Martin Heidegger und Hannah Arendt haben, wie Emmanuel Fayes Studie belegt, in weiten Teilen ein zusammenhängendes Projekt verfolgt. Während Heidegger einen 'geistigen Nationalsozialismus' propagiert und die Philosophie zerstört, bemüht sich Arendt, nicht nur ihn, sondern all die Intellektuellen zu entlasten, die sich in den Dienst der Politik des Dritten Reiches stellten. Die vorliegende Studie zeigt, wie diese beiden einflussreichen Autoren in ihrem Werk das rationale Denken und zugleich die Annahme einer wesensmäßigen Gleichheit der Menschen demontiert haben. Bei Heidegger geht die Zerstörung des Humanismus bis hin zur Unterstellung, die Juden seien mitverantwortlich an ihrer eigenen Vernichtung.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Peter Trawny kann Emmanuel Fayes These, Hannah Arendt habe die deutschen Intellektuellen, die sich in den Dienst der Nationalsozialisten stellten, entlasten wollen, überhaupt nicht folgen und kritisiert die Konstruiertheit, mangelnde Präzision und "einfache Mechanik" von Fayes Argumentation. Den Vorwurf zum Beispiel, dass Arendt nicht zwischen Konzentrations- und Vernichtungslagern unterscheide, findet der Rezensent nicht stichhaltig, da sich diese begriffliche Differenzierung in der Totalitarismusforschung erst nach der Veröffentlichung von "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" durchgesetzt habe. Auch Arendts Kritik am Universalismus der Menschenrechte versteht Faye nach Trawny falsch, denn die Philosophin habe nicht gegen die Idee der Menschenrechte argumentiert, sondern lediglich aufgezeigt, dass es in der Zwischenkriegszeit keine Institution gab, die diese Rechte effektiv hätte verteidigen können. Trawny erkennt aber nicht nur inhaltliche Inkonsistenzen, sondern kritisiert Fayes Buch auch strukturell: Faye wolle ständig mit Evidenzen arbeiten, die es in der Philosophie so nicht gebe, betont der Rezensent. Das mache seine Interpretation dogmatisch und widerspreche im Grunde einer vernunftgeleiteten Philosophie, auf die Faye alles setzt, denn die Vernunft muss sich immer argumentativ bewähren, schließt Trawny.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2024Laboratorien der Moderne?
Emmanuel Faye liest Hannah Arendt mit bösem Blick und entdeckt dabei doch einiges, was ihre Verehrer gern übersehen.
"Ja, ich fürchte, ich muss erst einmal protestieren. Ich gehöre nicht in den Kreis der Philosophen. Mein Beruf - wenn man davon überhaupt noch sprechen kann - ist politische Theorie. Ich fühle mich keineswegs als Philosophin", so Hannah Arendts erste Antwort 1964 in ihrem legendären Fernsehgespräch mit Günter Gaus. Folgt man Emmanuel Fayes herausforderndem Buch, so ist diese Ablehnung keineswegs eine simple Definitionsfrage, sondern verdankt sich vielmehr einer meist übersehenen Nähe Arendts zu Martin Heideggers Programm einer "Destruktion" der abendländischen Metaphysik und Ontologie, einer Überwindung der Philosophie zugunsten eines vage umrissenen "Denkens". Und diese Nähe zum nationalsozialistisch kompromittierten Heidegger affiziert laut Faye auch Hannah Arendts Werk.
Die Provokation der These trifft natürlich Hannah Arendt. Über Heideggers umfassend dokumentiertes NS-Engagement ist ein grundsätzlicher Dissens nicht mehr möglich. Bereits die Analysen von Karl Löwith (1946 in Sartres "Temps modernes") und Jürgen Habermas (1953 in der F.A.Z.) zeigten, in welchem Maße Heidegger seine Philosophie 1933 politisch instrumentalisiert hatte, was ihn post festum wiederum zur berühmten "Kehre" zwang. Faye ging in "Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie" (2005) einen entschiedenen Schritt weiter: Heidegger habe sein Denken nicht opportunistisch den Machtverhältnissen angepasst, vielmehr sei es von Anfang an der nationalsozialistischen Ideologie eng verwandt gewesen und habe deshalb von 1933 an im Bekenntnis zum "Führer" seine konsequente Fortsetzung gefunden. Dass bei den Interpreten darob alles andere als Einigkeit herrscht, versteht sich; die Publikation der "Schwarzen Hefte" macht die Verteidigung Heideggers jedoch schwerer denn je.
