Die große Biographie über den isländischen Schriftsteller und Nobelpreisträger für Literatur Halldór Laxness.
Halldór Laxness - Sohn eines Straßenarbeiters, aufgewachsen auf dem väterlichen Bauernhof - war der bekannteste isländische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, 1955 bekam er den Nobelpreis für Literatur verliehen. Sein Leben umspannte fast das ganze Jahrhundert, von 1902 bis 1998. Am bekanntesten sind seine Romane (u.a. die Trilogie »Islandglocke«), die zwischen den Jahren 1930 bis 1960 entstanden, aber seine schriftstellerische Karriere war extrem facettenreich, und auch stilistisch und weltanschaulich experimentierte er durchaus. »Ich bin Taoist gewesen«, bekannte er einmal, »später wurde ich auch Expressionist, Surrealist, Freudianer usw., schließlich marxistischer Mitläufer, obwohl ich Marx nie gelesen habe, weil ich eine Überempfindlichkeit gegen deutsche Philosophie hatte.«
Die vorliegende Biographie ist nicht nur ein informatives, exzellent recherchiertes Standardwerk zu Laxness' Leben und Werk, sie erzählt auch die spannende und unterhaltsame Geschichte eines europäischen Autors in einem Jahrhundert der Extreme. Laxness' Treiben, von Hollywood bis Moskau, vom katholischen Kloster bis zum kommunistischen China, steht exemplarisch für die Vielfalt literarischer Strömungen im 20. Jahrhundert, seine Verbindungen zu Deutschland und deutschen Autoren sind mannigfaltig und legendär.
Ausgezeichnet mit dem Isländischen Literaturpreis und dem Buchhandelspreis.
Ausstattung: durchgehend s/w Fotos + Farbteil
Halldór Laxness - Sohn eines Straßenarbeiters, aufgewachsen auf dem väterlichen Bauernhof - war der bekannteste isländische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, 1955 bekam er den Nobelpreis für Literatur verliehen. Sein Leben umspannte fast das ganze Jahrhundert, von 1902 bis 1998. Am bekanntesten sind seine Romane (u.a. die Trilogie »Islandglocke«), die zwischen den Jahren 1930 bis 1960 entstanden, aber seine schriftstellerische Karriere war extrem facettenreich, und auch stilistisch und weltanschaulich experimentierte er durchaus. »Ich bin Taoist gewesen«, bekannte er einmal, »später wurde ich auch Expressionist, Surrealist, Freudianer usw., schließlich marxistischer Mitläufer, obwohl ich Marx nie gelesen habe, weil ich eine Überempfindlichkeit gegen deutsche Philosophie hatte.«
Die vorliegende Biographie ist nicht nur ein informatives, exzellent recherchiertes Standardwerk zu Laxness' Leben und Werk, sie erzählt auch die spannende und unterhaltsame Geschichte eines europäischen Autors in einem Jahrhundert der Extreme. Laxness' Treiben, von Hollywood bis Moskau, vom katholischen Kloster bis zum kommunistischen China, steht exemplarisch für die Vielfalt literarischer Strömungen im 20. Jahrhundert, seine Verbindungen zu Deutschland und deutschen Autoren sind mannigfaltig und legendär.
Ausgezeichnet mit dem Isländischen Literaturpreis und dem Buchhandelspreis.
Ausstattung: durchgehend s/w Fotos + Farbteil
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2007Von der Kunst, sich in jedem Satz auf die Zehenspitzen zu stellen
Halldór Gudmundssons erschöpfende Laxness-Biographie / Von Tilman Spreckelsen
Als sie den greisen Dichter vor nunmehr fünfzehn Jahren besuchte, im Juni 1992, notierte Sarah Kirsch in ihrem Tagebuch: "Umwerfend war es und traurig, aber er lachte über sich selbst, wenn er sich in Worten verhedderte, die ihn gefesselt hielten. Und ich bekam immer noch wie bei vorangegangenen Besuchen als Einzige von den anwesenden Weibern einen Handkuss. Unser herrlicher Dichter lief um den Tisch, als wollte er uns entkommen, hätte die Nase voll von all dem Geschwätz, aber dann fesselte ihn wieder ein Wort. Er sprach immer noch in verschiedenen Sprachen, und wenn er den Faden verlor, lachte er bloß. Nimmt einen mit, solch einen Bewunderten in den Fängen von Sir Alzheim zu finden."
Auch wenn Kirsch da ein Leben beschreibt, das sich spürbar dem Ende zuneigt, auch wenn die Demenzerkrankung des gefeierten Schriftstellers für jeden im Raum unübersehbar war - aus den knappen Zeilen, die den Besuch in Halldór Laxness' isländischem Bungalow schildern, klingt durch, wie sehr der hinfällige Dichter seine Umgebung nach wie vor beherrscht. Er ist der Mittelpunkt, auf ihn ist das Gespräch bezogen, er entscheidet, ob und wo er sich einklinkt, und die Bewunderung aller ist ihm sicher, selbst wenn sie die Farben des Mitleids trägt.
