Geboren ist Vladimir Girshkin in Leningrad, mit zwölf kam er nach New York. Jetzt ist er 25 und fragt sich, ob sein Job im Emma-Lazarus-Verein zur Förderung der Immigrantenintegration tatsächlich das Ziel seiner gesammelten Anpassungsstrategien gewesen sein soll. Jedenfalls will er endlich zu Geld kommen. Was liegt da näher, als bei der Russenmafia einzusteigen. Vladimir verlässt New York und stürzt sich in eine aberwitzige Blitzkarriere in Prawa, der Hauptstadt des Wilden Ostens. Und bald sieht es so aus, als fände er hier, was er im reichen Westen vergeblich gesucht hat ...
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Kolja Mensing urteilt zwiespältig über diese "bittere Komödie voll spätpubertärer Verzweiflung und jüdischem Selbsthass". Immerhin fühlt sich der Rezensent von dem amerikanischen, aus Russland eingewanderten Schriftsteller Gary Shteyngart gut unterhalten - und das ist ja auch schon einmal nicht wenig. Die "Aufzeichnungen eines Pointenjägers", wie Mensing das Buch umschreibt, lesen sich seiner Meinung nach jedenfalls sehr leichtgängig. Da fallen die Schwächen des Romans gar nicht gleich auf. Wenn man genauer hinsieht, kommt man aber nach Mensings Meinung nicht um die Feststellung herum, dass das Fundament "etwas wacklig geraten" ist. Er versteht zumindest nicht, was den Protagonisten antreibt, in amourösen ebenso wie in lebensgestalterischen Fragen: "Vielleicht sind es tatsächlich nur die wahnwitzigen äußeren Umstände und die strukturellen Anforderungen eines Happy Ends", die der Geschichte ihre Form geben. Mit dem Ende ist Mensing jedenfalls gar nicht zufrieden. Doch wenn man den letzten Absatz nicht liest, kann man den Roman zumindest unterhaltsam finden: "Danach ist er nur noch kitschig".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2003Auf einem geflügelten Löwen durch die Lüfte
Im "Handbuch für den russischen Debütanten" erzählt Gary Shteyngart von der Macht der Klischees / Von Verena Lueken
Von der Möglichkeit, der Freiheit und der Zumutung, sich seine Identität selbst zu erschaffen, handelt nahezu die gesamte amerikanische Literatur, von den praktischen und seelischen Verkrümmungen, die im Reich der Oligarchen die Währung des Überlebens sind, ein großer Teil der russischen. Von selbstgewissen Intellektuellen, deren Lebensraum der Campus ist und die ihre Lehrstühle zu diskursmächtigen Kommandozentralen über immer kleinere Forschungsgebiete aufrüsten, erzählen einige Dutzend Romane der vergangenen fünfzig Jahre, von der ungezähmten Kapitalakkumulation nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wird es bald eine ebenso große Zahl sein. Nicht viele Bücher aber kreisen um all dies auf einmal - so wie das "Handbuch für den russischen Debütanten" von Gary Shteyngart.
Am Anfang wird Vladimir, der Held des Romans, fünfundzwanzig Jahre alt. Am Ende dreißig. Die fünf Jahre und annähernd fünfhundert Seiten, die zwischen den beiden Geburtstagen liegen, verbringt der russisch-jüdische Immigrant aus New York mit einer Éducation sentimentale, die ihren Ausgangspunkt in der Hoffnung auf nahtlose Assimilation und eine ungespaltene Identität nimmt und ihren Abschluß im Albtraum des Gelingens findet: Vladimir, das allseits reduzierte amerikanische Ich.
Das ist natürlich ein Klischee. Alles ist Klischee in diesem Buch, das der 1972 in Leningrad, sieben Jahre später mit seinen Eltern nach New York ausgewanderte Roman-Debütant Gary Shteyngart vorlegt, sein Amerika, sein Rußland, seine linken Großmäulchen im Westen, seine Mafiosi im Osten, die Fluchtbewegungen wie die Sehnsucht nach Dazugehörigkeit, die den Einwanderer treibt. Aber nur, wer behauptet, daß diese Klischees mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben, wird dem "Handbuch" vorwerfen, das sei zu wenig.
