Was würdest du tun, wenn du allein mit deiner Mom lebst, die manchmal ihre "ruhigen Tage" hat, und du planst, deinen iPod mit einer selbstgebauten Rakete ins All zu schießen, um den Außerirdischen das menschliche Leben auf der Erde zu erklären?
Ganz einfach: Der 11-jährige Alex wagt gemeinsam mit seinem Hund Carl Sagan die große Reise quer durchs Land zu einer Convention von Raketen-Nerds. Dabei lernt er nicht nur die unterschiedlichsten Menschen kennen, sondern erfährt auch eine Menge über Freundschaft, Familie, Liebe und all die anderen Dinge, die das Leben als Mensch so lustig, traurig, wunderschön und überraschend machen. Und zum Schluss ist Alex Welt um viele kostbare Freundschaften und sogar eine Schwester reicher.
Ganz einfach: Der 11-jährige Alex wagt gemeinsam mit seinem Hund Carl Sagan die große Reise quer durchs Land zu einer Convention von Raketen-Nerds. Dabei lernt er nicht nur die unterschiedlichsten Menschen kennen, sondern erfährt auch eine Menge über Freundschaft, Familie, Liebe und all die anderen Dinge, die das Leben als Mensch so lustig, traurig, wunderschön und überraschend machen. Und zum Schluss ist Alex Welt um viele kostbare Freundschaften und sogar eine Schwester reicher.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2017Wahre Ideen, direkt von innen erlebt
Jack Chengs "Hallo Leben, hörst du mich?" vergrößert uns Irdischen den Horizont
Ältere werden sich vielleicht noch an die Fernsehserie "Cosmos" erinnern - und an deren Urheber, den Astrophysiker Carl Sagan. Dieser freundliche, geduldige Gelehrte zeigte der Menschheit im Jahr 1980 auf ihren Bildschirmen, die seinerzeit zu bauchigen, klobigen Geräten gehörten, das Sonnensystem, das Universum und vieles, auf das man nicht leicht einfach so mit dem Finger zeigen kann, weil es begrifflicher Natur ist, aber notwendig, wenn man die Welt verstehen will, die wir bewohnen.
Der vollständige amerikanische Name der dreiteiligen Veranstaltung lautete "Cosmos: A Personal Voyage", also "Kosmos: Eine Persönliche Reise", womit Sagan den Umstand anerkannte, dass der riesige Stoff, den er da vermittelte, nicht unmittelbar, sondern nur durch seine reiche, schöne und gütige Subjektivität gefiltert bei den Menschen ankam.
Man hat dieses bedeutende mediale Aufklärungsexperiment vor drei Jahren fortgesetzt beziehungsweise wiederholt; diesmal hieß die Serie "Cosmos: A Spacetime Odyssey" und wurde moderiert von dem zweifellos kompetenten und sehr sympathischen Sagan-Nachfolger Neil deGrasse Tyson. Der müde bei Stanley Kubrick gemopste Titel aber verrät schon, dass hier einer jener bedauerlich unzureichenden Versuche vorliegt, mit mehr Geld und Technik, jedoch weniger Einsicht etwas zu übertreffen, das man aus den alleroffensichtlichsten Gründen nur unterbieten kann - aufdringliche Computeranimationen, Hochgeschwindigkeitsraserei im fiktiven Raumschiff, suggestive Effekte durchweg; die neue Serie sieht bei und wegen all der dummen Pracht tatsächlich aus, als hätten diejenigen, die es hergestellt haben, noch nie eine Idee von Innen gesehen. Sie denken, es wäre ihre Aufgabe, dummen, aber suggestiblen Menschen Lust auf Wissen über Dinge um die Ohren zu hauen, die weit abgelegen vom Alltag dummer, aber suggestibler Menschen seit Jahrmilliarden bestehen und vergehen. Die Köpfe hinter "Cosmos: A Spacetime Odyssey" haben Sagans Erbe, das nicht den Dummen und Suggestiblen, sondern den Wachen und Kritischen gehört, also einfach nicht verstanden - und bringen es deshalb, vermutlich mit den besten Absichten und viel Mühe, auf den sprichwörtlichen Hund.
