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Alfred Döblins letzter großer Roman - erstmals in der ursprünglichen Fassung
Der englische Soldat Edward Allison kehrt traumatisiert aus dem Zweiten Weltkrieg in sein Elternhaus zurück. Er fragt nach der Schuld am Krieg und löst damit einen Reigen von Erzählungen aus, die ganz unterschiedliche Facetten von Schuld beleuchten, vor allem auch innerhalb der eigenen Familie. Ein Meisterwerk der Erzählkunst, neu ediert auf der Grundlage des ursprünglichen Typoskripts.
Herausgegeben von Christina Althen und Steffan Davies

Produktbeschreibung
Alfred Döblins letzter großer Roman - erstmals in der ursprünglichen Fassung

Der englische Soldat Edward Allison kehrt traumatisiert aus dem Zweiten Weltkrieg in sein Elternhaus zurück. Er fragt nach der Schuld am Krieg und löst damit einen Reigen von Erzählungen aus, die ganz unterschiedliche Facetten von Schuld beleuchten, vor allem auch innerhalb der eigenen Familie. Ein Meisterwerk der Erzählkunst, neu ediert auf der Grundlage des ursprünglichen Typoskripts.

Herausgegeben von Christina Althen und Steffan Davies
Autorenporträt
Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman 'Berlin Alexanderplatz'. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2016

Als Erzengel Gabriel den Zweiten Weltkrieg verschlief
Erstmals im Original: Alfred Döblins letzter Roman "Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende"

Starke, prägnante Anfänge und schwache, unschlüssige Schlusskapitel sind charakteristisch für viele Romane Alfred Döblins. "Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende", sein letztes großes Werk und Vermächtnis, im Sommer 1945 begonnen, macht da keine Ausnahme. Im Gegenteil, hier ist der Schluss besonders heikel und der Anfang von kaum überbietbarer Wucht: Zwei japanische Kamikaze-Flieger stoßen aus einer Wolkenwand herab und treffen ein amerikanisches Kriegsschiff. Döblin, der früh und ergiebig mit filmischen Schreibweisen experimentierte ("Kinostil"), scheint hier die explosiven Eingangsszenen späterer Kriegsfilme vorwegzunehmen. Mit expressionistischer Dynamik werden die Verheerungen der "Menschenbomben" beschrieben. Doch auf das Getöse folgt eine gespenstische Ruhe, auf den kurzen Ausschnitt vom Weltkrieg eine langwierige Familienschlacht.

Der junge Engländer Edward Allison, ein Freiwilliger im Pazifik-Krieg, wird bei dem Angriff schwer verwundet; als Beinamputierter kehrt er in die Heimat zurück. Voller drängender Fragen und dräuender Vorwürfe wandert er mit der stampfenden Prothese durchs Elternhaus - der letzte in Döblins beeindruckender Reihe von Kriegsheimkehrern, mit denen eine zentrale Frage seiner Werke verbunden ist: "Wie flickt sich einer zusammen, der auseinandergefetzt worden ist?" Auch im Frieden ist diesen Figuren der Krieg dicht auf den Fersen. So ist es bei Friedrich Becker in der Tetralogie "November 1918", so bei Döblins berühmtestem Helden Franz Biberkopf, diesem Gemütsmenschen mit der Neigung zum Schützengrabenkoller.

Hamlet ist eine Figur der Anklage. Aber der verkrüppelte Edward Allison klagt nicht die Gesellschaft an, er nimmt Vater und Mutter ins Kreuzverhör. Sein Vater Gordon Allison, ein erfolgreicher und verfetteter Schriftsteller, versteht sich auf die Ableitung aggressiver Impulse ins Fiktionale. Und so schlägt er für Edwards hartnäckig der Behandlung trotzende Kriegsneurose eine Erzählkur vor. Die Familienmitglieder und ein paar Freunde treffen sich fortan, um Geschichten zu erzählen, Variationen von Mythen zumeist, die sich bei aller Zeitenferne bald als komplexe Spiegelungen der aktuellen Situation, als hintergründige Identitätsspiele und phantasmagorische Andeutungen eines verheimlichten Familiendramas erweisen. Ein Gebräu aus Hassliebe, Lebenslügen und heimtückischem Geschlechterkampf schäumt in diesem psychotherapeutischen Decamerone immer heftiger auf.

