Die große Denkerin und ihr Werk - auf Basis neuer Quellen
»Thomas Meyer ist eine völlig überraschende Biografie einer intellektuellen Ikone gelungen, der man im Ringen um das Leben anderer so schmerzlich nahekommt wie noch nie.« Peter Neumann, DIE ZEIT
»Ich glaube nicht, dass es irgendeinen Denkvorgang gibt, der ohne persönliche Erfahrung möglich ist. Alles Denken ist Nachdenken, der Sache nach - denken.« Für Thomas Meyer bilden diese Sätze den Leitfaden seiner Biografie Hannah Arendts. Ihm folgt Meyer, wenn er anhand neuer Quellen ihr Leben und Werk von Königsberg nach New York, von der Dissertation über Augustin bis hin zum unvollendeten Opus magnum »Vom Leben des Geistes« nachzeichnet und deutet. Seine Biografie beleuchtet die Faszination und die Kritik, die ihre Person und ihre Schriften zeitlebens auslösten, und macht dabei sowohl für Interessierte wie für Kenner das Phänomen »Hannah Arendt« verständlicher.
Der hier gewählte Zugang unterscheidet sichradikal von der bisherigen Forschung. Erstmals werden bislang völlig unbekanntes Archivmaterial und andere zuvor ignorierte Dokumente herangezogen, um Arendt in ihrer Zeit dazustellen. Dabei konzentriert sich die Biografie auf zwei Lebensphasen Arendts: die Pariser Jahre nach der Flucht aus Deutschland und die Zeit in den USA bis zur Publikation ihres ersten Hauptwerkes »Origins of Totalitarianism« 1951, auf Deutsch 1955 unter dem Titel »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« erschienen.
Daraus ergeben sich neue Perspektiven auf Arendts revolutionäres Denken. Thomas Meyers Biografie ist der Ausgangspunkt für eine notwendige Neubewertung von Arendts Leben und Werk.
»Thomas Meyer ist eine völlig überraschende Biografie einer intellektuellen Ikone gelungen, der man im Ringen um das Leben anderer so schmerzlich nahekommt wie noch nie.« Peter Neumann, DIE ZEIT
»Ich glaube nicht, dass es irgendeinen Denkvorgang gibt, der ohne persönliche Erfahrung möglich ist. Alles Denken ist Nachdenken, der Sache nach - denken.« Für Thomas Meyer bilden diese Sätze den Leitfaden seiner Biografie Hannah Arendts. Ihm folgt Meyer, wenn er anhand neuer Quellen ihr Leben und Werk von Königsberg nach New York, von der Dissertation über Augustin bis hin zum unvollendeten Opus magnum »Vom Leben des Geistes« nachzeichnet und deutet. Seine Biografie beleuchtet die Faszination und die Kritik, die ihre Person und ihre Schriften zeitlebens auslösten, und macht dabei sowohl für Interessierte wie für Kenner das Phänomen »Hannah Arendt« verständlicher.
Der hier gewählte Zugang unterscheidet sichradikal von der bisherigen Forschung. Erstmals werden bislang völlig unbekanntes Archivmaterial und andere zuvor ignorierte Dokumente herangezogen, um Arendt in ihrer Zeit dazustellen. Dabei konzentriert sich die Biografie auf zwei Lebensphasen Arendts: die Pariser Jahre nach der Flucht aus Deutschland und die Zeit in den USA bis zur Publikation ihres ersten Hauptwerkes »Origins of Totalitarianism« 1951, auf Deutsch 1955 unter dem Titel »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« erschienen.
Daraus ergeben sich neue Perspektiven auf Arendts revolutionäres Denken. Thomas Meyers Biografie ist der Ausgangspunkt für eine notwendige Neubewertung von Arendts Leben und Werk.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2023Für Heidegger hatte sie halbherzige Entschuldigungen zur Hand
Ein Standardwerk sieht anders aus: Thomas Meyer legt eine Biographie Hannah Arendts vor, die zwar
einiges Neues bietet, aber im Ganzen nicht überzeugen kann.
