Ein großes Werk über die verhängnisvollste Periode der deutschen Geschichte und über die herausragende Gestalt eines Mannes, dessen Biographie bislang nicht geschrieben wurde. Hans Magnus Enzensberger hat die Geschichte des Generals Kurt von Hammerstein aus allen erreichbaren Quellen recherchiert und entfaltet sie in einem Genre, das er beherrscht wie kein zweiter: in der literarischen Biographie.
Kurt von Hammerstein war Chef der Reichswehr, ein Grandseigneur, ein unerschütterlicher Gegner des Nationalsozialismus, ein unbestechlicher Zeuge des Untergangs seiner Klasse, des deutschen Militäradels. Seinen Abschied nahm er, nachdem Hitler seine Weltkriegspläne 1933 in einer Geheimrede offengelegt hatte.
Aber es geht auch um die Lebensläufe seiner Frau und seiner sieben Kinder: gezeichnet von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, von Verrat, Widerstand, Spionage und Sippenhaft. Und nicht zuletzt geraten jene Personen ins Fadenkreuz, die zu einem gefährlichen Doppelleben gezwungen waren: vom letzten Reichskanzler der Weimarer Republik über die Agenten der KPD bis zu jener Drogistin, die in Kreuzberg Deserteure und Juden versteckte.
Hammerstein ist nach Der kurze Sommer der Anarchie und Requiem für eine romantische Frau Enzensbergers dritte literarische Biographie, in der die Selbstbehauptung des Einzelnen gegenüber kollektiven und autoritären Zumutungen im Zentrum steht. Für dieses Buch hat der Autor die Archive von Moskau bis Berlin, von München bis Toronto befragt. Doch behält für ihn das Dokument nicht das letzte Wort. In einem vielfältigen Werk verbindet sich erneut die Recherche mit der Freiheit des Autors, sich der historischen Wirklichkeit auch über Fiktionen zu nähern.
Kurt von Hammerstein war Chef der Reichswehr, ein Grandseigneur, ein unerschütterlicher Gegner des Nationalsozialismus, ein unbestechlicher Zeuge des Untergangs seiner Klasse, des deutschen Militäradels. Seinen Abschied nahm er, nachdem Hitler seine Weltkriegspläne 1933 in einer Geheimrede offengelegt hatte.
Aber es geht auch um die Lebensläufe seiner Frau und seiner sieben Kinder: gezeichnet von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, von Verrat, Widerstand, Spionage und Sippenhaft. Und nicht zuletzt geraten jene Personen ins Fadenkreuz, die zu einem gefährlichen Doppelleben gezwungen waren: vom letzten Reichskanzler der Weimarer Republik über die Agenten der KPD bis zu jener Drogistin, die in Kreuzberg Deserteure und Juden versteckte.
Hammerstein ist nach Der kurze Sommer der Anarchie und Requiem für eine romantische Frau Enzensbergers dritte literarische Biographie, in der die Selbstbehauptung des Einzelnen gegenüber kollektiven und autoritären Zumutungen im Zentrum steht. Für dieses Buch hat der Autor die Archive von Moskau bis Berlin, von München bis Toronto befragt. Doch behält für ihn das Dokument nicht das letzte Wort. In einem vielfältigen Werk verbindet sich erneut die Recherche mit der Freiheit des Autors, sich der historischen Wirklichkeit auch über Fiktionen zu nähern.
"Ein solches Buch wird man wohl kaum zweimal finden."
Peter Rutkowski, Frankfurter Rundschau 04.08.2018
Peter Rutkowski, Frankfurter Rundschau 04.08.2018
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2008Faul? Eine Frechheit!
Kein Historiker hätte über Kurt von Hammerstein geschrieben wie Hans Magnus Enzensberger. Stimmt. Denn Enzensberger interessiert sich dafür, wie sich jemand aus der Geschichte heraushalten kann.
Von Patrick Bahners
Im dreißigsten der "Berliner Gemeinplätze", die 1968 im "Kursbuch" gedruckt wurden, notierte Hans Magnus Enzensberger: "Wer auf das Jahr 1933 starrt, dem wird die Gegenwart zum blinden Fleck." Im Augenblick seiner Niederschrift war diese Warnung das Gegenteil eines Gemeinplatzes. Der grassierende Alarmismus debattierte, ob die Bundesrepublik Deutschland, die gerade dabei war, sich eine Notstandsverfassung zu geben, ihr Jahr 1933 noch vor oder schon hinter sich hatte. Enzensberger zitierte die theoretische Fassung dieser Frage, um die Frage für akademisch zu erklären. "Ist das westliche Deutschland faschistisch, präfaschistisch, neo-faschistisch oder faschistoid?" Das politische Geschehen konnte außer Betracht bleiben, denn "der neue Faschismus" war nach Auskunft des Glossators schon seit den fünfziger Jahren soziale Wirklichkeit. Seine Parole habe "ein inzwischen vergessener Zigarrenraucher", Ludwig Erhard, in die Zeitungen setzen lassen: "Der Klassenkampf ist zu Ende."
Der Aphorismus vom blinden Fleck artikulierte eine extreme Position in der Faschismusdebatte. Die Diagnose, dass eine Fixierung auf den Vergleich mit 1933 zur Verdunkelung des Urteils führe, konnte sich allerdings auch das andere Lager aneignen. In konsequenter Parteilichkeit hatte Enzensberger seine Analyse zu einer Klarheit vorangetrieben, die vom Veralten der Parteimeinungen nicht betroffen ist. Kennzeichnend für diese glücklich zum Kern der Sache vorstoßende Denkungsart ist die naturwissenschaftliche Metapher. Eine unwillkürliche Sehschwäche wird diagnostiziert, die sich automatisch einstellt, wenn man die Ereignisse von 1933 zu lange ins Auge fasst. Dieser Befund ist von Schuldzuweisungen unabhängig und behält daher in veränderten moralischen Kontexten seine Gültigkeit.
