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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.1999

Leichter Freunde gewinnen
Alle Achtung: Wirtschaftsethik rechnet sich / Von Gerd Roellecke

Wirtschaftsethik boomt. Kurse, Tagungen und Kongresse sind ihr gewidmet. Die professionellen Ethiker haben sich ihrer angenommen. Und jetzt ein vierbändiges Handbuch, repräsentativ aufgemacht, in sanftem Kirschrot, geeignet für das Bücherregal eines Chefzimmers, sei es einer Unternehmens- oder einer Gewerkschaftszentrale. Die "Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft", eine katholische Gründung aus der Zeit des Kulturkampfes, die jüngst schon ein Nachschlagewerk zur Bioethik vorgelegt hat (F.A.Z. vom 10. Juli), hat einige hoch angesehene Wissenschaftler zusammengerufen, die ein nach Form und Inhalt meisterliches Werk vorgelegt haben.

Ein Handbuch ist kein Lexikon, also nicht alphabetisch, sondern systematisch angelegt. Aber dieses Handbuch lässt sich wie ein Lexikon nutzen. Personen- und Sachregister umfassen fünfundsiebzig zweispaltig bedruckte Seiten, die Inhaltsverzeichnisse achtundfünfzig. Wie Stichproben ergaben, alles zuverlässig. Eine klare und sorgfältige Einführung umreißt das Problem und die Einteilung der Bände. Im ersten Band geht es um das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik, um Eigentum, Arbeit, Technik, Religion und um die Zuordnung von Ethik und wirtschaftlicher Einstellung (Ökonomik), im zweiten Band um Normen, Institutionen und Wirtschaftsordnungen wie Marktwirtschaft und Planwirtschaft bis zur Welthandelsorganisation, im dritten um Betriebswirtschaft und im vierten um "Ausgewählte Handlungsfelder" von Arbeitslosigkeit über Korruption, Kunst und Schattenwirtschaft bis zur Wirtschaftskriminalität. Man kann das Werk als Handbuch der Wirtschaftswissenschaften unter besonderer Berücksichtigung der Ethik lesen und wird glänzend bedient. Die Ethik stört nicht nur nicht, sie eröffnet neue Sichtweisen.

So ist nicht selbstverständlich, dass eine wirtschaftswissenschaftliche Darstellung der Korruption einen eigenen langen Abschnitt widmet. Die Wirtschaftswissenschaften sind schließlich auf die normative Normalität der Verhältnisse angewiesen und können daher normwidriges Verhalten schlecht verarbeiten. Der Homo oeconomicus darf nicht gegen seine eigenen Interessen verstoßen und muss ein anständiger, fairer Mensch sein. Sonst funktioniert das Modell nicht. Man spürt das auch an diesem Korruptionsartikel. Selbstverständlich berichtet er über unterschiedliche Einschätzungen der Korruption, insgesamt hält er sie aber für verwerflich. Er sieht zwar, dass Korruption die Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre voraussetzt, indessen nicht, dass die Verwerflichkeit der Korruption ebendeshalb von der Qualität jener Unterscheidung abhängt. Wenn das Öffentliche das Private unangemessen belastet, kann Korruption ein Ausweg sein, der der Stabilisierung des gesamten Systems dient. Ein Beispiel ist das Bestechungswesen im England des achtzehnten Jahrhunderts. Der König bestach die Abgeordneten, und die Abgeordneten bestachen die Wähler. Aber dadurch erhielten auch vermögenslose Politiker Karrierechancen. Das Bestechungswesen war eine Vorform unserer heutigen Parteienfinanzierung. Das ist freilich nicht mehr die Perspektive des Handbuches. Das Handbuch meint, die Konflikte, die sich aus der Unterschiedlichkeit so lobenswerter gesellschaftlicher Ziele wie Gerechtigkeit, Wahrheit, Wohlstand, Liebe und Sicherheit ergäben, ließen sich ethisch bewältigen. Ob das möglich ist, hängt davon ab, was Ethik ist.

