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Eine fulminante Kulturgeschichte unseres Verhältnisses zur materiellen Welt – ein ebenso überraschendes wie notwendiges Plädoyer, sich wieder auf die Welt der Dinge und der Arbeit einzulassen. Wenn Richard Sennett, einer der herausragenden Soziologen und Kulturphilosophen der Gegenwart, von Handwerk oder handwerklichem Können spricht, so meint er mehr als nur technische Praxis. Er beschreibt damit einen fundamentalen menschlichen Impuls, das Bestreben, eine Tätigkeit um ihrer selbst willen gut zu machen. Auch ein Arzt, Erzieher, Künstler oder Linux-Programmierer kann – und sollte – „sein…mehr

Produktbeschreibung
Eine fulminante Kulturgeschichte unseres Verhältnisses zur materiellen Welt – ein ebenso überraschendes wie notwendiges Plädoyer, sich wieder auf die Welt der Dinge und der Arbeit einzulassen.
Wenn Richard Sennett, einer der herausragenden Soziologen und Kulturphilosophen der Gegenwart, von Handwerk oder handwerklichem Können spricht, so meint er mehr als nur technische Praxis. Er beschreibt damit einen fundamentalen menschlichen Impuls, das Bestreben, eine Tätigkeit um ihrer selbst willen gut zu machen. Auch ein Arzt, Erzieher, Künstler oder Linux-Programmierer kann – und sollte – „sein Handwerk verstehen“.
Indem er aus seinem stupenden interdisziplinären Wissen schöpft, zeigt Sennett auf, dass die Geschichte, insbesondere die Geistesgeschichte, eine markante Trennlinie zwischen Praxis und Theorie, Technik und Ausdruck, Macher und Nutzer gezogen hat. Unsere heutige Gesellschaft leidet noch immer unter diesem historischen Erbe, denn bei allem offenkundigen Materialismus haben wir paradoxerweise häufig ein gespaltenes Verhältnis zu den realen materiellen Dingen um uns herum. Die Frage, ob und wie wir uns dieser materiellen Wirklichkeit stellen wollen, besitzt für Sennett jedenfalls eine entscheidende ethische Relevanz.
Richard Sennetts neues Buch ist eine fulminante und breit angelegte Kulturgeschichte, die anhand zahlreicher Beispiele – von der Werkstatt eines Antonio Stradivari bis zu den Forschungslabors moderner Wirtschaftskonzerne – unser Verhältnis zur Außenwelt klug und kritisch durchleuchtet. Handwerk ist ein eindrückliches Plädoyer dafür, sich wieder auf die Welt der Dinge einzulassen.
Autorenporträt
Richard Sennett, geboren 1943, wuchs in Cabrini Green, einem Armenviertel von Chicago, auf. Er versuchte den sozialen Aufstieg aus dieser von ihm später als eng und bedrohlich beschriebenen Welt zunächst über die Musik und lernte in jungen Jahren Cello, komponierte und hatte Erfolge bei öffentlichen Auftritten. Das Studium der Musikwissenschaften und des Violoncello in New York musste er aufgrund einer fehlgeschlagenen Operation an seiner linken Hand aufgeben. Daraufhin studierte er zunächst bei David Riesman in Chicago, dann bei Talcott Parsons in Harvard Soziologie und später Geschichte. Nach der Promotion 1964 forschte und lehrte er unter anderem in Harvard, Yale, Rom und Washington. 1998 erhielt Sennett den Premio Amalfi, 2006 wurde er mit dem Stuttgarter Hegel-Preis ausgezeichnet.
Sennetts Hauptthemen sind die Vereinzelung, Orientierungslosigkeit und Ohnmacht moderner Individuen, die Oberflächlichkeit und Instabilität zwischenmenschlicher Beziehungen sowie die Ausübung von Herrschaft. Vor allem in seinen Frühwerken bleibt er der Stadt seiner Kindheit und den in ihr gemachten Erfahrungen stark verhaftet. Die hohe Aktualität seiner Themen und sein eingängiger, essayistischer Stil ließen seine Bücher zu Bestsellern avancieren.
Richard Sennett lebt in London und New York.
2011 wurde er mit dem Jeanette Schocken Preis, dem Bremerhavener Bürgerpreis für Literatur ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.02.2008