In diesem Herbst, neun Jahre nach Laxness' Tod, ist eine voluminöse Biographie auf Deutsch erschienen, die Halldór Gudmundsson verfasst hat, der ehemalige Leiter des bedeutenden isländischen Verlags "Mál og menning". Er ist mehr als fünfzig Jahre jünger als Laxness, er hat den Nationaldichter persönlich gekannt (was freilich in einer so überschaubaren Gemeinschaft wie der isländischen Bevölkerung nicht wirklich exklusiv ist), er durfte ihn besuchen (das wiederum ist eine Auszeichnung), und er hatte Zugang zu einer Fülle von privaten Dokumenten, zu Briefen, unveröffentlichten Texten und nicht zuletzt der ebenfalls unveröffentlichten Biographie, die Stefan Einarsson 1928 unter Mithilfe oder wenigstens der kritischen Beobachtung Halldór Laxness' verfasste
Herausgekommen ist ein Band von 850 Seiten (nach einer ersten, geradezu schmalen Biographie, die Halldór Gudmundsson 2002 zum hundertsten Geburtstag des Dichters in Laxness' deutschen Hausverlag Steidl publizierte). Es ist jedenfalls schwer vorstellbar, dass sich nach diesem faktengesättigten Meilenstein zu irgendeiner Phase von Laxness' Leben noch substantiell Neues finden ließe - das Buch schildert redlich, in jede Richtung abgesichert, in chronologischer Reihung die äußeren Umstände einer Biographie, die in bestechend klarer Weise einem früh entworfenen Plan zu folgen scheint. Und diesen Plan stellte der Dichter, um den es dabei geht, selbst auf. Er heißt, verkürzt wiedergegeben, in etwa: Ich will der größte Dichter Islands werden. Und dann ist der Rest der Welt an der Reihe.
Alles kann in diesem Raster gar nicht früh genug geschehen. Laxness, in kleinen Verhältnissen geboren, aber als Sohn eines Mannes, der unübersehbar nach oben will, fängt schon im Grundschulalter mit dem manischen Schreiben an, das ihm bis ins sehr hohe Alter Gewohnheit bleiben wird. Mit knapp vierzehn Jahren veröffentlicht er seinen ersten Text, mit siebzehn den ersten Roman. Er schrieb gern unter dem Pseudonym "Snær svinni", was "der kluge Snær" bedeutet - nur die Lumpe sind bescheiden, mochte er sich gedacht haben, und Bescheidenheit ist auch in der Folge keine Eigenschaft, die ihn besonders auszeichnet.
Der Vater stirbt früh, die Mutter unterstützt den begabten Sohn, wo sie kann, auch auf Kosten der anderen Kinder, und Laxness, der Europa bereist, in Amerika den Durchbruch als Drehbuchautor erhofft, fürchterlich auf die Nase fällt und in der Heimat unbeeindruckt weiterschreibt, der überall borgt und selten zurückzahlt, der Frauen für sich gewinnt und sich ebenso leicht von ihnen trennt, der Autor also, der aus dem Spannungsverhältnis von Heimatverbundenheit und Weltläufigkeit das allerschönste Kapital schlagen sollte, schreibt, hart an seinem Stil arbeitend, einen bedeutenden Roman nach dem anderen. Das ist das Konversionsbuch "Der große Weber von Kaschmir" von 1927, vier Jahre später erscheint "Salka Valka", ein Roman, der die Hinwendung des Dichters zur sozialen Frage am Beispiel einer isländischen Genossenschaft dokumentiert, und schließlich das meisterlich desillusionierte Werk "Sein eigener Herr", das aller hamsun- und waggerlhaften Bauernromantik hohnspricht. Die Zeit der redlichen Landmänner, die ihrem Boden ungeachtet aller Hindernisse das auch dem Städter notwendige Brot abringen, ist gründlich vorbei, kann man dem Roman ablesen, und es ist kein Zufall, dass der erste Teil unter dem Titel "Der Freisasse" im nationalsozialistischen Deutschland erscheinen konnte, der zweite, der den Niedergang dieses isländischen Don Quijote schildert, dann schon lieber nicht.
Was er kann, ahnt Laxness früh, aber spätestens jetzt weiß er es. Und fordert die Bewunderung, die ihm als Mythenzertrümmerer zusteht, auch lautstark ein. Ein riskantes Spiel: Was wäre eigentlich geworden, wenn Laxness, der den Nobelpreis schon 1954 fest in der Tasche zu haben schien (stattdessen wurde er damals Hemingway zugesprochen), die Auszeichnung ein Jahr später nicht bekommen hätte?
"Egal, ob er über Hamsun spricht", urteilt schon 1924 ein Kritiker über Laxness, "oder eine Messe in der Westminster Cathedral in London schildert - immer hat man das Gefühl, dass er vor allem über sich selbst schreibt, über Halldór Kiljan Laxness. Und manchmal hat man den Eindruck, dass er sich in jedem zweiten Satz auf die Zehenspitzen stellt - schaut nur, schaut mich an, ich habe die Welt bereist, und ich bin katholisch, schaut nur, ich, ich, ich!"
Das war keine schlechte Analyse der Rolle, die Laxness zeitlebens spielte, und es ist naturgemäß so, dass derlei die Nachgeborenen weniger stört als die Zeitgenossen. Laxness, der Bauernsohn aus Reykjavíks Peripherie, wusste, was er als Autor wert war, und dass er als Schriftsteller dann durchaus posierte, beschreibt Halldór Gudmundssons Biographie mit einer redlichen Ausdauer, die natürlich ihrem Gegenstand geschuldet ist.
