Von Konkurrenz und Eifersucht, von Liebe zu zweit und zu dritt und schließlich vom Erwachsenwerden erzählt der erste Roman von Ulf Erdmann Ziegler.Damals, noch in Lüneburg und bevor sie unerwartet Freunde werden, hat Thomas Schwarz den Unternehmersohn Claes Philip Osterkamp beneidet und bekämpft. Dann hören sie plötzlich gemeinsam im Nachtradio Jazz, werkeln an ihrem Weltbild, studieren Architektur, entkommen nach Hamburg und proben den Aufstieg.Claes Philip, bald besser bekannt als CPO, avanciert zum Stichwortgeber der Grün-Alternativen nach 1989 und wird in der Hansestadt jemand, an dem städtebaulich nichts vorbeiläuft. Thomas, inzwischen Manager im Mittelstand, gerät ins Grübeln: »Architekt wird man, wenn man zur Kunst keinen Mut hat und Physik auf die Dauer zu anstrengend findet«, notiert er. Seine Leidenschaft gilt Autos mit Patina und langen Fahrten durch eine amerikanische Flächenstadt, in die es ihn in Begleitung Elises, einer unerschütterlichen Bildhauerin, verschlagen hat. Mit vierzig, allein unterwegs im Niemandsland nach dem 11. September, hat er ein Resümee zu ziehen. Einen Neuanfang zu wagen. Oder will er, wie Elise sagt, »sich rächen«? Und für was?Der Roman spannt einen großen Bogen, von den siebziger Jahren bis in die Gegenwart, von der norddeutschen Ebene über Hamburg bis nach St. Louis, er erzählt vom Erwachsenwerden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2007Was wir aus uns machen
"Lesung von A bis Z": Ulf Erdmann Ziegler mit seinem Debütroman im Literaturhaus Frankfurt
Es gibt Leute, die haben Glück. Da wollen sie schon seit Jahren Schriftsteller werden und schreiben schließlich ein erstes Buch, dem man das erste Buch nicht ansieht. Ulf Erdmann Ziegler hat sich als freier Kulturjournalist lange der bildenden Kunst gewidmet. Nun hat der 1959 geborene Autor beim Göttinger Wallstein-Verlag seinen Debütroman veröffentlicht. Seit einigen Tagen ist "Hamburger Hochbahn" erhältlich. Maria Gazzetti, Programmleiterin des Literaturhauses Frankfurt, hat das Erscheinen des Buches dazu genutzt, eine Idee umzusetzen, die sie schon lange umtreibt: "Ich will zeigen, was in dieser Stadt geschrieben wird. Und ich will etwas anderes ausprobieren als die übliche Lesung." Zusammen mit Ziegler hat sie daher ein kleines Experiment ausgeheckt. In Tobias Rehbergers Matthias-Beltz-Raum im ersten Stock des Literaturhauses wird Ziegler eine ganze Woche lang seinen gesamten Roman vorlesen, von der ersten bis zur letzten Zeile. Aus ist es also für eine kurze Zeitspanne mit den Leseformaten, die das Kunstwerk zum Stückwerk machen. Stattdessen können die Besucher des Literaturhauses den Erzählgang eines Romans verfolgen, der zu den besten dieses Frühjahrs zählt.
Zieglers Debüt handelt vom Hamburger Architekten Thomas Schwarz, der seiner Frau Elise Katz ins amerikanische St. Louis nachreist. Sie ist Künstlerin und arbeitet an der dortigen Universität konzentriert an einer Auftragsarbeit, er ist beruflich unglücklich, braucht eine Auszeit und will wieder zu sich kommen. Ziegler hat seinen Roman aus vielen einzelnen Büchern zusammengesetzt - aus einem Roman über die deutsche und die amerikanische Provinz sowie die langsamen Hinterlande des Herzens, einem Roman über die Stadt als Ort der Kunst, der Architektur und des Wandels, einem Roman über Amerika und Deutschland und einem Roman über die Freundschaft. Gemeinsam suchen diese Bücher nach der Antwort auf eine Frage, die nicht nur Architekten interessiert, der Frage nämlich, wie man sich aus dem eigenen Leben ein Zuhause zurechtzimmern kann.
