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Der preisgekrönte Journalist erzählt kritisch, liebevoll und unsentimental
Die Familie von Maxim Leo war wie eine kleine DDR. In ihr konzentriert sich vieles, was in diesem Land einmal wichtig war: die Hoffnung und der Glaube der Gründerväter. Die Enttäuschung und das Lavieren ihrer Kinder, die den Traum vom Sozialismus nicht einfach so teilen wollten. Und die Erleichterung der Enkel, als es endlich vorbei war. In dieser Familie wurden im Kleinen die Kämpfe ausgetragen, die im Großen nicht stattfinden durften.

Produktbeschreibung
Der preisgekrönte Journalist erzählt kritisch, liebevoll und unsentimental

Die Familie von Maxim Leo war wie eine kleine DDR. In ihr konzentriert sich vieles, was in diesem Land einmal wichtig war: die Hoffnung und der Glaube der Gründerväter. Die Enttäuschung und das Lavieren ihrer Kinder, die den Traum vom Sozialismus nicht einfach so teilen wollten. Und die Erleichterung der Enkel, als es endlich vorbei war. In dieser Familie wurden im Kleinen die Kämpfe ausgetragen, die im Großen nicht stattfinden durften.
Autorenporträt
Maxim Leo, geboren 1970 in Berlin, war lange Jahre Reporter bei der Berliner Zeitung. Für seine Familiengeschichte Haltet euer Herz bereit erhielt er den Europäischen Buchpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2010

Und am Ende vom Lied siegen doch die Bürger

Wie war der Alltag in der DDR wirklich beschaffen? Maxim Leos ostdeutsche Familienchronik gewährt einen komplexen, differenzierten Einblick.

Dieses Buch bereitet uns eine positive Enttäuschung, es bietet nämlich viel mehr und viel Besseres, als sein Titel verheißt. "Haltet euer Herz bereit" - das könnte alles Mögliche meinen, jedoch, so suggeriert uns die Wendung im ersten Moment, nur Mögliches aus dem Bereich gefühlsbeherrschter Beziehungen. Um dergleichen geht es natürlich auch, denn es wird ja von Menschen erzählt, von ihren Taten, Sehnsüchten, Erfolgen und Niederlagen, und in solchen Zusammenhängen spielen Gefühle eben eine Rolle. Aber hier tun sie es nicht in beliebigen Bindungs- oder Trennungsdramen. Der Autor Maxim Leo wollte viel mehr, und er erreicht es auch.

Näher an sein Vorhaben führt uns der Untertitel: "Eine ostdeutsche Familiengeschichte". Der Autor präsentiert sie in den Biographien seiner Ahnen und anderer Verwandter sowie im eigenen Lebenslauf. Doch auch dieser Hinweis greift noch zu kurz, denn Maxim Leo lässt sich in seinem Blick auf historische Geschehnisse nicht von den einstigen DDR-Grenzen einengen. Einige seiner Vorfahren hatten schließlich schon gelebt, gehandelt und manches erduldet, als es die DDR noch nicht gab. Also musste Leo, wenn er seine Familie porträtieren wollte, die einzelnen Personen in ihren jeweiligen Lebenszeiten abbilden und deutlich machen, welche Einflüsse in welcher Gegenwart auf sie wirkten und wie sie sich diesen Einflüssen ergaben oder widersetzten. Was am Ende dabei herauskommt, ist ein Gemälde deutschen Daseins im gesamten zwanzigsten Jahrhundert, mächtig genug, um zu erfassen, was in jenen Zeiten geschah, und in den persönlichen Details so penibel gezeichnet, dass jeder Leser die Söhne und Töchter der einstigen Jahrzehnte begreift, als habe er schon immer über sie Bescheid gewusst.

Maxim Leo, 1970 in Ost-Berlin geboren, heute Redakteur der "Berliner Zeitung", verfügt über eine Menge Voraussetzungen für seinen Ausflug in die Historie. Zum einen hat er ein gutes Gedächtnis für alles, was seine Jugend prägte. Zum anderen finden sich in seiner Familie Vertreter so ziemlich aller Sorten deutscher Bürger, die im vergangenen Jahrhundert unter den jeweiligen politischen Gegebenheiten litten, sie bekämpften, von ihnen profitierten oder sie gar unterstützten.

