Eine jüdische Philosophiestudentin trifft in Marburg auf einen rebellischen Philosophen, einen späteren Vordenker der NS-Bewegung. Zwischen Hannah Arendt (1906-1975) und dem verheirateten Martin Heidegger (1889-1976) entwickelt sich eine stürmische Liebesbeziehung. Zehn Jahre später haben die Nazis, von denen Heidegger die nationale "Erweckung" erwartet, die Jüdin ins Exil getrieben. 1950 begegnen sich beide wieder. Die alte Liebe bricht erneut auf, und es beginnt ein kontroverser Dialog über ein Jahrhundert der Zerstörung. Antonia Grunenberg entwirft in ihrer Doppel biographie ein großes Panorama der Zeit. Sie hat Zeitzeugen befragt und neue Quellen erschlossen. Politik, Geschichte, Philosophie, Arendts Doktorvater und Heideggers Kollege Karl Jaspers: Vor diesem Hintergrund erzählt sie die Geschichte des umstrittensten Liebespaares des 20. Jahrhunderts.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2006Lauter Erregungszustände
Antonia Grunenberg über Hannah Arendt und Martin Heidegger
Wer das deutsche zwanzigste Jahrhundert in einer Nußschale zeigen will, dem bieten sich Heidegger und Hannah Arendt an. In dem Wechsel-Kurs, der ihre Lebenslinien verbindet und trennt, ist Musik drin. Es treten auf: eine achtzehnjährige Studentin als Geliebte eines Familienvaters, die "neckische Waldnymphe" (Heidegger über Arendt), und der "Seeräuber" (Arendt über Heidegger), die Ostpreußin und der Schwarzwälder, die Jüdin und der Kritiker der "Verjudung des deutschen Geistes", die amerikanische Publizistin und der Denker, der meinte, "im Politischen weder bewandert noch begabt" zu sein, die Autorin von "Vita activa" und derjenige, den sie zum "König" unter den Philosophen seiner Zeit kürte und der heute neben Ludwig Wittgenstein als größter Denker des zwanzigsten Jahrhunderts anerkannt ist.
Mit der Entscheidung, ein Buch über Arendt und Heidegger zu schreiben, hat sich Antonia Grunenberg einer Jahrhundert-Aufgabe gestellt. Gleich eingangs spricht sie mit Arendt von den "Sandstürmen", die durch jene Zeit geweht sind; diese will sie spürbar machen, ohne daß ihre Protagonisten am Ende "entlarvt", "beschädigt" oder auch "rehabilitiert" dastehen. Weder politischer Kommentar noch philosophische Analyse soll dieses Buch sein, sondern eine "Doppelbiographie" - eine Doppel-Doppel-Biographie, denn nicht nur geht es um zwei Leben, sondern auch um die Doppelung von Gelebtem und Gedachtem.
Da ist, Mitte der zwanziger Jahre, die frühe Liebe zwischen dem Professor, der das "Oberflächendasein" verachtet und nach dem "Erleben der wertvollen Welten" strebt, und der Studentin, an der Freunde "etwas Magisches", einen "Tiefsinn" erkennen. Als die Beziehung zu Heidegger im Leben zerbricht, verschiebt Arendt die Liebe auf die Seite des Denkens: Ihre Dissertation schreibt sie über den "Liebesbegriff bei Augustinus". Bei Grunenberg liest man über dieses Wechselspiel: "Mindestens ebensosehr wie die körperlichen Begegnungen beschäftigte Heidegger die Liebe als Phänomen, mehrfach schrieb er ihr über ,die Liebe'." Zur Dissertation heißt es: "Vor allem beabsichtigte Arendt - am Beispiel des Liebesbegriffs - Augustinus' Verwurzelung im griechischen Denken und in der Kultur seiner Zeit aufzuweisen." Man könnte sich damit aufhalten, daß die Dissertation keineswegs historistisch gestimmt war, sondern Augustinus waghalsig aktualisierte. Doch welche Geschichten hätte man noch erzählen können? "Amo heißt volo ut sis" ("Ich liebe Dich - ich will, daß Du seiest, was Du bist") - so schreibt Heidegger an Hannah Arendt 1925 (und an Elisabeth Blochmann 1928). Hannah Arendt wird diese Wendung wie ein anonymes Denkmal in ihrer Dissertation und später in anderen Schriften zitieren. Keine Rede davon bei Grunenberg.