Warum aber eine englische Familie? Nicht nur, weil Shakespeares "Hamlet" ein englisches Familiendrama ist. Von den deutschen Lebensverhältnissen am Ende des Dritten Reichs, vom wirklichen Alltag und Lebensgefühl im zerbombten Deutschland wusste Döblin im kalifornischen Exil zu wenig, um noch Romane dort ansiedeln zu können. Und ein Soldat der Wehrmacht als Hauptfigur - ganz unmöglich. Döblin, der mit "November 1918" zuvor ein großformatiges politisch-historisches Panorama vorgelegt hat, umgeht hier nun weiträumig den Nationalsozialismus und andere spezifisch deutsche Miseren als Kriegsursachen, um auf allgemein menschliche Probleme und Abgründe zielen zu können.

Wahrheitssuche scheint eine gute Sache, aber Edwards Projekt "Redlichkeit" hat destruktive Wirkungen. Die Ehe der Eltern wird buchstäblich zersprengt; am Ende gibt es Tote. Und fördern die mythologischen Spiegelungen, die von wilden, beutegierigen Ebern, lüstern-gewalttätigen Königen, von Höllenfürsten und der Verschleppung der Proserpina in die Unterwelt erzählen, wirklich die Wahrheit über die Allison-Ehe zutage - oder bieten sie bloß deren Stilisierung ins Hochdramatische, Zerstörerische? Fragen, die man überhaupt an manche tiefenpsychologische Erinnerungsprozeduren stellen kann. Döblin hat Freud Anerkennung gezollt, aber auch gefordert, dass man der "aschgrauen Dogmatik" der Psychoanalyse mit Witz und Ironie begegnen solle.

Von einer geglückten Analyse kann angesichts der fatalen Entwicklung der Allison-Familie jedenfalls kaum die Rede sein. Doktor King, der Arzt, der den Prozess leiten und überwachen wollte, macht sich später im Gespräch mit Edward Vorwürfe: "Den Effekt, den Sie hervorrufen würden, das überschaute ich nicht. Es ist kein bloßer Fehler. Es ist ein Verbrechen."

Der Hamlet-Roman ist diszipliniert erzählt, verglichen mit den ausschweifenden Fabulier- und Phantasierkünsten früherer Döblin-Epen. Gelegentlich blitzt deren expressionistische Kraft aber auf; auch die Lust an Parodie, Burleske und Travestie ist wieder da, wenn das Drama von König Lear mit umgangssprachlicher Lässigkeit neu erzählt oder eine himmlische Geschichte vom Erzengel Gabriel vorgetragen wird, der den Zweiten Weltkrieg verschlafen hat und sich, reichlich mürrisch nach dem Aufwecken, erst einmal von den Heldentaten des Herkules berichten lässt.

Döblin hielt den Hamlet-Roman zunächst zurück, lehnte Verlagsangebote ab, weil er erst seine in der Warteschleife befindlichen Werke der Exilzeit sicher auf dem deutschen Buchmarkt gelandet sehen wollte. Aber es war auch der intime Charakter des Buches, der den diskreten Autor zögern ließ: die Vergegenwärtigung einer ins Unglück verbissenen Ehe und die Figur des verlorenen Sohnes Edward Allison, die auch eine Beschwörung und Abbitte gegenüber dem Sohn Wolfgang Döblin ist, der als Infanteriesoldat in der französischen Armee gekämpft und sich 1940 in aussichtsloser Lage kurz vor Eintreffen der Wehrmacht erschossen hatte. Die Döblins blieben bis 1945 über das Schicksal des Sohnes (eines bedeutenden Mathematikers und Wahrscheinlichkeitstheoretikers) im Unklaren. Dieses Familiendrama ist hinter dem "Hamlet"-Roman wirksam und verleiht ihm Intensität.