Im Jubiläumsjahr von Achtundsechzig will es bisweilen scheinen, als sei es das einzige verbleibende Verdienst der Aufwiegler, dass sie die Deutschen gezwungen hätten, vor 1933 nicht länger die Augen zu verschließen. Enzensberger hatte allerdings schon 1964 in seinen Bemerkungen "Über die Schwierigkeit, ein Inländer zu sein" die öffentliche Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus als ein genau festgelegtes nationales Ritual beschrieben und bekannt, er könne dieses Rituals nicht recht froh werden, da es offenkundig nur die Umkehrung der Feier der nationalen Sendung sei. In der Selbstverachtung wie früher im Selbstlob werde vorausgesetzt, dass es ein nationales Schicksal gebe. "Vielleicht ist es dieses illusionäre Moment, das unsere Beschäftigung mit dem Nazismus moralisch und politisch so unproduktiv macht." Die Chronologie lügt nicht: Die Achtundsechziger können das Ritual der Selbstkritik nicht gestiftet haben. Dass ihnen die Stiftung dennoch zugeschrieben wird, ist Teil des Rituals geworden.
Hat Hans Magnus Enzensberger seine Auffassung von der Unproduktivität der Hingabe an die Nazizeitgeschichte revidiert? Er hat ein Buch über einen tatsächlich vergessenen Zigarrenraucher publiziert, der vorderhand nur dann Interesse verdient, wenn man auf das Jahr 1933 starrt. Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord war Chef der Heeresleitung am 30. Januar 1933. An seine Person knüpft sich der Gedanke der Möglichkeit, dass die deutsche Katastrophe hätte verhindert werden können. Es gibt nämlich das Gerücht, er habe dem Reichspräsidenten in letzter Minute noch davon abgeraten, Hitler die Kanzlerschaft zu übertragen. Was wäre gewesen, wenn Hindenburg einen Putsch der Reichswehr hätte befürchten müssen? In der Geschichtswissenschaft erfreuen sich solche kontrafaktischen Szenarien neuerdings ernsthafter Beachtung. Die strukturhistorischen Denkmuster, zu deren schlichtesten Varianten die These vom Faschismus des Wirtschaftswunders gehörte, haben an Glaubwürdigkeit verloren, was man hauptsächlich auf lebensweltliche Gründe zurückführen wird, auf die Entzauberung des Planungs- und Wohlfahrtsstaates.
Wie hätte Hitler verhindert werden können? Hineingrübeln ins nationale Schicksal fördert keine Antwort zutage. Die einfachste Antwort war und ist: wenn Hindenburg ihn nicht zum Reichskanzler ernannt hätte. Die Vorgänge der Januartage 1933 sind Thema anspruchsvoller ereignisgeschichtlicher Forschung. Insbesondere der mit Hammerstein eng verbundene Reichskanzler Kurt Schleicher wird heute anders bewertet. In diesem Zusammenhang sind auch die Absichten und Aktionen des Juristen Carl Schmitt eingehend untersucht worden. Er hat einen Auftritt in Enzensbergers Buch - als verhinderter Eheverhinderer. Hammersteins Tochter Maria Therese heiratete im März 1934 den Jurastudenten Joachim Paasche. Schmitt hatte von der Verbindung abgeraten, war doch der Vater des Bräutigams ein "halbjüdischer" Marineoffizier, der sich zum Pazifisten und Feministen gewandelt hatte und 1920 von Freikorps-Banditen ermordet worden war. "Natürlich hörte Maria Therese nicht auf Schmitts Ratschläge. Sie hat ihren Schwiegervater immer verehrt." Das Licht, das diese Episode auf Schmitts Charakter wirft, ist nicht überraschend.
Er spielt auf Enzensbergers Bühne die Rolle, in der man ihn aus den Darstellungen der Epoche kennt. Maria Therese ist es, die hier charakterisiert wird. Sie hörte natürlich nicht auf Schmitt. Hier schwingt mit: Wie viele Handelnde und auch Leser dieser Jahre hätten ebenfalls gut daran getan, Schmitts Ratschläge in den Wind zu schlagen! Der Vergleich wird nicht ausgesprochen, er wäre nicht unbedingt belastbar, diese Braut hätte wohl auf gar keinen Ratgeber gehört, nicht einmal auf ihren Vater. Dieser war in analoger Sache mit anderen Argumenten erfolgreich. Ruth von Mayenburg hat in ihren Memoiren erzählt, dass Kurt von Hammerstein, den sie vorher noch überhaupt nicht kannte, sie am Silvesterabend 1930 dazu brachte, ihre für diesen Abend geplante standesgemäße Verlobung abzusagen. "Sie sind viel zu eigenwillig. Ein lebhafter, ungestümer Geist. Ich mag Sie, Sie gefallen mir, entschuldigen Sie, wenn ich mich in Ihr Leben einmische, aber ich hielt es für meine menschliche Pflicht, Ihnen das zu sagen."