Daran muss erinnert werden, auch wenn das neue Buch zu Heidegger selbst wenig Neues enthält, denn Fayes Attacke gegen Hannah Arendt ist durchweg auf die Heidegger-Analyse bezogen. Das Buch beruht auf sehr gründlicher Kenntnis, arbeitet mit umfangreichen Belegen, ist häufig mäandernd, wiederholend, unübersichtlich; sein Autor ist sowohl bestens eingelesen als auch obsessiv, neigt zu starken Thesen, weitgehenden Schlussfolgerungen und ist ersichtlich kein Freund abwägender Ambivalenz. Dass er sich auch von Arendts Weltruhm nicht einschüchtern lässt, erlaubt erstaunliche Neubewertungen auch ihrer Hauptwerke.
Fayes Argumentation lässt sich verkürzt auf wenige Punkte konzentrieren: Wie stark hat die Prägung durch Heideggers Person und Philosophie auf Arendts Theorie des Totalitarismus gewirkt? Wie verhalten sich ihre Thesen über Antisemitismus und Nationalsozialismus zur Frage der Verantwortung der deutschen Intellektuellen vor und nach 1933? Welche Rolle spielt ihre stark umkämpfte Reportage "Eichmann in Jerusalem" im Zusammenhang mit dieser Frage nach der Verantwortung? Zugespitzt ist das zu dem Vorwurf, Arendt habe nicht nur Heideggers, sondern überhaupt die Rolle der deutschen Mandarine im Nationalsozialismus heruntergespielt; ihre politische Theorie sei darüber hinaus stark von Heidegger beeinflusst und damit von seiner nationalsozialistischen Ideologie. Starker Tobak.
Mag man auch nicht umstandslos jeder Schlussfolgerung zustimmen, so sind die von Faye vorgelegten Dokumente trotzdem immer wieder verstörend. "Was hingegen jene Angehörigen der geistigen und künstlerischen Elite anlangt, die sich in so betrübend großer Zahl bei der einen oder anderen Gelegenheit von den totalitären Bewegungen haben verleiten lassen und denen man sogar wegen ihrer überragenden Fähigkeiten manchmal vorwirft, sie hätten diesen ganzen Höllenspuk inspiriert, so muß in aller Gerechtigkeit gesagt werden, daß, was immer diese verzweifelten Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts begangen oder unterlassen haben, sie auf die totalen Herrschaftsapparate niemals und nirgendwo irgendeinen Einfluss hatten." Wer würde wohl solche Verharmlosung in Arendts Hauptwerk "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" (1951) erwarten? Besonders heikel ist Fayes Nachweis, dass Arendt es unmittelbar nach dem Krieg noch besser wusste und auch Heidegger oder Carl Schmitt durchaus nicht bloß als "verleitete" und "verzweifelte Menschen" ansah; 1946 schrieb sie in einer Rezension "eine ganze Reihe jener herausragenden Wissenschaftler hat das Äußerste getan, um den Nazis Ideen und Methoden zu liefern: zur Prominenz unter ihnen zählen der Jurist Carl Schmitt, der Theologe Gerhard Kittel, der Soziologe Hans Freyer, der Historiker Walter Frank (der ehemalige Direktor des Reichsinstituts zur Erforschung der Judenfrage in Deutschland) und der Existentialphilosoph Martin Heidegger." Woher der Sinneswandel?
Man ist gewohnt, Arendts vorbehaltlose Hommage zu Heideggers 80. Geburtstag als späte Versöhnung eher beiseitezulassen, doch viele Veröffentlichungen und Briefe widersprechen einer solchen rein biographischen Lesart. Überhaupt bringt Faye Gesichtspunkte zusammen, die man meist getrennt behandelt. "Eichmann in Jerusalem" hat vehementen Widerspruch durch zwei Thesen geweckt: durch die Zuweisung einer Mitschuld an die "Judenräte" und durch jene "Banalität des Bösen", die sie Eichmann attestierte. Gewiss, diese Thesen werden oft entstellend verkürzt; dennoch ist der Befund einer doppelten Verharmlosung, und sei's durch sprachliches Ungeschick, nicht zu leugnen. Um es klar auszusprechen: Arendts Engagement gegen den Nationalsozialismus steht vollkommen außer Frage, vor dem Krieg, im Krieg, nach dem Krieg. Dennoch ist die Konstellation, die Faye herstellt, zutiefst irritierend: Auf der einen Seite die Tendenz, eine jüdische Mitschuld am Völkermord zu erörtern, auf der anderen die schrittweise Entlastung der nationalsozialistischen Intelligenz.