In einem Tempo, bei dem der Erzähler einige Nebenfiguren erschöpft an den Ufern des Handlungsstroms zurückläßt, und mit Witz und Scharfsinn, die unter anderem an Gogol, an Don DeLillo und am frühen Woody Allen geschult sind, treibt Shteyngart seinen Helden von dessen Schreibtisch im Emma-Lazarus-Verein zur Förderung der Immigrantenintegration in die Arme seiner Freundin Challah, einer Domina mit schweren Brüsten, die trotz ihrer Tätigkeit in großstädtischem Gewerbe ihre Herkunft aus der Provinz nicht verhehlen kann. Fast direkt aus ihrem Bett, das im East Village steht und über das eines Abends ein großes Insekt kriecht, katapultiert Shteyngart Vladimir ins gut ventilierte Penthouse des verrückten Russen Rybakow, der Amerikaner werden will. Rybakow hat einen Sohn, der sich, wie offenbar viele Waffenhändler, "Murmeltier" nennt und im weiteren eine folgenschwere Rolle spielen wird.
Endgültig fort von Challah und heraus aus der Immigrantenszene, läßt Shteyngart Vladimir sodann betrunken in die liberalen Kreise einer Professorenfamilie mit exaltierter Tochter an der New Yorker Upper East Side gleiten, jagt ihn von dort nach Miami in der Hoffnung auf schnelles Drogengeld, die Vladimir fast den Tod beschert, und setzt ihn schließlich in ein Flugzeug nach Prawa, dem "Paris der neunziger Jahre", mitten ins Herz der Russenmafia und internationalen Möchtegern-Bohème. Lauter Gegenwelten, in denen die offizielle Wirklichkeit keine Freunde hat.
Bis dahin war Vladimir, von kleinwüchsiger Gestalt und ein wenig kränklich, passiver, als es sich für einen Romanhelden gehört. Jetzt dreht er auf. Er gründet in Prawa nicht nur die Prawa-Invest, in der aufbaugierige Exilanten ihre Vermögen begraben und damit Vladimirs Lebensstil einen deutlichen Schub ins Hochpreisige verpassen, sondern auch ein "Litmag", ein Literaturmagazin für postmodernes Gebrabbel. So wird Vladimir auf der Stelle zum Star in der amerikanischen Exil-Poetenszene, was ihn zum einen den schönen Frauen näher bringt, als er es sich erträumte, zum anderen seine street credibility um einiges erhöht.
Ein Roman also von den Sehnsüchten nach einem Leben ohne Ausschlußklauseln, das auch in Prawa nicht länger als für ein paar Stunden zu haben ist. Denn Prawa, wo das Bier "Unesko" heißt, ist, ähnlich wie Jonathan Franzens Litauen der "Korrekturen", das Reich des Murmeltiers. Das wußte Vladimir, bevor er sich den Günstlingsstatus ermogelte. Er wußte nur nicht, was es bedeutet.
Ebenso wie auf der Suche ist Vladimir ständig auf der Flucht, vor seinen Frauen, seinen Gläubigern, vor denen, die er betrogen hat, wie vor denen, die die Betrogenen rächen. Zuallererst aber ist er auf der Flucht vor seiner Mutter. Sie macht sich Sorgen, daß Vladimir die "Hüften eines Homosexuellen" und den Gang eines Juden hat, einen Gang wie aus "Anatevka" oder dem Ghetto in Vilnius. Was soll aus dem Jungen nur werden? Ein Anwalt, hofft die Mutter, die es als Geschäftsfrau zu Ansehen gebracht hat und als Vollblutrassistin an der Wall Street einzig mit den Gepflogenheiten des politisch Korrekten hadert. Irgend etwas, das die Mutter zum Schweigen bringt, hofft der Vater, weil er müde ist, erschöpft von der erbarmungslosen Kraft seiner Frau, die mühelos den Übergang von einer "Alpha-Bäuerin" zu einer "Alpha-Immigrantin" schaffte. "Im Widerspruch zur Flüchtlingscharta deiner Mutter", das hätte er seinem Sohn gern gesagt, "ist es vollkommen in Ordnung, geringer zu sein als dein Nachbar." Doch er schwieg, und Vladimir erfuhr nie, daß sein Vater in einem New Yorker Vorort davon träumte, "wie sie auf einem geflügelten assyrischen Löwen über den Antennen und Stacheltürmen dieses unschönen Landes durch die Lüfte sausten".