Da ist zum Beispiel Gerhard, Großvater mütterlicherseits, Sohn eines erfolgreichen und begüterten jüdischen Rechtsanwalts. Von 1933 an gehört der Anwalt zu den Verfolgten, nicht nur wegen seiner Abstammung, sondern auch, weil er 1927 einen Prozess gegen Joseph Goebbels geführt und gewonnen hatte. Der Familie gelingt es, nach Frankreich zu flüchten. Der Sohn Gerhard wächst französisch auf und kämpft später, als die deutsche Wehrmacht die neue Heimat überfallen hat, in der Résistance. Außerdem findet er, gemeinsam mit anderen Flüchtlingskindern, zum Kommunismus, weil der ihm als einzig leistungsfähige Gegenkraft zum Faschismus erscheint. Er genießt dabei die Billigung des Vaters. Der nämlich hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg Berührung mit dieser politischen Richtung gehabt, war während eines Studienaufenthaltes in der Schweiz sogar dem damaligen Emigranten Uljanow, dem späteren Lenin, begegnet und betrachtet die Sowjetunion mit Sympathie. Was Wunder also, dass die Familie, nachdem Hitler erledigt ist, in den sowjetisch besetzten Teil Deutschlands heimkehrt.

Der Großvater väterlicherseits dagegen, Werner, gehört zum deutschen Durchschnitt, zu denen, die sich mit der Niederlage von 1918 nicht abfinden mochten und Adolf Hitler als Erlöser aus dem Nachkriegselend begriffen. Des Führers Weltkrieg kämpft Werner mit, gerät in französische Gefangenschaft, kommt 1957 zurück nach Berlin, in den Osten der Stadt. Es dauert nicht lange, bis er sich der dort geltenden Ideologie verschreibt. Offensichtlich fällt ihm der Wechsel nicht sonderlich schwer, scheint ihm die zweite deutsche Diktatur geeignet, jene bessere Zukunft herbeizuführen, an deren Verwirklichung, zu Werners Enttäuschung, die erste Diktatur gescheitert war.

Ein bisschen geformt, mehr noch geplagt von solchen Einflüssen, wachsen Wolf und Anne auf, die späteren Eltern des Buchautors. Maxim Leo erzählt, wie diese jungen Leute eine Weile lang versuchen, sich eine eigene Welt zu schaffen, das zu sein, was damals modern war: Halbstarke, einer frechen Musik hingegeben, die Haare wild frisiert und kess gefärbt. In jenen frühen Nachkriegsjahren gibt es noch viel Verbindung mit dem westlichen Berlin. Zwar ist die Stadt geteilt, aber noch ohne "antifaschistischen Schutzwall", die Bürger fluten, zu Fuß oder per S-Bahn und U-Bahn, hin und her. So etwas lernt Maxim niemals kennen; als er geboren wird, steht die Mauer schon seit neun Jahren. Von dem, was die Großväter sich erhofften, was die Eltern als manchmal ärgerlich, aber irgendwie doch erträglich erlebten, ist nichts mehr übrig.

Der Sohn muss unter dem ungeheuren Druck ideologischer Verordnungen und entsprechender Maßnahmen existieren, jedes nicht vom Regime abgesegnete Vorhaben, jeder aus eigenem Denken entwickelte Schritt kann ihn und seine Familie gefährden. Dennoch folgen Maxim und seine Freundin Christine immer wieder einmal irgendwelchen Ideen, die als abseitig gelten, geraten dabei in Kollisionen mit der Staatsmacht, werden bedroht, auch verhaftet. Ihr Dasein scheint abgeschottet gegen alles, was ihnen je begehrenswert erscheinen könnte.

Das Buch bietet eine Fülle trüber, oft erschütternder Beispiele aus dem Bereich DDR, wie wir sie auch aus zahllosen anderen Berichten kennen. Doch hat diese Niederschrift einen besonderen Vorzug, den nämlich, dass der Autor nirgends die Position des überlegenen Fachmanns einnimmt, niemals vom Denkmalssockel dessen zu uns spricht, der über sämtliche Erkenntnisse verfügt und deshalb berufen ist, uns zu belehren. Vielmehr bindet er uns ein in das Dasein derer, von denen er erzählt, lässt uns ihre Anfechtungen miterleben, miterleiden und sorgt so dafür, dass zu jedermanns Sache werden kann, was diesen Personen begegnete.

Selten vermittelte uns jemand so stark das Gefühl, zu begreifen, wie der Alltag in jener DDR wirklich beschaffen war, wie er ihre Einwohner prägte, warum die Leute dort auf eine bestimmte Weise dachten und handelten. Man könnte sagen, dass dieses Buch erheblich dazu beiträgt, die jahrzehntelang getrennten Deutschen wieder zu vereinen. Auf stillere, aber vielleicht auf intensivere Art, als es das Ereignis vermochte, mit dem Maxim Leos Darstellung schließt: der Fall der Mauer, der Sieg der Bürger vor nunmehr zwanzig Jahren.

SABINE BRANDT

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»Was Leos Buch besonders macht, sind der Witz und seine Lakonik.« NZZ