Dieses Buch Erich Fromms ist zu Recht eines seiner berühmtesten Werke. Die Existenzweise des Habens steht hier für die Übel der gegenwärtigen Zivilisation, die des Seins dagegen für die Möglichkeit eines erfüllten, nicht entfremdeten Lebens. Erst wenn der Mensch nicht mehr vom Haben, sondern vom Sein bestimmt wird, kann er zu sich selbst kommen, innere Aktivitäten entfalten und seine menschlichen Fähigkeiten wirklich produktiv einsetzen.
'Ihr habt keine Freude gehabt, in der Fülle der Dinge.' Diesen Satz, zu dem ihn das 5. Buch Mose inspirierte, hielt der Psychoanalytiker Erich Fromm der modernen Gesellschaft vor. Selten war er so treffend wie heute in diesem Europa. In der EU herrscht seit Langem Friede, den meisten Bürgern geht es, gemessen an anderen Weltregionen, ziemlich gut. Die Lebenserwartung ist höher denn je. Und die Probleme, von der Euro-Rettung bis zur Flüchtlingshilfe, ließen sich mit gutem Willen gemeinsam lösen. Die Europäer aber haben es verlernt, sich darüber zu freuen. Sie nehmen Positives als selbstverständlich wahr - und Negatives als Katastrophe. Stefan Ulrich Süddeutsche Zeitung, 24. Mai 2016