Vladimir hebt niemals ab. Er läßt sich treiben, vom deprimierendsten aller Klischees über Amerika, der bodenlosen Gier, die unterschiedslos auf alles ihre Pranken legt, auf die Liebe wie die Anerkennung, den Erfolg, und die mehr noch als all dies das Geld meint, den größten Klotz im Ego-Bausatz. Geld oder Tod, darauf spitzt sich diese Existenz zu: eine wahrhaft schäbige Schwundform des Traums von Gottes Land.
Mit einem Bein im Westen, einem im Osten, so steht Vladimir in der Welt, und so liest sich dieser Roman: eine tragikomische Groteske von den brachen Schlachtfeldern des Kalten Kriegs, eine Satire aus tief zerrissener Seele über den irrwitzigen Aufstieg und Fall eines russischen Juden in der neuen und der neuesten Welt, die die alte ist.
Beide Welten und auch, wie sie von anderen beschrieben wurden, kennt Shteyngart genau. Sein Ton fängt alles auf, was durch ihre porösen Oberflächen tropft, ein bißchen Verachtung für den Besitzlosen hier, ein wenig exilsentimentale Verzückung über seinen Akzent dort, ein paar Einheiten echten Wahnsinns und auch eine Dosis unverstellter Erschütterung. Bei allem Humor macht Shteyngart keine Witze. Wenn man ihm glaubt, ist keine der Welten, aus denen er erzählt, zu retten und sein immer wieder umwerfend komisches "Handbuch für den russischen Debütanten" trauriger als jeder Novembertag.
Die beiden Übersetzer, Christiane Buchner und Frank Heibert, verwenden viel Phantasie, um die verschiedenen Jargons, zwischen denen Shteyngart wechselt, ins Deutsche zu bringen, den Tonfall der Eltern Vladimirs, der New Yorker Sozialarbeiter und Kulturwissenschaftler, der Exildichter und Mafiosi, und widerlegen damit den Verdacht, der trockene Witz einer genauen Beobachtung sei aus dem knappen Englischen nicht ohne Espritverlust ins schwerfälligere Deutsch zu übertragen. An ihnen liegt es also nicht, wenn am Ende des "Handbuchs" doch etwas fehlt. Ein wenig Fleisch und Blut vielleicht in all dem perfekten komischen Timing, das Vladimir ins Herz der Finsternis, ins mittlere Ohio trägt, ein Wimpernschlag Leben für den Helden, der nach all seinen Abenteuern zu Hause genau das wird, wovor er geflohen war, das Klischee des Immigranten mit geklontem Ich.
Gary Shteyngart: "Handbuch für den russischen Debütanten". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christiane Buchner und Frank Heibert. Berlin Verlag, Berlin 2003. 492 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im "Handbuch für den russischen Debütanten" erzählt Gary Shteyngart von der Macht der Klischees / Von Verena Lueken
Von der Möglichkeit, der Freiheit und der Zumutung, sich seine Identität selbst zu erschaffen, handelt nahezu die gesamte amerikanische Literatur, von den praktischen und seelischen Verkrümmungen, die im Reich der Oligarchen die Währung des Überlebens sind, ein großer Teil der russischen. Von selbstgewissen Intellektuellen, deren Lebensraum der Campus ist und die ihre Lehrstühle zu diskursmächtigen Kommandozentralen über immer kleinere Forschungsgebiete aufrüsten, erzählen einige Dutzend Romane der vergangenen fünfzig Jahre, von der ungezähmten Kapitalakkumulation nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wird es bald eine ebenso große Zahl sein. Nicht viele Bücher aber kreisen um all dies auf einmal - so wie das "Handbuch für den russischen Debütanten" von Gary Shteyngart.
Am Anfang wird Vladimir, der Held des Romans, fünfundzwanzig Jahre alt. Am Ende dreißig. Die fünf Jahre und annähernd fünfhundert Seiten, die zwischen den beiden Geburtstagen liegen, verbringt der russisch-jüdische Immigrant aus New York mit einer Éducation sentimentale, die ihren Ausgangspunkt in der Hoffnung auf nahtlose Assimilation und eine ungespaltene Identität nimmt und ihren Abschluß im Albtraum des Gelingens findet: Vladimir, das allseits reduzierte amerikanische Ich.