Ganz anders liegt der Fall beim elfjährigen Alex, der seinen Hund "Carl Sagan" getauft hat und den verstorbenen Sternenlehrer so sehr verehrt, dass er statt der Fernsehsendung (deren Herstellung seine Mittel als Kind einer alleinerziehenden Mutter mit Gemütsproblemen ohnehin übersteigen würde) eine andere, noch wertvollere Tat des Bewunderten mit den Werkzeugen der Gegenwart ergänzen möchte: So wie Sagan nicht nur den Menschen das All, sondern in Gestalt von Informationsmaterial an Bord einer Raumsonde auch hypothetischen Außerirdischen die Menschen erklärt hat, spricht Alex einiges, was er über uns, über sich und die gemeinsame Welt weiß, in sein iPod, das er von New Mexico aus per Rakete ins Unendliche schießen will. Diese Aufnahmen protokolliert das Jugendbuch "Hallo Leben, hörst du mich?" von Jack Cheng, und dass sich das Ergebnis liest wie ein gedrucktes Hörbuch, darf niemanden stören, der weiß, dass seit James Joyce auch Theatertexte und seit F. Scott Fitzgerald auch Filmdrehbücher in Romane passen.
Chengs lebhafter, unberechenbarer und euphorisierender Roman wechselt hin und wieder die Anrede; nicht immer spricht der Junge mit den Aliens, immer aber auf eine Weise mit sich selbst, die kein Monolog ist, sondern echtes Zwiegespräch, Lernen live.
Oft wird ja behauptet, Kinder, Jugendliche und andere Unmündige (zum Beispiel "die Allgemeinheit" oder "der Wähler") seien zum Verständnis von Tatsachen oder Gedanken vor allem auf die sogenannte "Anschaulichkeit" angewiesen, das heißt auf sinnliche Abkürzungen, die das Gehirn schonen und ihm die Arbeit ersparen, Unterscheidungen und Vergleiche zu erfinden - Begriffe. Der Elfjährige Alex dagegen sieht die Sinne mit Recht eher als dienstbare Truppe, die ihm dabei hilft, begriffsbildend sein eigenes Leben zu durchdringen.
Getrieben von etwas, das man besser nicht "Instinkt" nennt, sondern in seiner staunenswert selbständigen Wirklichkeit als wahrhaftige Selbsterziehungsfähigkeit anerkennen sollte, weiß dieser Junge, dass das ununtersuchte Leben gar nicht wert ist, gelebt zu werden. Und genau darüber hätte sich Carl Sagan, anders als über das "Cosmos"-Remake, das sich als Fortsetzung seines Lebenswerks missversteht, mindestens einen neuen Stern gefreut.
DIETMAR DATH
Jack Cheng: "Hallo Leben, hörst du mich?" Roman.
Aus dem Englischen von Bernadette Ott. Verlag cbt, München 2017. 384 S., geb., 14,99 [Euro]. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jack Chengs "Hallo Leben, hörst du mich?" vergrößert uns Irdischen den Horizont
Ältere werden sich vielleicht noch an die Fernsehserie "Cosmos" erinnern - und an deren Urheber, den Astrophysiker Carl Sagan. Dieser freundliche, geduldige Gelehrte zeigte der Menschheit im Jahr 1980 auf ihren Bildschirmen, die seinerzeit zu bauchigen, klobigen Geräten gehörten, das Sonnensystem, das Universum und vieles, auf das man nicht leicht einfach so mit dem Finger zeigen kann, weil es begrifflicher Natur ist, aber notwendig, wenn man die Welt verstehen will, die wir bewohnen.
Der vollständige amerikanische Name der dreiteiligen Veranstaltung lautete "Cosmos: A Personal Voyage", also "Kosmos: Eine Persönliche Reise", womit Sagan den Umstand anerkannte, dass der riesige Stoff, den er da vermittelte, nicht unmittelbar, sondern nur durch seine reiche, schöne und gütige Subjektivität gefiltert bei den Menschen ankam.