Von Wolfgang Matz
Von Wolfgang Matz
Eine neue Biographie über Hannah Arendt ist ein Ereignis, liegt doch das Standardwerk von Elisabeth Young-Bruehl bereits vier Jahrzehnte zurück. Die "Arendt-Renaissance" wurde in der Zwischenzeit zur regelrechten Mode, und die Forschung hat viel ans Licht gebracht, wozu die neue Darstellung durch Thomas Meyer noch Weiteres beiträgt. Der Rezensent muss allerdings anfügen, dass er bei fortschreitender Lektüre einiges Missbehagen zu überwinden hatte, das zu überwinden ihm nicht leichtfiel. Das beginnt mit dem großspurigen Alleinvertretungsanspruch "Die Biografie" und endet nicht bei der ebenfalls reichlich besitzergreifenden Erklärung, dass die ebenfalls von Meyer herausgegebenen Studienausgaben von Arendts eigenen Büchern mit der nun vorliegenden Biographie "eine Einheit" bildeten.
Der umfassende Gestus widerspricht auch merkwürdig dem erklärten Programm, denn die Biographie "konzentriert sich auf zwei Lebensphasen Arendts: die Pariser Jahre nach der Flucht aus Deutschland und die Zeit in den USA bis zur Publikation ihres ersten Hauptwerks 'Origins of Totalitarianism'". Für diese Schwerpunkte gibt es gute Gründe, davon später; zunächst aber führt die Entscheidung zu Lückenhaftigkeit, auch zu einer sprunghaften, manchmal wirren Chronologie, in der die Orientierung schwerfällt.
Was die Lektüre mühsam macht, das ist vor allem die Sprachgestalt mit einem Spektrum von reiner Schlamperei ("Gadamer, der 1922 von Natorp promoviert worden war, Leo Strauss, der dies nahezu zeitgleich bei Ernst Cassirer in Hamburg getan hatte") über grammatische Barbarismen ("daher wählte Heidegger ein ganzes Ensemble an Wörtern, deren Schwerblütigkeit er sich zunutze machte und damit dem Zeitgeist ein gefundenes Fressen lieferte") bis hin zu zahllosen Passagen, in denen sprachliche Unzulänglichkeit zu gedanklicher wird. "Die Klugheit, die sich nicht beweisen muss, denn im Gespräch, im Austausch, die reine Mündlichkeit auszuhalten, wo doch sie immer die gemachten Erfahrungen reflektiert, konnotiert, dem 'Verstehenmüssen' nachzugehen versucht, gerade dort, wo es sie und andere schmerzt, ist eine der Leistungen Arendts, weil die Zusammenfügung von Privatem und Öffentlichem keinen Mehrwert für den ergibt, der draußen agiert." Wer soll, wer kann das verstehen?
Oder das Resümee von Arendts Camus-Lektüre: "Er weiß, dass die Opfer und die Überlebenden so nicht sprechen konnten und so nicht sprechen würden. Die Einsicht war denen aufgezwungen, die so taten, als hätte es den 'Lauf der Geschichte' gegeben, und das wollte Camus nicht akzeptieren." Auch der Kontext erhellt nirgendwo, von wem oder was da die Rede sein soll. Dabei handelt es sich hier und an allzu vielen anderen Stellen keineswegs um eine notwendig komplexe Fachterminologie, sondern ganz einfach um die Beherrschung der deutschen Sprache. Man staunt, dass kein Vorableser inner- und außerhalb des Verlags hier nicht irgendwann die Reißleine gezogen hat.
