Halt auf Verlangen ist Urs Faes' intimstes Buch, gewachsen aus der autobiographischen Erfahrung der Krankheit, geschrieben, um sich festzuhalten an Worten und Erinnerungen - und darin ganz dem Leben zugewandt.
Kurz nach der Diagnose findet er keine Worte. Erst später, bei der täglichen Fahrt quer durch die Stadt, beginnt er, zu beschreiben, was ihm geschieht: die Unterwelt der Onkologie, die Müdigkeit nach der Bestrahlung, die Erinnerung an Kindheit und Herkunft, an Straßenbahnfahrten mit dem Vater und Kino mit der Jugendfreundin Mile, an Verlassenwerden in Paris und den Abschied von seiner Geliebten. Den möglichen Tod vor Augen, stellt er sich die Frage nach dem Gelebten und dem Versäumten, nach dem, was Begehren war und was Liebe.
Kurz nach der Diagnose findet er keine Worte. Erst später, bei der täglichen Fahrt quer durch die Stadt, beginnt er, zu beschreiben, was ihm geschieht: die Unterwelt der Onkologie, die Müdigkeit nach der Bestrahlung, die Erinnerung an Kindheit und Herkunft, an Straßenbahnfahrten mit dem Vater und Kino mit der Jugendfreundin Mile, an Verlassenwerden in Paris und den Abschied von seiner Geliebten. Den möglichen Tod vor Augen, stellt er sich die Frage nach dem Gelebten und dem Versäumten, nach dem, was Begehren war und was Liebe.
»Knapp und präzise wirken die Sätze, nachdenklich tastend und fragend. Kein Wort ist zu viel in diesem Buch, das sich ... leicht und oft vergnüglich liest ...« Nicole Henneberg Frankfurter Allgemeine Zeitung 20170516
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.2017Per Tram in die Unterwelt
Urs Faes' "Fahrtenbuch" über seine schwere Krankheit
Die Diagnose traf ihn wie ein Schlag. "Er", das ist im neuen Buch von Urs Faes der namenlose Erzähler, aber auch der Autor selbst. Der Schweizer wagt viel mit seinem elften Prosaband: Er erzählt die Geschichte seiner eigenen Krebserkrankung und eine Modellgeschichte, die alle seine bisherigen Romane miteinander verbindet - die Balance gelingt ihm großartig.
"Halt auf Verlangen" ist ein "Fahrtenbuch" (so der Untertitel) im tiefsten Sinn des Wortes, sein Held erfährt sich selbst und seinen Körper neu, und er erfährt auch seine Heimatstadt Zürich auf eine ganz neue existentielle Weise, heiter, verzweifelt, staunend. Drei Monate lang fährt er in den dämmerigen Morgen hinein, umgeben von müden Gesichtern. In der Klinik, wo die Bestrahlungen zu absolvieren sind, brennen noch die Lichter, das fahl leuchtende Aquarium neben den Aufzügen erscheint ihm wie der Vorhof zu jener Unterwelt, in der er erwartet wird.
Ängstlich und neugierig ist dieser scheue, oft einsame Erzähler, der aus der Rolle des Klinik-Beobachters herauskatapultiert wird, mitten in den unbekannten Kontinent der Kranken hinein. Mit onkologischen Stationen hat Faes Erfahrung, er war als Sprachbeobachter in einer Krebsklinik angestellt, davon erzählt sein Roman "Paarbildung". Damals hatte ihn vor allem das Verstummen der Patienten beschäftigt, ihr Stammeln und Stottern, aber auch ihre Liebessehnsucht und gewaltige Hoffnung, von der die Ärzte sich bis die Träume verfolgt fühlten. Jetzt sitzt sein Erzähler, Schriftsteller wie er selbst, in der Trambahn, hält sich am Stift fest und damit in der Welt. Gleichzeitig schafft Faes damit die nötige Distanz, um die existentielle Krise erzählen zu können. Wer erzählt, ist dem Leben nicht mehr schutzlos ausgeliefert, sagt er. Es ist auch das Credo seines Protagonisten.
Knapp und präzise wirken die Sätze, nachdenklich tastend und fragend. Kein Wort ist zu viel in diesem Buch, das sich trotz des strengen Aufbaues leicht und oft vergnüglich liest - vielleicht auch, weil der Erzähler nur lakonisch, mit trockenem Humor berichtet, was er sieht, was ihm durch den Kopf geht und woran er sich erinnert unter dem leise surrenden Strahlenarm. Es sind die Motive, die sich durch das ganze Werk des Autors ziehen: Erinnerungen an die eigene Jugend in einer strengen und schweigsamen Familie, an erste erotische Begierden, den Abschied vom Elternhaus und die Suche nach der verschwiegenen Geschichte der Familie.
Urs Faes hat seine Figuren immer neu erzählt und weitergeschrieben, seine Romane sind vor allem Liebesgeschichten, und auch jetzt interessieren ihn die Frauen am meisten. Er sei "ein Gantenbein des 21. Jahrhunderts" sagt der Erzähler (in Anspielung auf Max Frisch) treffend von sich, der Geschichten anprobiere wie Kleider. Rhythmus und Klang tragen ihn, das scheinbar Zufällige und die von einem Wort ausgelöste Assoziation.
Das Buch beschönigt nichts, nicht das Zittern, nicht die Übelkeit oder die Angst. Doch wir haben es mit einem Patienten zu tun, der vor allem von seiner Phantasie bewegt wird, der im Augenblick versinkt und sich wegträumen kann. So folgt er seiner Jugendliebe Mile in das Dorf seiner Kindheit, zu den Tramfahrten mit dem plötzlich sprechenden Vater, und diese unendlich kostbaren, verstörenden Minuten gehören zu den schönsten Szenen.