Hör auf, dagegen zu kämpfen
Richard Sennett konzipiert einen Ikea-Katalog für die oikologische Zeitenwende
Um die Bau- und Heimwerkermärkte in den Stadtrandlagen interessant zu finden, muss man kein Soziologe sein. Allerdings könnte die Soziologie dort ein Phänomen entdecken, das zu den Paradoxien postindustrieller Wissensgesellschaften gehört. Diese Gesellschaften erwirtschaften ihren Wohlstand nicht mehr primär durch die industrielle Fertigung von Massengütern. Die Produktion solcher Waren haben vielmehr Roboter übernommen oder schlecht bezahlte Arbeiter in Billiglohnländern. Seit etwa vier Jahrzehnten führt dieser Wandel zu ganz unterschiedlichen Folgen. Er hat die Verringerung der Arbeitszeit mit sich gebracht und das Ende der Vollbeschäftigung. Mithin besucht eine überwiegend männliche Kundschaft inzwischen die besagten Hallen, weil sie über mehr freie Zeit verfügt als früher und weil die Dienstleistungen von Handwerkern zu teuer geworden sind. Jetzt macht man vieles in Haus und Garten selber. So hat das Absterben der Industriegesellschaft für die Wiedergeburt des Handwerks als Hobby gesorgt. Was vormals Erwerbsarbeit war, kehrt als massenhafte Freizeitbeschäftigung von Angestellten, Freiberuflern, Rentnern und – nicht zu vergessen – Arbeitslosen zurück.
Auch wenn das jüngste Buch von Richard Sennett „Handwerk” überschrieben ist, interessiert sich der in London und New York lehrende Soziologe erstaunlicherweise nicht für diese Renaissance des Handwerks. Anders als es der irreführende Titel der deutschen Ausgabe nahe legt, konzentriert sich Sennetts Abhandlung nämlich gar nicht auf das Handwerk als solches, sondern auf die Lebensform der Handwerker. „The Craftsman” lautet der englische Originaltitel. Warum befasst sich Sennett also mit dem Handwerker?
Handwerk schafft Heimat
Sein Buch ist der erste Band einer Trilogie, die nach guter, auf Max Weber zurückgehender Tradition „Techniken der Lebensführung” untersuchen soll. Sennett möchte Praktiken und Rituale, ihre Geschichte und ihre sozialen Kontexte, analysieren. Er will sich als Soziologe von Lebensführungen zunächst mit den Handwerkern, dann mit Kriegern und Priestern, schließlich in einem letzten Band mit Menschen auseinandersetzen, die er in Anlehnung an Georg Simmel „die Fremden” nennt. Sie sind ihm über die Maßen wichtig, weil zur Lebensform der Fremden Sennett zufolge die besondere Fähigkeit gehört, „eine dauerhafte Umwelt zu schaffen und darin zu leben”. Von daher fungieren die Fremden als Synonym für die Menschen überhaupt, denn deren Gattungsgeschichte scheint doch eben diesem Auftrag verschrieben zu sein: sie hatten sich in einer feindlichen Umgebung eine dauerhafte Heimstatt schaffen.
Damit ist in Sennetts knapper Skizze aber auch schon das Betriebsgeheimnis des Großprojekts verraten. Offenbar drängt es ihn, die Zivilisations- und Kulturgeschichte der Menschheit noch einmal zu rekapitulieren. Zugleich verfolgt die historische Bestandsaufnahme signifikanter Lebensführungstechniken die Absicht, tragende Fundamente für eine andere Gestalt von Technik freizulegen, für eine Technik, die nicht mehr als „geistlose Praxis” abgewertet werden kann. Angesichts eines derart ehrgeizigen Unternehmens reibt sich der Leser verwundert die Augen. Zur Erledigung eines solchen Pensums werden in aller Regel Sonderforschungsbereiche gegründet. Zudem ist nicht recht zu erkennen, wer denn die Technik je mit dem abstrusen Argument kritisiert hätte, sie sei bei Lichte besehen ein geistloses Unterfangen. Selbst wo sie als Ausdruck einer nur noch instrumentellen Vernunft oder Ausgeburt reiner Zweckrationalität abgewertet wurde, blieb bei ihren Kritikern doch anerkannt, dass es sich um eine Erscheinungsform der Vernunft oder des menschlichen Geistes handelt.
Auch wenn also unklar bleibt, gegen welche Technikverächter Sennett eigentlich antritt, lässt er keinen Zweifel daran, dass seine geplante Trilogie Wege aus einer Krise weisen soll, in die – wie ohne viel Federlesens vorausgesetzt wird – die europäisch-atlantische Zivilisation geraten ist. Ihrer technischen Möglichkeiten wird sie nicht mehr Herr, vermag die Geister nicht zu bannen, die in der Absicht gerufen wurden, äußere wie innere Natur zu beherrschen. Um diesem Dilemma gründlich abzuhelfen, hat Sennett eine entschieden aufs Erbauliche zielende Technikmeditation verfasst. Sie sucht am Beispiel der handwerklichen Fähigkeiten aufzuzeigen, wie sich der Mensch in der Fremde kraft der Kreativität seines Handelns eine Heimat schaffen könnte, in der er fortan im Frieden mit sich und der Welt lebt. Sennett hat mit anderen Worten einen dreibändigen Ikeakatalog für die oikologische Zeitenwende konzipiert.