All das ist umso bedauerlicher, als es immer wieder den Blick auf das verstellt, was diese neue Biographie an Gewinn mit sich bringen soll. Denn tatsächlich gibt es gute Gründe für die thematische Konzentration, die Meyer wählt. Das gilt für die ausführliche Nachzeichnung von Herkunft und Familie, von Geschäften und Berufen, von religiöser Bindung und Distanz, denn die historische Situation des Königsberger Judentums und darin die familiäre Vorgeschichte ist in diesem Detailreichtum höchst aufschlussreich zum Verständnis von Hannah Arendts späterer, sehr persönlicher Position im Verhältnis von Deutsch- und Judentum, eine Position zwischen den Stühlen, die ihr manchen Konflikt einbrachte.
Und das gilt auch ganz besonders für die genannten Pariser Jahre der Emigration. Hannah Arendts Bedeutung liegt in der Wissenschaft, und deshalb waren bisherige Gesamtdarstellungen vorrangig auf ihre wissenschaftliche Biographie gerichtet. Fast die gesamte Zeit zwischen dem Verlassen Deutschlands und der Übersiedlung in die USA verbrachte Arendt, wie viele andere Emigranten, im krisengeschüttelten Paris der neuen Vorkriegszeit, allerdings gerade nicht mit wissenschaftlicher Arbeit, sondern mit engagiertem Einsatz in der Flüchtlingshilfe. Ihre Tätigkeit im Rahmen der sogenannten Kinder- und Jugend-Alijah, also der organisierten Migration aus der jüdischen Diaspora nach Palästina, ist, folgt man Meyers Recherchen, sehr viel umfangreicher und lebensgeschichtlich bedeutsamer als bisher bekannt. Ein großer Gewinn - doch auch hier: Was soll man dazu sagen, wenn in einer Darstellung, die ausdrücklich ein Hauptgewicht auf diese politisch so heiklen Pariser Jahre legt, eine entscheidende Figur so vorgestellt wird: "General Philippe Pétain, der später an der Spitze der sogenannten Vichy-Regierung im von Deutschland besetzten Teil Frankreichs stehen würde." Vertrauenerweckend ist das nicht.
Die Beziehungen zu den nahen Zeitgenossen, freundschaftlich oder im Konflikt, sind sehr unterschiedlich gewichtet. Über Walter Benjamin, immerhin eine Art Nachbar im Pariser Exil, findet man in diesem Zusammenhang wenig; Adorno taucht irgendwann als "Feind" auf, ohne weitere Erklärung; Gershom Scholem, jahrelang ein prägender Gesprächspartner und Freund, wird gerade im Zusammenhang mit "Eichmann in Jerusalem" nur noch am Rande erwähnt, obwohl gerade er doch nicht nur privat, sondern auch öffentlich einer der schärfsten Kritiker war - was zum Ende der Freundschaft führte.
Gegenbeispiel ist Martin Heidegger. Man mag nicht jeder Schlussfolgerung Meyers folgen, aber hier ist seine Darstellung dem Gegenstand angemessen und gründlich. Heidegger ist die zentrale Figur in Arendts Leben, von den Studienjahren in Marburg und Freiburg, der kurzen Liebesgeschichte über die problematischen Kriegsjahre, das gegenseitige Schweigen bis hin zur späten Wiederannäherung: eine Lebensbeziehung, in der sich persönliche, intime und sachliche Faktoren zuweilen unauflöslich verhedderten; seltsam, dass Elfride Heidegger, die sowohl für diese Beziehung als auch für den Konflikt um Heideggers Nationalsozialismus eine erhebliche Rolle spielte, in der Biographie nicht erwähnt wird.
