Zu einer Zeit, als die Röcke der Frauen lang und die Haare der Männer kurz waren und ein amerikanischer Präsident sagte: "Ich bin ein Berliner", damals, zu Beginn der 1960er Jahre, war der junge Michael Fackelmann mit seiner Leica M3 mit Wechselobjektiven unterwegs in Hamburg. Ihn interessierten vor allem die Menschen. Unzählige Male zog es ihn in die Kneipen am Hafenrand, zu den Fackwerkhäusern in die Hinterhöfe der Hamburger Neustadt und früh morgens auf den Fischmarkt. Fackelmanns Aufnahmen dokumentieren Hamburg und seine Bewohner in kaum mehr überbietbarem Realismus und führen den Betrachter in eine Zeit, als die Stadt noch keine schicke Metropole war, sondern noch deutliche Spuren von den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs zeigte und die Jugend sie zur Hochburg von "Oldtime Jazz" und Dixielandmusik machte. 1965 drehte Fackelmann den als "besonders wertvoll" ausgezeichneten Dokumentarfilm "Sonntagmorgen in St. Pauli", der dem Band als DVD beiliegt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2008Ein Auge für den Fischmarkt
Bildtexte machen sich heute gern in den Bildern breit. Als schaffe es das Bild nicht mehr, aus sich selbst zu sprechen. Michael Fackelmanns Fotos benötigen überhaupt keine Texte, sondern nur Kapitelüberschriften wie "Sonntagmorgen auf dem Fischmarkt", "In der Kneipe" oder "In der Börse". Die Fotos, alle schwarzweiß, erzählen vom Hamburger Alltag Anfang der sechziger Jahre. Eine Welt von gestern entfaltet sich. Eine Welt, in der die Männer nicht ohne Hut ausgingen oder ohne Hamburger Schiffermütze, die Jungs Lederhosen mit Hirschhornknöpfen und Mädchen an besonderen Tagen Petticoats trugen und Pferdefuhrwerke in das Stadtbild gehörten. Hamburg ist zu dieser Zeit noch stark vom Krieg zerstört, aber der Lebenswille der Hamburger nimmt das kaum mehr wahr. Der in Berlin geborene, in Hamburg aufgewachsene Fotograf Fackelmann durchstreift die Jazzclubs der Stadt, besucht den Zirkus auf dem Heiligengeistfeld, ist zu Gast bei dem Maler Horst Janssen und steigt mit ihm auf das Dach seines Ateliers. Die Fischmarkt-Reportagen sind die wohl schönsten Seiten des Buchs. Auch wenn dort ziemlich gnadenlos dokumentiert wird, wie einem Betrunkenen im Rinnstein zur Ausnüchterung ein Eimer Wasser über den Kopf gegossen wird, was man so heute nicht mehr machen würde. Fackelmann war damals mit seiner Leica unterwegs. Und er drehte 1964 zusammen mit seinem Freund Erhard Kortmann einen zwölf Minuten langen Film "Sonntagmorgen in St. Pauli", der damals als Vorfilm in die Kinos gelangte. Eine junge hübsche Frau schreitet in weißen Schuhen mit Pfennigabsätzen durch die Stadt, erst durch das Vergnügungsviertel von St. Pauli zum Gottesdienst in den Michel, dann über den Fischmarkt. Jetzt ist der Film, der vor allem in die Gesichter der Hamburger schaut, in dem Band wieder veröffentlicht - auf einer beiliegenden DVD.
F.P.
"Hamburg schwarz-weiß. Straßenfotografie 1960-64" von Michael Fackelmann. Edition Temmen, Bremen 2008. 160 Seiten, 195 Fotos, eine DVD beiliegend. Gebunden, 24,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bildtexte machen sich heute gern in den Bildern breit. Als schaffe es das Bild nicht mehr, aus sich selbst zu sprechen. Michael Fackelmanns Fotos benötigen überhaupt keine Texte, sondern nur Kapitelüberschriften wie "Sonntagmorgen auf dem Fischmarkt", "In der Kneipe" oder "In der Börse". Die Fotos, alle schwarzweiß, erzählen vom Hamburger Alltag Anfang der sechziger Jahre. Eine Welt von gestern entfaltet sich. Eine Welt, in der die Männer nicht ohne Hut ausgingen oder ohne Hamburger Schiffermütze, die Jungs Lederhosen mit Hirschhornknöpfen und Mädchen an besonderen Tagen Petticoats trugen und Pferdefuhrwerke in das Stadtbild gehörten. Hamburg ist zu dieser Zeit noch stark vom Krieg zerstört, aber der Lebenswille der Hamburger nimmt das kaum mehr wahr. Der in Berlin geborene, in Hamburg aufgewachsene Fotograf Fackelmann durchstreift die Jazzclubs der Stadt, besucht den Zirkus auf dem Heiligengeistfeld, ist zu Gast bei dem Maler Horst Janssen und steigt mit ihm auf das Dach seines Ateliers. Die Fischmarkt-Reportagen sind die wohl schönsten Seiten des Buchs. Auch wenn dort ziemlich gnadenlos dokumentiert wird, wie einem Betrunkenen im Rinnstein zur Ausnüchterung ein Eimer Wasser über den Kopf gegossen wird, was man so heute nicht mehr machen würde. Fackelmann war damals mit seiner Leica unterwegs. Und er drehte 1964 zusammen mit seinem Freund Erhard Kortmann einen zwölf Minuten langen Film "Sonntagmorgen in St. Pauli", der damals als Vorfilm in die Kinos gelangte. Eine junge hübsche Frau schreitet in weißen Schuhen mit Pfennigabsätzen durch die Stadt, erst durch das Vergnügungsviertel von St. Pauli zum Gottesdienst in den Michel, dann über den Fischmarkt. Jetzt ist der Film, der vor allem in die Gesichter der Hamburger schaut, in dem Band wieder veröffentlicht - auf einer beiliegenden DVD.
F.P.
"Hamburg schwarz-weiß. Straßenfotografie 1960-64" von Michael Fackelmann. Edition Temmen, Bremen 2008. 160 Seiten, 195 Fotos, eine DVD beiliegend. Gebunden, 24,90 Euro.
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