Produktdetails
- Verlag: Libelle-Verlag
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 157
- Deutsch
- Abmessung: 14mm x 136mm x 230mm
- Gewicht: 254g
- ISBN-13: 9783909081110
- ISBN-10: 3909081118
- Artikelnr.: 07675663
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.1999Die Gerüche der Geräusche
Angelika Overaths Händler der verlorenen Farben
Vor dreißig Jahren blieb für Schwester Véronique die Zeit stehen. Seit ihrem Eintritt in ein südfranzösisches Kloster hat die damals Zweiundzwanzigjährige ihr Gesicht in keinem Spiegel mehr gesehen. Als sie ihr Gesicht anläßlich ihrer Recherchen zu einer Reportage auf einer Fotografie findet, ist sie überrascht und zugleich doch auch befremdet. Dann aber muß sie lachen, so unwirklich erscheint ihr das gealterte Bild angesichts ihres eigenen statischen Zeitgefühls. Und schließlich überläßt sie sich einem erlösenden Gedanken, um die unterschiedlichen Zeitebenen der Welt einerseits und des Klosters andererseits zu verbinden: "Die Wahrheit ist, daß Jahrzehnte ihres Lebens im Nu verfliegen, weil sie nichts anderes sind als ein kurzer Moment in Gottes Ewigkeit."
Schwester Véroniques Geschichte findet sich in der Reportagensammlung "Händler der verlorenen Farben" der Tübinger Journalistin Angelika Overath. Behutsam und mit großer Genauigkeit berichtet Angelika Overath von Begegnungen mit Landschaften und Menschen. Sie erzählt von afrikanischen Wunderheilern und deutschen Existenzgründern, vom kargen Bergland des Peloponnes oder von Nietzsche-Forschern in Weimar. Viele der Geschichten aus den Jahren 1992 bis 1998, die zuvor in Magazinen wie "GEO" oder "du" veröffentlicht wurden, erscheinen hier zum ersten Mal ungekürzt.
Der Medienwechsel von der aufwendig bebilderten Zeitschrift zum Buch hat den einzelnen Reportagen nicht geschadet. Im Gegenteil: Angelika Overath schildert Geräusche, Gerüche und vor allem Farben so nuanciert und in solch kluger Effizienz, daß das Beschriebene unaufdringlich, aber hartnäckig präsent wird. Das sind Qualitäten, die ohne die fotografische Umrahmung des ursprünglichen Mediums um so deutlicher ins Auge fallen und die es ermöglichen, den von Angelika Overath gesetzten Signalen aufmerksam zu folgen.
Die Mehrzahl der Texte porträtiert Frauen oder stellt deren Leben im Rahmen eines größeren Zusammenhanges vor. Da ist zum Beispiel die Bottroper Floristin, die ruhig und beherrscht von ihrem Werdegang berichtet. Lediglich während der Schilderung einer Zeit in Ägypten "zittern ihre roten Ohrgehänge unter dem exakt geschnittenen kurzen Haar". Da ist zum Beispiel eine Braut aus einem peloponnesischen Bergdorf, sechzehn Jahre jung, die ihren Stefanos in einem geliehenen Brautkleid aus Athen heiratet. Sie trägt es gerade lang genug für die fotografierenden Familienmitglieder, dann zieht sie sich um und sitzt in Rock und Bluse beim Hochzeitsmahl. Und da ist die Feticheuse von der Elfenbeinküste, deren rätselhafte Heilkunst auch in Angelika Overaths Reportage rätselhaft bleibt, von der aber bei aller Distanz ein anschauliches Bild gezeichnet wird, das den individuellen Werdegang und die Person der Feticheuse mindestens in demselben Maße wichtig nimmt wie den geheimnisumwitterten Beruf.