Die späte Hannah Arendt schwankte zwischen dem öffentlichen Lob Heideggers und privater Kritik: "Er zitiert sich selbst und interpretiert sich, als ob es ein Text aus der Bibel sei. Ich kann es einfach nicht mehr ertragen." Gerade der biographische Zugang kann deutlich machen, dass auch eine Hannah Arendt dem allzumenschlichen Impuls unterlag und, höchst begreiflich, aus ihrer eigenen privaten Perspektive nicht zu der Distanz fand, die ein wirklich klares Bild von Heidegger möglich gemacht hätte. Heideggers Einsatz für den NS-Staat hatte sie zutiefst verstört, doch waren es letztlich wohl die Jugend- und Lebenserinnerungen, die sie sogar dazu brachten, für das Unentschuldbare nicht nur nach Erklärungen zu suchen, sondern auch nach halbherzigen Entschuldigungen.
Das Fazit ist also sehr gemischt. "Die" Biographie ist Meyers Buch allein schon durch seine selektive Konzeption ganz sicher nicht geworden, und es bleibt fürs Erste bei Young-Bruehls Standardwerk. Auch die offenkundigen Mängel stehen dem Zugang stark im Wege, verdecken leider allzu sehr den Gewinn, der im Zugriff auf neue Dokumente und neue Forschungen liegt und ein Licht wirft auf bisher eher unbekannte Seiten von Hannah Arendts Leben und Werk.
Thomas Meyer: "Hannah Arendt". Die Biografie.
Piper Verlag, München 2023. 528 S., Abb., geb.,
28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Standardwerk sieht anders aus: Thomas Meyer legt eine Biographie Hannah Arendts vor, die zwar
einiges Neues bietet, aber im Ganzen nicht überzeugen kann.
Von Wolfgang Matz
Von Wolfgang Matz
Eine neue Biographie über Hannah Arendt ist ein Ereignis, liegt doch das Standardwerk von Elisabeth Young-Bruehl bereits vier Jahrzehnte zurück. Die "Arendt-Renaissance" wurde in der Zwischenzeit zur regelrechten Mode, und die Forschung hat viel ans Licht gebracht, wozu die neue Darstellung durch Thomas Meyer noch Weiteres beiträgt. Der Rezensent muss allerdings anfügen, dass er bei fortschreitender Lektüre einiges Missbehagen zu überwinden hatte, das zu überwinden ihm nicht leichtfiel. Das beginnt mit dem großspurigen Alleinvertretungsanspruch "Die Biografie" und endet nicht bei der ebenfalls reichlich besitzergreifenden Erklärung, dass die ebenfalls von Meyer herausgegebenen Studienausgaben von Arendts eigenen Büchern mit der nun vorliegenden Biographie "eine Einheit" bildeten.
Der umfassende Gestus widerspricht auch merkwürdig dem erklärten Programm, denn die Biographie "konzentriert sich auf zwei Lebensphasen Arendts: die Pariser Jahre nach der Flucht aus Deutschland und die Zeit in den USA bis zur Publikation ihres ersten Hauptwerks 'Origins of Totalitarianism'". Für diese Schwerpunkte gibt es gute Gründe, davon später; zunächst aber führt die Entscheidung zu Lückenhaftigkeit, auch zu einer sprunghaften, manchmal wirren Chronologie, in der die Orientierung schwerfällt.
Was die Lektüre mühsam macht, das ist vor allem die Sprachgestalt mit einem Spektrum von reiner Schlamperei ("Gadamer, der 1922 von Natorp promoviert worden war, Leo Strauss, der dies nahezu zeitgleich bei Ernst Cassirer in Hamburg getan hatte") über grammatische Barbarismen ("daher wählte Heidegger ein ganzes Ensemble an Wörtern, deren Schwerblütigkeit er sich zunutze machte und damit dem Zeitgeist ein gefundenes Fressen lieferte") bis hin zu zahllosen Passagen, in denen sprachliche Unzulänglichkeit zu gedanklicher wird. "Die Klugheit, die sich nicht beweisen muss, denn im Gespräch, im Austausch, die reine Mündlichkeit auszuhalten, wo doch sie immer die gemachten Erfahrungen reflektiert, konnotiert, dem 'Verstehenmüssen' nachzugehen versucht, gerade dort, wo es sie und andere schmerzt, ist eine der Leistungen Arendts, weil die Zusammenfügung von Privatem und Öffentlichem keinen Mehrwert für den ergibt, der draußen agiert." Wer soll, wer kann das verstehen?