Man hat dieses bedeutende mediale Aufklärungsexperiment vor drei Jahren fortgesetzt beziehungsweise wiederholt; diesmal hieß die Serie "Cosmos: A Spacetime Odyssey" und wurde moderiert von dem zweifellos kompetenten und sehr sympathischen Sagan-Nachfolger Neil deGrasse Tyson. Der müde bei Stanley Kubrick gemopste Titel aber verrät schon, dass hier einer jener bedauerlich unzureichenden Versuche vorliegt, mit mehr Geld und Technik, jedoch weniger Einsicht etwas zu übertreffen, das man aus den alleroffensichtlichsten Gründen nur unterbieten kann - aufdringliche Computeranimationen, Hochgeschwindigkeitsraserei im fiktiven Raumschiff, suggestive Effekte durchweg; die neue Serie sieht bei und wegen all der dummen Pracht tatsächlich aus, als hätten diejenigen, die es hergestellt haben, noch nie eine Idee von Innen gesehen. Sie denken, es wäre ihre Aufgabe, dummen, aber suggestiblen Menschen Lust auf Wissen über Dinge um die Ohren zu hauen, die weit abgelegen vom Alltag dummer, aber suggestibler Menschen seit Jahrmilliarden bestehen und vergehen. Die Köpfe hinter "Cosmos: A Spacetime Odyssey" haben Sagans Erbe, das nicht den Dummen und Suggestiblen, sondern den Wachen und Kritischen gehört, also einfach nicht verstanden - und bringen es deshalb, vermutlich mit den besten Absichten und viel Mühe, auf den sprichwörtlichen Hund.
Ganz anders liegt der Fall beim elfjährigen Alex, der seinen Hund "Carl Sagan" getauft hat und den verstorbenen Sternenlehrer so sehr verehrt, dass er statt der Fernsehsendung (deren Herstellung seine Mittel als Kind einer alleinerziehenden Mutter mit Gemütsproblemen ohnehin übersteigen würde) eine andere, noch wertvollere Tat des Bewunderten mit den Werkzeugen der Gegenwart ergänzen möchte: So wie Sagan nicht nur den Menschen das All, sondern in Gestalt von Informationsmaterial an Bord einer Raumsonde auch hypothetischen Außerirdischen die Menschen erklärt hat, spricht Alex einiges, was er über uns, über sich und die gemeinsame Welt weiß, in sein iPod, das er von New Mexico aus per Rakete ins Unendliche schießen will. Diese Aufnahmen protokolliert das Jugendbuch "Hallo Leben, hörst du mich?" von Jack Cheng, und dass sich das Ergebnis liest wie ein gedrucktes Hörbuch, darf niemanden stören, der weiß, dass seit James Joyce auch Theatertexte und seit F. Scott Fitzgerald auch Filmdrehbücher in Romane passen.
Chengs lebhafter, unberechenbarer und euphorisierender Roman wechselt hin und wieder die Anrede; nicht immer spricht der Junge mit den Aliens, immer aber auf eine Weise mit sich selbst, die kein Monolog ist, sondern echtes Zwiegespräch, Lernen live.
Oft wird ja behauptet, Kinder, Jugendliche und andere Unmündige (zum Beispiel "die Allgemeinheit" oder "der Wähler") seien zum Verständnis von Tatsachen oder Gedanken vor allem auf die sogenannte "Anschaulichkeit" angewiesen, das heißt auf sinnliche Abkürzungen, die das Gehirn schonen und ihm die Arbeit ersparen, Unterscheidungen und Vergleiche zu erfinden - Begriffe. Der Elfjährige Alex dagegen sieht die Sinne mit Recht eher als dienstbare Truppe, die ihm dabei hilft, begriffsbildend sein eigenes Leben zu durchdringen.
Getrieben von etwas, das man besser nicht "Instinkt" nennt, sondern in seiner staunenswert selbständigen Wirklichkeit als wahrhaftige Selbsterziehungsfähigkeit anerkennen sollte, weiß dieser Junge, dass das ununtersuchte Leben gar nicht wert ist, gelebt zu werden. Und genau darüber hätte sich Carl Sagan, anders als über das "Cosmos"-Remake, das sich als Fortsetzung seines Lebenswerks missversteht, mindestens einen neuen Stern gefreut.
DIETMAR DATH
Jack Cheng: "Hallo Leben, hörst du mich?" Roman.
Aus dem Englischen von Bernadette Ott. Verlag cbt, München 2017. 384 S., geb., 14,99 [Euro]. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Und genau darüber hätte sich Carl Sagan, anders als über das "Cosmos"-Remake, das sich als Fortsetzung seines Lebenswerks missversteht, mindestens einen neuen Stern gefreut." Frankfurter Allgemeine Zeitung