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Produktdetails
  • Verlag: Peter Hammer Verlag
  • Originaltitel: Calyso
  • Seitenzahl: 320
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 486g
  • ISBN-13: 9783872948120
  • Artikelnr.: 24090439
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.1999

Die Wasserpolizei von Puerto
Entzauberte Karibik: Tatiana Lobos Roman "Hahnenbräute"

Seit den siebziger Jahren gibt es ein politisch motiviertes Interesse an der Literatur Nicaraguas und Guatemalas. Die deutschsprachigen Ausgaben der Lyrik Ernesto Cardenals, der Romane Gioconda Bellis und der Lebensgeschichte der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú haben beachtliche Auflagenziffern erreicht. Dagegen erschien in den letzten Jahren mit Ausnahme des kaum beachteten Buchs "Tenochtitlán" von José León Sánchez kein Roman aus Costa Rica in deutscher Übersetzung. Das mag an einem Mangel an politischer und kultureller Exotik liegen. Nicht von ungefähr gilt das kleine tropische Land bei seinen Nachbarn bis heute als die "Schweiz Zentralamerikas". In seiner Geschichte fehlen weitgehend die für die anderen zentralamerikanischen Staaten so typischen Wirren von Krieg und Bürgerkrieg, Militärputsch und Revolution.

Mit "Hahnenbräute" (spanischer Originaltitel "Calypso") liegt jetzt zum ersten Mal ein in den neunziger Jahren publizierter costa-ricanischer Roman auf Deutsch vor, der im Land selbst spielt. Er scheint auf einen Schlag all das wettmachen zu wollen, woran es in unserer Wahrnehmung dem Land bisher fehlte, so voll praller Exotik tropischer Provenienz gibt er sich. Im Mittelpunkt steht das Leben in Parima Bay, irgendeiner vergessenen Bucht an der Karibikküste. Sie hat ihren Namen von dem ersten Weißen erhalten, der aus dem Landesinnern kam und sich in der Bucht niederließ: "An dem Tag, . . . als jenseits des Atlantischen Ozeans ein wahnsinniger Österreicher den Zweiten Weltkrieg entfachte." Ihn begleitet sein ehemaliger Arbeitskollege bei den Lastenschleppern im Hafen, der Schwarze Alphaeus Robinson, genannt "Plantintah" wegen seiner Vorliebe für die mit Bananen gefüllten Teigtaschen "plantain tarts" und auch "Schokosahne" wegen der Schwäche der weißen Huren im Hafenbordell für den Träger dieses zweideutigen Kosenamens, ein Umstand, der später den Neid Lorenzos hervorrufen soll.

Der Weiße eröffnet nicht nur den ersten Gemischtwarenladen am Ort, durch ihn kommt auch das erste Radiogerät, das erste Motorboot, das erste Telefon in die Bucht und dann, als sie mehr und mehr zur Touristenattraktion wird, die erste Diskothek und die erste Straßenverbindung. Aber "Parima Bay verlor an Zauber, was es an Fortschrittlichkeit gewann". Der Satz könnte als Motto des Buches dienen, würde jedoch nur eine Seite beschreiben: den Versuch des Weißen, sich als Fortschrittsanwalt des Lebens in der Bucht zu bemächtigen. Während der Einzug der Moderne den Zauber der alten Lebensgewohnheiten zerstört, erliegt Lorenzo zugleich diesem Zauber, und dieser Zauber - wie könnte es anders sein - hat eine weibliche Gestalt. So sehr verliebt er sich in die schöne Amanda, die dunkelhäutige Frau seines Kompagnons Plantintah, dass er diesen tötet, um den Weg für sich selbst frei zu machen. Doch sie zieht einen schwarzen Jamaikaner vor. Wie eine Obsession wiederholt sich diese Liebe gegenüber der Tochter Amandas, Eudora, und der Tochter der Tochter, Matilda (die drei Teile des Romans sind nach den Namen der drei Frauen benannt). Eudora willigt sogar ein, ihn zu heiraten. Es gelingt ihm jedoch nicht, auch nur eine der drei Frauen zu besitzen.

