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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2004

Der urdeutsche Sport in allen denkbaren Schattierungen

In "Handball - eine deutsche Domäne" legt der 36 Jahre alte Erik Eggers ein Buch vor, das man ohne Übertreibung als erstes Standardwerk dieser Sportart bezeichnen kann. Es gehört in den Bücherschrank des Handballfans. Als Nachschlagewerk und Lesevergnügen. Das hat viele Gründe. Eggers hat sich als Sporthistoriker einen Namen gemacht, vor allem im gut ausgeleuchteten "großen Bruder" Fußball. Im Handball war die Quellenlage dünn. Herausgekommen ist ein Buch, das diesen urdeutschen Sport in allen denkbaren Schattierungen zeigt: die bislang kaum bekannten Anfänge als Raff- und Torball. Die Blütezeit in der Weimarer Republik. Die willfährige Vereinnahmung durch die Nazis. Die Schwierigkeiten in der Umbruchphase vom Feld- zum Hallenhandball. Die spektakulären deutsch-deutschen Duelle. Die Triumphe von 1978 und 2004.

Eggers bettet den Handball in ein Jahrhundert deutscher Gesellschaftsgeschichte ein. Er betrachtet den Sport vor dem historischen Hintergrund und ergeht sich doch nie in der bloßen Abhandlung recherchierter Fakten. Hinzu kommen kürzere Elemente: Vereinsporträts großer (und neuer) Klubs von FA Göppingen bis HSV Hamburg, zum Teil glänzend geschriebene Stücke über die großen Spieler wie Kempa und Dahlinger, Lübking und Hansi Schmidt, Wunderlich und Deckarm, Schwarzer und Kretzschmar. Hierfür hat Eggers erfahrene Handballjournalisten gewonnen, die dem Buch auch im Stil Abwechslung geben. Eggers ist meinungsfreudig. Er scheut kein Urteil. So bleibt sein Werk nie im Ungefähren stecken. Er berichtet von der Vermännlichung des Handballs in den zwanziger Jahren, der doch eigentlich ein sanfter Frauensport sein sollte. Er erzählt, warum Handball in der Weimarer Republik so interessant wurde: "Er erfüllte alle Anforderungen, die ein deutscher Sportler zu Beginn der zwanziger Jahre an eine Sportart stellte: (. . .) Härte, Aggressivität, Dynamik und Schnelligkeit." Es sollte ein Gegenentwurf zum verhaßten englischen Profisport werden - das Nationalspiel des deutschen Volkes. Dabei war "Handball als urdeutscher Sport nur reine Propaganda", so Eggers. Die Wurzeln liegen in Skandinavien und der ehemaligen Tschechoslowakei. Wer genau den Handball Ende des 19. Jahrhunderts erfand, weiß aber auch Eggers nicht.

Der Mißbrauch des Sports im Nazi-Deutschland läßt sich am Handball beispielhaft ablesen: Richard Herrmann, der Fachamtsleiter Handball ("Handballführer"), sei ein "strammer Nazi wie kaum ein anderer hoher Sportfunktionär des Dritten Reichs" gewesen, schreibt Eggers. Später, 1949 bei der Gründung des Deutschen Handball-Bundes (DHB), habe eine Auseinandersetzung mit der braunen Vergangenheit schlichtweg nicht stattgefunden. Es wird deutlich, daß Handball nach der zunehmenden Brutalisierung des Spiels und der Deckarm-Verletzung nicht mehr in eine "zunehmend pazifistische Welt", die Zeit der Friedensbewegung und der antiautoritären Erziehung der siebziger Jahre paßte. Regeländerungen kamen, um das Spiel schneller, fairer, weniger statisch zu machen, bis zur schnellen Mitte von heute.

Wie das wichtige Werk von Eggers ist auch die von Frank Schneller aufgezeichnete Autobiographie Heiner Brands ("Inteam") eine Fleißarbeit des Autors. Die Stärke des Buches ist seine Vielseitigkeit: Allein die langen Interviews Schnellers mit Brands Frau und den beiden Kindern lohnen die Lektüre. Denn sie verdeutlichen die Schattenseiten eines Familienlebens ganz im Zeichen des Handballs. Brands Sohn Markus erzählt vom schwierigen Verhältnis zu seinem Vater, gemeinsam scherzt die Familie, wie wenig Brand sich in der Musik- oder Kinoszene auskennt, aber gern so tut, als täte er es doch.

Wer reingewaschene Sportlerbiographien liest, die nur der Idolisierung dienen, wird sich bei "Inteam" wundern: Heiner Brand hat genug unsympathische Seiten, und die werden in diesem Buch deutlich. Ebenso seine Werte: Disziplin, Ordnung, Ehrlichkeit. Die gelten für die Familie (wiewohl die Macht das Paschas schmilzt und es sich wunderbar liest, daß im Hause Brand geraucht wird, wenn er nicht da ist, oder die Schuhe anbehalten werden, auch wenn der Vater es nicht mag) und erst recht für seine Mannschaften. Brand will eine klare Hierarchie in seinem Team. Erst als die durch seine "Lieblinge" Schwarzer, Kretzschmar, Petersen als Führungsfiguren im Nationalteam herausgebildet war, kamen die großen Erfolge. Eine schlichte, aber erfolgreiche Philosophie.

Seine schon legendäre oberbergische Sturheit beschreibt sein ehemaliger Assistenztrainer Bob Hanning so: "Die kürzeste Brandsche Einheit des Verzeihens sind drei Jahre und 224 Tage." So lange dauerte es, bis Brand Rückraumspieler Thomas Knorr wieder nominierte - Knorr hatte Brand einmal enttäuscht, als er eine Zeitlang nicht mehr in der DHB-Auswahl spielen wollte.

Heiner Brand sieht sich gern als Mitverantwortlicher für das Große, Ganze im deutschen Sport. Wie bei den Olympischen Spielen in Sydney, als ein Reporter ihn fragte, was er denn vom Auftritt des deutschen Softball-Teams halte. Brand überlegte kurz und sagte: "Ich glaube, damit können wir recht zufrieden sein." Brand ist Vorsitzender des Beirats aller Bundestrainer. Eine Softball-Auswahl war in Sydney aber nicht am Start.

FRANK HEIKE

Besprochene Bücher: Erik Eggers (Hg.): "Handball. Eine deutsche Domäne", Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2004, 384 Seiten, 21,90 Euro.

Heiner Brand mit Frank Schneller: "Inteam", Verlag Wero Press, Pfaffenweiler 2004, 344 Seiten, 19,95 Euro.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Herausgeber dieses Handball-Kompendiums, Erik Eggers, hat anscheinend alles richtig gemacht. Der Rezensent mit dem Kürzel "hgt" kann jedenfalls nichts Negatives daran entdecken: die derzeitigen Kultiguren wie Heiner Brand oder Stefan Kretzschmar haben ihre "angemessene Rolle" erhalten, die jüngsten deutschen Handballerfolge werden gewürdigt, Statistiker kommen auch auf ihre Kosten, der Niedergang der Spitzenvereine in der ehemaligen DDR wird analysiert und sogar das "dunkle Kapitel" deutscher Handballhistorie wird beleuchtet. Früher wurde Handball übrigens noch auf dem Fußballfeld gespielt. Heute ist Handball nach dem Fußball die beliebteste Sportart. "hgt" findet das alles sehr lesenswert.

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