Enzensbergers in dieser Zeitung vorabgedrucktes Buch ist eine Collage aus Memoirenauszügen, Anekdoten, Briefstellen, mündlichen Mitteilungen, Akten, "Glossen" zum historischen Hintergrund und "Totengesprächen", in denen sich der Autor ins Leben seiner Personen einmischt wie damals Hammerstein ins Leben von Ruth von Mayenburg. Die Form des Kaleidoskops lädt den Leser ein, Bezüge, Kontraste und Allianzen herzustellen. Probehalber kann man Hammerstein und Schmitt als Gegenfiguren betrachten - und das Arrangement bewährt sich beim Hin- und Herdenken, verkörpert Schmitt doch jenes Pathos der Entschlossenheit, als das Enzensberger den Stil der Weimarer Intellektuellen bestimmt, während Hammerstein schon vor 1933 im Ruf der Unentschlossenheit stand. Er kündigte an, die Kommunisten aufhalten zu wollen, und bewährte sich, in Schmitts Terminologie, als Katechon, als Aufhalter des Unheils, dann nur im privaten Bereich.
Doch was heißt hier "nur"? Enzensberger starrt nicht auf die Denkmöglichkeit, dass Hammerstein 1933 tatsächlich hätte putschen können; er lässt seinen Blick schweifen über eine Lebenswelt, die wundersamerweise im Schreckensstaat intakt blieb. So bleibt er davon überzeugt, dass es kein nationales Schicksal gibt, nur die Summe der von Individuen getroffenen und vermiedenen Entscheidungen. Mit schelmischem Vergnügen lässt er den General im Totengespräch als Frechheit zurückweisen, was alle Welt über ihn berichtet: dass er faul gewesen sei. Viele Nachrichten über alltäglichen Mut trägt das Buch zusammen. Im Herzen ist es ein Idyll des Inaktivismus. Ohne Rechthaberei malt Enzensberger ein Gegenbild zu jener Lebensform, die die große Illusion der Achtundsechziger war. Er habe nicht geklärt, was nun eigentlich gewesen sei zwischen Hindenburg und Hammerstein, ist Enzensberger vorgeworfen worden; er lasse die widersprüchlichen Zeugnisse nebeneinander stehen. Hammerstein ging so nachlässig mit seinen Geheimsachen um, dass seine Töchter sie kopieren konnten, um sie nach Moskau gelangen zu lassen. Enzensberger will den Historikern ihre Arbeit nicht abnehmen. Er hat ihnen alle Papiere hingestreut, die sie brauchen.
- Hans Magnus Enzensberger: "Hammerstein oder Der Eigensinn." Eine deutsche Geschichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 375 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kein Historiker hätte über Kurt von Hammerstein geschrieben wie Hans Magnus Enzensberger. Stimmt. Denn Enzensberger interessiert sich dafür, wie sich jemand aus der Geschichte heraushalten kann.
Von Patrick Bahners
Im dreißigsten der "Berliner Gemeinplätze", die 1968 im "Kursbuch" gedruckt wurden, notierte Hans Magnus Enzensberger: "Wer auf das Jahr 1933 starrt, dem wird die Gegenwart zum blinden Fleck." Im Augenblick seiner Niederschrift war diese Warnung das Gegenteil eines Gemeinplatzes. Der grassierende Alarmismus debattierte, ob die Bundesrepublik Deutschland, die gerade dabei war, sich eine Notstandsverfassung zu geben, ihr Jahr 1933 noch vor oder schon hinter sich hatte. Enzensberger zitierte die theoretische Fassung dieser Frage, um die Frage für akademisch zu erklären. "Ist das westliche Deutschland faschistisch, präfaschistisch, neo-faschistisch oder faschistoid?" Das politische Geschehen konnte außer Betracht bleiben, denn "der neue Faschismus" war nach Auskunft des Glossators schon seit den fünfziger Jahren soziale Wirklichkeit. Seine Parole habe "ein inzwischen vergessener Zigarrenraucher", Ludwig Erhard, in die Zeitungen setzen lassen: "Der Klassenkampf ist zu Ende."
Der Aphorismus vom blinden Fleck artikulierte eine extreme Position in der Faschismusdebatte. Die Diagnose, dass eine Fixierung auf den Vergleich mit 1933 zur Verdunkelung des Urteils führe, konnte sich allerdings auch das andere Lager aneignen. In konsequenter Parteilichkeit hatte Enzensberger seine Analyse zu einer Klarheit vorangetrieben, die vom Veralten der Parteimeinungen nicht betroffen ist. Kennzeichnend für diese glücklich zum Kern der Sache vorstoßende Denkungsart ist die naturwissenschaftliche Metapher. Eine unwillkürliche Sehschwäche wird diagnostiziert, die sich automatisch einstellt, wenn man die Ereignisse von 1933 zu lange ins Auge fasst. Dieser Befund ist von Schuldzuweisungen unabhängig und behält daher in veränderten moralischen Kontexten seine Gültigkeit.
Im Jubiläumsjahr von Achtundsechzig will es bisweilen scheinen, als sei es das einzige verbleibende Verdienst der Aufwiegler, dass sie die Deutschen gezwungen hätten, vor 1933 nicht länger die Augen zu verschließen. Enzensberger hatte allerdings schon 1964 in seinen Bemerkungen "Über die Schwierigkeit, ein Inländer zu sein" die öffentliche Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus als ein genau festgelegtes nationales Ritual beschrieben und bekannt, er könne dieses Rituals nicht recht froh werden, da es offenkundig nur die Umkehrung der Feier der nationalen Sendung sei. In der Selbstverachtung wie früher im Selbstlob werde vorausgesetzt, dass es ein nationales Schicksal gebe. "Vielleicht ist es dieses illusionäre Moment, das unsere Beschäftigung mit dem Nazismus moralisch und politisch so unproduktiv macht." Die Chronologie lügt nicht: Die Achtundsechziger können das Ritual der Selbstkritik nicht gestiftet haben. Dass ihnen die Stiftung dennoch zugeschrieben wird, ist Teil des Rituals geworden.