Heidegger hat sich weder seiner Vergangenheit je gestellt noch den geschichtlichen und philosophischen Konsequenzen der zentralen Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts. "Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben." Faye bezeichnet das als "ontologischen Negationismus"; und gerade weil die berüchtigte Passage aus dem Jahr 1949 nahezu Heideggers einziges Wort zur Schoa geblieben ist, wird hier die weitausholende Prätention des Großphilosophen zum kleinlichen Versagen. Die Rechtfertigungsstrategie, es handle sich um eine Art Vernunft- und Aufklärungskritik auf der historischen Schwelle zum Denken des zwanzigsten Jahrhunderts, ist aufgrund der Dürftigkeit und Unangemessenheit des Heideggerschen Aperçus sinnlos.
Doch genau an diesem Punkt argumentiert Arendt im Totalitarismus-Buch ähnlich: "Der Versuch der totalen Herrschaft, in den Laboratorien der Konzentrationslager das Überflüssigwerden von Menschen herauszuexperimentieren, entspricht aufs genaueste den Erfahrungen moderner Massen von ihrer eigenen Überflüssigkeit in einer übervölkerten Welt und der Sinnlosigkeit dieser Welt selbst." Die Schoa als Experiment, als Spiegel der modernen Welt? Und kann man wirklich begreifen, was Arendt sagen wollte, als sie ebendort schrieb: "Die Volksgemeinschaft war nur eine propagandistische Vorbereitung auf eine arische Rassengesellschaft, die schließlich allen Völkern, auch dem deutschen, den Garaus gemacht hätte"? Übrigens hat der liberal-skeptische Raymond Aron bereits 1964 festgestellt, dass es hier kaum mit rechten Dingen zugeht: "Ich bin nicht sicher, ob Frau Arendt nicht ein wenig von den Monstern fasziniert ist, die sie der Wirklichkeit entlehnt, die sie jedoch durch ihre logizistische Vorstellungskraft, der von ihr angegriffenen Ideologie in mancher Hinsicht vergleichbar, zur Perfektion bringt."
Natürlich, Faye liest "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" mit dem bösen Blick des Heideggerkritikers. Eine seriöse Theorie, um die es sich bei Arendt zweifellos handelt, muss aber auch den bösen Blick aushalten. Man wird Fayes weitgehenden Schlüssen keineswegs immer folgen und nicht einmal seiner Grundthese, Arendt habe durch Heidegger Anteil an der "Zerstörung des Denkens". Mit der Fülle seiner Analysen und Belege gelingt es ihm dennoch, außerordentlich prekäre Brüche in ihrer Totalitarismustheorie herauszuarbeiten, und er macht es seinen Gegnern nicht leicht, ihn an diesen Stellen zu widerlegen. Die Beziehung zwischen Arendt und Heidegger war keineswegs die Privatsache, als die sie oft erzählt wird; Heidegger'sche Elemente, und nicht die harmlosesten, finden sich an etlichen Stellen ihres Werks. WOLFGANG MATZ
Emmanuel Faye: "Hannah Arendt und Martin Heidegger". Zerstörung des Denkens.
Aus dem Französischen von Leonore Bazinek. Königshausen & Neumann Verlag, Würzburg 2024. 476 S., br., 44,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Emmanuel Faye liest Hannah Arendt mit bösem Blick und entdeckt dabei doch einiges, was ihre Verehrer gern übersehen.
"Ja, ich fürchte, ich muss erst einmal protestieren. Ich gehöre nicht in den Kreis der Philosophen. Mein Beruf - wenn man davon überhaupt noch sprechen kann - ist politische Theorie. Ich fühle mich keineswegs als Philosophin", so Hannah Arendts erste Antwort 1964 in ihrem legendären Fernsehgespräch mit Günter Gaus. Folgt man Emmanuel Fayes herausforderndem Buch, so ist diese Ablehnung keineswegs eine simple Definitionsfrage, sondern verdankt sich vielmehr einer meist übersehenen Nähe Arendts zu Martin Heideggers Programm einer "Destruktion" der abendländischen Metaphysik und Ontologie, einer Überwindung der Philosophie zugunsten eines vage umrissenen "Denkens". Und diese Nähe zum nationalsozialistisch kompromittierten Heidegger affiziert laut Faye auch Hannah Arendts Werk.