Bekanntlich wurde die Rückkehr nach Deutschland zur schweren Enttäuschung für Döblin. Auch das Spätwerk wollte dann kein westdeutscher Verlag mehr drucken. Erst Mitte der fünfziger Jahre ergab sich durch Vermittlung Peter Huchels eine Publikationsmöglichkeit in der DDR, unter der Bedingung, dass Döblin den "pessimistischen" Schluss des "Hamlet" umarbeiten würde. Denn am Ende aller dramatischen Aufgipfelungen steht Edwards Rückzug in ein Kloster, ein Motiv, das im Roman gründlich vorbereitet wird und der Wendung des Autors zum Katholizismus entspricht, die der Weggefährte Bertolt Brecht als anstößige Verletzung seiner "atheistischen Gefühle" verspottete. Döblin schrieb ein anderes Schlusskapitel, in dem es über den geheilten Edward am Ende heißt: "Ein neues Leben begann." In dieser Form wurde der Roman (mit dem verlängerten, optimistischen Titel) 1956 zu einem großen Erfolg, so dass er ein Jahr später unter viel Lob auch in der Bundesrepublik erschien, allerdings als DDR-Lizenzausgabe. Kritiker wie Ludwig Marcuse empfanden diese Verfälschung des Originals als Skandal.

"Ein neues Leben begann" - das erinnert an den forcierten Schluss von "Berlin Alexanderplatz", wo der Totschläger Biberkopf ebenfalls ein neues, bescheidenes Leben als Hilfsportier beginnt, von dem weiter "nichts zu berichten" sei. Am Ende sitzt er im Sonnenschein und isst Bienenstich, anstatt in düsteren Kaschemmen Mollen zu saufen: Döblin veralbert den positiven Schluss im selben Moment, in dem er ihn niederschreibt. Auch beim "Hamlet" ist die Angestrengtheit, jene Wendung zum "neuen Leben" zu motivieren, mit Händen zu greifen: "Es war mein erstes Erlebnis, dass ich im Garten hier Maikäfer traf und sah, sie fraßen und flogen herum und wussten von nichts. Da dachte ich mir, wieso kann ich es nicht ebenso haben wie die Maikäfer", verkündet Edward. Was der Krieg und 500 Seiten Familienaufstellung angerichtet haben, wird durch die Lehre der Maikäfer wieder gut?

Erna Döblin schrieb an Ludwig Marcuse: "So entstand ein zweiter Alexanderplatzschluss, ein Stehaufmännchen." Nun, in der soeben erschienenen neuen Taschenbuchausgabe des Romans, ist das Stehaufmännchen in den Anhang verwiesen und die ursprüngliche Fassung endlich in ihr Recht gesetzt. Dass Edward jetzt wieder ins Kloster geht, mag zwar heute erst recht unzeitgemäß erscheinen, aber es entspricht der Konsequenz des Romans und seines heillosen Geschlechterkrieges, es entspricht der zerknirschten, zweifelnden Religiosität des späten, längst von Marx auf Kierkegaard gekommenen Döblin. Es passt.

WOLFGANG SCHNEIDER

Alfred Döblin: "Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende". Roman.

Mit einem Nachwort von Christina Althen. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2016. 640 S., br., 14,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Wolfgang Schneider freut sich über die neue Ausgabe von Alfred Döblins letztem großen Roman in der ursprünglichen Fassung. Schon wegen des passenderen Endes. Das wuchtige Familiendrama um einen Kriegsheimkehrer besticht laut Schneider durch filmischen Stil, expressionistische Dynamik und die Hamletsche Spiegelfigur, mit der der Autor "hintergründige Identitätsspiele" inszeniert, wie der Rezensent uns wissen lässt. Als psychotherapeutisches Decamerone bezeichnet Schneider den Text, in dem Hassliebe, Lebenslügen und Geschlechterkämpfe toben. Dass Döblin im Exil wenig vom Alltag im kriegszerstörten Deutschland wusste, wird für Schneider verkraftbar, da der Autor stattdessen seine Fantasiekünste und die Lust an Parodie und Travestie auffährt, aber auch und mehr noch als in früheren Büchern, meint Schneider, erzählerische Disziplin.

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