Hat Hans Magnus Enzensberger seine Auffassung von der Unproduktivität der Hingabe an die Nazizeitgeschichte revidiert? Er hat ein Buch über einen tatsächlich vergessenen Zigarrenraucher publiziert, der vorderhand nur dann Interesse verdient, wenn man auf das Jahr 1933 starrt. Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord war Chef der Heeresleitung am 30. Januar 1933. An seine Person knüpft sich der Gedanke der Möglichkeit, dass die deutsche Katastrophe hätte verhindert werden können. Es gibt nämlich das Gerücht, er habe dem Reichspräsidenten in letzter Minute noch davon abgeraten, Hitler die Kanzlerschaft zu übertragen. Was wäre gewesen, wenn Hindenburg einen Putsch der Reichswehr hätte befürchten müssen? In der Geschichtswissenschaft erfreuen sich solche kontrafaktischen Szenarien neuerdings ernsthafter Beachtung. Die strukturhistorischen Denkmuster, zu deren schlichtesten Varianten die These vom Faschismus des Wirtschaftswunders gehörte, haben an Glaubwürdigkeit verloren, was man hauptsächlich auf lebensweltliche Gründe zurückführen wird, auf die Entzauberung des Planungs- und Wohlfahrtsstaates.
Wie hätte Hitler verhindert werden können? Hineingrübeln ins nationale Schicksal fördert keine Antwort zutage. Die einfachste Antwort war und ist: wenn Hindenburg ihn nicht zum Reichskanzler ernannt hätte. Die Vorgänge der Januartage 1933 sind Thema anspruchsvoller ereignisgeschichtlicher Forschung. Insbesondere der mit Hammerstein eng verbundene Reichskanzler Kurt Schleicher wird heute anders bewertet. In diesem Zusammenhang sind auch die Absichten und Aktionen des Juristen Carl Schmitt eingehend untersucht worden. Er hat einen Auftritt in Enzensbergers Buch - als verhinderter Eheverhinderer. Hammersteins Tochter Maria Therese heiratete im März 1934 den Jurastudenten Joachim Paasche. Schmitt hatte von der Verbindung abgeraten, war doch der Vater des Bräutigams ein "halbjüdischer" Marineoffizier, der sich zum Pazifisten und Feministen gewandelt hatte und 1920 von Freikorps-Banditen ermordet worden war. "Natürlich hörte Maria Therese nicht auf Schmitts Ratschläge. Sie hat ihren Schwiegervater immer verehrt." Das Licht, das diese Episode auf Schmitts Charakter wirft, ist nicht überraschend.
Er spielt auf Enzensbergers Bühne die Rolle, in der man ihn aus den Darstellungen der Epoche kennt. Maria Therese ist es, die hier charakterisiert wird. Sie hörte natürlich nicht auf Schmitt. Hier schwingt mit: Wie viele Handelnde und auch Leser dieser Jahre hätten ebenfalls gut daran getan, Schmitts Ratschläge in den Wind zu schlagen! Der Vergleich wird nicht ausgesprochen, er wäre nicht unbedingt belastbar, diese Braut hätte wohl auf gar keinen Ratgeber gehört, nicht einmal auf ihren Vater. Dieser war in analoger Sache mit anderen Argumenten erfolgreich. Ruth von Mayenburg hat in ihren Memoiren erzählt, dass Kurt von Hammerstein, den sie vorher noch überhaupt nicht kannte, sie am Silvesterabend 1930 dazu brachte, ihre für diesen Abend geplante standesgemäße Verlobung abzusagen. "Sie sind viel zu eigenwillig. Ein lebhafter, ungestümer Geist. Ich mag Sie, Sie gefallen mir, entschuldigen Sie, wenn ich mich in Ihr Leben einmische, aber ich hielt es für meine menschliche Pflicht, Ihnen das zu sagen."
Enzensbergers in dieser Zeitung vorabgedrucktes Buch ist eine Collage aus Memoirenauszügen, Anekdoten, Briefstellen, mündlichen Mitteilungen, Akten, "Glossen" zum historischen Hintergrund und "Totengesprächen", in denen sich der Autor ins Leben seiner Personen einmischt wie damals Hammerstein ins Leben von Ruth von Mayenburg. Die Form des Kaleidoskops lädt den Leser ein, Bezüge, Kontraste und Allianzen herzustellen. Probehalber kann man Hammerstein und Schmitt als Gegenfiguren betrachten - und das Arrangement bewährt sich beim Hin- und Herdenken, verkörpert Schmitt doch jenes Pathos der Entschlossenheit, als das Enzensberger den Stil der Weimarer Intellektuellen bestimmt, während Hammerstein schon vor 1933 im Ruf der Unentschlossenheit stand. Er kündigte an, die Kommunisten aufhalten zu wollen, und bewährte sich, in Schmitts Terminologie, als Katechon, als Aufhalter des Unheils, dann nur im privaten Bereich.