Die Provokation der These trifft natürlich Hannah Arendt. Über Heideggers umfassend dokumentiertes NS-Engagement ist ein grundsätzlicher Dissens nicht mehr möglich. Bereits die Analysen von Karl Löwith (1946 in Sartres "Temps modernes") und Jürgen Habermas (1953 in der F.A.Z.) zeigten, in welchem Maße Heidegger seine Philosophie 1933 politisch instrumentalisiert hatte, was ihn post festum wiederum zur berühmten "Kehre" zwang. Faye ging in "Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie" (2005) einen entschiedenen Schritt weiter: Heidegger habe sein Denken nicht opportunistisch den Machtverhältnissen angepasst, vielmehr sei es von Anfang an der nationalsozialistischen Ideologie eng verwandt gewesen und habe deshalb von 1933 an im Bekenntnis zum "Führer" seine konsequente Fortsetzung gefunden. Dass bei den Interpreten darob alles andere als Einigkeit herrscht, versteht sich; die Publikation der "Schwarzen Hefte" macht die Verteidigung Heideggers jedoch schwerer denn je.
Daran muss erinnert werden, auch wenn das neue Buch zu Heidegger selbst wenig Neues enthält, denn Fayes Attacke gegen Hannah Arendt ist durchweg auf die Heidegger-Analyse bezogen. Das Buch beruht auf sehr gründlicher Kenntnis, arbeitet mit umfangreichen Belegen, ist häufig mäandernd, wiederholend, unübersichtlich; sein Autor ist sowohl bestens eingelesen als auch obsessiv, neigt zu starken Thesen, weitgehenden Schlussfolgerungen und ist ersichtlich kein Freund abwägender Ambivalenz. Dass er sich auch von Arendts Weltruhm nicht einschüchtern lässt, erlaubt erstaunliche Neubewertungen auch ihrer Hauptwerke.
Fayes Argumentation lässt sich verkürzt auf wenige Punkte konzentrieren: Wie stark hat die Prägung durch Heideggers Person und Philosophie auf Arendts Theorie des Totalitarismus gewirkt? Wie verhalten sich ihre Thesen über Antisemitismus und Nationalsozialismus zur Frage der Verantwortung der deutschen Intellektuellen vor und nach 1933? Welche Rolle spielt ihre stark umkämpfte Reportage "Eichmann in Jerusalem" im Zusammenhang mit dieser Frage nach der Verantwortung? Zugespitzt ist das zu dem Vorwurf, Arendt habe nicht nur Heideggers, sondern überhaupt die Rolle der deutschen Mandarine im Nationalsozialismus heruntergespielt; ihre politische Theorie sei darüber hinaus stark von Heidegger beeinflusst und damit von seiner nationalsozialistischen Ideologie. Starker Tobak.
Mag man auch nicht umstandslos jeder Schlussfolgerung zustimmen, so sind die von Faye vorgelegten Dokumente trotzdem immer wieder verstörend. "Was hingegen jene Angehörigen der geistigen und künstlerischen Elite anlangt, die sich in so betrübend großer Zahl bei der einen oder anderen Gelegenheit von den totalitären Bewegungen haben verleiten lassen und denen man sogar wegen ihrer überragenden Fähigkeiten manchmal vorwirft, sie hätten diesen ganzen Höllenspuk inspiriert, so muß in aller Gerechtigkeit gesagt werden, daß, was immer diese verzweifelten Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts begangen oder unterlassen haben, sie auf die totalen Herrschaftsapparate niemals und nirgendwo irgendeinen Einfluss hatten." Wer würde wohl solche Verharmlosung in Arendts Hauptwerk "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" (1951) erwarten? Besonders heikel ist Fayes Nachweis, dass Arendt es unmittelbar nach dem Krieg noch besser wusste und auch Heidegger oder Carl Schmitt durchaus nicht bloß als "verleitete" und "verzweifelte Menschen" ansah; 1946 schrieb sie in einer Rezension "eine ganze Reihe jener herausragenden Wissenschaftler hat das Äußerste getan, um den Nazis Ideen und Methoden zu liefern: zur Prominenz unter ihnen zählen der Jurist Carl Schmitt, der Theologe Gerhard Kittel, der Soziologe Hans Freyer, der Historiker Walter Frank (der ehemalige Direktor des Reichsinstituts zur Erforschung der Judenfrage in Deutschland) und der Existentialphilosoph Martin Heidegger." Woher der Sinneswandel?