Natürlich kommt ein derart titanisches Projekt nicht ohne die neuesten Sounds aus der Kulturwissenschaft aus. Folglich betont Sennett, dass er sich ganz auf die „materielle Kultur” konzentrieren wolle. Ideen, Symbole, Zeichen und Theorien sind out, jetzt stehen handgreifliche Praktiken im Vordergrund. Was und wer wir sind, lässt sich am besten herausfinden, wenn möglichst subtil und in detailverliebten Beschreibungen veranschaulicht wird, wie der Mensch, sprich: der Handwerker, die materiellen Dinge herstellt. Sennett spricht es nicht eigens aus, doch grundiert ein lockerer Remix anthropologischer Überzeugungen, wie sie sich etwa beim jungen Marx finden, seine Sondierungen. Die aktuelle Version dieser historischen Anthropologie hört auf den Namen „Kulturmaterialismus”. Unter diesem Rubrum lässt sich ein mit Fleiß und Sitzfleisch zusammengetragener Zettelkasten ausschütten, der noch die entlegensten Fakten aus dem Multiversum der Gegenstände und Tätigkeiten enthält. Sogar ein japanischer Virtuose, der ein Küchenmesser unter minimalem Kraftaufwand zu Höchstleistungen bei der Zerlegung von Fleisch und Gemüse bringt, kommt zu seinem Recht. So bunt, so aufregend und exotisch kann die Welt der Küche, nein: die ganze Welt der Handwerker sein, wenn man nur, wie der von Sennett favorisierte Kulturmaterialist, aufgeschlossen genug „für die Sinne” ist und ein Faible für alle möglichen „Freuden” sowie für die Art mitbringt, „wie sie organisiert werden”. Spätestens die Ausflüge in die internationale Kulinarik lassen den Verdacht aufkommen, Sennetts Kulturmaterialismus sei der Deckname einer Ideologie, die in den metropolitanen Hedonisten postindustrieller Gesellschaften die Heroen einer neuen Zivilisationsstufe ausmacht.
Doch hat Sennetts fröhlicher Materialismus vergessen, was der späte Marx auf eine kurze Sentenz gebracht hatte: noch der schlechteste Baumeister unterscheide sich von der Arbeitsbiene dadurch, dass er Pläne schmiedet, bevor er sich ans Werk macht. Bei solchen Plänen und Absichten, das heißt bei der entscheidenden Differenz zwischen menschlichem Handeln und tierischem Verhalten, möchte sich der passionierte Kulturmaterialist nicht lang aufhalten. Ihn treibt Wichtigeres um. In Wahrheit will er uns begreiflich machen, wie aus „der ureigenen Beschaffenheit” hergestellter Dinge „möglicherweise religiöse, soziale oder politische Werte hervorgehen”.
Rettung in unserer Not
Obwohl das Buch vordergründig von Instrumentenbauern, Juwelieren, Linux-Programmierern, Köchen und musiktreibenden Amateuren handelt, ist Sennett au fond mit dem Ethos der Handwerker befasst. Er sucht darzutun, dass zu ihrer Lebensform eine eigene Sozialmoral gehört. Sie liefert die Rettung in unserer Not. Deshalb schildern historische Exkurse in nostalgischer Einfärbung die ständischen Organisationsformen der Handwerker, berichten über das Verhältnis zwischen Meister und Geselle, schärfen mit Blick auf die handwerkliche Praxis ein, wie wichtig Geduld und Konzentration, wie schlecht hingegen Übereifer und Disziplinlosigkeit sind. Wer wollte dem widersprechen? Und wer zöge die Klugheitsregeln in Zweifel, mit denen Sennett en passant auch noch aufwartet: „Wenn etwas länger dauert als erwartet, höre auf, dagegen zu kämpfen.”
In solchen Pointen kommt der herzerwärmende Wertkonservatismus zum Vorschein, der Sennett die Feder führt. Selbstverständlich kann er nicht bestreiten, dass die Lebensform der Handwerker „mit der Entstehung der Industriegesellschaft verschwunden ist”. Doch will er uns einreden, dass trotz dieses Verschwindens eine anthropologische Universalie nach Anerkennung verlangt, die sich ursprünglich im Handwerker verkörpert fand. Es ist der Wunsch, „eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen”. Als Advokat dieses Wunsches propagiert auch Sennett eine Renaissance des Handwerks. Komischerweise hat er als Soziologe übersehen, wo sie gegenwärtig stattfindet. MARTIN BAUER
RICHARD SENNETT: Handwerk. Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Berlin Verlag, Berlin 2008, 432 Seiten, 22 Euro.
Olivier van Deurans (1666-1714) Uhrmacher leistet gute Arbeit um ihrer selbst willen. Abb.: Bridgeman Art Library
Richard Sennett Foto: SZ Photo
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.2008