Oder das Resümee von Arendts Camus-Lektüre: "Er weiß, dass die Opfer und die Überlebenden so nicht sprechen konnten und so nicht sprechen würden. Die Einsicht war denen aufgezwungen, die so taten, als hätte es den 'Lauf der Geschichte' gegeben, und das wollte Camus nicht akzeptieren." Auch der Kontext erhellt nirgendwo, von wem oder was da die Rede sein soll. Dabei handelt es sich hier und an allzu vielen anderen Stellen keineswegs um eine notwendig komplexe Fachterminologie, sondern ganz einfach um die Beherrschung der deutschen Sprache. Man staunt, dass kein Vorableser inner- und außerhalb des Verlags hier nicht irgendwann die Reißleine gezogen hat.
All das ist umso bedauerlicher, als es immer wieder den Blick auf das verstellt, was diese neue Biographie an Gewinn mit sich bringen soll. Denn tatsächlich gibt es gute Gründe für die thematische Konzentration, die Meyer wählt. Das gilt für die ausführliche Nachzeichnung von Herkunft und Familie, von Geschäften und Berufen, von religiöser Bindung und Distanz, denn die historische Situation des Königsberger Judentums und darin die familiäre Vorgeschichte ist in diesem Detailreichtum höchst aufschlussreich zum Verständnis von Hannah Arendts späterer, sehr persönlicher Position im Verhältnis von Deutsch- und Judentum, eine Position zwischen den Stühlen, die ihr manchen Konflikt einbrachte.
Und das gilt auch ganz besonders für die genannten Pariser Jahre der Emigration. Hannah Arendts Bedeutung liegt in der Wissenschaft, und deshalb waren bisherige Gesamtdarstellungen vorrangig auf ihre wissenschaftliche Biographie gerichtet. Fast die gesamte Zeit zwischen dem Verlassen Deutschlands und der Übersiedlung in die USA verbrachte Arendt, wie viele andere Emigranten, im krisengeschüttelten Paris der neuen Vorkriegszeit, allerdings gerade nicht mit wissenschaftlicher Arbeit, sondern mit engagiertem Einsatz in der Flüchtlingshilfe. Ihre Tätigkeit im Rahmen der sogenannten Kinder- und Jugend-Alijah, also der organisierten Migration aus der jüdischen Diaspora nach Palästina, ist, folgt man Meyers Recherchen, sehr viel umfangreicher und lebensgeschichtlich bedeutsamer als bisher bekannt. Ein großer Gewinn - doch auch hier: Was soll man dazu sagen, wenn in einer Darstellung, die ausdrücklich ein Hauptgewicht auf diese politisch so heiklen Pariser Jahre legt, eine entscheidende Figur so vorgestellt wird: "General Philippe Pétain, der später an der Spitze der sogenannten Vichy-Regierung im von Deutschland besetzten Teil Frankreichs stehen würde." Vertrauenerweckend ist das nicht.
Die Beziehungen zu den nahen Zeitgenossen, freundschaftlich oder im Konflikt, sind sehr unterschiedlich gewichtet. Über Walter Benjamin, immerhin eine Art Nachbar im Pariser Exil, findet man in diesem Zusammenhang wenig; Adorno taucht irgendwann als "Feind" auf, ohne weitere Erklärung; Gershom Scholem, jahrelang ein prägender Gesprächspartner und Freund, wird gerade im Zusammenhang mit "Eichmann in Jerusalem" nur noch am Rande erwähnt, obwohl gerade er doch nicht nur privat, sondern auch öffentlich einer der schärfsten Kritiker war - was zum Ende der Freundschaft führte.