Zwei Doppel-Leben
Erwähnt wird die Ehe mit Günther Anders, in die sich Hannah Arendt 1929 flüchtete, und auch, daß Heidegger von ihm, auch einem seiner Schüler, keine hohe Meinung hatte. Vorenthalten wird dem Leser, daß Arendt und Anders gemeinsam einen von Heidegger-Bezügen strotzenden Text über Rilkes "Duineser Elegien" verfaßten; eine schönere Pointe, an der sich die Ablösung eines Doppel-Lebens durch ein anderes schildern ließe, könnte man sich kaum wünschen. Solche und viele andere sattsam bekannten Verbindungen bleiben bei Grunenberg unerwähnt. Schließlich führen von jener gemeinsamen Rilke-Interpretation Linien zu zwei Rezensionen von Hermann Brochs Roman "Tod des Vergil", die Anders und Arendt nach dem Zweiten Weltkrieg unabhängig voneinander verfassen und in denen sich die Gegensätze innerhalb der Heidegger-Schule so deutlich wie kaum sonst abzeichnen.
Der Stoff, der Grunenberg in seinen Bann schlägt, scheint sie in Schreckensstarre verfallen zu lassen. Für die Zusammenfassung zu Heideggers "Sein und Zeit" stützt sie sich auf eine etwas schlampige Paraphrase von Passagen aus einem Heidegger-Buch George Steiners. Dessen Bemerkung "Das Kernproblem ist ,Alltäglichkeit'" wird verballhornt zu "Der Kern des Da-Seins ist die Alltäglichkeit". Da das Wort "authentic" in der deutschen Übersetzung von Steiners Buch immer wieder mal zu "authentisch" wird, spricht Grunenberg obstinat von Heideggers "authentischem Dasein", obwohl dieses nur "eigentlich" sein will.
Heideggers Buch "Kant und das Problem der Metaphysik" ist nicht "innerhalb von drei Wochen" in Ausarbeitung der "Davoser Vorlesungen" entstanden. "Nachfolger Hermann Cohens auf dessen Lehrstuhl in Freiburg" konnte Heidegger deshalb nicht werden, weil Cohen dort nie gelehrt hat; den Ruf an die Universität Freiburg erhielt er nicht "uni loco", sondern "unico loco". Warum soll die Idee, "Pluralität" bestehe im "Ertragen der Differenz", deutschen und französischen Ursprungs sein, dagegen die Pluralität als Förderung des "gedanklichen Reichtums der Gesellschaft" eine amerikanische Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts? Eine Lektüreempfehlung als gedankliches Gegengift: Wilhelm von Humboldt.
Der Tiefpunkt des Buches ist die Stelle, an der Heideggers "Sich-Einschalten" bei der Machtergreifung auf die "Erregbarkeit" seines Charakters zurückgeführt wird. "Erregungszustände" treten, meint Grunenberg, bei Heidegger in zwei Formen auf: im zur Tat drängenden Denken und in der "Offenheit gegenüber erotischen Erlebnissen". Angespielt wird damit auf Heideggers Affären - nicht nur mit Hannah Arendt. Aber was hat die Ahnung vom Busen unter deren "grünem Kleid" damit zu tun, daß man sich den Nationalsozialisten an die Brust wirft? Fast klingt das so, als drohe im Wesen der Frau der Archetyp diktatorischer Verführung.