Thomas Schwarz lässt Ziegler schließlich eine Lösung des Problems finden. Während sein Studienkamerad Claes Philip Osterkamp eine glatte Karriere hinlegt und durch sein Engagement bei den Grünen ins politische Establishment Hamburgs aufsteigt, legt Thomas sich eine Tochter zu, die ihn am Ende des Romans mit ihrem Freund in St. Louis besuchen kommt. Gemeinsam fährt man in Eero Saarinens die Stadt überragenden großen Torbogen hinauf und hält Umschau über das eigene Leben. Auch wenn zu diesem klärenden Schluss des Romans noch eine überraschende Wahrheit verkraftet sein will, kann Thomas schließlich trotzdem einige tragfähige Entscheidungen treffen, die ihn seinem Ziel einer Behausung im eigenen Leben wieder ein wenig näher bringen. An der Wandlung des ernüchterten Architekten zum Baumeister des eigenen Daseins dürfen die Besucher von Zieglers Lesung so oft teilnehmen, wie sie wollen. Mit einer Eintrittskarte für alle Abende in der Hand können sie dann auch verfolgen, was seinen Roman von Katharina Hackers "Habenichtsen" und Thomas Hettches "Woraus wir gemacht sind" unterscheidet. Auf der Suche nach künstlerischem Gewicht und menschlicher Substanz verließen sich die beiden Erfolgstitel im vergangenen Herbst auf eine Mischfinanzierung, eine Art Public Private Partnership aus öffentlicher Katastrophe und privater Misere. Hackers Charaktere setzten sich in London mit den Folgen der Attentate vom 11. September auseinander, Hettches Protagonisten suchten in den von den Terroranschlägen aufgewühlten Vereinigten Staaten nach sich selbst. Für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich zügig stellten sich die Romane der Zeitgeschichte, trotzdem blieb der Eindruck zurück, das reale Grauen draußen diene lediglich dem Füllen der ereignisleeren Psyche literarischer Pappkameraden.
Auch "Hamburger Hochbahn" begibt sich zur Sinnsuche ins verstörte Amerika. Thomas und Elise finden sich überdies ausgerechnet in St. Louis wieder, der Stadt, die als Vorposten im Westen einst für Utopien stand, dann ins Hintertreffen geriet und in Jonathan Franzens "Korrekturen" zum Bild der Entropie des amerikanischen Traums wurde. Genau hier jedoch beginnt Thomas damit, etwas aus dem zu machen, was er in der eigenen Vergangenheit vorfindet. Er begegnet einem konstruktiven amerikanischen Kulturkonzept, das Ziegler in den deutschen Roman importiert. Er lässt es Elise entdecken, die es ins Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit stellt: "the vernacular".
Es ist ein Begriff, grinst Ziegler, den er auch in Deutschland einführen wolle. Bei ihm steht das Wort für mehr als nur die Umgangssprache des Alltags, die es eigentlich meint. Für ihn bedeutet es auch "das Alltägliche, das Gezeichnete, das zufällig Entstandene". Der von diesen Vorstellungen gelenkte Blick prägt Zieglers mit Dingen und Beobachtungen gesättigten Roman, der eine glaubhaftere eigene Welt erzeugt als die Texte Hackers und Hettches. Gerade darum zimmert er seinen Romanfiguren ein festes literarisches Haus. Und Thomas entdeckt in der tatkräftigen Hinwendung zu den kaputten Zufällen des Alltags das Werkzeug für die Arbeit am Leben, die Bauanleitung, mit der man korrigieren kann, woraus man gemacht ist. Damit man nicht länger ein Habenichts bleibt.