Neue Maximen fürs Firmenmanagement

Brillanz und Banalität wachsen bei diesem Autor am selben Holz: Richard Sennett hat eine eindrucksvolle Monographie über das Handwerk verfasst, die von handwerklichen Fehlern nicht frei ist.

Richard Sennett hat ein Lob des Handwerks geschrieben, genauer: ein Lob des handwerklichen Geistes. Deshalb sind die handwerklichen Tugenden, um die es Sennett in seinem Buch zu tun ist, auch nicht auf Tätigkeiten beschränkt, die wir gemeinhin unter Handwerk fassen, also auf Fertigkeiten der Hände oder allgemeiner des Körpers. Zwar sind es diese im Wortsinn handwerklichen oder auch künstlerischen Fertigkeiten, auf die der in New York und London lehrende Soziologe immer wieder zurückkommt, wenn es um seine Erklärung des handwerklichen Geistes geht. Doch dieser Geist und die mit ihm einhergehenden Tugenden sollen - darauf kommt es an - alle Formen unseres Arbeitens durchdringen können.

Im Kern bedeutet handwerklicher Geist für Sennett dabei das Bestreben, eine Sache um ihrer selbst willen möglichst gut zu machen. Diese Grundhaltung, so lautet die Empfehlung des Autors, müsse unterstützt und gefördert werden. Sie läuft darauf hinaus, dass Arbeit ihre subjektive Zwecksetzung möglichst in sich selbst sollte haben können. Der pointierte Gegensatz zu jeder primär ökonomischen Bestimmung des Arbeitsbegriffs, die den Zweck in den Erwerb eines Lebensunterhalts setzt, liegt auf der Hand. Um ihn von Anfang an deutlich zu machen, hebt Sennett sein Unterfangen von einer kulturkritischen Diagnose großen Zuschnitts ab, die gerade in der Durchsetzung eines rein ökonomischen Arbeitsbegriffs die Signatur einer tendenziell auf die bloße Lebensfristung ausgerichteten westlichen Wohlstandsgesellschaft ausmachte: Hannah Arendts vor fast fünfzig Jahren erschienene Analysen in "Vita activa oder Vom tätigen Leben".

Arendt hatte die Bewohner der westlichen Wohlstandswelt auf den Rang des "Animal laborans" zurückfallen sehen: auf den sich in den Kreisläufen von Lebenserwerb und Konsum verlierenden Menschen, dem es nicht mehr gelingt, sich aus diesen Arbeitsprozessen zu lösen, um einer von ihm hervorgebrachten Welt mit freiem Blick und als politischer Akteur entgegenzutreten. Zwar sei der Erwerb des Lebensunterhalts nun nicht mehr mit Mühsal und Schmerz verbunden, aber die Weltlosigkeit des arbeitenden Menschen sah Arendt dadurch eher noch befördert. Sennett nimmt diese zugespitzte kulturkritische Diagnose seiner frühen Lehrerin und setzt ihr seine eigene Verteidigung des arbeitenden und Dinge herstellenden Menschen entgegen: Wo Arendt nur die Möglichkeit gesehen habe, dass der Mensch aus der Sphäre des Arbeitens heraustritt, um über die Zwecksetzung seines Tuns nachzudenken und sich darüber mit seinen Mitmenschen auszutauschen, da geht es Sennett darum, im Prozess des Arbeitens selbst die Übergänge zu Reflexion und ungeschmälerten Formen praktischen Engagements aufzuweisen. Der Katalysator dieser Übergänge ist - man errät das wohl schon - niemand anders als der handwerkliche Geist.