Fieber der Annäherungen
Die Kapitel zu Heidegger und zu Arendt als Philosophin wirken etwas lust- und ahnungslos. Bei der Schilderung der politisch-persönlichen Fieberkurve aus Annäherung und Entfernung in der Nachkriegszeit wird manches Bekannte zusammengeklaubt, anderes Bekannte fällt unter den Tisch.
Treffend ist, was sie mit François Furet über den bürgerlichen Selbsthaß während der Weimarer Republik schreibt oder wie sie eine Artikelserie in der "Frankfurter Zeitung" 1931/32 zur Universitätsreform ans Licht zieht. Vor allem in den Kapiteln zu Arendts amerikanischer Phase, in denen Grunenberg manche unveröffentlichte Korrespondenz auswertet (mit Hilde Fränkel, Dolf Sternberger, Salomon Adler-Rüdel und anderen), wird aus dem vollen geschöpft.
Aus Briefen an John Oesterreicher und Calvin Schrag, die Grunenberg zitiert, erfährt man, wie scharf sich Arendt von dem äußerst heideggerkritischen Text distanzierte, den sie kurz nach Kriegsende über die "Existenzphilosophie" veröffentlicht hatte. In einem Brief an Waldemar Gurian liest man: "Der Nationalsozialismus ist die Ausgeburt der Hölle, die Liberalismus heißt." In einem Brief an Glenn Gray liest man Arendts Schilderung vom letzten Besuch bei einem "apathisch" gewordenen Heidegger. Grunenberg findet treffende Worte zum Gegensatz von Paria und Parvenü, zu Arendts Hadern mit der moralischen Unzuverlässigkeit der Intellektualität ("Nie wieder! Ich rühre nie wieder irgendeine intellektuelle Geschichte an"), zu ihrem Leben als "befreiter Wirbelwind" im New Yorker "Universum der Geräusche", zu ihrem Spagat zwischen "neuer Erfahrung" und "Tradition".
Wenn Autoren ihren Helden respektvoll begegnen, entstehen die schönsten Biographien. Grunenberg übt die gebotene Zurückhaltung, paart sie aber mit einer Neigung zum Fragezeichen, das alles in der Schwebe läßt. War "das Telegramm" Heideggers an Hitler "ein Akt des Widerstandes"? Bloß nicht beantworten, diese Frage. "Wie kommt es, daß Geistesgrößen aus Wissenschaft, Literatur und Kunst durch das lautstarke Auftreten eines Adolf Hitler und seiner Freunde angezogen wurden?" Ein "Rätsel", das unbedingt ungelüftet bleiben muß. Ob der "Zionismus als eine Art jüdische Existenzphilosophie verstanden werden" kann, "muß hier unerörtert bleiben". Arendts Kontroversen (nicht nur) mit ihren jüdischen Freunden um die Bewertung des Zionismus, um Eichmanns "Banalität des Bösen" und um das Agieren der Judenräte in Polen werden von Grunenberg so behutsam angefaßt, daß man als Leser nach Samthandschuhen sucht.
Am Ende drängt sich der Eindruck auf, daß Thema und Form dieses Buches zum Temperament der Autorin nicht passen. Die Doppelbiographie ist eine Hälfte zu groß für sie, und die Unschlüssigkeit, in der sie verharrt, kennt man von Grunenbergs anderen Publikationen so nicht. Sie paßt auch nicht zu Hannah Arendt, deren stolze Devise hätte lauten können, daß sie nur keinen Streit vermeiden wollte.
