Ayman, ein junger Syrer, erzählt seine Geschichte, die einem den Atem nimmt. Er spricht von den Bombardements durch das eigene Regime, von Folter, die er und andere erlitten haben, von Gefangennahme durch den IS. Und als nichts mehr zu erwarten war als der Tod, flieht er. Es ist kaum vorstellbar, wie ein Minderjähriger die grauenvollen Verhältnisse in seinem Land, die Gefahren auf dem Weg, die Gerissenheit von Schleppern, die Entbehrungen auf der langen Strecke in ein fremdes Land, von denen er 1.400 km zu Fuß zurücklegt, ertragen kann. Seine Geschichte zeigt aber auch, was ein Jugendlicher mit großer Wissbegierde und Durchhaltevermögen im Stande ist zu bewältigen. Und sie kann Mut machen, auch in scheinbar hoffnungslosen Situationen Wege zu finden zu überraschenden Zielen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2020Entkommen
Syrisches Fluchtbuch
Ist das ein Jugendbuch, ein Sachbuch, eine Autobiographie? Alles das, vor allem aber ist es ein Schreckens- und ein Hoffnungsbuch. Ayman Hasan, geboren 1998 in Nordsyrien, gelang Ende 2014 zusammen mit gleichaltrigen Freunden die Flucht aus seiner Heimat. Wie man damals, gerade noch vor dem großen Flüchtlingsstrom des Jahres 2015, aus dem Nahen Osten über die Türkei, Griechenland, den Balkan, Ungarn und Österreich nach Deutschland gelangte, ist oft erzählt worden, aber jedes Einzelschicksal ist unvergleichlich, und das des damals sechzehnjährigen Hasan ist auch insofern ein besonderes, als er bereits 2011, als Schüler in der kurdischen Kleinstadt Manbidsch nahe der türkischen Grenze, begonnen hatte, sich politisch gegen das seit Jahrzehnten in Syrien herrschende Assad-Regime zu engagieren. Der Arabische Frühling hatte begonnen; er sollte nie in einen Sommer münden.
Die willfährige Armee des Landes antwortete der syrischen Oppositionsbewegung mit Terror; später, 2014, fielen dann die Kämpfer des "Islamischen Staats", der die chaotische Lage im zerrissenen Syrien ausnutzte, in Manbidsch ein und verschleppten den weiter unbeugsamen Hasan in ihre Kerker und Folterkeller. Es ist unglaublich, was er dort erlebte und überstand, und deshalb macht auch die Schilderung der Flucht nach Deutschland nur ein rundes Drittel seines Buchs aus, das den Titel "Haimat" trägt - ein böses Wortspiel in der für ihn damals neuen deutschen Sprache, die Hasan aber in den letzten fünf Jahren konsequent zur eigenen gemacht hat.
Der Willen, Mittler zu sein in der Sprache eines Landes, dem er dankbar ist und dessen Staatsbürgerschaft er beantragt hat, und gleichzeitig die Unmittelbarkeit seiner Beschreibungen lassen über zahlreiche stilistische und orthographische Mängel in "Haimat" hinwegsehen. Hier zählt nicht grammatisches Können, sondern erzählerisches, und als Stimme eines Halbwüchsigen, der selbst noch fassungslos ist über den Zusammenbruch all dessen, was ihm vertraut war, ist der Text authentisch. Ein im vergangenen Sommer von den beiden Betreibern des kleinen Clavis Verlags geführtes Gespräch mit ihrem Autor rundet das Buch ab und lässt es auf einer optimistischen Note enden.
apl.
Ayman Hasan: "Haimat".
Clavis Verlag, Frankfurt am Main 2019. 168 S., br., 12,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Syrisches Fluchtbuch
Ist das ein Jugendbuch, ein Sachbuch, eine Autobiographie? Alles das, vor allem aber ist es ein Schreckens- und ein Hoffnungsbuch. Ayman Hasan, geboren 1998 in Nordsyrien, gelang Ende 2014 zusammen mit gleichaltrigen Freunden die Flucht aus seiner Heimat. Wie man damals, gerade noch vor dem großen Flüchtlingsstrom des Jahres 2015, aus dem Nahen Osten über die Türkei, Griechenland, den Balkan, Ungarn und Österreich nach Deutschland gelangte, ist oft erzählt worden, aber jedes Einzelschicksal ist unvergleichlich, und das des damals sechzehnjährigen Hasan ist auch insofern ein besonderes, als er bereits 2011, als Schüler in der kurdischen Kleinstadt Manbidsch nahe der türkischen Grenze, begonnen hatte, sich politisch gegen das seit Jahrzehnten in Syrien herrschende Assad-Regime zu engagieren. Der Arabische Frühling hatte begonnen; er sollte nie in einen Sommer münden.
Die willfährige Armee des Landes antwortete der syrischen Oppositionsbewegung mit Terror; später, 2014, fielen dann die Kämpfer des "Islamischen Staats", der die chaotische Lage im zerrissenen Syrien ausnutzte, in Manbidsch ein und verschleppten den weiter unbeugsamen Hasan in ihre Kerker und Folterkeller. Es ist unglaublich, was er dort erlebte und überstand, und deshalb macht auch die Schilderung der Flucht nach Deutschland nur ein rundes Drittel seines Buchs aus, das den Titel "Haimat" trägt - ein böses Wortspiel in der für ihn damals neuen deutschen Sprache, die Hasan aber in den letzten fünf Jahren konsequent zur eigenen gemacht hat.
Der Willen, Mittler zu sein in der Sprache eines Landes, dem er dankbar ist und dessen Staatsbürgerschaft er beantragt hat, und gleichzeitig die Unmittelbarkeit seiner Beschreibungen lassen über zahlreiche stilistische und orthographische Mängel in "Haimat" hinwegsehen. Hier zählt nicht grammatisches Können, sondern erzählerisches, und als Stimme eines Halbwüchsigen, der selbst noch fassungslos ist über den Zusammenbruch all dessen, was ihm vertraut war, ist der Text authentisch. Ein im vergangenen Sommer von den beiden Betreibern des kleinen Clavis Verlags geführtes Gespräch mit ihrem Autor rundet das Buch ab und lässt es auf einer optimistischen Note enden.
apl.
Ayman Hasan: "Haimat".
Clavis Verlag, Frankfurt am Main 2019. 168 S., br., 12,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main