In der Hoffnung, ganz zueinander zu finden, schreiben sich Hanna und Sebastian nach einigen traumhaften Tagen in Rom lange und intensive Briefe. Doch das Leben treibt sie auseinander, und das Schreiben wird zu einem exklusiven Raum, in dem sie ihre Liebe so leidenschaftlich, grenzenlos und wahrheitshungrig leben können wie nirgendwo sonst ? und in dem sie einander die Freiheit schenken, die sie dann immer kompromissloser auch in der Wirklichkeit suchen ...Dieser sinnlich-virtuose Roman, eine außergewöhnliche Liebesgeschichte in Briefen, Mails und SMS und das literarische Debüt von Thomas Klugkist, erzählt von einem rückhaltlosen Liebes- und Beziehungsexperiment und entwirft dabei das Bild einer Generation zwischen Lebensplanung und Grenzüberschreitung, den Verführungen des Körpers und der Transzendenz.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mehr Leben, bitte, und weniger Thomas Mann, wünscht sich Jan Wiele nach der Lektüre von Thomas Klugists E-Mail- und SMS-Roman. Zeitgemäß scheint ihm das Buch vor allem in der Form. Die Abbildung ungleichzeitiger Leidenschaft einer On-off-Bezehung per E-Datenaustausch und zergliederter Gefühle gelingt dem Autor ganz gut, findet er. Leider jedoch leidet das Buch für Wiele an lyrischem Überschuss und einem Hang des Autors, dem Großmeister der Stilistik nachzueifern. Wie die Figuren bei TM aber redet heute niemand mehr, meint Wiele genervt, und der Konflikt zwischen Künstler- und Bürgertum scheint ihm auch kein sehr zeitgemäßes Thema.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.2014Selbst Liebende sollten sich nicht alles sagen
Thomas Klugkist lässt seine Helden Hanna und Sebastian das Glück nicht im Leben, sondern nur in der Schrift finden. Aber wie viel Intimität ertragen wir als Leser?
Der Liebesbrief unseres Jahrhunderts trägt kein Siegel und keine Briefmarke mehr. Dafür hat er eine Betreffzeile: "Re: Re: Re: Re: Wieder beieinander". So unscheinbar und wenig individuell dieser Betreff daherkommt, so hoch ist der Ton, in dem sich die Liebenden in Thomas Klugkists Debütroman schreiben. Sie heißen schlicht Hanna und Sebastian, aber sie wenden eine schier unendliche Phantasie auf, um diese Namen poetisch zu verzieren: "Meine Lieblingshanna", "Meine Fernhanna", "Deine Dunkelhanna", "Dein Sorgensebastian" und, wenn es noch steiler wird, auch mal "Dein Andermensch" oder "Dein nachtumflorter Spurensucher".
Dieser lyrische Überschuss ist wohl Kompensation. Denn das Besondere an dieser Liebe ist, dass sie nur in der Schrift, nicht im Leben stattfindet: Hanna und Sebastian kennen sich zwar schon seit Schulzeiten, haben sich aber immer verpasst - bis auf einmal. Dieses eine Mal ist das Fundament, auf dem ihre Beziehung aufbaut, und es ist eine ziemlich wunderbare Idee, die Klugkist hier somit auch seinem Roman zugrunde legt: eine Verabredung, getroffen wohl in der Zeit des Abiturs, sich in zehn Jahren wiederzutreffen in Rom. Obwohl sie sich inzwischen aus den Augen verloren hatten und auch andere Partner haben, halten Hanna und Sebastian die Verabredung ein, und unmittelbar nach dieser traumhaften Rom-Reise beginnt ihr Briefwechsel, im Juni 2000.
Über ein Jahrzehnt wohnt dann der Leser ihrer Korrespondenz bei, in der sich bald eine radikale Offenheit und Zuneigung entwickelt, die das alltägliche Leben der beiden weit übersteigt und transzendiert. In den Briefen, den E-Mails und SMS, die Hanna und Sebastian sich schreiben, sind Dinge aussprechbar, die es nur dort sind, eben weil "man schriftlich immer aus dem einen Inneren ins andere Innere spricht, durch keinen Zwischenraum und kein Zwischenfleisch behindert". Bald geht es um Krankheit und Tod der jeweiligen Lebenspartner, um Kinder, um die Überzeugungen, um Sebastians Journalistenberuf und Hannas Erfahrungen als Ärztin, um körperliche Intimität und Sex - kurz, es geht zwischen diesen beiden Menschen immer um alles. Ganz nah scheint in den vier Korrespondenzphasen dieses Jahrzehnts manchmal der Ausbruch aus dem jeweiligen Leben und das gemeinsame Durchbrennen der beiden. Aber leider haben sie, wie man sagt, schlechtes Timing. Und es gibt auch Verletzungen, die zu fünfjährigem Kontaktabbruch führen. Bis dann plötzlich aus dem Nichts wieder eine SMS kommt: "Claudia hat mir deine Nummer gegeben. Telefonieren?" Die Tragik dieser On-and-off-Beziehung mit ungleichzeitiger Leidenschaftsverteilung kommt in der Langzeitstudie des Romans gut heraus: Auf euphorischen Dauerkontakt folgt plötzliches Schweigen von einer Seite, und so schickt der andere dann seine Nachrichten noch eine Weile ins Nichts, bis auch er das Schweigen findet.