FLORIAN BALKE
Ulf Erdmann Ziegler liest heute, morgen, am 15., 16., 17., 18. und 19. März im Literaturhaus Frankfurt, Schöne Aussicht 2. Die heutige Lesung beginnt um 20.01 Uhr, die weiteren Lesungen jeweils eine Minute später.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Lesung von A bis Z": Ulf Erdmann Ziegler mit seinem Debütroman im Literaturhaus Frankfurt
Es gibt Leute, die haben Glück. Da wollen sie schon seit Jahren Schriftsteller werden und schreiben schließlich ein erstes Buch, dem man das erste Buch nicht ansieht. Ulf Erdmann Ziegler hat sich als freier Kulturjournalist lange der bildenden Kunst gewidmet. Nun hat der 1959 geborene Autor beim Göttinger Wallstein-Verlag seinen Debütroman veröffentlicht. Seit einigen Tagen ist "Hamburger Hochbahn" erhältlich. Maria Gazzetti, Programmleiterin des Literaturhauses Frankfurt, hat das Erscheinen des Buches dazu genutzt, eine Idee umzusetzen, die sie schon lange umtreibt: "Ich will zeigen, was in dieser Stadt geschrieben wird. Und ich will etwas anderes ausprobieren als die übliche Lesung." Zusammen mit Ziegler hat sie daher ein kleines Experiment ausgeheckt. In Tobias Rehbergers Matthias-Beltz-Raum im ersten Stock des Literaturhauses wird Ziegler eine ganze Woche lang seinen gesamten Roman vorlesen, von der ersten bis zur letzten Zeile. Aus ist es also für eine kurze Zeitspanne mit den Leseformaten, die das Kunstwerk zum Stückwerk machen. Stattdessen können die Besucher des Literaturhauses den Erzählgang eines Romans verfolgen, der zu den besten dieses Frühjahrs zählt.
Zieglers Debüt handelt vom Hamburger Architekten Thomas Schwarz, der seiner Frau Elise Katz ins amerikanische St. Louis nachreist. Sie ist Künstlerin und arbeitet an der dortigen Universität konzentriert an einer Auftragsarbeit, er ist beruflich unglücklich, braucht eine Auszeit und will wieder zu sich kommen. Ziegler hat seinen Roman aus vielen einzelnen Büchern zusammengesetzt - aus einem Roman über die deutsche und die amerikanische Provinz sowie die langsamen Hinterlande des Herzens, einem Roman über die Stadt als Ort der Kunst, der Architektur und des Wandels, einem Roman über Amerika und Deutschland und einem Roman über die Freundschaft. Gemeinsam suchen diese Bücher nach der Antwort auf eine Frage, die nicht nur Architekten interessiert, der Frage nämlich, wie man sich aus dem eigenen Leben ein Zuhause zurechtzimmern kann.
Thomas Schwarz lässt Ziegler schließlich eine Lösung des Problems finden. Während sein Studienkamerad Claes Philip Osterkamp eine glatte Karriere hinlegt und durch sein Engagement bei den Grünen ins politische Establishment Hamburgs aufsteigt, legt Thomas sich eine Tochter zu, die ihn am Ende des Romans mit ihrem Freund in St. Louis besuchen kommt. Gemeinsam fährt man in Eero Saarinens die Stadt überragenden großen Torbogen hinauf und hält Umschau über das eigene Leben. Auch wenn zu diesem klärenden Schluss des Romans noch eine überraschende Wahrheit verkraftet sein will, kann Thomas schließlich trotzdem einige tragfähige Entscheidungen treffen, die ihn seinem Ziel einer Behausung im eigenen Leben wieder ein wenig näher bringen. An der Wandlung des ernüchterten Architekten zum Baumeister des eigenen Daseins dürfen die Besucher von Zieglers Lesung so oft teilnehmen, wie sie wollen. Mit einer Eintrittskarte für alle Abende in der Hand können sie dann auch verfolgen, was seinen Roman von Katharina Hackers "Habenichtsen" und Thomas Hettches "Woraus wir gemacht sind" unterscheidet. Auf der Suche nach künstlerischem Gewicht und menschlicher Substanz verließen sich die beiden Erfolgstitel im vergangenen Herbst auf eine Mischfinanzierung, eine Art Public Private Partnership aus öffentlicher Katastrophe und privater Misere. Hackers Charaktere setzten sich in London mit den Folgen der Attentate vom 11. September auseinander, Hettches Protagonisten suchten in den von den Terroranschlägen aufgewühlten Vereinigten Staaten nach sich selbst. Für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich zügig stellten sich die Romane der Zeitgeschichte, trotzdem blieb der Eindruck zurück, das reale Grauen draußen diene lediglich dem Füllen der ereignisleeren Psyche literarischer Pappkameraden.