Man wird Fotos wie die berühmte Aufnahme des Dichters in freier Natur, der eine Schreibmaschine auf den Knien trägt und eifrig tippt, heute mit einer gewissen Sympathie zur Kenntnis nehmen - Hauptsache, er schreibt wieder etwas in der Manier von "Sein eigener Herr". Das immerhin hat er nicht mehr getan, er war lebenslang darum bemüht, im Stil und inhaltlich neue Wege zu gehen, und Halldór Gudmundssons Biographie zeichnet auch dies nach. Als Dreizehnjähriger hatte Laxness einen - heute verschollenen - Riesenroman geschrieben, der viele hundert Seiten umfasste, und auch "Der große Weber von Kaschmir" oder "Sein eigener Herr" sind umfangreiche Werke. 1962 dagegen hielt der Autor in einem Essay seine Überzeugung fest, wenn man einen Roman schreibe, sei es heilsam, "sich den Tarif für Telefongespräche zu den Falklandinseln als Richtlinie zu nehmen". Für seine Erinnerungsbücher, die seit den sechziger Jahren entstehen, hat er den eigenen Rat beherzigt, und auch die faszinierende "Kirchspielchronik" von 1970, die isländische Geschichte, den Nachhall der Sagaliteratur und Autobiographisches verbindet, ist davon in hohem Maß geprägt.
Der Wille aber zur Veränderung, zur kritischen Beobachtung der eigenen Existenz, prägte Laxness bis ins hohe Alter, was auch der Besucherin Sarah Kirsch nicht verborgen blieb: "So finster es aussehen mag, dass er nie wieder was schreiben wird und kaum noch er selbst ist, alles verwandelt sich weiter. So hat er mit Klavierspielen angefangen. Seine Frau verwunderte sich, dass er Schubert-Sonaten, ohne geübt zu haben, nächtelang großartig spielt."
Am 8. Februar 1998 ist Halldór Laxness gestorben.
Halldór Gudmundsson: "Halldór Laxness". Eine Biographie. Aus dem Isländischen übersetzt von Helmut Lugmayr. btb, München 2007. 864 S., zahlreiche Abb., geb., 49,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Halldór Gudmundssons erschöpfende Laxness-Biographie / Von Tilman Spreckelsen
Als sie den greisen Dichter vor nunmehr fünfzehn Jahren besuchte, im Juni 1992, notierte Sarah Kirsch in ihrem Tagebuch: "Umwerfend war es und traurig, aber er lachte über sich selbst, wenn er sich in Worten verhedderte, die ihn gefesselt hielten. Und ich bekam immer noch wie bei vorangegangenen Besuchen als Einzige von den anwesenden Weibern einen Handkuss. Unser herrlicher Dichter lief um den Tisch, als wollte er uns entkommen, hätte die Nase voll von all dem Geschwätz, aber dann fesselte ihn wieder ein Wort. Er sprach immer noch in verschiedenen Sprachen, und wenn er den Faden verlor, lachte er bloß. Nimmt einen mit, solch einen Bewunderten in den Fängen von Sir Alzheim zu finden."
Auch wenn Kirsch da ein Leben beschreibt, das sich spürbar dem Ende zuneigt, auch wenn die Demenzerkrankung des gefeierten Schriftstellers für jeden im Raum unübersehbar war - aus den knappen Zeilen, die den Besuch in Halldór Laxness' isländischem Bungalow schildern, klingt durch, wie sehr der hinfällige Dichter seine Umgebung nach wie vor beherrscht. Er ist der Mittelpunkt, auf ihn ist das Gespräch bezogen, er entscheidet, ob und wo er sich einklinkt, und die Bewunderung aller ist ihm sicher, selbst wenn sie die Farben des Mitleids trägt.
In diesem Herbst, neun Jahre nach Laxness' Tod, ist eine voluminöse Biographie auf Deutsch erschienen, die Halldór Gudmundsson verfasst hat, der ehemalige Leiter des bedeutenden isländischen Verlags "Mál og menning". Er ist mehr als fünfzig Jahre jünger als Laxness, er hat den Nationaldichter persönlich gekannt (was freilich in einer so überschaubaren Gemeinschaft wie der isländischen Bevölkerung nicht wirklich exklusiv ist), er durfte ihn besuchen (das wiederum ist eine Auszeichnung), und er hatte Zugang zu einer Fülle von privaten Dokumenten, zu Briefen, unveröffentlichten Texten und nicht zuletzt der ebenfalls unveröffentlichten Biographie, die Stefan Einarsson 1928 unter Mithilfe oder wenigstens der kritischen Beobachtung Halldór Laxness' verfasste
Herausgekommen ist ein Band von 850 Seiten (nach einer ersten, geradezu schmalen Biographie, die Halldór Gudmundsson 2002 zum hundertsten Geburtstag des Dichters in Laxness' deutschen Hausverlag Steidl publizierte). Es ist jedenfalls schwer vorstellbar, dass sich nach diesem faktengesättigten Meilenstein zu irgendeiner Phase von Laxness' Leben noch substantiell Neues finden ließe - das Buch schildert redlich, in jede Richtung abgesichert, in chronologischer Reihung die äußeren Umstände einer Biographie, die in bestechend klarer Weise einem früh entworfenen Plan zu folgen scheint. Und diesen Plan stellte der Dichter, um den es dabei geht, selbst auf. Er heißt, verkürzt wiedergegeben, in etwa: Ich will der größte Dichter Islands werden. Und dann ist der Rest der Welt an der Reihe.
Alles kann in diesem Raster gar nicht früh genug geschehen. Laxness, in kleinen Verhältnissen geboren, aber als Sohn eines Mannes, der unübersehbar nach oben will, fängt schon im Grundschulalter mit dem manischen Schreiben an, das ihm bis ins sehr hohe Alter Gewohnheit bleiben wird. Mit knapp vierzehn Jahren veröffentlicht er seinen ersten Text, mit siebzehn den ersten Roman. Er schrieb gern unter dem Pseudonym "Snær svinni", was "der kluge Snær" bedeutet - nur die Lumpe sind bescheiden, mochte er sich gedacht haben, und Bescheidenheit ist auch in der Folge keine Eigenschaft, die ihn besonders auszeichnet.