DIETER THOMÄ
Antonia Grunenberg: "Hannah Arendt und Martin Heidegger". Geschichte einer Liebe. Piper Verlag, München 2006. 469 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Antonia Grunenberg über Hannah Arendt und Martin Heidegger
Wer das deutsche zwanzigste Jahrhundert in einer Nußschale zeigen will, dem bieten sich Heidegger und Hannah Arendt an. In dem Wechsel-Kurs, der ihre Lebenslinien verbindet und trennt, ist Musik drin. Es treten auf: eine achtzehnjährige Studentin als Geliebte eines Familienvaters, die "neckische Waldnymphe" (Heidegger über Arendt), und der "Seeräuber" (Arendt über Heidegger), die Ostpreußin und der Schwarzwälder, die Jüdin und der Kritiker der "Verjudung des deutschen Geistes", die amerikanische Publizistin und der Denker, der meinte, "im Politischen weder bewandert noch begabt" zu sein, die Autorin von "Vita activa" und derjenige, den sie zum "König" unter den Philosophen seiner Zeit kürte und der heute neben Ludwig Wittgenstein als größter Denker des zwanzigsten Jahrhunderts anerkannt ist.
Mit der Entscheidung, ein Buch über Arendt und Heidegger zu schreiben, hat sich Antonia Grunenberg einer Jahrhundert-Aufgabe gestellt. Gleich eingangs spricht sie mit Arendt von den "Sandstürmen", die durch jene Zeit geweht sind; diese will sie spürbar machen, ohne daß ihre Protagonisten am Ende "entlarvt", "beschädigt" oder auch "rehabilitiert" dastehen. Weder politischer Kommentar noch philosophische Analyse soll dieses Buch sein, sondern eine "Doppelbiographie" - eine Doppel-Doppel-Biographie, denn nicht nur geht es um zwei Leben, sondern auch um die Doppelung von Gelebtem und Gedachtem.
Da ist, Mitte der zwanziger Jahre, die frühe Liebe zwischen dem Professor, der das "Oberflächendasein" verachtet und nach dem "Erleben der wertvollen Welten" strebt, und der Studentin, an der Freunde "etwas Magisches", einen "Tiefsinn" erkennen. Als die Beziehung zu Heidegger im Leben zerbricht, verschiebt Arendt die Liebe auf die Seite des Denkens: Ihre Dissertation schreibt sie über den "Liebesbegriff bei Augustinus". Bei Grunenberg liest man über dieses Wechselspiel: "Mindestens ebensosehr wie die körperlichen Begegnungen beschäftigte Heidegger die Liebe als Phänomen, mehrfach schrieb er ihr über ,die Liebe'." Zur Dissertation heißt es: "Vor allem beabsichtigte Arendt - am Beispiel des Liebesbegriffs - Augustinus' Verwurzelung im griechischen Denken und in der Kultur seiner Zeit aufzuweisen." Man könnte sich damit aufhalten, daß die Dissertation keineswegs historistisch gestimmt war, sondern Augustinus waghalsig aktualisierte. Doch welche Geschichten hätte man noch erzählen können? "Amo heißt volo ut sis" ("Ich liebe Dich - ich will, daß Du seiest, was Du bist") - so schreibt Heidegger an Hannah Arendt 1925 (und an Elisabeth Blochmann 1928). Hannah Arendt wird diese Wendung wie ein anonymes Denkmal in ihrer Dissertation und später in anderen Schriften zitieren. Keine Rede davon bei Grunenberg.
Zwei Doppel-Leben
Erwähnt wird die Ehe mit Günther Anders, in die sich Hannah Arendt 1929 flüchtete, und auch, daß Heidegger von ihm, auch einem seiner Schüler, keine hohe Meinung hatte. Vorenthalten wird dem Leser, daß Arendt und Anders gemeinsam einen von Heidegger-Bezügen strotzenden Text über Rilkes "Duineser Elegien" verfaßten; eine schönere Pointe, an der sich die Ablösung eines Doppel-Lebens durch ein anderes schildern ließe, könnte man sich kaum wünschen. Solche und viele andere sattsam bekannten Verbindungen bleiben bei Grunenberg unerwähnt. Schließlich führen von jener gemeinsamen Rilke-Interpretation Linien zu zwei Rezensionen von Hermann Brochs Roman "Tod des Vergil", die Anders und Arendt nach dem Zweiten Weltkrieg unabhängig voneinander verfassen und in denen sich die Gegensätze innerhalb der Heidegger-Schule so deutlich wie kaum sonst abzeichnen.
