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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2007

So werden wir Frankenversteher
Wer dieser Tage Günther Beckstein dabei beobachten durfte, wie er selbstvergessen – mit entblößtem Eckzahn selig lächelnd – in einem Buch blätterte, der tut ihm gewiss nicht Unrecht mit der Unterstellung, der Ministerpräsident habe einen neuen Lieblingsschmöker aufgetan. Ein Schmöker, das ist diese Enzyklopädie des Sprachfrankentums, herausgegeben von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die merkwürdigerweise ihren größten Malus bereits auf dem Cover zu erkennen gibt. „Handwörterbuch von Bayerisch-Franken”, ist das Œuvre benannt – ein Titel, der Nichteingeweihte vor einen schwer lösbaren semantischen Konflikt stellen dürfte. Was, bitte, ist Bayerisch-Franken?
Die Antwort ist simpler als Altbaiern sich das vorzustellen wagen. Bayerisch-Franken ist offenbar als sprachliches Analogon gedacht zum Begriff Bayerisch-Schwaben – der allerdings mit einigem Recht wesentlich geläufiger sein dürfte. Der Titel sei auf ausdrücklichen Wunsch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt worden, heißt es zur Begründung beim Verlag Fränkischer Tag. Offenbar wollte die Akademie besonders deutlich machen, dass es sich bei dem Werk um ein staatsbayerisches Wörterbuch handelt, ohne (finanzielle) Beteiligung etwa von Randfranken aus Baden-Württemberg. Zu diesem Gebiet gehört auch Beckstein, der bekannte Weinort bei Tauberbischofsheim.
Was die Geldgeber ausgeschlossen wissen wollten, darauf haben sich die Sprachforscher im Band mit Recht nicht eingelassen. Zu den Kürzeln, die über das lokale Aufkommen einzelner Dialektvokabeln aufklären, gehört deswegen auch „Hbg R” – für den Henneberger Raum in der Nähe des Ortes Beckstein. Dieser findet sich erstmals beim Begriff „Acker”, der bei den Hennebergern ebenso eine fränkische Flächenmaßeinheit wiedergibt wie im Raum nördlich von Bamberg, wo ein „Coburger Acker” zirka 28 Ar entsprechen soll. Weiter verbreitet ist der Begriff „Acker” freilich auch in Franken in seiner Bedeutung als Pflugland. Etwa im Raum Gunzenhausen, wo die akademischen Wortesammler folgende Wendung aufgetan haben: „Wia die Acker, so die Ruawa, wia der Vader, so die Buawa, wia der Waacha so die Rädli, wia die Muader, so die Mädli.” In Gunzenhausen erhoffen sie sich von dieser Regel Orientierung in Heiratsfragen.
Beim Eintrag über den Acker verweilend wird spätestens klar, warum Beckstein, dem Ministerpräsidenten, ein seliges Lächeln über die Lippen huschte. Denn dieses Handwörterbuch liefert gesammeltes Weltwissen aus Franken. Etwa aus Sennfeld bei Schweinfurt, wo sie wissen, dass manche „aa ner än Acker heiern”, also um des Landbesitzes willen sich der Eheschließung hingeben. Trägt dieser Vorgang schließlich Früchte, so formulieren sie in Ottelmannshausen bei Neustadt an der Saale, da sei eine „über der Hebamm ihrn Acker gfahrn”. Die Betroffene befindet sich dann im Zustand einer Schwangeren. Olaf Przybilla
Handwörterbuch von Bayerisch-Franken. Herausgegeben von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Verlag Fränkischer Tag, Bamberg, 640 Seiten, ISBN 978- 3-936897-52-4, 29,90 Euro
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