Und wie. In einem leichten, fast immer heiter-nüchternen Ton schreibt sie über die wechselnden Wetter des Lebens, erzählt Anekdoten, deren erschreckender Hintergrund erst viele Seiten später verständlich wird. Ihre Bücher erzeugen einen gewaltigen Sog, sie sind warmherzig und pragmatisch zugleich, sie sind stereotyp britisch in dem Sinne, dass sie nicht viel Aufhebens um große Gefühle machen. Aber gerade deshalb so von ihnen berichten, dass man sich gern berühren lässt.
„Gute Ratschläge“ hat bereits all diese Qualitäten von Gardams Schreiben, das in den „Old Filth“-Bänden seinen Höhepunkt erreicht. In der Charakterisierung ihrer Hauptfigur geht die Autorin hier aber einen anderen Weg: Es dauert, bis man diese selbstgerechte, anmaßende Eliza Peabody ins Herz schließen kann. Bis man versteht, dass man beim Lesen einem Nervenzusammenbruch beiwohnt, den Eliza selbstverständlich vehement bestreitet. Sie ist eine denkbar unzuverlässige Erzählerin. Ob es zum Beispiel Joan, für die Eliza eine Faszination hegt und an die sie die langen, immer intimer werdenden Briefe schreibt, tatsächlich gibt, bleibt ungeklärt.
Elizas Leben bricht jedenfalls im Laufe des Romans zusammen. Nicht nur verlässt Joan Mann und Kinder, auch Eliza wird von ihrem Mann verlassen, ihr Haus verlottert, sie sperrt sich aus. Der junge Aids-Patient, den sie im örtlichen Hospiz regelmäßig besucht, stirbt. Die Nachbarinnen begegnen ihr bald nur noch mit dem besorgten Blick, mit dem man Verrückte bedenkt. Eliza bricht aus, aber ohne Ziel. Sie gerät in einen Strudel aus Halluzinationen, Verleugnung und Wunschvorstellungen, an dessen Grund ein schreckliches Erlebnis liegt. Ein Erlebnis, das Eliza endgültig unmöglich macht, was vielleicht in letzter Konsequenz für jeden unmöglich ist: so zu leben wie die anderen Frauen in der Rathbone Road. Zufrieden, tüchtig, aufgeräumt, „Krebsvorsorge und Zahnprophylaxe abgehakt, ihre Cholesterinwerte im Griff, und im Kalender sind Ascot, Hurlingham, Covent Garden, Karten für Glyndebourne und Tennis in der richtigen Reihenfolge vorgemerkt.“
Was diese Mittfünfzigerin erlebt, ist eine Psychose, erzählt als Apokalypse der Vorstadt. Sogar der Soundtrack stimmt: In einer nächtlichen Szene hört Eliza in der Kirche St. Saviour’s ein gewaltiges Orgelkonzert. „Das Gebäude bebte in seinen Grundfesten.“ Mit weniger als einem Weltuntergang ließe sich eine britische Hausfrau und Diplomatengattin jedenfalls sicher nicht aus der Reserve locken. Danach ist der Weg frei für eine Heilung, vielleicht für eine Erlösung. Am Ende weiß man immer noch nicht, ob man Eliza Peabody, dieser nervigen, wilden, traurigen, verrückten Frau, glauben darf. Aber man möchte es. Ja, sehr sogar.
KATHLEEN HILDEBRAND
Ob man dieser Erzählerin
glauben darf? Man möchte
es jedenfalls
Jane Gardam: Gute Ratschläge. Roman. Aus dem Englischen von Monika Baark. Hanser, München 2024. 320 Seiten, 25 Euro.
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In „Gute Ratschläge“ erzählt Jane Gardam vom
Nervenzusammenbruch einer Diplomatengattin.
Dieser Briefroman beginnt mit Briefen, die man selbst auf gar keinen Fall geschickt bekommen möchte. Eliza Peabody schreibt sie ihrer Nachbarin Joan, die so etwas wie das schwarze Schaf der Nachbarschaft in der wohlhabenden Rathbone Road im Süden Londons ist. Joan zeigt nämlich einen gewissen Unwillen bei der Verrichtung ihrer repräsentativen, hausfraulichen und mütterlichen Pflichten. Wenn Joan aus der Haustür zu ihrem Auto eilt, wirkt es immer einen Tick zu eilig, wie befreit schlägt sie die Autotür zu und rast davon. Es sind Kleinigkeiten. Aber sie werden von Eliza und den anderen Ehefrauen der Rathbone Road als das interpretiert, was sie höchstwahrscheinlich sind: Gesten der Verachtung für diese geordnete Welt, in der die exakt beschnittenen Hecken so „stiff“ sind wie die „upper lip“ der Bewohner dahinter.
Eliza fängt an, Joan Briefe zu schreiben. Briefe mit Ratschlägen, wie ein Leben als Frau in diesem Mikromilieu zu führen wäre. Als Joan lange Zeit an einer Beinverletzung herumlaboriert hat, schreibt Eliza: „Liebe Joan, ich hoffe, wir kennen uns gut genug, dass ich das sagen darf. Ich finde, du solltest versuchen, das mit deinem Bein zu vergessen. Ich glaube, es ist etwas Psychologisches, Psychosomatisches, und Charles nimmt es furchtbar schwer. Es macht sowohl ihn als auch dich zum Gespött und ihr ruiniert euch euer Leben. Bitte gib dir mal einen ordentlichen Ruck, ja? Vergiss deine ganzen Wehwehchen. Das Leben ist etwas Wundervolles, Joan.“ Es spricht für Joans Beherrschtheit, dass sie auf keinen von Elizas Briefen jemals antworten wird.
