Eines Nachts landet Mika vom fernen Planeten Eljo kopfüber im Apfelbaum von Joakims Garten. Mika ist froh, endlich einen bewohnten Stern gefunden zu haben. Natürlich hat er viele Fragen. Aber immer, wenn Joakim ihm etwas erklärt, versteht er ihn nicht. Und so entstehen aus den Fragen immer wieder neue Fragen. Erst langsam beginnt Mika Zusammenhänge zu begreifen. Ein Buch für Kinder, die gerne viele Fragen stellen und alles genau erklärt haben wollen.
Zwei Buben bringen Ordnung ins Chaos der Welterkenntnis: "Hallo, ist da jemand?", der neue Erbauungsroman von Jostein Gaarder
Nach "Sofies Welt" veröffentlichte Jostein Gaarder noch eine Reihe weiterer Werke, unter anderem "Das Kartengeheimnis", "Das Leben ist kurz" und "Hallo, ist da jemand?". Letzteres liegt nun auch in deutscher Sprache vor. Wieder verkündet der norwegische Erbauungsschriftsteller sein Credo von der neuen Naivität. Onkel Joakim, ein Astrologe, schreibt seiner Nichte Camilla zum achten Geburtstag einen Brief. Auf knapp hundert Seiten erzählt er ihr von seiner Freundschaft mit Mika, einem jungen Mumben vom Stern Eljo. Es sind die alten Fragen nach dem Anfang des Universums und dem Grund aller Wirklichkeit, die Joakim und Mika bei ihrer wundersamen Begegnung bereden. Natürlich geht es nicht um fremde Bewohner ferner Sterne, sondern um uns selbst. Woher kommen wir, und wer sind wir? Wie können wir ein sinnerfülltes Leben führen?
Zu guter Letzt verrät Joakim der Nichte, dass sie demnächst "ein Brüderchen oder Schwesterchen" bekommen wird. Camilla soll sich freuen und staunen, denn "es ist im Grunde genommen eine Art Zauberei, wenn ein ganz neuer Mensch auf die Welt kommt". So zaubert Joakim aus dem Kasten seiner Erinnerungen die Geschichte von Mika hervor. Sie beginnt in der lange vergangenen Nacht, als Joakims kleiner Bruder geboren wurde. Die Eltern sind in die Klinik geeilt, und Tante Helene ist noch nicht eingetroffen, um Joakim zu behüten. Da baut er sich mit Legosteinen große Weltraumraketen. Das Universum erscheint ihm so leer wie das Haus ohne Eltern, die sich im Augenblick nicht ihrem Erstgeborenen widmen können.
Doch die "Hallo-Nachbar"-Ideologie funktioniert selbst in der existenziellen Bedrohung, die Liebe der Eltern bald mit einem Konkurrenten teilen zu müssen. Aus dem gestirnten Himmel fällt wie eine Sternschnuppe Mika herab, um Joakim metaphysische Geborgenheit zu schenken. Mika meint zu träumen, als er plötzlich in Joakims Garten am Apfelbaum hängt. Und Joakim ist verwirrt, weil er nicht weiß, ob er in Mikas Traumwelt geraten ist oder selbst bloß träumt. Das triviale Gebot aller Gutmenschen "Seid nett zueinander!" hilft weiter. Gut erzogen, reicht Joakim dem fremden Erdengast einen wohlschmeckenden Apfel. Aber nicht jede Frucht stammt vom Baum der Erkenntnis. Erst allmählich dämmert es dem Jungen, wie sehr sie sich trotz aller Unterschiede ähneln. Obgleich Mika wie Astrids Lindgrens "Karlsson vom Dach" viel Durcheinander anrichtet, bringen die Buben Ordnung in die chaotische Fülle des Lebens. Sie erzählen sich von einfachen Organismen im Meer, uralten Amphibien, toten Dinos und Eljo-Mumben, die in riesengroßen Eiern heranwachsen.
Mit simplen literarischen Techniken beschreibt Gaarder die Evolutionsgeschichte und preist die Geburt eines jeden neuen Erdenbürgers als deren gottgewolltes Ziel. Joakims Staunen über Mika soll dazu verhelfen, die Natur wieder als eine geheimnisvolle Wunderwelt zu entdecken. Der good guy vom anderen Stern liefert die Anleitung zur Deutung seiner Epiphanie gleich mit: "Der Vorteil eines Besuchs auf einem fremden Planeten ist, dass wir unseren eigenen Planeten etwas besser verstehen." Offenkundig misstraut Gaarder der eigenen Darstellungsgabe.
Joakim ist peinlich altklug. Die Weisheiten seiner Biologiebücher verkündet er wie ein Missionar, der für neue Ehrfurcht gegenüber der Schöpfung wirbt. Sollen Kinder naturreligiöse Traktate über das Geheimnis der Individualität Aufklärungsbüchern vorziehen? Es sind eher infantile Erwachsene, die an der kitschigen Wiederverzauberung der Welt Gefallen finden. Mit neuen Mythen hoffen sie ihrem PC-tüchtigen Nachwuchs alte Mores beizubringen. Die christliche Überlieferung sollten sie für solchen Öko-Moralismus nicht bemühen. Gewiss, man soll werden wie ein Kind, um das Himmelreich zu erlangen. Aber damit war keine Einladung zum kosmischen Regressionstrip ausgesprochen.
FRIEDRICH WILHELM GRAF
Jostein Gaarder: "Hallo, ist da jemand?" Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Hanser Verlag, München 1999. 104 S., geb., 25,- DM. Ab 8 J.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Erbauungsliteratur" ist das, findet Friedrich Wilhelm Graf in einer ziemlich ungnädigen Kritik. Die Geschichte eines Jungen, der allein zu Haus ist, weil seine Mutter im Krankenhaus ein Geschwisterlein zur Welt bringt, und die Figur des Außerirdischen, die dem Jungen die narzißtische Kränkung verarbeiten hilft, kommen Graf recht kitschig vor: Joaqim ist "peinlich altklug" Das sei weniger ein Buch für Kinder als für regressionssüchtige Eltern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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