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The brilliantly told and gripping story of the most familiar - yet, amazingly, still poorly understood - substance in the universe: Water.

Produktbeschreibung
The brilliantly told and gripping story of the most familiar - yet, amazingly, still poorly understood - substance in the universe: Water.
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Autorenporträt
Philip Ball
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Denn man muß dem Weichen seine Weisheit erst entreißen
Philip Ball hat was rausgekriegt: Vom Tauchgang in die Welt des Wassers bringt er Kübel voll Wissen über das Kulturgut H2O an Land / Von Achim Bahnen

Farblos. Geruchlos. Geschmacklos. Wie ein Element ohne Eigenschaften kommt das Wasser daher. Wir wissen, daß das nicht stimmt. Ständig bedienen wir uns seiner Eigenschaften, tagtäglich vom Kaffeekochen über das Händewaschen bis zum Zähneputzen. Ganz zu schweigen von seiner Bedeutung für das, was unsere Städte von der Natur übriggelassen haben. Wir wissen vielleicht nicht, wie außergewöhnlich diese Flüssigkeit tatsächlich ist, aber wer wollte bezweifeln, daß Wasser lebensnotwendig ist? Zum Glück gibt es genug davon.

Ein fataler Irrtum. "Die Kriege des einundzwanzigsten Jahrhunderts werden Kriege um das Wasser sein." Immer wieder hat Ismail Serageldin als Vorsitzender der "World Water Commission" diesen Satz vorgetragen, und oft ist er dafür kritisiert worden. Zumal in diesen Tagen scheint es wahrlich andere Kriegsgründe zu geben als Streit um eine klare Flüssigkeit. "Wer wollte schon in einem Grenzkrieg um Wasser sterben statt in einem Kampf um letzte Dinge?" So bündig faßte soeben ein Leitartikler die aktuelle Konfliktrhetorik zusammen. Aber was nützt die Verteidigung von Freiheit oder Vaterland, wenn einem der Nachbarstaat das Wasser abgräbt? Rund eine halbe Milliarde Menschen leidet derzeit an Wassermangel, mit oftmals tödlichen Konsequenzen: Der Weltwasserrat führt in seinem Bericht für das Jahr 2000 weltweit fünf Millionen Todesfälle darauf zurück, die meisten davon, mehr als drei Millionen, sind Kinder unter fünf Jahren.

Überwiegend sind es Durchfallerkrankungen, aber auch Cholera und Typhus sind Folgen unzureichender Trinkwasserversorgung. Hinzu kommen fast hundertfünfzig Millionen Fälle von Augenerkrankungen, an denen jährlich etwa sechs Millionen Menschen erblinden. Das Wasser wird knapp. Der Aralsee vertrocknet, der Gelbe Fluß versickert an vielen Tagen vor der Mündung. Und im Nahen Osten geht es nicht nur um Öl, sondern auch um H2O. Die Anrainerstaaten von Euphrat und Tigris, Jordan, Nil und Ganges mögen in Kulturkämpfen begriffen sein, gewiß stehen sie latent im Wasserkampf. In "Wasser. Die weltweite Krise um das blaue Gold" hat Marq de Villiers im Vorjahr die Folgen der Wasserknappheit eindrucksvoll beschrieben. Wasser, genauer: sauberes Wasser ist nicht nur der wichtigste Rohstoff der Natur, es ist zum kostbaren Kulturgut geworden. "Es ist wohl ausgemacht", notiert Lichtenberg in den Sudelbüchern, "daß nächst dem Wasser, das Leben das Beste ist was der Mensch hat." Im Anfang war das Wasser.

"Die Zellen, die den menschlichen Körper bilden, inbegriffen das Hirn, bestehen mehrheitlich aus Wasser." Dafür braucht Herr Geiser kein Lexikon aufzuschlagen. In seinem von sintflutartigen Regenfällen umspülten Haus in einem Tessiner Tal weiß der alte Mann, der in Max Frischs Erzählung "Der Mensch erscheint im Holozän" sich gegen den eigenen Verfall und die ermüdende Gewalt des Wassers stemmt, mit gleicher Sicherheit: "3/4 der Erdoberfläche ist Wasser." Ansonsten aber interessiert er sich nicht für das Element als solches, mit dem er doch eine wesentliche Eigenschaft gemeinsam hat: Er hat Zeit. Die Wirkungen des Wassers, Erdgeschichte und Erosion sind es, die ihn bei seinen Streifzügen durch Wörterbücher und Enzyklopädien faszinieren.