Die Rede vom Handwerk lässt dabei zuallererst an das geschickte manuelle Hantieren mit Dingen und Werkzeugen denken, an Handarbeit, die nahe an den bearbeiteten Materialien und Gegenständen bleibt. Dieser Bedeutungsakzent ist für Sennett wichtig, denn an ihm hängt sein Appell, unser Weltverhältnis auf solide "materialistische" Weise in der Welt der Dinge zu verwurzeln, mit denen wir umgehen. Außerdem lässt sich in einer im engeren Sinn handwerklich verstandenen Dingwelt am leichtesten voraussetzen, dass man auch wirklich weiß, was es heißt, eine Sache gut zu machen.

Der Hand gilt deshalb auch Sennetts Aufmerksamkeit, ihrer Art und Weise, mit den Dingen umzugehen, sie zu erkunden und zu verändern. Kopf und Hand sind dabei eng miteinander verknüpft. Wir sind schließlich keine körperlosen Intelligenzen, die außerdem noch Wahrnehmungsfühler für den Weltkontakt haben. Wir sind Wesen, deren Weisen der intelligenten Welterschließung von ihrer Verkörperung geprägt sind, und das Universalinstrument Hand spielt dabei eine hervorragende Rolle. In diesem grundlegenden Sinn ist nicht zu bezweifeln, dass bereits die Hand "denkt".

Aber Sennett interessiert in diesem Zusammenhang natürlich nicht nur die Basisausrüstung unserer manuellen Fähigkeiten, sondern deren Verfeinerungen in der handwerklichen Übung. Das Erlernen des Spiels eines Musikinstruments, Kochen und ein wenig exotischer das Glasblasen dienen ihm als Beispiele dafür, wie Kopf und Hand im Zuge solcher Verfeinerungen zusammenarbeiten. Wobei Letztere nicht bloß als das Tasten nach Lösungen vorab umrissener Probleme erscheinen, sondern als ungleich interessantere Prozeduren, bestimmte Engpässe und Verlegenheiten allererst zu entdecken, um durch ihre Beseitigung einige Schritte weiterzukommen. Dabei aber mit jedem Verfeinerungsschritt auch Räume neuer Problemstellungen zu eröffnen.

Es sind vielleicht die überzeugendsten Passagen des Buches, die sich an Analysen dieser konkreten Praktiken versuchen. Und kein Zufall ist es, dass dabei im soziologischen Sinn der Übergang vom eher bodenständigen Handwerk zu Kunsthandwerk und Kunst genommen wird. Nicht dass Sennett hier schummeln würde: Die Annäherung von Handwerk und Kunst über das Mittelglied Kunstfertigkeit steht explizit auf seinem Programm. Aber natürlich gilt auch: Was sich für die Kochkunst oder das Spielen des Klaviers an unabschließbaren Herleitungen sinnfällig machen lässt, würde wohl für das Klempnern, Tapezieren oder auch Tischlern nicht so leichtfallen.

Diese Schwierigkeit der anvisierten Verallgemeinerung ist spürbar, wenn Sennett seine an manuellen Vorgängen gewonnenen Einsichten auf das Feld der Wissenschafts- und Technikgeschichte ausdehnt. Und heikel wird es für ihn erst recht, wenn er das Handwerkliche von körperlichen Fertigkeiten ablöst, um es schlichtweg mit der um ihrer selbst willen gut gemachten Sache zu verknüpfen. An diesem Schritt ist einerseits nicht vorbeizukommen, möchte Sennett nicht in den Geschichten historischer oder marginaler Produktionsformen steckenbleiben, die er in Exkursen erzählt: unter anderen von der mittelalterlichen Werkstatt des Goldschmieds, der Werkstatt Stradivaris, von der Entwicklung der Ziegelherstellung und des Töpferns.

Andererseits verliert die im Zeichen eines "kraftvolleren kulturellen Materialismus" beschworene Nähe zu den Dingen durch diesen Schritt deutlich an Überzeugungskraft. Denn zu den Sachen, um die es dann gehen muss, zählen notwendigerweise auch eher abstrakte Tätigkeiten. Sieht man sich die Beispiele an, die Sennett aus dem modernen Wirtschaftsleben heranzieht, läuft es auf Maximen für das Unternehmensmanagement hinaus: Fühlung halten mit den Angestellten, die sich mit den konkreten Problemen herumschlagen. Keine abgehobenen Durchplanungen vom Reißbrett, sondern das Einrichten flexibler Kommunikation. Auf die erprobte Kompetenz von Mitarbeitern setzen, statt ihnen das Gefühl zu geben, bloß gut zu funktionieren. Es sind Maximen, wie man sie in der Literatur zu Management und Unternehmenskultur nicht lange suchen muss.