Der Vater stirbt früh, die Mutter unterstützt den begabten Sohn, wo sie kann, auch auf Kosten der anderen Kinder, und Laxness, der Europa bereist, in Amerika den Durchbruch als Drehbuchautor erhofft, fürchterlich auf die Nase fällt und in der Heimat unbeeindruckt weiterschreibt, der überall borgt und selten zurückzahlt, der Frauen für sich gewinnt und sich ebenso leicht von ihnen trennt, der Autor also, der aus dem Spannungsverhältnis von Heimatverbundenheit und Weltläufigkeit das allerschönste Kapital schlagen sollte, schreibt, hart an seinem Stil arbeitend, einen bedeutenden Roman nach dem anderen. Das ist das Konversionsbuch "Der große Weber von Kaschmir" von 1927, vier Jahre später erscheint "Salka Valka", ein Roman, der die Hinwendung des Dichters zur sozialen Frage am Beispiel einer isländischen Genossenschaft dokumentiert, und schließlich das meisterlich desillusionierte Werk "Sein eigener Herr", das aller hamsun- und waggerlhaften Bauernromantik hohnspricht. Die Zeit der redlichen Landmänner, die ihrem Boden ungeachtet aller Hindernisse das auch dem Städter notwendige Brot abringen, ist gründlich vorbei, kann man dem Roman ablesen, und es ist kein Zufall, dass der erste Teil unter dem Titel "Der Freisasse" im nationalsozialistischen Deutschland erscheinen konnte, der zweite, der den Niedergang dieses isländischen Don Quijote schildert, dann schon lieber nicht.
Was er kann, ahnt Laxness früh, aber spätestens jetzt weiß er es. Und fordert die Bewunderung, die ihm als Mythenzertrümmerer zusteht, auch lautstark ein. Ein riskantes Spiel: Was wäre eigentlich geworden, wenn Laxness, der den Nobelpreis schon 1954 fest in der Tasche zu haben schien (stattdessen wurde er damals Hemingway zugesprochen), die Auszeichnung ein Jahr später nicht bekommen hätte?
"Egal, ob er über Hamsun spricht", urteilt schon 1924 ein Kritiker über Laxness, "oder eine Messe in der Westminster Cathedral in London schildert - immer hat man das Gefühl, dass er vor allem über sich selbst schreibt, über Halldór Kiljan Laxness. Und manchmal hat man den Eindruck, dass er sich in jedem zweiten Satz auf die Zehenspitzen stellt - schaut nur, schaut mich an, ich habe die Welt bereist, und ich bin katholisch, schaut nur, ich, ich, ich!"
Das war keine schlechte Analyse der Rolle, die Laxness zeitlebens spielte, und es ist naturgemäß so, dass derlei die Nachgeborenen weniger stört als die Zeitgenossen. Laxness, der Bauernsohn aus Reykjavíks Peripherie, wusste, was er als Autor wert war, und dass er als Schriftsteller dann durchaus posierte, beschreibt Halldór Gudmundssons Biographie mit einer redlichen Ausdauer, die natürlich ihrem Gegenstand geschuldet ist.
Man wird Fotos wie die berühmte Aufnahme des Dichters in freier Natur, der eine Schreibmaschine auf den Knien trägt und eifrig tippt, heute mit einer gewissen Sympathie zur Kenntnis nehmen - Hauptsache, er schreibt wieder etwas in der Manier von "Sein eigener Herr". Das immerhin hat er nicht mehr getan, er war lebenslang darum bemüht, im Stil und inhaltlich neue Wege zu gehen, und Halldór Gudmundssons Biographie zeichnet auch dies nach. Als Dreizehnjähriger hatte Laxness einen - heute verschollenen - Riesenroman geschrieben, der viele hundert Seiten umfasste, und auch "Der große Weber von Kaschmir" oder "Sein eigener Herr" sind umfangreiche Werke. 1962 dagegen hielt der Autor in einem Essay seine Überzeugung fest, wenn man einen Roman schreibe, sei es heilsam, "sich den Tarif für Telefongespräche zu den Falklandinseln als Richtlinie zu nehmen". Für seine Erinnerungsbücher, die seit den sechziger Jahren entstehen, hat er den eigenen Rat beherzigt, und auch die faszinierende "Kirchspielchronik" von 1970, die isländische Geschichte, den Nachhall der Sagaliteratur und Autobiographisches verbindet, ist davon in hohem Maß geprägt.
Der Wille aber zur Veränderung, zur kritischen Beobachtung der eigenen Existenz, prägte Laxness bis ins hohe Alter, was auch der Besucherin Sarah Kirsch nicht verborgen blieb: "So finster es aussehen mag, dass er nie wieder was schreiben wird und kaum noch er selbst ist, alles verwandelt sich weiter. So hat er mit Klavierspielen angefangen. Seine Frau verwunderte sich, dass er Schubert-Sonaten, ohne geübt zu haben, nächtelang großartig spielt."
Am 8. Februar 1998 ist Halldór Laxness gestorben.