"Wörterwartebuch" und "Anschreibeheft" nennt der Erzähler sein Buch, das auch vom Schreiben handelt: Die Wände des Krankenzimmers werden durchlässig, Figuren wie der besonders eindrucksvolle behinderte kleine Bruder, der die Sprache ganz wörtlich nimmt, stehen plötzlich neben seinem Schreibtisch, und ständig verrutschen die Erinnerungen. Er fühlt sich wie ein staunender, stolpernder Orpheus, der nicht nur den Frauen, sondern allen seinen Figuren aus der Unterwelt ans Tageslicht folgt.
NICOLE HENNEBERG
Urs Faes: "Halt auf Verlangen". Ein Fahrtenbuch.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 200 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Urs Faes' "Fahrtenbuch" über seine schwere Krankheit
Die Diagnose traf ihn wie ein Schlag. "Er", das ist im neuen Buch von Urs Faes der namenlose Erzähler, aber auch der Autor selbst. Der Schweizer wagt viel mit seinem elften Prosaband: Er erzählt die Geschichte seiner eigenen Krebserkrankung und eine Modellgeschichte, die alle seine bisherigen Romane miteinander verbindet - die Balance gelingt ihm großartig.
"Halt auf Verlangen" ist ein "Fahrtenbuch" (so der Untertitel) im tiefsten Sinn des Wortes, sein Held erfährt sich selbst und seinen Körper neu, und er erfährt auch seine Heimatstadt Zürich auf eine ganz neue existentielle Weise, heiter, verzweifelt, staunend. Drei Monate lang fährt er in den dämmerigen Morgen hinein, umgeben von müden Gesichtern. In der Klinik, wo die Bestrahlungen zu absolvieren sind, brennen noch die Lichter, das fahl leuchtende Aquarium neben den Aufzügen erscheint ihm wie der Vorhof zu jener Unterwelt, in der er erwartet wird.
Ängstlich und neugierig ist dieser scheue, oft einsame Erzähler, der aus der Rolle des Klinik-Beobachters herauskatapultiert wird, mitten in den unbekannten Kontinent der Kranken hinein. Mit onkologischen Stationen hat Faes Erfahrung, er war als Sprachbeobachter in einer Krebsklinik angestellt, davon erzählt sein Roman "Paarbildung". Damals hatte ihn vor allem das Verstummen der Patienten beschäftigt, ihr Stammeln und Stottern, aber auch ihre Liebessehnsucht und gewaltige Hoffnung, von der die Ärzte sich bis die Träume verfolgt fühlten. Jetzt sitzt sein Erzähler, Schriftsteller wie er selbst, in der Trambahn, hält sich am Stift fest und damit in der Welt. Gleichzeitig schafft Faes damit die nötige Distanz, um die existentielle Krise erzählen zu können. Wer erzählt, ist dem Leben nicht mehr schutzlos ausgeliefert, sagt er. Es ist auch das Credo seines Protagonisten.
Knapp und präzise wirken die Sätze, nachdenklich tastend und fragend. Kein Wort ist zu viel in diesem Buch, das sich trotz des strengen Aufbaues leicht und oft vergnüglich liest - vielleicht auch, weil der Erzähler nur lakonisch, mit trockenem Humor berichtet, was er sieht, was ihm durch den Kopf geht und woran er sich erinnert unter dem leise surrenden Strahlenarm. Es sind die Motive, die sich durch das ganze Werk des Autors ziehen: Erinnerungen an die eigene Jugend in einer strengen und schweigsamen Familie, an erste erotische Begierden, den Abschied vom Elternhaus und die Suche nach der verschwiegenen Geschichte der Familie.
Urs Faes hat seine Figuren immer neu erzählt und weitergeschrieben, seine Romane sind vor allem Liebesgeschichten, und auch jetzt interessieren ihn die Frauen am meisten. Er sei "ein Gantenbein des 21. Jahrhunderts" sagt der Erzähler (in Anspielung auf Max Frisch) treffend von sich, der Geschichten anprobiere wie Kleider. Rhythmus und Klang tragen ihn, das scheinbar Zufällige und die von einem Wort ausgelöste Assoziation.
Das Buch beschönigt nichts, nicht das Zittern, nicht die Übelkeit oder die Angst. Doch wir haben es mit einem Patienten zu tun, der vor allem von seiner Phantasie bewegt wird, der im Augenblick versinkt und sich wegträumen kann. So folgt er seiner Jugendliebe Mile in das Dorf seiner Kindheit, zu den Tramfahrten mit dem plötzlich sprechenden Vater, und diese unendlich kostbaren, verstörenden Minuten gehören zu den schönsten Szenen.
"Wörterwartebuch" und "Anschreibeheft" nennt der Erzähler sein Buch, das auch vom Schreiben handelt: Die Wände des Krankenzimmers werden durchlässig, Figuren wie der besonders eindrucksvolle behinderte kleine Bruder, der die Sprache ganz wörtlich nimmt, stehen plötzlich neben seinem Schreibtisch, und ständig verrutschen die Erinnerungen. Er fühlt sich wie ein staunender, stolpernder Orpheus, der nicht nur den Frauen, sondern allen seinen Figuren aus der Unterwelt ans Tageslicht folgt.
NICOLE HENNEBERG
Urs Faes: "Halt auf Verlangen". Ein Fahrtenbuch.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 200 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main