Doch was heißt hier "nur"? Enzensberger starrt nicht auf die Denkmöglichkeit, dass Hammerstein 1933 tatsächlich hätte putschen können; er lässt seinen Blick schweifen über eine Lebenswelt, die wundersamerweise im Schreckensstaat intakt blieb. So bleibt er davon überzeugt, dass es kein nationales Schicksal gibt, nur die Summe der von Individuen getroffenen und vermiedenen Entscheidungen. Mit schelmischem Vergnügen lässt er den General im Totengespräch als Frechheit zurückweisen, was alle Welt über ihn berichtet: dass er faul gewesen sei. Viele Nachrichten über alltäglichen Mut trägt das Buch zusammen. Im Herzen ist es ein Idyll des Inaktivismus. Ohne Rechthaberei malt Enzensberger ein Gegenbild zu jener Lebensform, die die große Illusion der Achtundsechziger war. Er habe nicht geklärt, was nun eigentlich gewesen sei zwischen Hindenburg und Hammerstein, ist Enzensberger vorgeworfen worden; er lasse die widersprüchlichen Zeugnisse nebeneinander stehen. Hammerstein ging so nachlässig mit seinen Geheimsachen um, dass seine Töchter sie kopieren konnten, um sie nach Moskau gelangen zu lassen. Enzensberger will den Historikern ihre Arbeit nicht abnehmen. Er hat ihnen alle Papiere hingestreut, die sie brauchen.
- Hans Magnus Enzensberger: "Hammerstein oder Der Eigensinn." Eine deutsche Geschichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 375 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.01.2008Im Geschichtskino
Hans Magnus Enzensberger über Kurt von Hammerstein und die Weimarer Republik
Hans Magnus Enzensbergers neueste Dokumentenmontage handelt diesmal weder von fernen Wirren noch von wohlmeinend kolportiertem Revolutionsdrang, sondern von einer „sehr deutschen Geschichte”. Der Held heißt Freiherr Kurt von Hammerstein-Equord. Er wurde 1878 in Mecklenburg-Strelitz geboren und starb 1943 zu Berlin-Dahlem im Krankenbett. Dazwischen lag die auf Druck des wenig bemittelten Vaters beschrittene Laufbahn eines preußischen Offiziers: Hauptkadettenanstalt Berlin-Lichterfelde, 3. Garderegiment zu Fuß, Kriegsakademie, Kompaniechef in Flandern, Großer Generalstab.
Als weitere Protagonisten treten in Enzensbergers Buch „Hammerstein oder der Eigensinn” die vier Töchter und drei Söhne auf, mit denen die Ehe zwischen Maria und Kurt von Hammerstein gesegnet war. Zwei wurden später Kommunisten, zwei andere stießen zum konservativen Widerstand gegen Hitler. Für die Nazis erwärmte sich in dieser Familie keiner, doch waren die Kontakte ins rechte und antirepublikanische Milieu vielfältig. Zum Nachteil der geschichtlichen Balance und womöglich aus autobiographischen Gründen belichtet Enzensberger die kommunistischen Verwicklungen der Hammersteins grell und ausführlich. Sein aus allerlei Originaldokumenten, fiktiven Dialogen und den Meinungen von Zeitgenossen zusammengefügter Text verfranst sich im militärpolitischen Apparat der KPD, in den stalinistischen Terrorjahren und schließlich im Stasi-Sozialismus der DDR. Demgegenüber bleiben das Hitlerianertum der Hammerstein-Freunde Otto Wolff oder Edwin Bechstein eigentümlich blass. Für den nazistischen Terror interessierte sich Enzensberger noch nie besonders.
Im Jahr 1930 stieg Kurt von Hammerstein zum Chef der Heeresleitung auf, also zum obersten Soldaten der ersten deutschen Republik. 1933 stellten ihn die Günstlinge Hitlers kalt. Bald drängten sie ihn aus dem Amt. Seit 1928 hatte Hammerstein die geheimen, nach dem Versailler Vertrag verbotenen deutsch-sowjetischen Rüstungsprojekte forciert. Als sein Schwiegervater, General Walther von Lüttwitz, 1919 den Kapp-Putsch in führender Funktion anzettelte, verweigerte Hammerstein die Gefolgschaft und brach mit ihm für immer. Von Lüttwitz, der nach dem gescheiterten Staatsstreich in den Untergrund abtauchte, bemerkte über seinen Schwiegersohn: „Er wurde nach dem Kriege Opportunist, und da stießen wir aufeinander.”
Hammerstein litt stets an Geldmangel, liebte Cognac und gute Zigarren. Er zog die Jagd dem Aktenstudium vor, pflegte einen mäßigen Antisemitismus („Hoffentlich werden wir Hitler bald los, damit ich wieder auf die Juden schimpfen kann”) und erfreute sich bewundernswerter Intelligenz. Sie minderte seine Entschlossenheit, und das in einer Zeit, in der Entschlossenheit von Ernst Jünger bis Bert Brecht, von Adolf Hitler bis Clara Zetkin als die einzig wahre Tugend galt. Folgt man der These, die Weimarer Republik sei an denjenigen zugrunde gegangen, die sich vor dem Entschlossenheitswahn ekelten und deshalb unentschlossen wurden, dann gehörte Hammerstein zu den herausragenden Repräsentanten dieser Spezies. Er verkörpert den tragischen Helden Tatenlos. Das Tempo und der (national-) revolutionäre Wille der Zeit ließen ihn erstarren und knapp bemerken: „98 Prozent des deutschen Volkes sind eben besoffen.”
Hammerstein blieb nüchtern und tat nichts. So wurde er auf verhängnisvolle Weise schuldig, weil er 1933 seine Machtposition als Chef der Heeresleitung nicht zum Schutz der Republik nutzte. An diesem Punkt versagt Enzensberger. Schilderte er seine früheren Helden, vom kubanischen Kommunisten Castro bis zum spanischen Anarchisten Durruti, mit starken Sichteinschränkungen auf dem linken Auge, so erblindet er nun auf dem rechten. Seine Darstellung der Weimarer Republik muss jedem geschichtskundigen Leser auf die Nerven gehen. Diese Republik sei, so behauptet Enzensberger, von „Politikern des Mittelmaßes” beherrscht und „von Anfang an eine Fehlgeburt” gewesen. Die Republik sei von außen (Polen und Frankreich) und von innen („Militante auf beiden Seiten”) in die Zange genommen worden – und an diesen „Schrecken” gescheitert.