Halldór Gudmundsson: "Halldór Laxness". Eine Biographie. Aus dem Isländischen übersetzt von Helmut Lugmayr. btb, München 2007. 864 S., zahlreiche Abb., geb., 49,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Als "spannend und kurzweilig wie ein Roman" lobt Rezensentin Kristina Maidt-Zinke die Biografie des 1998 verstorbenen isländischen Literaturnobelpreisträgers Halldor Laxness von dem Literaturwissenschaftler und Verleger Halldor Gudmundsson. Dass die vor drei Jahren in Island erschienene Lebensgeschichte des Bauernsohns, der zum berühmtesten Schriftsteller Islands avancierte, nun auf Deutsch erscheint, findet die Rezensentin "mutig", immerhin sei der Autor hier kaum bekannt. Trotzdem, man müsse kein Isländer sein, meint sie, um vom bewegten Leben Laxness' mitgerissen zu werden, dank Gudmundsson, der "trotz seiner akribischen Detaillfülle stets locker und lebendig im Ton" von dem "rastlosen Reisenden" schreibe, in dessen Haus sich internationale Künstler und Dichter ein Stelldichein gaben. Greifbar werde da die Spannung eines Mannes, der in der Literatur die Schönheit einer "beinahe ungeschriebenen Welt" zu fassen suchte, privat aber ein dominanter Egozentriker war.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.11.2007Gott, die Welt und die Atomstation
Halldór Gudmundssons große Biographie des isländischen Jahrhundertschriftstellers Halldór Laxness liest sich spannend und kurzweilig wie ein RomanVon Kristina Maidt-Zinke
Würde auf dem Mond Gras wachsen, sähe die Landschaft vermutlich so aus wie zwanzig Kilometer nordöstlich von Reykjavik. Hier, wo sich die Straße Nr. 36 durch die buckligen hügelgesäumten Kurzgraswiesen von Mosfellsdalur windet, scheinen nur noch Schafe und Islandpferde ihrer stillen, eintönigen Beschäftigung nachzugehen. Genau dort aber, wo man keine menschliche Behausung mehr erwartet, ist ein kleines, weißes Raumschiff gelandet, ein fremdartig wirkendes und doch perfekt in die Umgebung eingefügtes Gebäude, das durch Bauhaus-Elemente und fast mediterran anmutendes Flair überrascht. Auf dem Vorplatz hat der Hausherr seinen ebenfalls weißen Jaguar-Oldtimer geparkt, allerdings schon vor vielen Jahren. Beim zweiten Blick sind die Rostspuren, die das feuchtsalzige Klima in die Karosserie frisst, nicht zu übersehen. Dafür leuchtet der Swimmingpool, spektakulär an eine steil abstürzende Felskante gelegt, in so makellosem Türkisblau, als könnten die Besitzer jederzeit aus der Glastür treten, um ein geysirwarmes Bad mit Aussicht zu nehmen.
Halldór Laxness, Islands Nationaldichter der Neuzeit, der seiner Heimatinsel unter anderem die höchste Nobelpreisquote unter allen Ländern der Welt hinterließ (ein Preis, wenngleich der einzige, auf dreihunderttausend Einwohner), starb 1998, nachdem er die letzten vier Lebensjahre überwiegend im Pflegeheim verbracht hatte. Seither ist Gjulfrasteinn, sein Wohnhaus, das 1945 von dem Architekten Agust Palsson erbaut und nach Laxness’ Tod noch einige Zeit von seiner Witwe Audur bewohnt wurde, im wesentlichen unverändert geblieben. Sogar eine angerauchte Zigarre des greisen Großschriftstellers liegt noch neben seinem Lesesessel. Im Anbau hat man, sehr diskret, ein Kassenhäuschen samt Museumsshop untergebracht, aber der Besucher wird mit Kaffee bewirtet und darf sich fühlen, als wäre er bei den Eheleuten Laxness zu Gast wie einst die internationale Kunst- und Kulturschickeria.
In diesem Dichterheim, das so bescheiden wie behaglich nach der Mode der Erbauungszeit eingerichtet, mit exotischen Reisesouvenirs und Gemälden isländischer Künstler dekoriert ist, wurden seit Kriegsende eine bildungsbürgerliche Geselligkeit und ein kosmopolitischer Lebensstil gepflegt, die sich im europafernen, damals noch kaum urbanisierten Island ausnahmen wie ein Import von anderen Planeten. Bei aller Modernität aber geriet nie in Vergessenheit, dass dies ein mythenumwobener Platz war: Nicht weit vom Haus befindet sich der „Schluchtenstein”, der dem Anwesen seinen Namen gab und dem Halldór Laxness prägende Kindheitserinnerungen verdankte. Einen anderen, ganz besonderen Felsblock ließ Laxness 1971 aus dem Fluss Kaldakvisl, vom nahe gelegenen Hof seiner Eltern, mit zwei Traktoren neben den Pool schaffen.
Die Geschichte, die mit diesem Ort und diesem außergewöhnlichen Schriftstellerleben verbunden ist, liest sich über weite Strecken so kurzweilig wie ein Roman. Der isländische Literaturwissenschaftler und Verleger Halldór Gudmundsson hat sie aufgeschrieben, und nun ist das 860 Seiten schwere Werk auch ins Deutsche übersetzt worden. Eine mutige Tat, wenn man bedenkt, dass der Autor Laxness beim deutschsprachigen Publikum zuletzt in den siebziger Jahren, als sein 1957 erschienenes Erinnerungs-Epos „Das Fischkonzert” für das Fernsehen verfilmt wurde, eine breitere Bekanntheit erreichte. Die höchst verdienstvolle Werkausgabe des Steidl-Verlags, 2002 abgeschlossen, hat diesen Effekt bislang nicht erneuern können.