Was Ethik ist, sagt das Handbuch jedoch nicht. Die Herausgeber sprechen von einer "Pluralität an ethischen und ökonomischen Ansätzen". Schaut man genauer hin, bleibt von den ethischen Ansätzen die Behauptung übrig, es gebe so etwas wie Ethik. Der Bonner Philosoph Wolfgang Kluxen modernisiert Ethik zum "Ethos als sittliche Verfasstheit einer Gemeinschaft", und der Münchner Ökonom Karl Homann sieht zwischen Ethik und Ökonomik keinen prinzipiellen Unterschied mehr, weil beide darauf zielten, die Individuen zu einem vernünftigen Handeln "anzureizen". Die Gegensätzlichkeit dieser Ansätze macht verständlich, warum Niklas Luhmann meinte, dass Wirtschaftsethik "zu der Sorte von Erscheinungen gehört wie auch die Staatsräson oder die englische Küche, die in der Form eines Geheimnisses auftreten, weil sie geheim halten müssen, dass sie gar nicht existieren". Im Handbuch nimmt die Geheimhaltung die Form eines Pluralismus an, der einem nach Orientierung lechzenden Leser verglichen mit dem "Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein" etwas unethisch erscheint. Aber so leicht lässt sich das Thema nicht vom Beratungstisch wischen.

Der Abschnitt "Unternehmensethik" vereinfacht die Frage nach der Ethik, indem er von der gesamtgesellschaftlichen zur Perspektive des Handelnden wechselt. Dort wird Ethik auch präzisiert, allerdings negativ: "Genuin unternehmensethische Fragestellungen können nur auftreten, wenn das Handeln in und von Unternehmungen nicht durch wirtschaftliche, rechtliche und andere Rahmenbedingungen vollständig determiniert ist." Ethisch kann also nur etwas sein, das nicht rechtlich, wirtschaftlich oder sonst wie vorgegeben ist. Das ist zwar eine rumplige Logik, aber sie weist in die richtige Richtung: auf die Person. Die Person stört in allen Organisationen und Systemen. Als Unzuverlässigkeit von Mitarbeitern ist den Unternehmen das Problem längst bekannt. Vor etwa hundert Jahren hat man geglaubt, man könne es mit schärferer Kontrolle und Disziplinierung lösen. Aber das funktionierte nicht. Dann hat man versucht, größere Arbeitsfreude anzuregen. Diese Human-Relations-Bewegung endet jedoch in "Kraft durch Freude". Spinnt man diesen Faden weiter, wäre Unternehmensethik eine moderne Allzweckwaffe, mit der man Mitarbeiter auf ihre Arbeitsplätze festnageln, öffentliche Proteste zurückweisen, Schadenersatzansprüche vermeiden und die Kosten für die Nutzung öffentlicher Güter abschätzen könnte. Einer solchen Unternehmensethik fehlte zwar die "Sittlichkeit", also das Handeln nur aus Achtung vor dem Gesetz. Es ginge ihr nur um den Vorteil des Unternehmens. Gleichwohl wäre sie auch gesamtgesellschaftlich nützlich, weil sie das Unkalkulierbare kalkulierbar machen könnte.

Wie für die Unternehmen, könnte man auch für die Wirtschaft insgesamt argumentieren. Wirtschaftsethik füllte dann den Rahmen aus, den Recht, Technik und Ressourcen setzen. Leider unterscheiden sich Unternehmen und Wirtschaft in einem wesentlichen Punkt. Der Rahmen für Unternehmensentscheidungen ist relativ stabil und übersichtlich. In den Märkten können sich die Unternehmen leicht wiedererkennen. Für die Wirtschaft insgesamt gibt es zwar Konkurrenz - Recht, Politik, Wissenschaft, Familie -, aber keinen Markt. Wie sich die Wirtschaft zu Recht, Politik, Wissenschaft und so weiter verhält, wissen wir nicht. Fest steht allein, dass alle wirtschaftlich Handelnden auf ihre Kosten kommen müssen. Sonst ist ihre Existenz bedroht. Gegen diese einfache Einsicht ist mit Ethik nichts zu machen. Gesamtgesellschaftlich funktioniert Wirtschaftsethik nur, wenn sie kostenneutral ist. Aber dann ist sie eigentlich entbehrlich. Also bleibt die betriebswirtschaftliche Sicht, "Kraft durch Ethik" sozusagen. Aber bei unternehmensethischen Diskussionen ist Vorsicht angeraten. Nicht alles ist Ethik, was so firmiert. In Ethik-Kommissionen ist sie Recht, das das Licht der Gesetzgebung scheut.