Die Themen dieser Reportage sind heterogen, sie bewegen sich auf den Spuren von großer Literatur oder widmen sich Alltagserfahrungen unserer Zeit. Gemeinsam ist ihnen der tiefe Respekt gegenüber dem beschriebenen Gegenstand, die freundliche Distanz, die Angelika Overath ihren Gesprächspartnern gegenüber einnimmt, und schließlich das feine Gespür für Entdeckungen, die sich im Vertrauten machen lassen, so daß in diesem Band selbst die Geschichte einer Existenzgründung im Ruhrgebiet eine ungeahnte Spannung mit sich bringt. TILMAN SPRECKELSEN
Angelika Overath: "Händler der verlorenen Farben". Wahre Geschichten. Libelle Verlag, Lengwil 1998. 120 S., br., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Angelika Overaths Händler der verlorenen Farben
Vor dreißig Jahren blieb für Schwester Véronique die Zeit stehen. Seit ihrem Eintritt in ein südfranzösisches Kloster hat die damals Zweiundzwanzigjährige ihr Gesicht in keinem Spiegel mehr gesehen. Als sie ihr Gesicht anläßlich ihrer Recherchen zu einer Reportage auf einer Fotografie findet, ist sie überrascht und zugleich doch auch befremdet. Dann aber muß sie lachen, so unwirklich erscheint ihr das gealterte Bild angesichts ihres eigenen statischen Zeitgefühls. Und schließlich überläßt sie sich einem erlösenden Gedanken, um die unterschiedlichen Zeitebenen der Welt einerseits und des Klosters andererseits zu verbinden: "Die Wahrheit ist, daß Jahrzehnte ihres Lebens im Nu verfliegen, weil sie nichts anderes sind als ein kurzer Moment in Gottes Ewigkeit."
Schwester Véroniques Geschichte findet sich in der Reportagensammlung "Händler der verlorenen Farben" der Tübinger Journalistin Angelika Overath. Behutsam und mit großer Genauigkeit berichtet Angelika Overath von Begegnungen mit Landschaften und Menschen. Sie erzählt von afrikanischen Wunderheilern und deutschen Existenzgründern, vom kargen Bergland des Peloponnes oder von Nietzsche-Forschern in Weimar. Viele der Geschichten aus den Jahren 1992 bis 1998, die zuvor in Magazinen wie "GEO" oder "du" veröffentlicht wurden, erscheinen hier zum ersten Mal ungekürzt.
Der Medienwechsel von der aufwendig bebilderten Zeitschrift zum Buch hat den einzelnen Reportagen nicht geschadet. Im Gegenteil: Angelika Overath schildert Geräusche, Gerüche und vor allem Farben so nuanciert und in solch kluger Effizienz, daß das Beschriebene unaufdringlich, aber hartnäckig präsent wird. Das sind Qualitäten, die ohne die fotografische Umrahmung des ursprünglichen Mediums um so deutlicher ins Auge fallen und die es ermöglichen, den von Angelika Overath gesetzten Signalen aufmerksam zu folgen.
Die Mehrzahl der Texte porträtiert Frauen oder stellt deren Leben im Rahmen eines größeren Zusammenhanges vor. Da ist zum Beispiel die Bottroper Floristin, die ruhig und beherrscht von ihrem Werdegang berichtet. Lediglich während der Schilderung einer Zeit in Ägypten "zittern ihre roten Ohrgehänge unter dem exakt geschnittenen kurzen Haar". Da ist zum Beispiel eine Braut aus einem peloponnesischen Bergdorf, sechzehn Jahre jung, die ihren Stefanos in einem geliehenen Brautkleid aus Athen heiratet. Sie trägt es gerade lang genug für die fotografierenden Familienmitglieder, dann zieht sie sich um und sitzt in Rock und Bluse beim Hochzeitsmahl. Und da ist die Feticheuse von der Elfenbeinküste, deren rätselhafte Heilkunst auch in Angelika Overaths Reportage rätselhaft bleibt, von der aber bei aller Distanz ein anschauliches Bild gezeichnet wird, das den individuellen Werdegang und die Person der Feticheuse mindestens in demselben Maße wichtig nimmt wie den geheimnisumwitterten Beruf.
Die Themen dieser Reportage sind heterogen, sie bewegen sich auf den Spuren von großer Literatur oder widmen sich Alltagserfahrungen unserer Zeit. Gemeinsam ist ihnen der tiefe Respekt gegenüber dem beschriebenen Gegenstand, die freundliche Distanz, die Angelika Overath ihren Gesprächspartnern gegenüber einnimmt, und schließlich das feine Gespür für Entdeckungen, die sich im Vertrauten machen lassen, so daß in diesem Band selbst die Geschichte einer Existenzgründung im Ruhrgebiet eine ungeahnte Spannung mit sich bringt. TILMAN SPRECKELSEN
Angelika Overath: "Händler der verlorenen Farben". Wahre Geschichten. Libelle Verlag, Lengwil 1998. 120 S., br., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main