Dass Gudmundssons Biographie vor drei Jahren in Island regelrecht Furore machte, versteht sich von selbst. Nicht nur deshalb, weil das isländische Volk, eines der lesefreudigsten dieser Erde, sich für seinen Vorzeige-Literaten brennend interessiert, obwohl es ihn keineswegs einmütig liebt: Lebensbeschreibungen von Landsleuten sind in dem nordatlantischen Miniaturstaat eine besonders populäre Gattung, weil jeder Isländer bei der Lektüre unweigerlich auf die Namen von Verwandten, Freunden oder Bekannten stößt – und bei einem hochprominenten Landsmann, der fast ein Jahrhundert lang Zeit hatte, Gott und die Welt kennenzulernen, ist die Ausbeute natürlich besonders groß.
Gudmundsson aber, der bei den Recherchen zu dem monumentalen, reich bebilderten Werk von seinen eigenen Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen profitieren konnte, hat das Buch so geschrieben und gestaltet, dass man kein Inselbewohner, ja nicht einmal Laxness-Leser sein muss, um die Saga vom wundersamen Aufstieg eines isländischen Bauernjungen zum Literaturnobelpreisträger, von der kurvigen Karriere eines Selfmade-Weltbürgers und Bonvivants, von den Denk-Experimenten eines unbezähmbar eigensinnigen Charakters mit Spannung zu verfolgen. Ein Säkulum mit all seinen Widersprüchen wird hier in einem dichterischen Lebenslauf gespiegelt, der vom nördlichen Rand Europas seinen Ausgang nahm und nach mannigfachen globalen Exkursen dort auch endete. Wie viele Isländer war Halldór Laxness ein rastloser Reisender, den es zunächst mit Macht in südlichere Gefilde zog, der aber immer wieder in die Heimat zurückkehrte und für den trotz aller Defizite, die man als Kulturschaffender im Land der heißen und kalten Naturwunder spürt, letzten Endes kein anderer Wohnsitz in Frage kam. Dieses eigenartige Phänomen findet bis heute seinen Ausdruck in dem plakatierten Gruß „Willkommen zu Hause”, der auf dem Flughafen Keflavik die Ankömmlinge empfängt.
Als der 1902 geborene Halldór Gudjonsson, der seinen Künstlernamen „Laxness” vom Namen des elterlichen Bauernhofes Laxnes ableitete, in jungen Jahren seine literarischen Ambitionen entdeckte, fand er, wie er es später formulierte, „eine beinahe ungeschriebene Welt” vor. Aber es war eine Welt, in der bestimmte Werte noch wie selbstverständlich respektiert wurden. „In dieser vergangenen Zeit”, notierte der Autor in seinem Erinnerungsbuch „Auf der Hauswiese”, „standen ehrenhaftes Benehmen und Achtung vor dem Nächsten an der Stelle von computerhafter Gerechtigkeit. Hierin bestand die Schönheit der menschlichen Gemeinschaft, ohne die man nicht leben konnte, trotz allem.”
Gudmundssons Buch, trotz seiner akribischen Detailfülle stets locker und lebendig im Ton, führt vor Augen, wie der Schriftsteller Laxness in seinen sechzig Büchern unermüdlich und auf mancherlei Umwegen jener verlorenen Schönheit nachspürte, während er als Mensch hinter den Idealen des Dichters nicht selten zurückblieb: „Er verstand es auf einzigartige Weise, seine nächste Umgebung zu dominieren, sodass sich alles nur um ihn drehte und um sein Ziel, der Welt Geschichten zu erzählen. ” Über sich selbst bekannte Laxness: „Ich bin Taoist gewesen, später wurde ich auch Expressionist, Surrealist, Freudianer usw., schließlich marxistischer Mitläufer, obwohl ich Marx nie gelesen habe, weil ich eine Überempfindlichkeit gegen deutsche Philosophie hatte.”
Die religiösen Visionen der Kindheit, der frühe, kühne Entschluss, ein Schriftsteller mit Weltgeltung zu werden, die Wiederentdeckung der isländischen Sprache als Literatur-Idiom, die Wahrheitssuche im Kloster, das Gastspiel in Hollywood, die Konfrontation mit der Zensur in Nazideutschland, die kommunistische Utopie, die Erziehung zur Eleganz im sinnenfrohen Italien – das sind nur einige Facetten dieses bewegten, von Extremen geprägten Lebensgangs. Zwei Ehen, diverse Liebesverhältnisse, eine Steueraffäre – und dann natürlich der Literaturnobelpreis, den Laxness 1955 für seine Satire „Atomstation” erhielt: Gudmundsson schildert anschaulich die Hintergründe des Romans, den politischen Widerstandskampf der Isländer gegen die Stationierung amerikanischer Raketen, aber auch die Querelen um den Preiskandidaten im Stockholmer Nobelkomitee. Aus der Distanz eines halben Jahrhunderts fällt auf jene Vorgänge im hohen Norden ein Licht, das sie an unsere eigene Zeitgeschichte näher heranrückt. Und es fällt zugleich ein heller Schein auf den Charakter einer kleinen, weltliterarisch bedeutenden Nation, die 2011 gern Schwerpunktland der Frankfurter Buchmesse wäre: Ein bisschen Laxness sind sie alle, die Isländer.
Halldór Gudmundsson
Halldór Laxness.
Eine Biographie
Aus dem Isländischen von Helmut Lugmayr. btb Verlag, München 2007. 860 Seiten, 49,95 Euro.