Man kann dem Buch vorwerfen, dass es zu viele Anleihen bei den großen Vorbildern der lateinamerikanischen Romanliteratur macht, gar versucht, das Macondo eines García Márquez auf karibische Verhältnisse zu übertragen, dass es die altbewährten Formeln des "magischen Realismus" plagiiert (zum Beispiel im Weiterleben Plantintahs als allgegenwärtiger Geist nach seiner Ermordung), dass seine Figuren oft holzschnittartig bleiben. Dennoch gelingt der Autorin eine treffende Metapher auf die karibische Realität im Zeitalter des "postkolonialen Kolonialismus". Der Weiße kann zwar seine technische und wirtschaftliche Macht etablieren, die Seelen aber wird er nie erobern. Zwar gelingt es ihm, Eudora zu heiraten, doch schon in der Hochzeitsnacht versagen seine männlichen Kräfte. Der Zauber der Karibik bleibt ihm verschlossen.

Gegen die zerstörerische Macht des Fortschritts belebt die Autorin eine versunkene, verlorene Welt. Aber ihr Roman lässt zugleich keinen Zweifel daran, dass es keine Alternative zur Moderne gibt. Selbst Afrika, die mythische Urheimat, bietet keine Zuflucht mehr: "Afrika ist ein Albtraum, . . . eine große und tiefe Enttäuschung", resümiert Plantintah, der von seiner Geisterreise auf den Schwarzen Kontinent zurückkehrt, ohne "die geeignete Form für seine Wiedergeburt" gefunden zu haben.

Ihre Biografie mag Tatiana Lobo für einen scharfen Blick auf den Zauber der Karibik prädestiniert haben, der jeglichem folkloristischen Mythos zuwiderläuft. Sie wurde im Jahre 1939 als Kind deutscher Einwanderer in Chile geboren, studierte in Santiago de Chile und Madrid darstellende und bildende Kunst, lebte drei Jahre lang in Deutschland und Österreich und seit 1967 in Costa Rica, wo sie erst 1992 ihren ersten Roman "Asalto al paraíso" veröffentlichte.

Leider geht in der außergewöhnlich fehlerhaften deutschen Übersetzung viel von der ironischen, mitunter derben Sprache verloren, die den Roman trotz seiner schematischen Anlage davor rettet, in Klischees zu verfallen. Was soll man zum Beispiel von einem Mann "ohne Eier" halten, der dafür sorgt, dass der Bauch seiner Frau "wuchs"? Ein biologisches Wunder? Eher eine linguistische Missgeburt. Geht es im Original Lorenzo mit dieser Aussage doch darum, Plantintah als Waschlappen zu bezeichnen (no tener huevos, " keinen Mumm haben"). Ärgerlich ist, dass fast durchweg "Puerto" als Name einer Stadt erscheint, wo es doch um den der Bucht am nächsten gelegenen Hafen, bestenfalls die Hafenstadt, geht. So wird aus der schlichten Hafenpolizei die pompöse "Wasserpolizei von Puerto". Zweifel an den deutschen Sprachkenntnissen der Übersetzerin (und des Lektors?) werden von den "launigsten Grillen" genährt. Dazu gehören ein Mädchen, das "den ganzen Zubehör" sammelt, "ein patenter Pädagoge" (der doch nur kompetent ist) und die "Verzettelung der Arme". Die zeitgenössische costa-ricanische Literatur verdient nicht nur mehr Aufmerksamkeit, sondern auch bessere Übersetzungen.

WERNER MACKENBACH

Tatiana Lobo: "Hahnenbräute". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Sabine Müller-Nordhoff. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1999. 320 S., geb., 36,- DM.

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