Von Haus aus ist Ethik die Lehre von den Regeln, nach denen man persönliche Achtung gewinnen oder verlieren kann. In der Moderne hat sie die Form von Moral angenommen. Sie will das unbedingt Gute. Das hat zwei Nachteile. Erstens bindet Ethik die Beteiligten fester als Recht oder Standortbedingungen. Sie kennt weder Rechtsschutz noch Fristen oder andere Einschränkungen. Wer einmal einen ethischen Satz aufgestellt hat, kommt davon ohne Glaubwürdigkeitsverlust so schnell nicht wieder herunter. Das kann teuer werden. Da Ethik mit moralischen Ansprüchen auftritt, ist sie zweitens so streiterzeugend wie Moral. Achtung ist die Voraussetzung jeder Kommunikation. Deshalb ist jede Person existenziell auf sie angewiesen. Bei drohendem Achtungsverlust muss sich die Person daher undifferenziert unter Einsatz ihrer Existenz wehren und letztlich sagen: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Die anderen können aber auch nicht anders. Und schon ist der Streit da. Der Fall Lafontaine ist ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch.

Über die streiterzeugende Wirkung von Ethik findet man in diesem Handbuch natürlich nichts. Wer will davon auch etwas wissen? Das Buch hält Ethik einfach für gut und setzt auf ihre friedenstiftende Wirkung. Aber auch und gerade wenn man diese Einschätzung nicht teilt, amortisiert sich die Anschaffung des Werkes schnell. Es hilft, sich auf ethische Diskussionen einzustellen, ist eine Fundgrube für typische ethische Argumentationsmuster und kann dazu beitragen, ethische Diskussionen erheblich abzukürzen. Das Handbuch ist die Axt im Hause jedes Unternehmers, Gewerkschaftsfunktionärs oder Politikers.

"Handbuch der Wirtschaftsethik". Vier Bände. Hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft von Wilhelm Korff, Alois Baumgartner, Hermann Franz, Joachim Genosko, Karl Homann, Christian Kirchner, Wolfgang Kluxen, Hans-Ulrich Küpper, Arnold Picot, Trutz Rendtorff, Rudolf Richter, Hermann Sautter, Otto Schlecht. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1999. 2924 S., geb. im Schuber, Subskriptionspreis bis 21. 12. 1999 598,- DM, danach 698,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Karen Horn zeigt sich äußerst angetan von dieser Edition: "In seiner Breite und Tiefe ist das Werk ein Meilenstein", findet sie und weiß besonders zu schätzen, dass hier nicht nur einiges an Wissen vermittelt wird, sondern auch Wertungen, Abwägungen und "Exkurse in die geschichtlichen Ursprünge" nicht zu kurz kommen. Dass auch Konflikte zwischen einzelnen Standpunkten offen zu Tage treten (etwa bei der Frage nach Gerechtigkeit und Chancengleichheit), scheint für sie der Qualität dieser Edition keinen Abbruch zu tun. Ausführlich listet Horn in ihrer Rezension die Schwerpunkte der einzelnen Beiträge der verschiedenen Bände auf, wobei sie besonders Peter Koslowskis Text zur "Shareholder-Value-Orientierung" als sehr "spannend" zu lesen hervorhebt. Insgesamt lobt sie die Auswahl und Kompetenz der Autoren und weist nicht zuletzt auf das "vorbildliche" und recht umfangreiche Stichwortverzeichnis dieses Handbuchs hin.

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