„Er verstand es auf einzigartige Weise, seine nächste Umgebung zu dominieren”
Hier gab Rostropowitsch Hauskonzerte: Auf Gjlufrasteinn pflegten Halldór Laxness und seine Frau Audur seit 1945 einen kulturbürgerlichen Lebensstil, der in Island seinesgleichen suchte. Heute ist das Dichterheim ein Museum. Foto: akg/pa
1996 war Laxness, schon pflegebedürftig, im eigenen Haus nur noch zu Besuch. Foto: Schiffer-Fuchs/Ullstein
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Halldór Gudmundssons große Biographie des isländischen Jahrhundertschriftstellers Halldór Laxness liest sich spannend und kurzweilig wie ein RomanVon Kristina Maidt-Zinke
Würde auf dem Mond Gras wachsen, sähe die Landschaft vermutlich so aus wie zwanzig Kilometer nordöstlich von Reykjavik. Hier, wo sich die Straße Nr. 36 durch die buckligen hügelgesäumten Kurzgraswiesen von Mosfellsdalur windet, scheinen nur noch Schafe und Islandpferde ihrer stillen, eintönigen Beschäftigung nachzugehen. Genau dort aber, wo man keine menschliche Behausung mehr erwartet, ist ein kleines, weißes Raumschiff gelandet, ein fremdartig wirkendes und doch perfekt in die Umgebung eingefügtes Gebäude, das durch Bauhaus-Elemente und fast mediterran anmutendes Flair überrascht. Auf dem Vorplatz hat der Hausherr seinen ebenfalls weißen Jaguar-Oldtimer geparkt, allerdings schon vor vielen Jahren. Beim zweiten Blick sind die Rostspuren, die das feuchtsalzige Klima in die Karosserie frisst, nicht zu übersehen. Dafür leuchtet der Swimmingpool, spektakulär an eine steil abstürzende Felskante gelegt, in so makellosem Türkisblau, als könnten die Besitzer jederzeit aus der Glastür treten, um ein geysirwarmes Bad mit Aussicht zu nehmen.
Halldór Laxness, Islands Nationaldichter der Neuzeit, der seiner Heimatinsel unter anderem die höchste Nobelpreisquote unter allen Ländern der Welt hinterließ (ein Preis, wenngleich der einzige, auf dreihunderttausend Einwohner), starb 1998, nachdem er die letzten vier Lebensjahre überwiegend im Pflegeheim verbracht hatte. Seither ist Gjulfrasteinn, sein Wohnhaus, das 1945 von dem Architekten Agust Palsson erbaut und nach Laxness’ Tod noch einige Zeit von seiner Witwe Audur bewohnt wurde, im wesentlichen unverändert geblieben. Sogar eine angerauchte Zigarre des greisen Großschriftstellers liegt noch neben seinem Lesesessel. Im Anbau hat man, sehr diskret, ein Kassenhäuschen samt Museumsshop untergebracht, aber der Besucher wird mit Kaffee bewirtet und darf sich fühlen, als wäre er bei den Eheleuten Laxness zu Gast wie einst die internationale Kunst- und Kulturschickeria.
In diesem Dichterheim, das so bescheiden wie behaglich nach der Mode der Erbauungszeit eingerichtet, mit exotischen Reisesouvenirs und Gemälden isländischer Künstler dekoriert ist, wurden seit Kriegsende eine bildungsbürgerliche Geselligkeit und ein kosmopolitischer Lebensstil gepflegt, die sich im europafernen, damals noch kaum urbanisierten Island ausnahmen wie ein Import von anderen Planeten. Bei aller Modernität aber geriet nie in Vergessenheit, dass dies ein mythenumwobener Platz war: Nicht weit vom Haus befindet sich der „Schluchtenstein”, der dem Anwesen seinen Namen gab und dem Halldór Laxness prägende Kindheitserinnerungen verdankte. Einen anderen, ganz besonderen Felsblock ließ Laxness 1971 aus dem Fluss Kaldakvisl, vom nahe gelegenen Hof seiner Eltern, mit zwei Traktoren neben den Pool schaffen.
Die Geschichte, die mit diesem Ort und diesem außergewöhnlichen Schriftstellerleben verbunden ist, liest sich über weite Strecken so kurzweilig wie ein Roman. Der isländische Literaturwissenschaftler und Verleger Halldór Gudmundsson hat sie aufgeschrieben, und nun ist das 860 Seiten schwere Werk auch ins Deutsche übersetzt worden. Eine mutige Tat, wenn man bedenkt, dass der Autor Laxness beim deutschsprachigen Publikum zuletzt in den siebziger Jahren, als sein 1957 erschienenes Erinnerungs-Epos „Das Fischkonzert” für das Fernsehen verfilmt wurde, eine breitere Bekanntheit erreichte. Die höchst verdienstvolle Werkausgabe des Steidl-Verlags, 2002 abgeschlossen, hat diesen Effekt bislang nicht erneuern können.
Dass Gudmundssons Biographie vor drei Jahren in Island regelrecht Furore machte, versteht sich von selbst. Nicht nur deshalb, weil das isländische Volk, eines der lesefreudigsten dieser Erde, sich für seinen Vorzeige-Literaten brennend interessiert, obwohl es ihn keineswegs einmütig liebt: Lebensbeschreibungen von Landsleuten sind in dem nordatlantischen Miniaturstaat eine besonders populäre Gattung, weil jeder Isländer bei der Lektüre unweigerlich auf die Namen von Verwandten, Freunden oder Bekannten stößt – und bei einem hochprominenten Landsmann, der fast ein Jahrhundert lang Zeit hatte, Gott und die Welt kennenzulernen, ist die Ausbeute natürlich besonders groß.