Der Stoff, der Grunenberg in seinen Bann schlägt, scheint sie in Schreckensstarre verfallen zu lassen. Für die Zusammenfassung zu Heideggers "Sein und Zeit" stützt sie sich auf eine etwas schlampige Paraphrase von Passagen aus einem Heidegger-Buch George Steiners. Dessen Bemerkung "Das Kernproblem ist ,Alltäglichkeit'" wird verballhornt zu "Der Kern des Da-Seins ist die Alltäglichkeit". Da das Wort "authentic" in der deutschen Übersetzung von Steiners Buch immer wieder mal zu "authentisch" wird, spricht Grunenberg obstinat von Heideggers "authentischem Dasein", obwohl dieses nur "eigentlich" sein will.
Heideggers Buch "Kant und das Problem der Metaphysik" ist nicht "innerhalb von drei Wochen" in Ausarbeitung der "Davoser Vorlesungen" entstanden. "Nachfolger Hermann Cohens auf dessen Lehrstuhl in Freiburg" konnte Heidegger deshalb nicht werden, weil Cohen dort nie gelehrt hat; den Ruf an die Universität Freiburg erhielt er nicht "uni loco", sondern "unico loco". Warum soll die Idee, "Pluralität" bestehe im "Ertragen der Differenz", deutschen und französischen Ursprungs sein, dagegen die Pluralität als Förderung des "gedanklichen Reichtums der Gesellschaft" eine amerikanische Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts? Eine Lektüreempfehlung als gedankliches Gegengift: Wilhelm von Humboldt.
Der Tiefpunkt des Buches ist die Stelle, an der Heideggers "Sich-Einschalten" bei der Machtergreifung auf die "Erregbarkeit" seines Charakters zurückgeführt wird. "Erregungszustände" treten, meint Grunenberg, bei Heidegger in zwei Formen auf: im zur Tat drängenden Denken und in der "Offenheit gegenüber erotischen Erlebnissen". Angespielt wird damit auf Heideggers Affären - nicht nur mit Hannah Arendt. Aber was hat die Ahnung vom Busen unter deren "grünem Kleid" damit zu tun, daß man sich den Nationalsozialisten an die Brust wirft? Fast klingt das so, als drohe im Wesen der Frau der Archetyp diktatorischer Verführung.
Fieber der Annäherungen
Die Kapitel zu Heidegger und zu Arendt als Philosophin wirken etwas lust- und ahnungslos. Bei der Schilderung der politisch-persönlichen Fieberkurve aus Annäherung und Entfernung in der Nachkriegszeit wird manches Bekannte zusammengeklaubt, anderes Bekannte fällt unter den Tisch.
Treffend ist, was sie mit François Furet über den bürgerlichen Selbsthaß während der Weimarer Republik schreibt oder wie sie eine Artikelserie in der "Frankfurter Zeitung" 1931/32 zur Universitätsreform ans Licht zieht. Vor allem in den Kapiteln zu Arendts amerikanischer Phase, in denen Grunenberg manche unveröffentlichte Korrespondenz auswertet (mit Hilde Fränkel, Dolf Sternberger, Salomon Adler-Rüdel und anderen), wird aus dem vollen geschöpft.