Das ist natürlich ein Klischee. Alles ist Klischee in diesem Buch, das der 1972 in Leningrad, sieben Jahre später mit seinen Eltern nach New York ausgewanderte Roman-Debütant Gary Shteyngart vorlegt, sein Amerika, sein Rußland, seine linken Großmäulchen im Westen, seine Mafiosi im Osten, die Fluchtbewegungen wie die Sehnsucht nach Dazugehörigkeit, die den Einwanderer treibt. Aber nur, wer behauptet, daß diese Klischees mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben, wird dem "Handbuch" vorwerfen, das sei zu wenig.
In einem Tempo, bei dem der Erzähler einige Nebenfiguren erschöpft an den Ufern des Handlungsstroms zurückläßt, und mit Witz und Scharfsinn, die unter anderem an Gogol, an Don DeLillo und am frühen Woody Allen geschult sind, treibt Shteyngart seinen Helden von dessen Schreibtisch im Emma-Lazarus-Verein zur Förderung der Immigrantenintegration in die Arme seiner Freundin Challah, einer Domina mit schweren Brüsten, die trotz ihrer Tätigkeit in großstädtischem Gewerbe ihre Herkunft aus der Provinz nicht verhehlen kann. Fast direkt aus ihrem Bett, das im East Village steht und über das eines Abends ein großes Insekt kriecht, katapultiert Shteyngart Vladimir ins gut ventilierte Penthouse des verrückten Russen Rybakow, der Amerikaner werden will. Rybakow hat einen Sohn, der sich, wie offenbar viele Waffenhändler, "Murmeltier" nennt und im weiteren eine folgenschwere Rolle spielen wird.
Endgültig fort von Challah und heraus aus der Immigrantenszene, läßt Shteyngart Vladimir sodann betrunken in die liberalen Kreise einer Professorenfamilie mit exaltierter Tochter an der New Yorker Upper East Side gleiten, jagt ihn von dort nach Miami in der Hoffnung auf schnelles Drogengeld, die Vladimir fast den Tod beschert, und setzt ihn schließlich in ein Flugzeug nach Prawa, dem "Paris der neunziger Jahre", mitten ins Herz der Russenmafia und internationalen Möchtegern-Bohème. Lauter Gegenwelten, in denen die offizielle Wirklichkeit keine Freunde hat.
Bis dahin war Vladimir, von kleinwüchsiger Gestalt und ein wenig kränklich, passiver, als es sich für einen Romanhelden gehört. Jetzt dreht er auf. Er gründet in Prawa nicht nur die Prawa-Invest, in der aufbaugierige Exilanten ihre Vermögen begraben und damit Vladimirs Lebensstil einen deutlichen Schub ins Hochpreisige verpassen, sondern auch ein "Litmag", ein Literaturmagazin für postmodernes Gebrabbel. So wird Vladimir auf der Stelle zum Star in der amerikanischen Exil-Poetenszene, was ihn zum einen den schönen Frauen näher bringt, als er es sich erträumte, zum anderen seine street credibility um einiges erhöht.
Ein Roman also von den Sehnsüchten nach einem Leben ohne Ausschlußklauseln, das auch in Prawa nicht länger als für ein paar Stunden zu haben ist. Denn Prawa, wo das Bier "Unesko" heißt, ist, ähnlich wie Jonathan Franzens Litauen der "Korrekturen", das Reich des Murmeltiers. Das wußte Vladimir, bevor er sich den Günstlingsstatus ermogelte. Er wußte nur nicht, was es bedeutet.