Auch "Hamburger Hochbahn" begibt sich zur Sinnsuche ins verstörte Amerika. Thomas und Elise finden sich überdies ausgerechnet in St. Louis wieder, der Stadt, die als Vorposten im Westen einst für Utopien stand, dann ins Hintertreffen geriet und in Jonathan Franzens "Korrekturen" zum Bild der Entropie des amerikanischen Traums wurde. Genau hier jedoch beginnt Thomas damit, etwas aus dem zu machen, was er in der eigenen Vergangenheit vorfindet. Er begegnet einem konstruktiven amerikanischen Kulturkonzept, das Ziegler in den deutschen Roman importiert. Er lässt es Elise entdecken, die es ins Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit stellt: "the vernacular".
Es ist ein Begriff, grinst Ziegler, den er auch in Deutschland einführen wolle. Bei ihm steht das Wort für mehr als nur die Umgangssprache des Alltags, die es eigentlich meint. Für ihn bedeutet es auch "das Alltägliche, das Gezeichnete, das zufällig Entstandene". Der von diesen Vorstellungen gelenkte Blick prägt Zieglers mit Dingen und Beobachtungen gesättigten Roman, der eine glaubhaftere eigene Welt erzeugt als die Texte Hackers und Hettches. Gerade darum zimmert er seinen Romanfiguren ein festes literarisches Haus. Und Thomas entdeckt in der tatkräftigen Hinwendung zu den kaputten Zufällen des Alltags das Werkzeug für die Arbeit am Leben, die Bauanleitung, mit der man korrigieren kann, woraus man gemacht ist. Damit man nicht länger ein Habenichts bleibt.
FLORIAN BALKE
Ulf Erdmann Ziegler liest heute, morgen, am 15., 16., 17., 18. und 19. März im Literaturhaus Frankfurt, Schöne Aussicht 2. Die heutige Lesung beginnt um 20.01 Uhr, die weiteren Lesungen jeweils eine Minute später.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Reserviert äußert sich Rezensentin Beate Tröger über Ulf Erdmann Zieglers Romandebüt um einen Hamburger Architekten, der auf einer USA-Reise mit seiner Lebensgefährtin, einer Künstlerin, sich vom provinziellen Landei zu einem weltgewandten Vertreter seines Metiers entwickelt. Die Lektüre hat Tröger keine wirkliche Freude bereitet, ihr ist das Werk zu ambitioniert. Die Anhäufung von soziologischen, philosophischen und architektonischen Theorien zur Illustrierung der Denk- und Lebenswelt des Romanpersonals kann für sie nicht überdecken, dass Ziegler eigentlich keine Geschichte zu erzählen hat, die sie gefesselt hätte. Schließlich moniert Tröger die "angestrengte" Sprache des Romans, seine vielen Manierismen, "schiefen" Vergleiche und die Flut von Thesen, die die Lektüre zu einem ermüdenden Erlebnis machen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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