Aber Sennetts kulturkritische Ansprüche reichen natürlich weiter, als nur zum Stichwortgeber einer Managementliteratur zu werden, die den "handwerklichen Geist" in ihren Jargon aufnimmt. Wie weit sie gehen, das lässt die Auseinandersetzung mit Hannah Arendt erkennen. Arendt hatte die Sphären von Politik und Arbeit strikt geschieden. Sennett dagegen besteht auf den Übergängen von "guter", mit entsprechendem Stolz vollbrachter Arbeit zu staatsbürgerlichem Selbstverständnis. Das "handwerkliche" Eingehen auf die Dinge soll nicht nur ein Leben "in größerem Einklang mit der Natur", sondern auch zur Demokratie besser befähigte Bürger hervorbringen können.

Vom geschickten schlussfolgernden Umgang mit den - möglichst sinnlich konkret gedachten - Sachen sollen sich also Verbindungslinien ziehen lassen zur "geschickten", kompetenten Teilnahme an den Dingen des Gemeinwesens. Die demokratischen Institutionen hätten die in der Arbeit bewiesenen Kompetenzen ihrer Bürger aufzunehmen und weiterzuentwickeln. Wie man sich dies genauer vorzustellen hätte, dass aus gut Arbeitenden gute Bürger eines demokratischen Gemeinwesens hervorgingen - ohne auch nur einen Seitenblick auf die konkreten ökonomischen Verhältnisse zu werfen, unter denen sie ihre Arbeit leisten -, verrät Sennett nicht. Er weiß auch, dass man auf Gegenbeispiele leicht verfällt.

Seine tief wurzelnde pragmatistische Hoffnung knüpft er trotzdem an dieses Credo, mit dem er - nebst einer stillschweigend seinen Bedürfnissen angepassten Geschichte der Hesiodschen Pandora - sein Buch beschließt. Von einem befreundeten Philosophen während des Schreibens nach dem darin verfolgten Leitgedanken gefragt, griff Sennett einmal zur Kurzformel: "Machen ist Denken." Der Freund sei davon nicht sonderlich überzeugt gewesen. Der Leser ist es nach der Lektüre des Buchs auch nicht.

HELMUT MAYER

Richard Sennett: "Handwerk". Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Berlin Verlag, Berlin 2008. 432 S., geb., 22,- [Euro].

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'Der amerikanische Soziologe Richard Sennett ist insofern ein Menschenwissenschaftler, als er den ganzen Reichtum menschlicher Lebens- und Ausdrucksformen in den Blick nimmt.' (DIE ZEIT)

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Anregend, materialreich und umfassend, aber in seinen Thesen durchaus anfechtbar findet Rezensent Mathias Greffrath das neue Buch des amerikanischen Soziologen Richard Sennett, das dem Rezensenten zum Teil auch wie eine Materialsammlung zum Thema erschien. Auf den ersten Blick ist es für Greffrath eine Versöhnungsschrift zum seit Marx problematischen Verhältnis zwischen Mensch und Arbeit. Doch wird in dem "windungsreich" argumentierenden Buch die von Sennett in diesem Zusammenhang entwickelte "Apotheose der Werkstatt" als dem unentfremdeten Ort schlechthin, wo die vom Kapitalismus zersprengten Elemente (wie Intelligenz, Wahrnehmungsgefühl, Material und Handfertigkeit) auf ideale Weise wieder zusammenfinden, an für den Geschmack des Rezensenten allzu luxuriösen Beispielen entwickelt. So führt sich Sennetts Argumentation gelegentlich selbst ad absurdum, wenn man Greffrath richtig versteht, der am Ende zum Ergebnis kommt, das wesentliche Fragen ausgeblendet blieben. Außerdem war früher für ihn nicht notwendigerweise alles besser, wie Sennetts Betrachtungen ihm wohl suggerieren. Auch komme Erneuerung selten aus der Beschwörung der "guten Dinge" oder "bedrohter Tugenden", stellt Greffrath abschließend mit gewissem Missmut fest.

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