Ebenso wie auf der Suche ist Vladimir ständig auf der Flucht, vor seinen Frauen, seinen Gläubigern, vor denen, die er betrogen hat, wie vor denen, die die Betrogenen rächen. Zuallererst aber ist er auf der Flucht vor seiner Mutter. Sie macht sich Sorgen, daß Vladimir die "Hüften eines Homosexuellen" und den Gang eines Juden hat, einen Gang wie aus "Anatevka" oder dem Ghetto in Vilnius. Was soll aus dem Jungen nur werden? Ein Anwalt, hofft die Mutter, die es als Geschäftsfrau zu Ansehen gebracht hat und als Vollblutrassistin an der Wall Street einzig mit den Gepflogenheiten des politisch Korrekten hadert. Irgend etwas, das die Mutter zum Schweigen bringt, hofft der Vater, weil er müde ist, erschöpft von der erbarmungslosen Kraft seiner Frau, die mühelos den Übergang von einer "Alpha-Bäuerin" zu einer "Alpha-Immigrantin" schaffte. "Im Widerspruch zur Flüchtlingscharta deiner Mutter", das hätte er seinem Sohn gern gesagt, "ist es vollkommen in Ordnung, geringer zu sein als dein Nachbar." Doch er schwieg, und Vladimir erfuhr nie, daß sein Vater in einem New Yorker Vorort davon träumte, "wie sie auf einem geflügelten assyrischen Löwen über den Antennen und Stacheltürmen dieses unschönen Landes durch die Lüfte sausten".
Vladimir hebt niemals ab. Er läßt sich treiben, vom deprimierendsten aller Klischees über Amerika, der bodenlosen Gier, die unterschiedslos auf alles ihre Pranken legt, auf die Liebe wie die Anerkennung, den Erfolg, und die mehr noch als all dies das Geld meint, den größten Klotz im Ego-Bausatz. Geld oder Tod, darauf spitzt sich diese Existenz zu: eine wahrhaft schäbige Schwundform des Traums von Gottes Land.
Mit einem Bein im Westen, einem im Osten, so steht Vladimir in der Welt, und so liest sich dieser Roman: eine tragikomische Groteske von den brachen Schlachtfeldern des Kalten Kriegs, eine Satire aus tief zerrissener Seele über den irrwitzigen Aufstieg und Fall eines russischen Juden in der neuen und der neuesten Welt, die die alte ist.
Beide Welten und auch, wie sie von anderen beschrieben wurden, kennt Shteyngart genau. Sein Ton fängt alles auf, was durch ihre porösen Oberflächen tropft, ein bißchen Verachtung für den Besitzlosen hier, ein wenig exilsentimentale Verzückung über seinen Akzent dort, ein paar Einheiten echten Wahnsinns und auch eine Dosis unverstellter Erschütterung. Bei allem Humor macht Shteyngart keine Witze. Wenn man ihm glaubt, ist keine der Welten, aus denen er erzählt, zu retten und sein immer wieder umwerfend komisches "Handbuch für den russischen Debütanten" trauriger als jeder Novembertag.
Die beiden Übersetzer, Christiane Buchner und Frank Heibert, verwenden viel Phantasie, um die verschiedenen Jargons, zwischen denen Shteyngart wechselt, ins Deutsche zu bringen, den Tonfall der Eltern Vladimirs, der New Yorker Sozialarbeiter und Kulturwissenschaftler, der Exildichter und Mafiosi, und widerlegen damit den Verdacht, der trockene Witz einer genauen Beobachtung sei aus dem knappen Englischen nicht ohne Espritverlust ins schwerfälligere Deutsch zu übertragen. An ihnen liegt es also nicht, wenn am Ende des "Handbuchs" doch etwas fehlt. Ein wenig Fleisch und Blut vielleicht in all dem perfekten komischen Timing, das Vladimir ins Herz der Finsternis, ins mittlere Ohio trägt, ein Wimpernschlag Leben für den Helden, der nach all seinen Abenteuern zu Hause genau das wird, wovor er geflohen war, das Klischee des Immigranten mit geklontem Ich.
Gary Shteyngart: "Handbuch für den russischen Debütanten". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christiane Buchner und Frank Heibert. Berlin Verlag, Berlin 2003. 492 S., geb., 22,- [Euro].
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"Anspruchsvoll, witzig, intelligent, ironieverliebt und voller Literarischer Anspielungen - als hätte Nabokov fliegen gelernt." (Kirkus Reviews) "Ein brillantes Debüt von irrwitziger Komik." (Harper's Bazaar) Ein fulminantes und hochgradig unterhaltsames Buch." (New York Times)