Gudmundsson aber, der bei den Recherchen zu dem monumentalen, reich bebilderten Werk von seinen eigenen Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen profitieren konnte, hat das Buch so geschrieben und gestaltet, dass man kein Inselbewohner, ja nicht einmal Laxness-Leser sein muss, um die Saga vom wundersamen Aufstieg eines isländischen Bauernjungen zum Literaturnobelpreisträger, von der kurvigen Karriere eines Selfmade-Weltbürgers und Bonvivants, von den Denk-Experimenten eines unbezähmbar eigensinnigen Charakters mit Spannung zu verfolgen. Ein Säkulum mit all seinen Widersprüchen wird hier in einem dichterischen Lebenslauf gespiegelt, der vom nördlichen Rand Europas seinen Ausgang nahm und nach mannigfachen globalen Exkursen dort auch endete. Wie viele Isländer war Halldór Laxness ein rastloser Reisender, den es zunächst mit Macht in südlichere Gefilde zog, der aber immer wieder in die Heimat zurückkehrte und für den trotz aller Defizite, die man als Kulturschaffender im Land der heißen und kalten Naturwunder spürt, letzten Endes kein anderer Wohnsitz in Frage kam. Dieses eigenartige Phänomen findet bis heute seinen Ausdruck in dem plakatierten Gruß „Willkommen zu Hause”, der auf dem Flughafen Keflavik die Ankömmlinge empfängt.
Als der 1902 geborene Halldór Gudjonsson, der seinen Künstlernamen „Laxness” vom Namen des elterlichen Bauernhofes Laxnes ableitete, in jungen Jahren seine literarischen Ambitionen entdeckte, fand er, wie er es später formulierte, „eine beinahe ungeschriebene Welt” vor. Aber es war eine Welt, in der bestimmte Werte noch wie selbstverständlich respektiert wurden. „In dieser vergangenen Zeit”, notierte der Autor in seinem Erinnerungsbuch „Auf der Hauswiese”, „standen ehrenhaftes Benehmen und Achtung vor dem Nächsten an der Stelle von computerhafter Gerechtigkeit. Hierin bestand die Schönheit der menschlichen Gemeinschaft, ohne die man nicht leben konnte, trotz allem.”
Gudmundssons Buch, trotz seiner akribischen Detailfülle stets locker und lebendig im Ton, führt vor Augen, wie der Schriftsteller Laxness in seinen sechzig Büchern unermüdlich und auf mancherlei Umwegen jener verlorenen Schönheit nachspürte, während er als Mensch hinter den Idealen des Dichters nicht selten zurückblieb: „Er verstand es auf einzigartige Weise, seine nächste Umgebung zu dominieren, sodass sich alles nur um ihn drehte und um sein Ziel, der Welt Geschichten zu erzählen. ” Über sich selbst bekannte Laxness: „Ich bin Taoist gewesen, später wurde ich auch Expressionist, Surrealist, Freudianer usw., schließlich marxistischer Mitläufer, obwohl ich Marx nie gelesen habe, weil ich eine Überempfindlichkeit gegen deutsche Philosophie hatte.”
Die religiösen Visionen der Kindheit, der frühe, kühne Entschluss, ein Schriftsteller mit Weltgeltung zu werden, die Wiederentdeckung der isländischen Sprache als Literatur-Idiom, die Wahrheitssuche im Kloster, das Gastspiel in Hollywood, die Konfrontation mit der Zensur in Nazideutschland, die kommunistische Utopie, die Erziehung zur Eleganz im sinnenfrohen Italien – das sind nur einige Facetten dieses bewegten, von Extremen geprägten Lebensgangs. Zwei Ehen, diverse Liebesverhältnisse, eine Steueraffäre – und dann natürlich der Literaturnobelpreis, den Laxness 1955 für seine Satire „Atomstation” erhielt: Gudmundsson schildert anschaulich die Hintergründe des Romans, den politischen Widerstandskampf der Isländer gegen die Stationierung amerikanischer Raketen, aber auch die Querelen um den Preiskandidaten im Stockholmer Nobelkomitee. Aus der Distanz eines halben Jahrhunderts fällt auf jene Vorgänge im hohen Norden ein Licht, das sie an unsere eigene Zeitgeschichte näher heranrückt. Und es fällt zugleich ein heller Schein auf den Charakter einer kleinen, weltliterarisch bedeutenden Nation, die 2011 gern Schwerpunktland der Frankfurter Buchmesse wäre: Ein bisschen Laxness sind sie alle, die Isländer.
Halldór Gudmundsson
Halldór Laxness.
Eine Biographie
Aus dem Isländischen von Helmut Lugmayr. btb Verlag, München 2007. 860 Seiten, 49,95 Euro.
„Er verstand es auf einzigartige Weise, seine nächste Umgebung zu dominieren”
Hier gab Rostropowitsch Hauskonzerte: Auf Gjlufrasteinn pflegten Halldór Laxness und seine Frau Audur seit 1945 einen kulturbürgerlichen Lebensstil, der in Island seinesgleichen suchte. Heute ist das Dichterheim ein Museum. Foto: akg/pa
1996 war Laxness, schon pflegebedürftig, im eigenen Haus nur noch zu Besuch. Foto: Schiffer-Fuchs/Ullstein
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"Ein Standardwerk, an dem sich künftige Arbeiten über Laxness werden messen müssen." Frettabladid