Gegenbeispiel ist Martin Heidegger. Man mag nicht jeder Schlussfolgerung Meyers folgen, aber hier ist seine Darstellung dem Gegenstand angemessen und gründlich. Heidegger ist die zentrale Figur in Arendts Leben, von den Studienjahren in Marburg und Freiburg, der kurzen Liebesgeschichte über die problematischen Kriegsjahre, das gegenseitige Schweigen bis hin zur späten Wiederannäherung: eine Lebensbeziehung, in der sich persönliche, intime und sachliche Faktoren zuweilen unauflöslich verhedderten; seltsam, dass Elfride Heidegger, die sowohl für diese Beziehung als auch für den Konflikt um Heideggers Nationalsozialismus eine erhebliche Rolle spielte, in der Biographie nicht erwähnt wird.
Die späte Hannah Arendt schwankte zwischen dem öffentlichen Lob Heideggers und privater Kritik: "Er zitiert sich selbst und interpretiert sich, als ob es ein Text aus der Bibel sei. Ich kann es einfach nicht mehr ertragen." Gerade der biographische Zugang kann deutlich machen, dass auch eine Hannah Arendt dem allzumenschlichen Impuls unterlag und, höchst begreiflich, aus ihrer eigenen privaten Perspektive nicht zu der Distanz fand, die ein wirklich klares Bild von Heidegger möglich gemacht hätte. Heideggers Einsatz für den NS-Staat hatte sie zutiefst verstört, doch waren es letztlich wohl die Jugend- und Lebenserinnerungen, die sie sogar dazu brachten, für das Unentschuldbare nicht nur nach Erklärungen zu suchen, sondern auch nach halbherzigen Entschuldigungen.
Das Fazit ist also sehr gemischt. "Die" Biographie ist Meyers Buch allein schon durch seine selektive Konzeption ganz sicher nicht geworden, und es bleibt fürs Erste bei Young-Bruehls Standardwerk. Auch die offenkundigen Mängel stehen dem Zugang stark im Wege, verdecken leider allzu sehr den Gewinn, der im Zugriff auf neue Dokumente und neue Forschungen liegt und ein Licht wirft auf bisher eher unbekannte Seiten von Hannah Arendts Leben und Werk.
Thomas Meyer: "Hannah Arendt". Die Biografie.
Piper Verlag, München 2023. 528 S., Abb., geb.,
28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Eigentlich ist die Bezeichnung "Biografie" für Thomas Meyers Buch über Hannah-Arendt nicht so ganz korrekt, meint Rezensentin Eva von Redecker. Es handele sich vielmehr um eine "philosophische Geschichtsdeutung"; die Redecker gar an das "Passagenwerk" Walter Benjamins Denken lässt. So lässt Meyer ganz nach Benjaminscher Art, die Dokumente im Text selbst sprechen, meint die Kritikerin, verbindet sie zu einer Collage, in der "sensationelle" Quellenfunde Meyers nebeneinanderstehen. Am beeindruckendsten findet Redecker das Archivmaterial, das Arendts Engagement für die zionistische Jugend-Alijah detailliert nachvollziehbar macht und die Rettung hunderter jüdischer Kinder vor den Nationalsozialisten bezeugt. Auch der philosophische Ansatz des Autors, der Arendts Denken mit dem wiederum Benjaminschen Begriff der "Erfahrung" fassen will, findet Zustimmung bei Redecker. Für die Jahre kurz vor Arendts Exil nach Paris betreibt Meyer "Konstellationsforschung auf neuem Niveau", überhaupt ist Redecker beeindruckt vom Kenntnisreichtum und attestiert Meyer "detektivisches Genie" beim Aufzeigen überraschender Zusammenhänge.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Meyer ist eine völlig überraschende Biografie einer intellektuellen Ikone gelungen, der man im Ringen um das Leben anderer so schmerzlich nahekommt wie noch nie.« Zeit Literatur 20231012