Hätte Herr Geiser die "Biographie des Wassers" zur Hand gehabt, er hätte wohl doch etwas mehr über diesen Stoff selbst erfahren wollen und schließlich sein ganzes Haus mit Notizen und Ausrissen aus diesem Buch tapeziert. Denn das vierhundertfünfzig Textseiten umfassende Werk des britischen Wissenschaftsjournalisten Philip Ball, der inmitten von Wasser auf der Isle of Wight geboren wurde, ist außergewöhnlich informativ und zudem gut lesbar. Zuweilen anspruchsvoll, aber ohne mathematischen Ballast, in klarer Sprache und mit anschaulichen Vergleichen hat Ball einen breiten Strom des Wissens in ein überschaubares Flußbett geleitet, so daß der Leser nur hineinzutauchen braucht. Ohne aufdringlich didaktisch zu werden, sind es immer wieder einfache Fragen, mit denen Ball das Interesse weckt.

Warum die Titanic gesunken ist, weiß jeder. Aber warum schwimmen Eisberge überhaupt auf dem Meer? Sollten sie nicht wie andere Festkörper sinken? Gewöhnlich sind Stoffe im festen Zustand dichter als im flüssigen. Beim Auftauen wird den Molekülen Wärme zugeführt, die energetisch aufgeladenen Teilchen lösen den festen Verband auf, nehmen mehr Platz ein, und der Stoff dehnt sich aus, verflüssigt sich. Flüssiges Eisen schwimmt auf festem. Anders beim Wasser: Es zieht sich zusammen, wenn es schmilzt. Bei vier Grad über dem Gefrierpunkt erreicht es seine größte Dichte. Erst dann dehnt es sich unter weiterer Wärmezufuhr aus, bis die Flüssigkeit bei hundert Grad Celsius verdampft. Diese "Dichteanomalie" ist nicht bloß mittelbar für den Untergang der Titanic verantwortlich; nur dank ihr kann Leben im Wasser unter einer Eisschicht überwintern oder darauf schlittschuhlaufen.

Der Grund für diese und weitere Sonderheiten des Wassers klingt in der Sprache der Chemiker kompliziert. Aber Philip Ball gelingt es, Ursache und Wirkung der "Wasserstoffbrücken" so einfach wie möglich, so ausführlich wie nötig verständlich zu machen. Auf Elektronenpaare und Van-der-Waals-Kräfte mag er zu Recht nicht verzichten, faßt dann aber das Ergebnis anschaulich zusammen: "Man könnte sagen, das Wassermolekül besitze ,Haken', mit denen es an jeder der vier Ecken seines Tetraeders andere Wassermoleküle einfangen kann." H2O: vier Ecken? Hat das Wassermolekül nicht die Form eines Hutes mit lediglich drei Ecken, dem Sauerstoffatom (O) in der Mitte und zwei seitlich ausgestreckten Wasserstoffatomen (H) an den Enden? Alles Ansichtssache. Und in der Tat sieht ein Wassermolekül vom anderen im wesentlichen zwei positive Ladungen - an den Wasserstoffatomen - und zwei negative (die Elektronenpaare am Sauerstoff). Vier "Haken", die das Wasser stärker als andere Flüssigkeiten zusammenhalten, weil sie in den ganzen Raum ausgreifen.

Ball nimmt das "Greifen" sogar wörtlich und gibt dem Leser eine muntere Anleitung zum Wasserbau: "Stellen Sie die Beine auseinander (wenn Sie einen Winkel von 109° hinbekommen, ist das sehr gut - aber Sie sollten nichts erzwingen). Drehen Sie sich in der Hüfte um 90° und strecken Sie die Arme aus - schon sind Sie H2O." Die Bindungsregel zwischen mehreren Wasserteilchen lautet dann einfach: "Hände können Knöchel greifen und sonst nichts." Und wenn man sich in dieser etwas sperrigen Haltung kollektiv eingefroren denkt, erahnt man schon, warum Eis nicht allzu dicht gepackt sein kann. Erst beim Auftauen kommt Bewegung ins Spiel, es darf zusammengerückt werden.

Die neckische Beschreibung der Wasserstruktur liefert Ball erst kurz vor der Mitte des Buches. Bis dahin hat er schon ein ganzes Kapitel über den "kosmischen Saft" vorgetragen, über den hydrologischen Kreislauf auf der Erde ebenso wie über die Entstehung des Wassers und sein Vorkommen im All. Dieser Abschnitt ist der eigentlich "biographisch" zu nennende, während der Autor im Vorwort kaum überzeugend begründen kann, weshalb er das Genre der Biographie bemüht hat: "Nun, weil Wasser wie ein Mensch unmittelbare, offenkundige und vertraute Eigenschaften hat, die, wenn überhaupt, nur verstanden werden können, wenn man seinen tieferen Aufbau betrachtet, die verborgenen Kräfte, die sein Verhalten bestimmen." Zum Glück verzichtet er in der Folge darauf, unnötig Tiefgang vorzutäuschen, wo schon der wissenschaftliche Wellenschlag aufregend genug ist.