Die Konstellation erinnert etwas an Martin Walsers Briefroman "Das dreizehnte Kapitel", und in der Zergliederung der Gefühle kann Klugkist da durchaus mithalten. Da es wohl nichts Intimeres gibt als die Briefe zwischen zwei Menschen, ist beim Briefroman das Risiko besonders groß, dass diese intime Schreibweise nicht im Inneren eines jeden Lesers ankommt, Anklang findet. Das ist natürlich Geschmackssache; aber wie umständlich, geschraubt und gestelzt Klugkist seine Figuren sich ausdrücken lässt, erweckt doch oft den Eindruck, dass der Autor, der eine Dissertation und ein weiteres Buch über Thomas Mann verfasst hat, auch als Literat die Nähe zum Großmeister sucht. Dieser Stil wirkt heute unzeitgemäß.
Da gibt es zum Beispiel einen Brief aus der Zeit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, der Sebastian in einen Glücksrausch über die neue entspannte Gastgebernation geraten lässt: "Endlich macht es Spaß, in diesem Land zu sein." Aber dieser Spaß ist doch einer mit angezogener Handbremse: "Ich möchte Dir gern noch mehr schreiben, aber wir müssen uns gedulden", heißt es - und dann kommt der Großmeistersatz: "Die Zeitzeugenschaft verlangt den ganzen Mann." Wer redet denn bitte so? Auch die ständigen Kursivierungen in den (ohnehin oft schwer unterscheidbaren) Zeugnissen von Hanna und Sebastian verraten wohl eher etwas vom Stilwillen des Autors als von brieflicher Wirklichkeit - es sei denn, man habe sich zwei Liebende als solche vorzustellen, die sich gegenseitig Vorträge halten. Wenn Hanna etwa beginnt, Sebastian etwas von "Sehnsuchtsdynamik", "narzissmustheoretischen Überlegungen" und seinem "verlorenen fötalen Paradies" zu erzählen, dann wird das schon sehr anstrengend.
Mitunter wirkt es, als wollte Klugkist unter dem Deckmantel seiner Figuren die großen Themen Thomas Manns - den Konflikt zwischen Künstlertum und Bürgertum, zwischen Geist und Leben - noch einmal ganz neu aufrollen. Hanna und Sebastian jedenfalls wünscht man am Ende, und das kann ja auch wieder eine Leistung des Romans sein, viel weniger Geist, viel mehr Leben.
JAN WIELE.
Thomas Klugkist: "Hanna und Sebastian". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2014. 430 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Thomas Klugkist lässt seine Helden Hanna und Sebastian das Glück nicht im Leben, sondern nur in der Schrift finden. Aber wie viel Intimität ertragen wir als Leser?
Der Liebesbrief unseres Jahrhunderts trägt kein Siegel und keine Briefmarke mehr. Dafür hat er eine Betreffzeile: "Re: Re: Re: Re: Wieder beieinander". So unscheinbar und wenig individuell dieser Betreff daherkommt, so hoch ist der Ton, in dem sich die Liebenden in Thomas Klugkists Debütroman schreiben. Sie heißen schlicht Hanna und Sebastian, aber sie wenden eine schier unendliche Phantasie auf, um diese Namen poetisch zu verzieren: "Meine Lieblingshanna", "Meine Fernhanna", "Deine Dunkelhanna", "Dein Sorgensebastian" und, wenn es noch steiler wird, auch mal "Dein Andermensch" oder "Dein nachtumflorter Spurensucher".
Dieser lyrische Überschuss ist wohl Kompensation. Denn das Besondere an dieser Liebe ist, dass sie nur in der Schrift, nicht im Leben stattfindet: Hanna und Sebastian kennen sich zwar schon seit Schulzeiten, haben sich aber immer verpasst - bis auf einmal. Dieses eine Mal ist das Fundament, auf dem ihre Beziehung aufbaut, und es ist eine ziemlich wunderbare Idee, die Klugkist hier somit auch seinem Roman zugrunde legt: eine Verabredung, getroffen wohl in der Zeit des Abiturs, sich in zehn Jahren wiederzutreffen in Rom. Obwohl sie sich inzwischen aus den Augen verloren hatten und auch andere Partner haben, halten Hanna und Sebastian die Verabredung ein, und unmittelbar nach dieser traumhaften Rom-Reise beginnt ihr Briefwechsel, im Juni 2000.
