Die Verteidigung der Demokratie beginnt nicht irgendwo "da oben", wo man sie an Parteien, Medien und Institutionen delegieren kann, sondern bei uns selber, spätestens dann, wenn wir wieder das offene Wort suchen.
Der Schriftsteller Matthias Politycki und der Philosoph Andreas Urs Sommer im wohlwollend kritischen Gespräch jenseits der politisch korrekten Diskurse - über Grundsätzliches, das gelegentlich vor Tagespolitischem nicht zurückschreckt und sich wie eine längst überfällige Anleitung zum Selberdenken liest. So unterschiedlich sich Politycki und Sommer verorten - als alter Grüner der eine, als anarchischer Konservativer der andere -, finden sie jenseits aller Meinungsunterschiede ausgerechnet dort zueinander, wo sich Meinungen zur Haltung bündeln: zur Haltung nämlich, jeden Tag aufs Neue und je nach veränderten Umständen die eigene Haltung überdenken zu wollen und sie dann auch gegenüber linken oder rechten Mainstream-Diskursen zu vertreten. Nur von dieser undogmatisch liberalen und mitunter kreativ chaotischen Mitte des Denkens aus ist eine lebendige Demokratie am Leben zu erhalten: Demokratie braucht Denken - ein Denken jenseits der Denkverbote.
Der Schriftsteller Matthias Politycki und der Philosoph Andreas Urs Sommer im wohlwollend kritischen Gespräch jenseits der politisch korrekten Diskurse - über Grundsätzliches, das gelegentlich vor Tagespolitischem nicht zurückschreckt und sich wie eine längst überfällige Anleitung zum Selberdenken liest. So unterschiedlich sich Politycki und Sommer verorten - als alter Grüner der eine, als anarchischer Konservativer der andere -, finden sie jenseits aller Meinungsunterschiede ausgerechnet dort zueinander, wo sich Meinungen zur Haltung bündeln: zur Haltung nämlich, jeden Tag aufs Neue und je nach veränderten Umständen die eigene Haltung überdenken zu wollen und sie dann auch gegenüber linken oder rechten Mainstream-Diskursen zu vertreten. Nur von dieser undogmatisch liberalen und mitunter kreativ chaotischen Mitte des Denkens aus ist eine lebendige Demokratie am Leben zu erhalten: Demokratie braucht Denken - ein Denken jenseits der Denkverbote.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2020Haltungen zur Haltung
Das unscheinbare Wort "Haltung" gehört seit einigen Jahren in den Kanon der Trendvokabeln. Politische Parteien setzen auf Haltung, Sportler beweisen Haltung, Geisteswissenschaftler wollen herausfinden, was Haltung eigentlich ausmacht. Im Wörterbuch der Brüder Grimm ist nachzulesen, der Begriff bezeichne "die art und weise des sich verhaltens", und zwar sowohl körperlich als auch geistig. Insofern konkretisiert die Haltung eines Menschen dessen Bezug zur Umwelt. Einerseits liegen ihr Überzeugungen zugrunde, andererseits ist sie wandelbar und steht, je nach Lage, zur Disposition.
Der Schriftsteller Matthias Politycki und der Philosoph Andreas Urs Sommer tauschen sich in einem Gespräch, welches sie überwiegend in Form eines E-Mail-Wechsels geführt haben, über ihre Haltungen zur Haltung aus. Politycki sagt, er sei ein alter Grüner, der inzwischen mit der gesamten Linken hadere, Sommer bezeichnet sich als Anhänger des "Gegenwartskonservatismus", schließlich müsse die seit Schopenhauer und Nietzsche vielgeschmähte Jetztzeitkultur gegen ihre Feinde verteidigt werden. Die Rollen sind in der Diskussion klar verteilt. Politycki ereifert sich und bezieht Position gegen "betreutes Denken" und den "unseligen pädagogischen Eros" der "neuen Linken". Sommer, der von sich behauptet, er bevorzuge "temperierte Empfindungen jenseits der Extreme", seziert alle voreiligen Zuspitzungen - was sein Gesprächspartner wiederum mit noch schärferen Thesen quittiert.
Der Reiz der Erörterung liegt in ihrer Beweglichkeit. Statt einem systematischen Argumentationsverlauf folgt man einem sprunghaften Ideenwechsel. Dabei verfeinern Politycki und Sommer ihre Positionen nicht aus sich heraus, sondern an den Äußerungen ihres Gegenübers. Letzte Wahrheiten finden sich daher nicht in dem schmalen Bändchen, provokante, verkürzte und instruktive Überlegungen zu Themen wie Zivilcourage oder Freiheit hingegen zuhauf.
span.
Matthias Politycki und Andreas Urs Sommer: "Haltung finden". Weshalb wir sie brauchen und trotzdem nie haben werden.
J. B. Metzler Verlag, Berlin 2019. 106 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das unscheinbare Wort "Haltung" gehört seit einigen Jahren in den Kanon der Trendvokabeln. Politische Parteien setzen auf Haltung, Sportler beweisen Haltung, Geisteswissenschaftler wollen herausfinden, was Haltung eigentlich ausmacht. Im Wörterbuch der Brüder Grimm ist nachzulesen, der Begriff bezeichne "die art und weise des sich verhaltens", und zwar sowohl körperlich als auch geistig. Insofern konkretisiert die Haltung eines Menschen dessen Bezug zur Umwelt. Einerseits liegen ihr Überzeugungen zugrunde, andererseits ist sie wandelbar und steht, je nach Lage, zur Disposition.
Der Schriftsteller Matthias Politycki und der Philosoph Andreas Urs Sommer tauschen sich in einem Gespräch, welches sie überwiegend in Form eines E-Mail-Wechsels geführt haben, über ihre Haltungen zur Haltung aus. Politycki sagt, er sei ein alter Grüner, der inzwischen mit der gesamten Linken hadere, Sommer bezeichnet sich als Anhänger des "Gegenwartskonservatismus", schließlich müsse die seit Schopenhauer und Nietzsche vielgeschmähte Jetztzeitkultur gegen ihre Feinde verteidigt werden. Die Rollen sind in der Diskussion klar verteilt. Politycki ereifert sich und bezieht Position gegen "betreutes Denken" und den "unseligen pädagogischen Eros" der "neuen Linken". Sommer, der von sich behauptet, er bevorzuge "temperierte Empfindungen jenseits der Extreme", seziert alle voreiligen Zuspitzungen - was sein Gesprächspartner wiederum mit noch schärferen Thesen quittiert.
Der Reiz der Erörterung liegt in ihrer Beweglichkeit. Statt einem systematischen Argumentationsverlauf folgt man einem sprunghaften Ideenwechsel. Dabei verfeinern Politycki und Sommer ihre Positionen nicht aus sich heraus, sondern an den Äußerungen ihres Gegenübers. Letzte Wahrheiten finden sich daher nicht in dem schmalen Bändchen, provokante, verkürzte und instruktive Überlegungen zu Themen wie Zivilcourage oder Freiheit hingegen zuhauf.
span.
Matthias Politycki und Andreas Urs Sommer: "Haltung finden". Weshalb wir sie brauchen und trotzdem nie haben werden.
J. B. Metzler Verlag, Berlin 2019. 106 S., br., 14,99 [Euro].
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