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7 Kundenbewertungen

Als Anna ihre fast 90-jährige Mutter Johanna im Pflegeheim besucht, ist diese nicht mehr ansprechbar. Anna ist zugleich traurig und wütend. So viele Fragen möchte sie noch stellen, so vieles möchte sie noch wissen über das Leben ihrer Mutter Johanna und ihrer Großmutter Hanna. Wie ist es gewesen vor fast hundert Jahren auf dem Land, als Hanna mit ihrem unehelichen Sohn Ragnar den Müller Broman heiratete? Wieso konnte sie sich später nie an das Leben in der Großstadt Göteborg gewöhnen? Wie hat sich ihre Mutter gefühlt, als der Vater starb, und warum hat sie niemals rebelliert gegen ihr tristes…mehr

Produktbeschreibung
Als Anna ihre fast 90-jährige Mutter Johanna im Pflegeheim besucht, ist diese nicht mehr ansprechbar. Anna ist zugleich traurig und wütend. So viele Fragen möchte sie noch stellen, so vieles möchte sie noch wissen über das Leben ihrer Mutter Johanna und ihrer Großmutter Hanna. Wie ist es gewesen vor fast hundert Jahren auf dem Land, als Hanna mit ihrem unehelichen Sohn Ragnar den Müller Broman heiratete? Wieso konnte sie sich später nie an das Leben in der Großstadt Göteborg gewöhnen? Wie hat sich ihre Mutter gefühlt, als der Vater starb, und warum hat sie niemals rebelliert gegen ihr tristes Hausfrauendasein? Jetzt ist es zu spät, all diese Fragen zu stellen. Anna - Tochter und Enkelin - begibt sich allein auf die Reise durch das Leben ihrer Mutter und Großmutter und findet mit Hilfe ihrer Aufzeichnungen Zugang zum Leben ihrer Vorfahren und vor allem zu sich selbst. Marianne Fredriksson hat ein spannendes Buch über die Liebe geschrieben, in dem sie die drei einprägsamen Lebenslinien von Anna, Hanna und Johanna durch hundert Jahre schwedische Geschichte nachzeichnet.
Autorenporträt
Fredriksson, Marianne
Marianne Fredriksson wurde 1927 in Göteborg geboren. Als Journalistin arbeitete sie lange für bekannte schwedische Zeitungen und Zeitschriften. Im Jahre 1980 veröffentlichte sie ihr erstes Buch. Sämtliche Romane der Autorin wurden in Deutschland große Bestsellererfolge. Die Autorin starb am 12. Februar 2007.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.1997

Ein Troll im Waldesdunkel
Beschreiblich weiblich: Marianne Fredriksson geht unter Mütter

Im Vorwort bekennt die schwedische Schriftstellerin Marianne Fredriksson, ein Frauenbuch geschrieben zu haben. Was natürlich nicht bedeutet, daß ihr männliche Leser unwillkommen wären. Doch werden sie sich einfangen lassen von einer Geschichte, die so unerbittlich auf Frauen zielt? Vom Bibelwort ausgehend, die Missetaten der Väter würden an den Kindern heimgesucht bis ins dritte und vierte Glied, befindet die Autorin: "Zu den Taten der Mütter gibt es keine Bibelworte, obwohl sie vermutlich von größerer Bedeutung sind als die der Väter. Uralte Muster werden von Müttern an Töchter weitergegeben, die wieder Töchter bekommen, die wieder . . ."

Es raunt also aus dem Urgrund, und das hat für den Roman ein paar Vorteile und manche Nachteile. Die Vorteile machen sich geltend, solange die Fabel sich aus alter Geschichte nährt, will sagen, weit genug in die schwedische Vergangenheit zurückreicht, daß im Waldesdunkel noch die Trolle zu tanzen scheinen. Die Nachteile schlagen überall dort zu Buche, wo die Handlung sich in der Moderne zuträgt, und das ist in knapp zwei Buchdritteln der Fall. Die Aufteilung des Romans in verschiedene Geschichtsabschnitte deutet sich schon im Titel an, allerdings nur in dem des Originals. Die deutsche Formulierung "Hannas Töchter" ist eher poetisch ausgreifend als genau, denn Hanna, die älteste der drei Heldinnen, hat nur eine einzige Tochter. Der schwedische Titel dagegen signalisiert exakt, was die Autorin uns anbietet, nämlich weibliche Lebensgeschichten aus drei Generationen einer Familie: "Anna, Hanna und Johanna".

Anna, die jüngste Hauptfigur, ist Johannas Tochter und Hannas Enkelin. 1937 geboren, zählt sie zehn Lebensjahre weniger als ihre Schöpferin, mit der sie im übrigen die wichtigsten Lebensdaten teilt: Wie Marianne Fredriksson ist auch Anna von Beruf Journalistin, schreibt mit Erfolg Bücher und sucht den Geheimnissen der Mutter-Tochter-Bindung auf die Spur zu kommen. Die Autorin legt allerdings Wert auf die Feststellung, daß es keine autobiographischen Anklänge in ihrem Buch gebe. Die erzählte Familiengeschichte sei nicht die ihre, sondern ein Produkt reiner Phantasie.

Anna also verwandelt die Biographien ihrer Vormütter in Literatur, gestützt auf Gehörtes und Gesehenes, vor allem aber auf ererbte Tagebücher. Die stammen von Mutter Johanna, der wir in diesem Zusammenhang unseren staunenden Respekt nicht versagen können. Johanna nämlich, die schließlich der Alzheimerschen oder einer ähnlichen Krankheit anheimfällt, vermag ihre Selbstbeobachtungen bis weit in ihr Verfallsstadium hinein fortzusetzen. Großmutter Hanna hingegen war solcher Schreibkunst nicht mächtig. Als simple Bauerntochter jedermanns Lastesel, hat sie nie etwas Rechtes lernen dürfen. So kommt es, daß wir Hannas Geschichte nicht unmittelbar von ihr erfahren, sondern gefiltert durch die Schreibveranstaltungen von Tochter und Enkelin.