Zur Erinnerung: Der Weimarer Staat widerstand immerhin den Putschversuchen von Leuten wie Luxemburg, Lüttwitz oder Hitler. Demokratische Politiker verschafften der Zentralregierung zum ersten Mal in der deutschen Geschichte eine eigene Finanzverwaltung und Steuergesetzgebung (Bismarck hatte das nie vermocht); sie stabilisierte die Reichsmark nach der infolge der deutschen Kriegsschulden unausweichlichen Inflation mit Erfolg; mittels einer Sondersteuer für die (von der Inflation verschonten) Grundeigentümer setzten sie einen sozialen Wohnungsbau ins Werk, der heute zum Weltkulturerbe gehört; ob in Heidelberg, Köln, Berlin oder Leipzig standen demokratisch gesonnene Polizeipräsidenten, Richter und Oberbürgermeister ihren Mann; Juden wurden zu Tausenden in den höheren Staatsdienst aufgenommen, illegale Zuwanderer naturalisiert; die Zahl der Abiturienten und Hochschulabsolventen verdoppelte sich dank der bildungspolitischen Anstrengungen. In altvertrauter Überheblichkeit macht sich Enzensberger über diese Republik her, beschreibt sie unter dem Stichwort „Agonie” als in „geradezu libanesischen Formen” gespalten. Die „politische Klasse” schildert er als unfähigen Haufen, der „zwischen Panik und Lähmung lavierte”.
Auch literarisch versagt Enzensberger vor dem vielversprechenden Stoff. Die unendlichen Zitatenfolgen, die eitlen fiktiven Interviews des Schriftstellers „E.” mit den im Leben meist tragisch gescheiterten Toten des vergangenen Jahrhunderts wirken spröde und gestellt. Immer wieder beteuert „E.”, er sei Schriftsteller und werde gewiss auch Fehler machen, obwohl er nicht glaube, dass „wir” Heutigen uns beispielsweise an der bis zu ihrem Tod 2001 gläubigen Kommunistin Helga von Hammerstein „ein Beispiel nehmen können”.
Enzensberger gelingt es, einem spannenden Stoff die Spannung zu nehmen. Um diese literarische Schwäche seines Textes zu vertuschen, schneidet er die Szenen nach dem Muster Guido Knopps schnell und hart gegeneinander. Zwischendrin lässt er sein altbekanntes Sendungsbewusstsein aufscheinen. Angeblich trieben ihn anno 2002 „gespenstische Erinnerungen” um, weil sich die Regierung Schröder/Fischer damals nicht hinter George Bushs Irak-Krieg gestellt habe, sondern in den antiwestlichen „Jahrhundert-Taumel” zurückgefallen sei. Enzensberger kennzeichnet diese politische Entscheidung mit derselben rechthaberischen Unbedingtheit, mit der er in der Achtundsechzigerzeit ein Stipendium in den „imperialistischen” USA aufkündigte, um sich ins „befreite” Kuba zu begeben.
Enzensbergers Buch über die Familie von Hammerstein schwankt zwischen politischem Manifest und Altherren-Räsonnement, zwischen respektablem Sammlerfleiß und mangelhafter literarischer Verarbeitung. Warum das so ist, erschließt sich in der Danksagung. Dort würdigt der Autor ausgiebig seinen „unentbehrlichen” Rechercheur, den Hamburger Kommunismushistoriker Reinhard Müller, und fährt fort: „Ebenso unverzichtbar wird seine Mitwirkung an einer Verfilmung der Hammerstein-Geschichte sein, sofern es dazu kommen sollte.” Enzensberger hat keinen Roman geschrieben, sondern ein Drehbuch entworfen. Das Genrebild einer fürstlichen Treibjagd erscheint schon recht gelungen („Wieder erklangen die Jagdhörner, die Strecke wurde von den Förstern ‚verblasen’.”).
An den bislang witzfreien Dialogen könnte noch gearbeitet werden. Schließlich erfordert die Geschichte, damit sie wirklich „eine sehr deutsche Geschichte” wird, noch erhebliche Zutaten auf der rechten Seite, die linke könnte dafür abgespeckt werden. Das vorausgesetzt, ist ein großartiger, von Hans Magnus Enzensberger verdienstvoll geförderter Film über die Hammersteins zu erwarten – und abzuwarten. Die Vorarbeiten für ein Drehbuch sind nicht für das lesende Publikum gedacht. Sie ermüden, selbst dann, wenn der Stoff glänzend gewählt ist. GÖTZ ALY
HANS MAGNUS ENZENSBERGER: Hammerstein oder der Eigensinn. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 376 Seiten, 22,90 Euro.
Hammerstein litt stets an Geldmangel, liebte Cognac und gute Zigarren.
Hammerstein blieb nüchtern und tat nichts. So wurde er auf verhängnisvolle Weise schuldig.