Die Erforschung des Wassers ist nämlich längst nicht abgeschlossen. Erst vor wenigen Tagen berichteten Wissenschaftler in den "Physical Review Letters", daß Wasser in ultradünnen Schichten von nur ein oder zwei Moleküllagen - wenn die "Hände" also nicht mehr raumgreifend nach "Knöcheln" langen können - erstaunlich zähflüssig wird (F.A.Z. vom 2. Oktober). Dieses Verhalten könnte für die Sedimentablagerung in Flüssen ebenso wie für die Plattentektonik bedeutsam sein.

Wie viele Überraschungen das Wasser bereithält, läßt sich erahnen, wenn man erfährt, daß zwölf Varianten seines gefrorenen Zustands existieren: sei es das "normale" Eis-I, das uns am Abend im Martini begegnet, oder ein "wasserstoffzentrierter" Zustand (Eis-X), dessen Struktur erst 1998 zum ersten Mal beobachtet wurde. Einige dieser Formen legen ein überaus überraschendes Verhalten an den Tag, Eis-VII etwa läßt sich bis auf mehr als hundert Grad Celsius erhitzen. Dennoch muß niemand befürchten, sich demnächst durch den Fehlgriff eines Italieners die Zunge am gelato zu verbrennen - Eis-VII ist nur bei einem Druck von einigen tausend Atmosphären stabil.

Das stets aufs neue erstaunliche Verhalten des eigentlich doch so vertrauten Lebenselixiers hat nicht nur die Wissenschaften, sondern auch pseudowissenschaftliche Herstellungs- und Erklärungsversuche produziert. Für Ball ist dies eine willkommene Gelegenheit, einige erhellende Episoden zur zeitgenössischen Wirklichkeit von Wissenschaft beizusteuern. Das ist umso erfreulicher, als Ball seit mehr als einem Jahrzehnt Redakteur bei "Nature" ist und sich nicht scheut, auch Fälle zu referieren, bei denen die publizistische Krone der Naturwissenschaften ihren Ruhm nicht gerade gemehrt hat. Es war allerdings das "Wall Street Journal", das Ende der sechziger Jahre die Prognose aufstellte: "In ein paar Jahren kann man vielleicht Möbel aus Wasser herstellen." Aus Rußland kam nämlich die Kunde, ein anomales Wasser sei entdeckt worden, das man bald griffig als "Polywasser" bezeichnete. Es sollte bei Normaldruck in einem unglaublich weiten Temperaturbereich flüssig bleiben und erst bei etwa dreißig Grad unter dem üblichen Gefrierpunkt nach und nach gefrieren. Vor allem aber, und darin sah die Wirtschaftspresse großes Zukunftspotential, ließ sich die Flüssigkeit bis etwa zweihundert Grad Celsius erhitzen, bis sie sich verflüchtigte. Forschergruppen in aller Welt trugen immer neue Eigenarten zusammen, die Spekulationen schossen wild ins Kraut, über Anwendungen als Schmiermittel, Korrosionsschutz oder Moderatorensubstanz in Kernreaktoren wurde diskutiert. "Weder vorher noch nachher", schreibt Ball, "hat das Wasser die Wissenschaft so gründlich vorgeführt." Auch "Nature" wurde damals vom Polywasser infiziert.

Im Oktober 1969 veröffentlichte das britische Magazin eine kurze Mitteilung, in der ein Forscher aus Pennsylvania die Welt vor der Erzeugung des vermeintlich neuen Wassers warnte: "Sie sollten es wie das tödlichste Virus behandeln, ehe nicht seine Sicherheit gewährleistet ist." Zwar kritisierten Kollegen diesen Brief schon bald als "unangemessen alarmierend und irreführend", aber Ball beschreibt die Lage der Wasserforschung zum damaligen Zeitpunkt so, "als wäre der Vorhang aus Vorsicht und Zurückhaltung plötzlich von der Wissenschaft weggezogen und Kritikfähigkeit und Gedankenstrenge zeitweilig beiseite gelegt worden". Denn bis zum Jahresende 1969 hatte offenbar noch niemand die Substanz mit den wunderbaren physikalischen Eigenschaften auch chemisch analysiert. Erst im März 1970 wies eine Studie nach, daß die untersuchten Proben fast ausschließlich aus Verunreinigungen bestanden; "dazu kamen wenige Moleküle H2O oder H2O-Polymere".