Über ein Jahrzehnt wohnt dann der Leser ihrer Korrespondenz bei, in der sich bald eine radikale Offenheit und Zuneigung entwickelt, die das alltägliche Leben der beiden weit übersteigt und transzendiert. In den Briefen, den E-Mails und SMS, die Hanna und Sebastian sich schreiben, sind Dinge aussprechbar, die es nur dort sind, eben weil "man schriftlich immer aus dem einen Inneren ins andere Innere spricht, durch keinen Zwischenraum und kein Zwischenfleisch behindert". Bald geht es um Krankheit und Tod der jeweiligen Lebenspartner, um Kinder, um die Überzeugungen, um Sebastians Journalistenberuf und Hannas Erfahrungen als Ärztin, um körperliche Intimität und Sex - kurz, es geht zwischen diesen beiden Menschen immer um alles. Ganz nah scheint in den vier Korrespondenzphasen dieses Jahrzehnts manchmal der Ausbruch aus dem jeweiligen Leben und das gemeinsame Durchbrennen der beiden. Aber leider haben sie, wie man sagt, schlechtes Timing. Und es gibt auch Verletzungen, die zu fünfjährigem Kontaktabbruch führen. Bis dann plötzlich aus dem Nichts wieder eine SMS kommt: "Claudia hat mir deine Nummer gegeben. Telefonieren?" Die Tragik dieser On-and-off-Beziehung mit ungleichzeitiger Leidenschaftsverteilung kommt in der Langzeitstudie des Romans gut heraus: Auf euphorischen Dauerkontakt folgt plötzliches Schweigen von einer Seite, und so schickt der andere dann seine Nachrichten noch eine Weile ins Nichts, bis auch er das Schweigen findet.
Die Konstellation erinnert etwas an Martin Walsers Briefroman "Das dreizehnte Kapitel", und in der Zergliederung der Gefühle kann Klugkist da durchaus mithalten. Da es wohl nichts Intimeres gibt als die Briefe zwischen zwei Menschen, ist beim Briefroman das Risiko besonders groß, dass diese intime Schreibweise nicht im Inneren eines jeden Lesers ankommt, Anklang findet. Das ist natürlich Geschmackssache; aber wie umständlich, geschraubt und gestelzt Klugkist seine Figuren sich ausdrücken lässt, erweckt doch oft den Eindruck, dass der Autor, der eine Dissertation und ein weiteres Buch über Thomas Mann verfasst hat, auch als Literat die Nähe zum Großmeister sucht. Dieser Stil wirkt heute unzeitgemäß.
Da gibt es zum Beispiel einen Brief aus der Zeit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, der Sebastian in einen Glücksrausch über die neue entspannte Gastgebernation geraten lässt: "Endlich macht es Spaß, in diesem Land zu sein." Aber dieser Spaß ist doch einer mit angezogener Handbremse: "Ich möchte Dir gern noch mehr schreiben, aber wir müssen uns gedulden", heißt es - und dann kommt der Großmeistersatz: "Die Zeitzeugenschaft verlangt den ganzen Mann." Wer redet denn bitte so? Auch die ständigen Kursivierungen in den (ohnehin oft schwer unterscheidbaren) Zeugnissen von Hanna und Sebastian verraten wohl eher etwas vom Stilwillen des Autors als von brieflicher Wirklichkeit - es sei denn, man habe sich zwei Liebende als solche vorzustellen, die sich gegenseitig Vorträge halten. Wenn Hanna etwa beginnt, Sebastian etwas von "Sehnsuchtsdynamik", "narzissmustheoretischen Überlegungen" und seinem "verlorenen fötalen Paradies" zu erzählen, dann wird das schon sehr anstrengend.
Mitunter wirkt es, als wollte Klugkist unter dem Deckmantel seiner Figuren die großen Themen Thomas Manns - den Konflikt zwischen Künstlertum und Bürgertum, zwischen Geist und Leben - noch einmal ganz neu aufrollen. Hanna und Sebastian jedenfalls wünscht man am Ende, und das kann ja auch wieder eine Leistung des Romans sein, viel weniger Geist, viel mehr Leben.
JAN WIELE.
Thomas Klugkist: "Hanna und Sebastian". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2014. 430 S., geb., 19,95 [Euro].
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