Freiherr Kurt von Hammerstein beim Morgenritt mit seiner Tochter im Jahre 1930 Foto: Ullstein
Kurt von Hammerstein (rechts) mit Generaloberst Wilhelm Heye Foto: Ullstein
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Hans Magnus Enzensberger über Kurt von Hammerstein und die Weimarer Republik
Hans Magnus Enzensbergers neueste Dokumentenmontage handelt diesmal weder von fernen Wirren noch von wohlmeinend kolportiertem Revolutionsdrang, sondern von einer „sehr deutschen Geschichte”. Der Held heißt Freiherr Kurt von Hammerstein-Equord. Er wurde 1878 in Mecklenburg-Strelitz geboren und starb 1943 zu Berlin-Dahlem im Krankenbett. Dazwischen lag die auf Druck des wenig bemittelten Vaters beschrittene Laufbahn eines preußischen Offiziers: Hauptkadettenanstalt Berlin-Lichterfelde, 3. Garderegiment zu Fuß, Kriegsakademie, Kompaniechef in Flandern, Großer Generalstab.
Als weitere Protagonisten treten in Enzensbergers Buch „Hammerstein oder der Eigensinn” die vier Töchter und drei Söhne auf, mit denen die Ehe zwischen Maria und Kurt von Hammerstein gesegnet war. Zwei wurden später Kommunisten, zwei andere stießen zum konservativen Widerstand gegen Hitler. Für die Nazis erwärmte sich in dieser Familie keiner, doch waren die Kontakte ins rechte und antirepublikanische Milieu vielfältig. Zum Nachteil der geschichtlichen Balance und womöglich aus autobiographischen Gründen belichtet Enzensberger die kommunistischen Verwicklungen der Hammersteins grell und ausführlich. Sein aus allerlei Originaldokumenten, fiktiven Dialogen und den Meinungen von Zeitgenossen zusammengefügter Text verfranst sich im militärpolitischen Apparat der KPD, in den stalinistischen Terrorjahren und schließlich im Stasi-Sozialismus der DDR. Demgegenüber bleiben das Hitlerianertum der Hammerstein-Freunde Otto Wolff oder Edwin Bechstein eigentümlich blass. Für den nazistischen Terror interessierte sich Enzensberger noch nie besonders.
Im Jahr 1930 stieg Kurt von Hammerstein zum Chef der Heeresleitung auf, also zum obersten Soldaten der ersten deutschen Republik. 1933 stellten ihn die Günstlinge Hitlers kalt. Bald drängten sie ihn aus dem Amt. Seit 1928 hatte Hammerstein die geheimen, nach dem Versailler Vertrag verbotenen deutsch-sowjetischen Rüstungsprojekte forciert. Als sein Schwiegervater, General Walther von Lüttwitz, 1919 den Kapp-Putsch in führender Funktion anzettelte, verweigerte Hammerstein die Gefolgschaft und brach mit ihm für immer. Von Lüttwitz, der nach dem gescheiterten Staatsstreich in den Untergrund abtauchte, bemerkte über seinen Schwiegersohn: „Er wurde nach dem Kriege Opportunist, und da stießen wir aufeinander.”
Hammerstein litt stets an Geldmangel, liebte Cognac und gute Zigarren. Er zog die Jagd dem Aktenstudium vor, pflegte einen mäßigen Antisemitismus („Hoffentlich werden wir Hitler bald los, damit ich wieder auf die Juden schimpfen kann”) und erfreute sich bewundernswerter Intelligenz. Sie minderte seine Entschlossenheit, und das in einer Zeit, in der Entschlossenheit von Ernst Jünger bis Bert Brecht, von Adolf Hitler bis Clara Zetkin als die einzig wahre Tugend galt. Folgt man der These, die Weimarer Republik sei an denjenigen zugrunde gegangen, die sich vor dem Entschlossenheitswahn ekelten und deshalb unentschlossen wurden, dann gehörte Hammerstein zu den herausragenden Repräsentanten dieser Spezies. Er verkörpert den tragischen Helden Tatenlos. Das Tempo und der (national-) revolutionäre Wille der Zeit ließen ihn erstarren und knapp bemerken: „98 Prozent des deutschen Volkes sind eben besoffen.”
Hammerstein blieb nüchtern und tat nichts. So wurde er auf verhängnisvolle Weise schuldig, weil er 1933 seine Machtposition als Chef der Heeresleitung nicht zum Schutz der Republik nutzte. An diesem Punkt versagt Enzensberger. Schilderte er seine früheren Helden, vom kubanischen Kommunisten Castro bis zum spanischen Anarchisten Durruti, mit starken Sichteinschränkungen auf dem linken Auge, so erblindet er nun auf dem rechten. Seine Darstellung der Weimarer Republik muss jedem geschichtskundigen Leser auf die Nerven gehen. Diese Republik sei, so behauptet Enzensberger, von „Politikern des Mittelmaßes” beherrscht und „von Anfang an eine Fehlgeburt” gewesen. Die Republik sei von außen (Polen und Frankreich) und von innen („Militante auf beiden Seiten”) in die Zange genommen worden – und an diesen „Schrecken” gescheitert.
Zur Erinnerung: Der Weimarer Staat widerstand immerhin den Putschversuchen von Leuten wie Luxemburg, Lüttwitz oder Hitler. Demokratische Politiker verschafften der Zentralregierung zum ersten Mal in der deutschen Geschichte eine eigene Finanzverwaltung und Steuergesetzgebung (Bismarck hatte das nie vermocht); sie stabilisierte die Reichsmark nach der infolge der deutschen Kriegsschulden unausweichlichen Inflation mit Erfolg; mittels einer Sondersteuer für die (von der Inflation verschonten) Grundeigentümer setzten sie einen sozialen Wohnungsbau ins Werk, der heute zum Weltkulturerbe gehört; ob in Heidelberg, Köln, Berlin oder Leipzig standen demokratisch gesonnene Polizeipräsidenten, Richter und Oberbürgermeister ihren Mann; Juden wurden zu Tausenden in den höheren Staatsdienst aufgenommen, illegale Zuwanderer naturalisiert; die Zahl der Abiturienten und Hochschulabsolventen verdoppelte sich dank der bildungspolitischen Anstrengungen. In altvertrauter Überheblichkeit macht sich Enzensberger über diese Republik her, beschreibt sie unter dem Stichwort „Agonie” als in „geradezu libanesischen Formen” gespalten. Die „politische Klasse” schildert er als unfähigen Haufen, der „zwischen Panik und Lähmung lavierte”.