Jane Gardam hat spät mit dem Schreiben begonnen, ihr erster Roman erschien 1971, nachdem das dritte ihrer Kinder eingeschult worden war. „Gute Ratschläge“ ist 1992 in Großbritannien erschienen, ins Deutsche übersetzt – von Monika Baark – wurde der Roman erst jetzt. In den Genuss von Jane Gardams Bücher kommen die meisten deutschen Leser überhaupt erst seit knapp zehn Jahren, seit bei Hanser Isabel Bogdans Übersetzungen der „Old Filth“-Trilogie erschienen und Bestseller wurden. Die Romane „Ein untadeliger Mann“, „Eine treue Frau“ und „Letzte Freunde“ erzählten von Edward und Betty Feathers, er erfolgreicher Anwalt in der Kronkolonie Hongkong, genannt „Filth“. Sie seine langmütige, nie ganz glückliche Frau – und von Edwards Todfeind, dem Karrieristen Terry Veneering, Bettys wahrer Liebe. Sie handelten von den Geheimnissen, den unterdrückten Gefühlen und Verletzungen einer bestimmten Generation von Briten. Einem gebildeten, wohlhabenden, bürgerlichen Milieu, das die Privilegien wie die Grausamkeiten der Kolonialzeit noch miterlebt hat – und niemals offen über, dear God, Gefühle sprechen würde.
Das übernimmt Gardam für ihre Figuren. Und wie. In einem leichten, fast immer heiter-nüchternen Ton schreibt sie über die wechselnden Wetter des Lebens, erzählt Anekdoten, deren erschreckender Hintergrund erst viele Seiten später verständlich wird. Ihre Bücher erzeugen einen gewaltigen Sog, sie sind warmherzig und pragmatisch zugleich, sie sind stereotyp britisch in dem Sinne, dass sie nicht viel Aufhebens um große Gefühle machen. Aber gerade deshalb so von ihnen berichten, dass man sich gern berühren lässt.
„Gute Ratschläge“ hat bereits all diese Qualitäten von Gardams Schreiben, das in den „Old Filth“-Bänden seinen Höhepunkt erreicht. In der Charakterisierung ihrer Hauptfigur geht die Autorin hier aber einen anderen Weg: Es dauert, bis man diese selbstgerechte, anmaßende Eliza Peabody ins Herz schließen kann. Bis man versteht, dass man beim Lesen einem Nervenzusammenbruch beiwohnt, den Eliza selbstverständlich vehement bestreitet. Sie ist eine denkbar unzuverlässige Erzählerin. Ob es zum Beispiel Joan, für die Eliza eine Faszination hegt und an die sie die langen, immer intimer werdenden Briefe schreibt, tatsächlich gibt, bleibt ungeklärt.
Elizas Leben bricht jedenfalls im Laufe des Romans zusammen. Nicht nur verlässt Joan Mann und Kinder, auch Eliza wird von ihrem Mann verlassen, ihr Haus verlottert, sie sperrt sich aus. Der junge Aids-Patient, den sie im örtlichen Hospiz regelmäßig besucht, stirbt. Die Nachbarinnen begegnen ihr bald nur noch mit dem besorgten Blick, mit dem man Verrückte bedenkt. Eliza bricht aus, aber ohne Ziel. Sie gerät in einen Strudel aus Halluzinationen, Verleugnung und Wunschvorstellungen, an dessen Grund ein schreckliches Erlebnis liegt. Ein Erlebnis, das Eliza endgültig unmöglich macht, was vielleicht in letzter Konsequenz für jeden unmöglich ist: so zu leben wie die anderen Frauen in der Rathbone Road. Zufrieden, tüchtig, aufgeräumt, „Krebsvorsorge und Zahnprophylaxe abgehakt, ihre Cholesterinwerte im Griff, und im Kalender sind Ascot, Hurlingham, Covent Garden, Karten für Glyndebourne und Tennis in der richtigen Reihenfolge vorgemerkt.“
Was diese Mittfünfzigerin erlebt, ist eine Psychose, erzählt als Apokalypse der Vorstadt. Sogar der Soundtrack stimmt: In einer nächtlichen Szene hört Eliza in der Kirche St. Saviour’s ein gewaltiges Orgelkonzert. „Das Gebäude bebte in seinen Grundfesten.“ Mit weniger als einem Weltuntergang ließe sich eine britische Hausfrau und Diplomatengattin jedenfalls sicher nicht aus der Reserve locken. Danach ist der Weg frei für eine Heilung, vielleicht für eine Erlösung. Am Ende weiß man immer noch nicht, ob man Eliza Peabody, dieser nervigen, wilden, traurigen, verrückten Frau, glauben darf. Aber man möchte es. Ja, sehr sogar.
KATHLEEN HILDEBRAND
Ob man dieser Erzählerin
glauben darf? Man möchte
es jedenfalls
Jane Gardam: Gute Ratschläge. Roman. Aus dem Englischen von Monika Baark. Hanser, München 2024. 320 Seiten, 25 Euro.
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