Aus Briefen an John Oesterreicher und Calvin Schrag, die Grunenberg zitiert, erfährt man, wie scharf sich Arendt von dem äußerst heideggerkritischen Text distanzierte, den sie kurz nach Kriegsende über die "Existenzphilosophie" veröffentlicht hatte. In einem Brief an Waldemar Gurian liest man: "Der Nationalsozialismus ist die Ausgeburt der Hölle, die Liberalismus heißt." In einem Brief an Glenn Gray liest man Arendts Schilderung vom letzten Besuch bei einem "apathisch" gewordenen Heidegger. Grunenberg findet treffende Worte zum Gegensatz von Paria und Parvenü, zu Arendts Hadern mit der moralischen Unzuverlässigkeit der Intellektualität ("Nie wieder! Ich rühre nie wieder irgendeine intellektuelle Geschichte an"), zu ihrem Leben als "befreiter Wirbelwind" im New Yorker "Universum der Geräusche", zu ihrem Spagat zwischen "neuer Erfahrung" und "Tradition".
Wenn Autoren ihren Helden respektvoll begegnen, entstehen die schönsten Biographien. Grunenberg übt die gebotene Zurückhaltung, paart sie aber mit einer Neigung zum Fragezeichen, das alles in der Schwebe läßt. War "das Telegramm" Heideggers an Hitler "ein Akt des Widerstandes"? Bloß nicht beantworten, diese Frage. "Wie kommt es, daß Geistesgrößen aus Wissenschaft, Literatur und Kunst durch das lautstarke Auftreten eines Adolf Hitler und seiner Freunde angezogen wurden?" Ein "Rätsel", das unbedingt ungelüftet bleiben muß. Ob der "Zionismus als eine Art jüdische Existenzphilosophie verstanden werden" kann, "muß hier unerörtert bleiben". Arendts Kontroversen (nicht nur) mit ihren jüdischen Freunden um die Bewertung des Zionismus, um Eichmanns "Banalität des Bösen" und um das Agieren der Judenräte in Polen werden von Grunenberg so behutsam angefaßt, daß man als Leser nach Samthandschuhen sucht.
Am Ende drängt sich der Eindruck auf, daß Thema und Form dieses Buches zum Temperament der Autorin nicht passen. Die Doppelbiographie ist eine Hälfte zu groß für sie, und die Unschlüssigkeit, in der sie verharrt, kennt man von Grunenbergs anderen Publikationen so nicht. Sie paßt auch nicht zu Hannah Arendt, deren stolze Devise hätte lauten können, daß sie nur keinen Streit vermeiden wollte.
DIETER THOMÄ
Antonia Grunenberg: "Hannah Arendt und Martin Heidegger". Geschichte einer Liebe. Piper Verlag, München 2006. 469 S., geb., 22,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Sehr gute Noten vergibt Rezensentin Christiane Pries an diese Studie, die sie als Versuch beschreibt, Leben und Werk des Liebespaars Hannah Arendt und Martin Heidegger aus einem "gemeinsamen geistigen Milieu" heraus zu entwickeln. Obgleich auch Antonia Grunenberg dabei gelegentlich ins Romantisierende und Spekulierende gerate, findet Pries den Ton grundsätzlich eher sachlich. Es beginne mit den zwanziger Jahren und dem Beginn von Arendts Affäre mit dem verheirateten Philosophen und ende mit Arendts Tod 1975. Das eigentliche Skandalon dieser Affäre, so Pries, war nicht die anderthalbjährige Liebesbeziehung vor Arendts Exil, sondern die Tatsache, dass sie nach dem Krieg die Freundschaft mit Nazisympathisanten Heidegger wieder aufnahm, so die Rezensentin. Spektakulär Neues erfahre man nicht aus diesem Buch, weshalb man um die einschlägigen Standardbiografien und Spezialuntersuchungen nach wie vor nicht herum komme. Bestechend findet die Rezensenten die vorliegende Schilderung jedoch als "Sittenbild" und "Kulturgeschichte", deren Attraktion das Panorama verschiedenster, akribisch zusammengetragener Details aus den geistigen und akademischen Milieus von Arendt und Heidegger zu sein scheint, in dem auch Nebenfiguren der persönlichen und professionellen Netzwerke beider ungewöhnlich viel Raum gegeben werde.
© Perlentaucher Medien GmbH
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