Auch literarisch versagt Enzensberger vor dem vielversprechenden Stoff. Die unendlichen Zitatenfolgen, die eitlen fiktiven Interviews des Schriftstellers „E.” mit den im Leben meist tragisch gescheiterten Toten des vergangenen Jahrhunderts wirken spröde und gestellt. Immer wieder beteuert „E.”, er sei Schriftsteller und werde gewiss auch Fehler machen, obwohl er nicht glaube, dass „wir” Heutigen uns beispielsweise an der bis zu ihrem Tod 2001 gläubigen Kommunistin Helga von Hammerstein „ein Beispiel nehmen können”.
Enzensberger gelingt es, einem spannenden Stoff die Spannung zu nehmen. Um diese literarische Schwäche seines Textes zu vertuschen, schneidet er die Szenen nach dem Muster Guido Knopps schnell und hart gegeneinander. Zwischendrin lässt er sein altbekanntes Sendungsbewusstsein aufscheinen. Angeblich trieben ihn anno 2002 „gespenstische Erinnerungen” um, weil sich die Regierung Schröder/Fischer damals nicht hinter George Bushs Irak-Krieg gestellt habe, sondern in den antiwestlichen „Jahrhundert-Taumel” zurückgefallen sei. Enzensberger kennzeichnet diese politische Entscheidung mit derselben rechthaberischen Unbedingtheit, mit der er in der Achtundsechzigerzeit ein Stipendium in den „imperialistischen” USA aufkündigte, um sich ins „befreite” Kuba zu begeben.
Enzensbergers Buch über die Familie von Hammerstein schwankt zwischen politischem Manifest und Altherren-Räsonnement, zwischen respektablem Sammlerfleiß und mangelhafter literarischer Verarbeitung. Warum das so ist, erschließt sich in der Danksagung. Dort würdigt der Autor ausgiebig seinen „unentbehrlichen” Rechercheur, den Hamburger Kommunismushistoriker Reinhard Müller, und fährt fort: „Ebenso unverzichtbar wird seine Mitwirkung an einer Verfilmung der Hammerstein-Geschichte sein, sofern es dazu kommen sollte.” Enzensberger hat keinen Roman geschrieben, sondern ein Drehbuch entworfen. Das Genrebild einer fürstlichen Treibjagd erscheint schon recht gelungen („Wieder erklangen die Jagdhörner, die Strecke wurde von den Förstern ‚verblasen’.”).
An den bislang witzfreien Dialogen könnte noch gearbeitet werden. Schließlich erfordert die Geschichte, damit sie wirklich „eine sehr deutsche Geschichte” wird, noch erhebliche Zutaten auf der rechten Seite, die linke könnte dafür abgespeckt werden. Das vorausgesetzt, ist ein großartiger, von Hans Magnus Enzensberger verdienstvoll geförderter Film über die Hammersteins zu erwarten – und abzuwarten. Die Vorarbeiten für ein Drehbuch sind nicht für das lesende Publikum gedacht. Sie ermüden, selbst dann, wenn der Stoff glänzend gewählt ist. GÖTZ ALY
HANS MAGNUS ENZENSBERGER: Hammerstein oder der Eigensinn. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 376 Seiten, 22,90 Euro.
Hammerstein litt stets an Geldmangel, liebte Cognac und gute Zigarren.
Hammerstein blieb nüchtern und tat nichts. So wurde er auf verhängnisvolle Weise schuldig.
Freiherr Kurt von Hammerstein beim Morgenritt mit seiner Tochter im Jahre 1930 Foto: Ullstein
Kurt von Hammerstein (rechts) mit Generaloberst Wilhelm Heye Foto: Ullstein
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Gewiss, im engeren Sinne Neues erfährt man nicht in Hans Magnus Enzensbergers literarisierter historischer Recherche, so der Rezensent Ulrich M. Schmid. Ein sehr lesenswertes Buch ist es dennoch. Weil zum einen das Interesse an den zwölf Schreckensjahren nie versiegen wird und darf. Und weil die Familienkonstellation der Familie Hammerstein-Equord doch vieles an Typischem wie auf spannende Weise Untypischem versammelt. Einer, der bei den Nazis nicht mitmachen will, ist Kurt von Hammerstein, der 1934 als Chef der Heeresleitung der Wehrmacht zurücktritt. Anders als zwei seiner Töchter hat er natürlich nicht die mindesten kommunistischen Neigungen, aber mit manchem Vertreter des Widerstands ist er befreundet. Enzensberger schildert das in Fakten und in einem Stilmittel der Fiktion, das eine lange historische Tradition hat: in Totengesprächen, in denen er seinen Dialogpartnern Erfundenes, aber Plausibles in den Mund legt. Der Rezensent bescheinigt dem Autor eine "subtile Regie" des aus unterschiedlichem Material komponierten Textes und weiß auch den Enzensberger-typischen "Blick des Unaufgeregten" sehr zu schätzen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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