Daß der Schlaf der Vernunft die Wissenschaft gerade beim Wasser regelmäßig zu befallen scheint - als weitere Beispiele dienen die sogenannte kalte Kernfusion und (von "Nature" publizierte) Versuche zum angeblichen Gedächtnis von Wasser -, führt Ball auf "tiefe emotionale Wurzeln zurück, die die Wissenschaft möglicherweise niemals wird ausreißen können". Dazu zählt gewiß das Vertrauen in Wasser als Heilwasser, der Traum "von einer mitfühlenden Substanz", wie Gaston Bachelard den in die Flüssigkeit projizierten Wunsch nach Heilung in seinem Buch "L'eau et les rêves" umschrieb.

Reichlich unverstanden aber ist das Wasser nach wie vor in den Biowissenschaften. Während alle Welt Genom und Proteom erforscht, liegt die Umgebung, in der diese in der Zelle operieren, noch in erstaunlichem Maße im dunkeln. Computersimulationen von Biomolekülen hängen sehr empfindlich von dem verwendeten Wassermodell ab, für das es wegen der einerseits kurzreichweitigen Kräfte, die andererseits über größere Distanzen strukturprägend wirken, keine Patentlösungen gibt. Wasser, das macht Ball mit Nachdruck deutlich, ist nicht nur ein Medium für Lebensvorgänge, sondern ist selbst ein überaus aktiver Partner des Lebens. Das unscheinbare H2O ist ein ausgewachsenes Biomolekül. Wenn Ball fast beiläufig die Proteinfaltung beschreibt, wie Wasser die langen Ketten aus Aminosäuren sich zu funktionstüchtigen Proteinen falten läßt und einen Teil von ihnen in Membranen zwingt, dann bereichert er das große, um ein kleines Molekül entworfene Wissenspanorama ebenso mit souveräner Hand wie bei seinem Streifzug durch das Planetensystem auf der Suche nach Wasser. Nebenbei bemerkt: Es findet sich sogar in der Sonne, und die lebenswichtige Frage lautet also "nicht, ob irgendwo Wasser vorhanden ist, sondern ob es flüssig ist". Lediglich der Parforceritt durch die gesamte abendländische Materietheorie, bei der Ball an den Vorstellungen der griechischen Antike kein gutes Haar lassen mag, kommt etwas ungehobelt daher.

Was fehlt in diesem umfassenden Porträt des Wassers, das mit einer angenehm unaufgeregten Behandlung der politischen Dimension der weltweiten Wasserversorgung endet, sind die zahllosen kulturgeschichtlichen Bezüge. Doch allein die Darstellung des Wassers in der bildenden Kunst wäre ein eigenes Mammutprojekt. Ball läßt es bei eingestreuten literarischen Zitaten bewenden, und diese Bescheidenheit hat dem Werk nicht geschadet; es liefert Wissenschaftsjournalismus bei vier Grad Celsius: sehr dicht und britisch kühl geschrieben. Der naturwissenschaftlichen Betrachtung stärker einfügen dürfen hätte man die sinnlichen Qualitäten des Wassers, wie es sich anfühlt - als Wasser, Dampf oder Eis -, wie es riecht und schmeckt. Herr Geiser, den Max Frisch erst neun, dann sechzehn Arten des Donners aufzählen läßt ("usw."), hätte gewiß auch die Tonarten des Regens erfassen können, das je charakteristische Knacken des Eises und das Brausen und Tosen des Meeres. Solche Schilderungen überläßt man tatsächlich am besten den Literaten, John von Düffel etwa, der die Sinnlichkeit des Wasser so herrlich zum Sprechen gebracht hat.

Während die Philosophen noch streiten, ob Wasser nun H2O ist oder nicht (Hilary Putnam hat diese Diskussion in der Bedeutungstheorie mit dem Entwurf einer Zwillingserde ausgelöst, auf der alles wie bei uns ist, aber Wasser aus einem ganz anderen Molekül besteht), hat Philip Ball das "blaue Gold" auch für Laien so weitgehend durchleuchtet, daß sich die simple chemische Strukturformel nach der Lektüre fast als Wissenschaftsikone darstellt. Die Entzauberung des Wassers verbindet er am Ende mit dem Wunsch, "die Verehrung" zu behalten und sogar zu steigern. Der Leser steigt gewiß nicht in den gleichen Fluß zurück.

Philip Ball: "H2O". Biographie des Wassers. Aus dem Englischen von Helmut Reuter. Piper Verlag, München/Zürich 2001. 476 S., 32 Abb., geb., 44,- DM.

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