Man ist gewohnt, Arendts vorbehaltlose Hommage zu Heideggers 80. Geburtstag als späte Versöhnung eher beiseitezulassen, doch viele Veröffentlichungen und Briefe widersprechen einer solchen rein biographischen Lesart. Überhaupt bringt Faye Gesichtspunkte zusammen, die man meist getrennt behandelt. "Eichmann in Jerusalem" hat vehementen Widerspruch durch zwei Thesen geweckt: durch die Zuweisung einer Mitschuld an die "Judenräte" und durch jene "Banalität des Bösen", die sie Eichmann attestierte. Gewiss, diese Thesen werden oft entstellend verkürzt; dennoch ist der Befund einer doppelten Verharmlosung, und sei's durch sprachliches Ungeschick, nicht zu leugnen. Um es klar auszusprechen: Arendts Engagement gegen den Nationalsozialismus steht vollkommen außer Frage, vor dem Krieg, im Krieg, nach dem Krieg. Dennoch ist die Konstellation, die Faye herstellt, zutiefst irritierend: Auf der einen Seite die Tendenz, eine jüdische Mitschuld am Völkermord zu erörtern, auf der anderen die schrittweise Entlastung der nationalsozialistischen Intelligenz.
Heidegger hat sich weder seiner Vergangenheit je gestellt noch den geschichtlichen und philosophischen Konsequenzen der zentralen Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts. "Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben." Faye bezeichnet das als "ontologischen Negationismus"; und gerade weil die berüchtigte Passage aus dem Jahr 1949 nahezu Heideggers einziges Wort zur Schoa geblieben ist, wird hier die weitausholende Prätention des Großphilosophen zum kleinlichen Versagen. Die Rechtfertigungsstrategie, es handle sich um eine Art Vernunft- und Aufklärungskritik auf der historischen Schwelle zum Denken des zwanzigsten Jahrhunderts, ist aufgrund der Dürftigkeit und Unangemessenheit des Heideggerschen Aperçus sinnlos.
Doch genau an diesem Punkt argumentiert Arendt im Totalitarismus-Buch ähnlich: "Der Versuch der totalen Herrschaft, in den Laboratorien der Konzentrationslager das Überflüssigwerden von Menschen herauszuexperimentieren, entspricht aufs genaueste den Erfahrungen moderner Massen von ihrer eigenen Überflüssigkeit in einer übervölkerten Welt und der Sinnlosigkeit dieser Welt selbst." Die Schoa als Experiment, als Spiegel der modernen Welt? Und kann man wirklich begreifen, was Arendt sagen wollte, als sie ebendort schrieb: "Die Volksgemeinschaft war nur eine propagandistische Vorbereitung auf eine arische Rassengesellschaft, die schließlich allen Völkern, auch dem deutschen, den Garaus gemacht hätte"? Übrigens hat der liberal-skeptische Raymond Aron bereits 1964 festgestellt, dass es hier kaum mit rechten Dingen zugeht: "Ich bin nicht sicher, ob Frau Arendt nicht ein wenig von den Monstern fasziniert ist, die sie der Wirklichkeit entlehnt, die sie jedoch durch ihre logizistische Vorstellungskraft, der von ihr angegriffenen Ideologie in mancher Hinsicht vergleichbar, zur Perfektion bringt."
Natürlich, Faye liest "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" mit dem bösen Blick des Heideggerkritikers. Eine seriöse Theorie, um die es sich bei Arendt zweifellos handelt, muss aber auch den bösen Blick aushalten. Man wird Fayes weitgehenden Schlüssen keineswegs immer folgen und nicht einmal seiner Grundthese, Arendt habe durch Heidegger Anteil an der "Zerstörung des Denkens". Mit der Fülle seiner Analysen und Belege gelingt es ihm dennoch, außerordentlich prekäre Brüche in ihrer Totalitarismustheorie herauszuarbeiten, und er macht es seinen Gegnern nicht leicht, ihn an diesen Stellen zu widerlegen. Die Beziehung zwischen Arendt und Heidegger war keineswegs die Privatsache, als die sie oft erzählt wird; Heidegger'sche Elemente, und nicht die harmlosesten, finden sich an etlichen Stellen ihres Werks. WOLFGANG MATZ
Emmanuel Faye: "Hannah Arendt und Martin Heidegger". Zerstörung des Denkens.
Aus dem Französischen von Leonore Bazinek. Königshausen & Neumann Verlag, Würzburg 2024. 476 S., br., 44,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.