Aber gerade Hannas Geschichte ist mit Abstand das Beste am ganzen Buch. Willig läßt man sich gefangennehmen von der archaischen Atmosphäre, in der das Mädchen geduckt wird und die Frau ihren Schmerzensweg geht. Hanna, 1871 geboren, entstammt einem Land Schweden, wie wir es uns heute kaum mehr vorstellen können. Daß es so seinerzeit aber gewesen ist, dafür steht uns die Schwedin Marianne Fredriksson. Fern den großen Städten, im bäuerischen Norden, wo die Romanfamilie ihren Ursprung nahm, herrschen in Hannas Tagen Unwissen, Aberglaube, enge Moralregeln, ein krasses Wertgefälle zwischen wohlhabend und arm sowie zwischen Mann und Frau.

Hanna, als Zwölfjährige Opfer einer Vergewaltigung, aus der ein Kind hervorgeht, ist nach Ortsbegriffen eine "Hure" und eigentlich für ein normales Frauenleben verloren. Wider alles Erwarten findet sie dennoch einen Mann, der für sie sorgt. Allerdings schlägt er sie zuweilen im Suff. Aber das nimmt sie hin, alle Frauen, die sie kennt, werden mehr oder weniger geprügelt. Wichtig ist, daß sie durch ihn ehrbar wurde und leben darf wie die anderen Frauen auch, mit Haus, Acker und Vieh, mit Kindern, die einen rechtmäßigen Vater haben. Was zählt es da, daß sie nichts als Plackerei kennt, karge Liebe, wenig Dank und für ihren vielfach geschundenen Leib nur die Doktor-Eisenbart-Methoden der dörflichen Heilhexen.

Das alles kommt ohne dramatischen Gestus, karg, fast beiläufig daher. Aber gerade von dieser Kargheit geht eine starke Wirkung aus, der man sich schlecht entziehen kann. Hannas Menschenlos entwickelt sich mit überzeugender Zwangsläufigkeit aus den gesellschaftlichen Gegebenheiten ihrer Ära. Doch ist diesem Gesellschaftsbild zum Glück kein theoretischer Unterbau beigegeben. Die Schicksale ergeben sich einfach aus der Summe menschlichen Irrens in einer unbegriffenen Welt.

Wie es ist, kann es nicht bleiben, heißt der Appell, der unausgesprochen in Hannas Geschichte steckt. Es ist ja auch nicht so geblieben, das wissen wir, und das weiß die Autorin. Um genau dies zu zeigen, hat sie die anderen Partien des Buches geschrieben. Heldin Johanna zum Beispiel, Jahrgang 1902, steht für den Weg der schwedischen Frau zu mehr Rechten, wobei das politische Wirken der schwedischen Sozialdemokratie keine geringe Rolle spielt. Hier aber bringt sich die Autorin ein bißchen ins Gedränge. Sie hat, nehmen wir an, aus Johannas Leben so wenig eine Gesellschaftslehre keltern wollen wie aus dem Leben von Mutter Hanna. Da Johanna jedoch deutlich als Zoon politikon angelegt ist, drängt sich die Lehre von selbst auf. Entweder Menschengeschichte nach dem Muster des Hanna-Teils oder Politunterricht, hieß die Devise. Die Autorin hat beides in einem gewollt, am Ende hat sie das jeweils eine mit dem jeweils anderen beschädigt. Dazu kommt, daß die Splitter europäischer Historie, die sich zuweilen in Johannas Vita verfangen, mehr Fragen als Erkenntnis hinterlassen. Das betrifft vor allem die Hitlerdiktatur und deren Judenverfolgung, die die Autorin auch noch erwähnen zu müssen glaubte. Solche Themen verweigern sich einer Erledigung nebenbei, und wenn der Romanrahmen kein ausführliches Abhandeln zuläßt, wäre Verzicht besser als falsche Vollständigkeit.

Was konnten die unglückselig differierenden Gestaltungsprinzipien danach aus der Enkelin Anna herausholen? Leider noch weniger als aus Johanna. Die vertrat immerhin ein konflikthaltiges Stück schwedischer Frauengeschichte. Für Anna aber ist, was den weiblichen Aufstieg betrifft, schon alles gelaufen, sie hat studiert und sammelt berufliche Lorbeeren. Da blieb, um auch ihr ein bewegendes Schicksal zu bereiten, nur das, was Frauen zum Ehetherapeuten und zum Gynäkologen treibt. Natürlich läßt sich auch daraus eine Romanfabel bauen. Aber das wäre dann ein anderes Buch als jenes, mit dem wir es zu tun haben.

Bei Marianne Fredriksson geht es, wie sie anfangs verhieß, ganz zentral um den Nachweis, daß die Vormütter Einfluß nehmen auf Geschick und Seelenleben ihrer weiblichen Nachkommen. Das tun sie in der Tat, wie uns die Psychologen lehren, und die schwedische Autorin ist nicht die erste, die sich dieses Phänomens annimmt. Doch den damit verknüpften Problemen wird sie nur ansatzweise gerecht. "Johanna" und "Anna" sind über weite Strecken in einer wabernden Gefühlswelt angesiedelt, wo das Ewigweibliche den Männern wenig mehr als Statistenrollen übrigläßt. In einer kastrierten Welt also. Die überzeugende Realität für jedermann repräsentiert allein Hanna. SABINE BRANDT

Marianne Fredriksson: "Hannas Töchter". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Senta Kapon. Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1997. 381 S., geb., 39,80 DM.

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